meisterlampe1989 hat geschrieben:Dass das ein Mitgrund dafür war, dass die Grünen auf Bundesebene Prozente verloren haben, war für mich einer der größten Skandale der BW2013. Sowas funktioniert nur in Deutschland. "Die wollen meine Würstchen weg nehmen, das ist eine Verbotspartei!"
Nö, sowas funktioniert (leider) genauso in Österreich. Und nicht nur, was die Grünen betrifft. Es ist leider so, dass allzuviele Menschen jede auch noch so gut begründbare Einschränkung ihrer persönlichen Lebensrealität, insbesondere wenn sie von einer (gefühlt) ihnen übergeordneten, eine zu Recht oder Unrecht als "mächtiger" empfundenen Entität (Partei, Regierung, "Gutmenschen") kommt, reflexhaft als Angriff auf ihre "Freiheit" ansehen und entsprechend darauf reagieren. Sachliche Argumente im Sinne einer ökologischen, wirtschaftlichen, gesamtgesellschaftlichen oder sonst einer Verantwortung für das nationale oder (schlimmer noch) globale Allgemeinwohl sind da erstmal uninteressant. Solche Menschen sehen erstmal nur sich selbst und ihresgleichen, der Nächste oder gar der Übernächste spielen in ihrem Empfinden keine Rolle. Das könnte man an allen möglichen Themen veranschaulichen. Nehmen wir mal das Rauchen als Beispiel:
Jeder einigermaßen informierte Mensch weiß, dass Rauchen ungesund ist und abhängig macht. Jeder, der fähig ist, über seinen eigenen Tellerrand hinauszublicken, weiß, dass es gravierende gesundheitliche Folgen für den Einzelnen haben und auch Menschen in seinem Umfeld schädigen kann, dass es enorme Kosten für das Gesundheitssystem verursacht (die auch die Nichtraucher mitfinanzieren müssen, und die den Ertrag, den der Staat aus Tabaksteuern zeiht, bei weitem übersteigen), dass die weitaus höhere Mortalität von Rauchern dem Staatswesen und der Wirtschaft alljährlich wertvolle Mitglieder und Arbeitskräfte entzieht, Familien geliebte Angehörige nimmt und so weiter. Aber wenn dann aus absolut argumentierbaren Gründen z.B. das Rauchen in öffentlichen Lokalen verboten werden soll, gibt es sofort einen großen Aufschrei, der sich einzig und allein darum dreht, dass es ja wohl ein Wahnsinn und unzumutbar sei, Menschen ihr RECHT zu rauchen, wann und wo immer es ihnen gefällt, verbieten zu wollen. Da schreien dann sogar Leute mit, die selber gar nicht rauchen, einfach aus Prinzip (wie bestimmt auch welche gegen einen Veggie-Day in Schulkantinen sind, die selber gar keine Kinder haben), da wird von staatlicher Bevormundung und Meinungsdiktatur und über die Unterdrückung von Rauchern geredet, ohne jemals auf irgendeines der vielfältigen Argumente einzugehen, die für eine solche Maßnahme sprächen. Ob andere Menschen sich gestört fühlen - egal. Ob der Staatshaushalt dadurch belastet wird - uninteressant (aber jede Ausgabe für etwas, das dem eigenen Weltbild nicht entspricht, wird sofort als "Verschwendung" gebrandmarkt). Es ist allzu leicht, das große Ganze auszublenden, wenn es um einen ganz persönlich geht. Und wie gesagt, dasselbe Muster kann man bei Diskussionen um Umweltauflagen, Ernährung, Flüchtlinge oder was auch immer wiederfinden.
Leider muss man konstatieren, dass es - unabhängig von politischen Einstellungen - einfach eine große Zahl an "hysterieanfälligen" Menschen gibt, denen jegliche Veränderung. tatsächliche oder bloß empfundene persönliche Einschränkung, jedes Abweichen vom "gewohnten" (z.B. mehr andere Enthnien im Straßenbild) ein Graus ist, den sie als persönlichen Angriff empfinden. Und politische Populisten sind nur allzu geübt darin, diese Erregungspotentiale für sich nutzbar zu machen, sich auf die Seite der vermeintlich Angegriffenen zu stellen und zu demonstrieren "Seht her, wir treten für EUCH ein!". Dazu braucht es gar kein konkretes Programm, es reichen bereits Lippenbekenntnisse oder auch bloß das Fallenlassen bestimmter Schlagwörter. Im soeben zuende gegangenen Wahlkampf zur Niederösterreichischen Landtagswahl warb die FPÖ zum Beispiel mit einem Plakat, auf dem stand wörtlich:
"Unsicherheit macht Angst!
Zum Beispiel:
- Brutale Gewalttaten
- Sex-Attacken
- Eigentumskriminalität
28.Jänner 2018 [das Wahldatum]
FPÖ"
Das enthält weder eine klare Einordnung der genannten Delikte (aber der potentielle FPÖ-Wähler assoziiert aufgrund jahrelanger Konditionierung sofort "Ausländer"), kein konkretes Programm oder Vorhaben, und es befeuert in Wahrheit bewusst genau die diffuse Angst, die da angesprochen wird. Aber es funktioniert - die FPÖ konnte ihre Mandate glatt verdoppeln, und das obwohl der Spitzenkandidat kurz vor der Wahl in einen veritablen Skandal um abscheulichstes NS-Liedgut in der Burschenschaft, deren Vizeobmann er war, geschlittert ist.
"Man muss die Bedenken der Bürger ernstnehmen" war (leider) lange jahre ein Stehsatz vergangener österreichischer Regierungen. Die Angst, Wähler an den rechten Rand zu verlieren, hat dazu geführt, dass man faktisch unbegründete Ängste legitimiert, statt entkräftigt hat, dass man eigene Positionen aufgegeben hat und selbst immer weiter nach rechts gerückt ist, und damit den Wählern zunehmend das Gefühl gab "na wenn sogar die jetzt (z.B.) restriktiver in der Zuwanderung werden, wird ja wohl was dran sein". Anstatt der rechten Polemik mit Entschlossenheit, mit Daten und Fakten und vernünftigen Argumenten entgegenzutreten, und zu sagen "Wir erkennen an, dass Ihr Ängste habt, aber Ihr habt Unrecht", ist man ihr hinterhergehechelt, hat die rechtspopulistische Themensetzung Stück für Stück in die politische Mitte geholt und einen unzulässig verkürzten Diskurs salonfähig gemacht. Das Resultat ist, dass die FPÖ heute nur mehr knapp die drittstärkste Partei im Lande ist und in der Bundesegierung (sowie in mehreren Landesregierungen) sitzt.