Wetten dass.. ? und das Feuilleton

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Flo
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Wetten dass.. ? und das Feuilleton

Beitrag von Flo »

Jan Böhmermann hat, laut seiner Aussage, zur Wiedergutmachung eines Fehlers seitens des ZDFs, die Erlaubnis bekommen ein Folge "Wetten dass.. ?" zu produzieren. In der Praxis bedeutet das, dass eine min. 90 Minuten lange Sendung gemacht wurde, welche nun peux a peux in dem wöchentlichen 45 minütigen Sendeblock von Neo Magazin Royal veröffentlicht wird. Eben habe ich mir den ersten Teil*, der am 13.10 erschienen ist angesehen und danach mal ein paar Onlineartikel dazu aus den Tageszeitungen Zeit, Spiegel und FAZ** überflogen.

Disclaimer: Ich schätze Jan Böhmermann und sein Team von Neo Magazin und später Neo Magazin Royal sehr für ihre Arbeit. Vor etwa einem Jahr habe ich zwar aufgehört die Sendungen selbst zu schauen, weil ich .. ich bin mir gar nicht so ganz sicher .. ich glaube weil ich einfach der Attitüde des Moderators müde geworden bin. Und da ich mich darauf verlassen kann, dass die Rosinen mich eh über die social Media Kanäle oder die Nachrichten erreichen, habe ich auch keine Sorge, dass ich etwas Interessantes verpasse.

Diese "Wetten dass.. ?"-Folge orientierte sich sehr eng am Original, mit besonderem Schwerpunkt auf teils unangenehme Details wie schlechter Moderation (ständiges Händeschütteln, Gäste per Hand zur Kamera ausrichten oder sogar die Suche danach, in welche Kamera man denn gerade sprechen soll), eine obskure Gästezusammenstellung, die jegliche potentielle Stringenz im Keim erstickt und Wetten bei denen eigentlich jeder Nazi vor Scham seinen Patriotismus in Frage stellen müsste. Das Ansehen empfand ich als sehr unangenehm, der Höhepunkt war, als ich mir auffiel, dass ich online ja wenigstens die Musiknummer vorspulen konnte.

Neugierig und ehrlich gesagt auch mit einer leichten Vorfreude auf den 'Hate', welcher die Sendung wahrscheinlich generiert haben dürfte, las ich oben erwähnte Artikel. Dass der Tenor jedoch so homogen war, überraschte mich dann doch. Die Kulturkritik vergingen sich in dem Versuch, die Sendung entweder in die Schublade der missglückten Hommage oder in die, der missglückten Satire zu stecken. Alle drei Texte fassen die Sendung zusammen und nageln den Moderator nebenher auf Aussagen fest, die er in oder über die Sendung getroffen habe. Dabei sollte nach der Varoufakis Geschichte und dem Schmähgedicht eigentlich inzwischen bekannt sein, dass die Stärke des Neo Magazin Royal Teams doch gerade die ist, Schabernack mit den unreflektierten automatischen Reaktionen der Öffentlichkeit zu treiben. Die größten Clous waren niemals ‘on the nose'.

Vor allem wunder es mich, wie viel Ernsthaftigkeit man in der deutsche Kulturpresse einem Moderator zuspricht, der sein riesiges blaues Gottschalkgedenk-Jackett einfach kommentarlos über seinem normales schwarzes Jackett trägt. Des weiteren wurde einer der größten 'Gottschalk'-Tropes - das körperlich übergriffige Verhalten gegenüber weiblichen Gästen - dann Gottseidank nicht aufgegriffen, was meines Erachtens als Indiz betrachtet werden kann, dass das Team sich sehr wohl bewusst ist, wo die Grenzen der Nostalgie liegen.

Ebenso würde ich Böhmermann und dem Team grundsätzlich erst mal ein hohes Stilbewusstsein unterstellen, wenn ich mir seine Kleidung, die Setgestaltung von 'Neo Magazin' und das frühere Format 'Roche und Böhmermann' ansehe. Das kokettieren mit einer Liebe zur 90er Jahre Ästhetik würde ich persönlich eher als ironisch einordnen. Der Clip 'Eine Hymne auf die 90er'*** von der bildundtonfabrik, um das 'Team auch mal namentlich zu nennen, hat genau das selbe gemacht.

In meiner persönlichen Weltsicht, welche immer ein bisschen aufregender als die Realität aller anderen ist, liegt sogar genau die selbe Intention hinter der Hymne, wie hinter dem 'Wetten dass.. ?' Format. Während sich zum Beispiel der offensichtlichste Bruch der Immersion bei letzterem in dem albernen Jackett nieder schlägt, sieht man im Hymnen-Video bei 3:14 ganz groß, dass das vermeintlich Kinderbuch auf Böhmermanns Schoß, ein Buch über den Regisseur Wes Anderson ist. Bertholt Brecht - bitte nicht schlagen, hört mich erst fertig an - also Bertholt Brecht hat als Stilmittel seines 'Epischen Theaters' etwas angewendet, was er 'Verfremdungseffekt' bezeichnete. Letztlich ging es darum einen Bruch in der Illusion zu schaffen, damit der Zuschauer eine kritische Distanz zum Stück einnehmen kann. Naja, so die Intention jedenfalls. Wenn ich mich nicht irre ging es Brecht darum, selbstständiges Denken im Zuschauer zu provozieren.

Ich möchte mich hier überhaupt nicht als Fanboy positionieren. Mich würde es nicht überraschen, wenn die bildundtonfabrik diese lange 'Wetten dass.. ' Folge, welche über mehrere Wochen verteilt ausgestrahlt wird, auch mit der Überlegung im Hinterkopf produziert hat, dass man temporär weniger Stress auf der Arbeit hat. Wäre auch eine gute Gelegenheit, ein paar angehäufte Urlaubstage für Personen in Schlüsselpositionen abzutragen. Damit möchte ich ausdrücken, dass ich nicht in jeder Unregelmäßigkeit, den Versuch ein Kunstwerk zu schaffen hineininterpretieren möchte.

Die Fragen die ich hier zur Debatte stellen möchte sind also:
- War die 'Wetten das.. ?' Folge schlecht, und widersprach das der Intention der Macher?
- Hat das Feuilleton recht?

und falls keiner die Sendung gesehen hat:
- Existieren Fernseh- oder Internetformate, welche versuchen Zuschauer aus seiner Passivität zu locken?


* http://www.zdf.de/ZDFmediathek#/beitrag ... m-13102016" onclick="window.open(this.href);return false;

** http://www.zeit.de/kultur/film/2016-10/ ... zin-royale" onclick="window.open(this.href);return false;
http://www.spiegel.de/kultur/tv/jan-boe ... 16577.html" onclick="window.open(this.href);return false;
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/m ... 80688.html" onclick="window.open(this.href);return false;

*** https://www.youtube.com/watch?v=3aSt1J4s_Lk" onclick="window.open(this.href);return false;
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Flo
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Re: Wetten dass.. ? und das Feuilleton

Beitrag von Flo »

Nachtrag:

Als ich eben noch einmal mit einem Mitbewohner über die Sache quatschte, ist mir aufgefallen, dass der erwähnte Beitrag auf Spiegel Online gar nicht in den Tenor der anderen zwei Beispiele einfällt, sondern eine etwas andere Position vertritt. Die Autorin Anja Rützel schlägt einen positiven Ton an, endet aber mit einem etwas unschlüssigen 'man sollte es erst beurteilen, wenn es sicher abgeschlossen ist.' Definitiv eine Position, die man vertreten kann, auch wenn so etwas als Abschluss eines veröffentlichten Artikels etwas latent paradox wirkt.
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christianneffe
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Re: Wetten dass.. ? und das Feuilleton

Beitrag von christianneffe »

Habe nun gestern den zweiten Teil gesehen. Nachdem ich die letztwöchige Ausgabe auf eine gewisse Weise "interessant" fand, konnte ich mich am Ende nicht dagegen wehren, das Ganze als ziemlich peinliche Clown-Show zu beurteilen. Ich mag Böhmermann sehr, schaue jede Woche das Neo Magazin und erlebe es immer wieder, dass einige Gags oder Sketche nicht so gut funktionieren, wie es die Macher beabsichtigt hatten. Das ist okay - es kann nicht nur Höhen geben, an Fehlern wächst man.
Insofern hat er sich mit seiner "Wetten dass...?"-Parodie/Hommage nicht für mich komplett disqualifiziert. Falls das Ganze aber tatsächlich als Bewerbung für die Moderation eines echten "Wetten Dass...?" dienen soll, dann sehe ich eher schwarz. Der Punkt, an dem es bei mir gekippt ist, war das Gespräch mit Ulrich Wickert - was für ein Fauxpas. Dann verschandeln noch Die Lochis den "Earth Song" mit einer unerträglichen, von Stimmkorrektur verzerrten Playback-Show. Und zuletzt die Einlösung seiner eigenen Wettschuld. Ich dachte mir die ganze Zeit, was der Wickert gerade denken muss...

Die Wetten zählten noch die den Höhepunkten. Ich fand es gut, dass die so offensichtlich gefaket waren - viel besser, als wenn man sie als echte Wetten getarnt hätte. Jetzt wo ich das schreibe, fällt mir gerade auf, dass die Leute von der bildundtonfabrik damit ziemlich gut das eingefangen, was "Wetten Dass...?" ausgemacht hat: Wetten toll, alles dazwischen langweilig bis fremdschämig.

Zusammengefasst: Die Sendung ist wohl nicht ganz das geworden, was sich die Macher vorgestellt hatten, dürfte dem aber recht gut entsprechen. Anfangs noch halbwegs unterhaltsam, am Ende unerträglich peinlich und platt. Böhmi wird damit wahrscheinlich nicht die Sendung bekommen - was schade ist, denn ich traue es ihm durchaus zu, ein gutes "Wetten Dass...?" auf die Beine zu stellen (wenn man mal davon ausgeht, dass überhaupt noch jemand dieses Fernsehfossil wirklich sehen will...)
Und natürlich hat das Feuilleton recht. Das Feuilleton hat immer recht. Es ist ja schließlich das Feuilleton :D
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Nachtfischer
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Re: Wetten dass.. ? und das Feuilleton

Beitrag von Nachtfischer »

Dann verschandeln noch Die Lochis den "Earth Song" mit einer unerträglichen, von Stimmkorrektur verzerrten Playback-Show.
Selbst das war doch eine Anspielung auf Jacksons eigenen Auftritt von 1995. Das sah in Sachen Playback nicht viel besser aus. :P

Ich glaube nicht, dass Böhmermann sich hier auf irgendwas bewerben wollte. Das war eine reine Parodie (die leider nur in Teilen gelungen war).
Ubique
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Re: Wetten dass.. ? und das Feuilleton

Beitrag von Ubique »

Man darf die ganze Sache natürlich nicht als ernstgemeinte "Bewerbung" sehen. Für mich eine nicht immer sehenswerte Parodie, die so nah am Original war, das das Fremdschämen teils unertäglich wurde, die aber auch einige sehr witzige Stellen für mich bereithielt. Am Ende war ich aber froh das es vorbei war. Ich weiß jetzt aber auch wieder ganz genau warum es gut ist das es "Wetten dass...?" eben nicht mehr gibt.
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