Tone Policing und die Folgen

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Axel
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Registriert: 1. Jul 2018, 20:43
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Tone Policing und die Folgen

Beitrag von Axel »

Letztens bin ich über einen sehr interessanten Artikel über ein Phänomen gestolpert, von dem ich garnicht wusste, dass es dafür bereits einen Namen gibt: Tone Policing. Bitte alle mal lesen: Klick!

Kurz gesagt geht es um das Phänomen die Meinung eines anderen Menschen zu diskredietieren, weil diese emotional vorgetragen wird. Also beispielsweise wenn ein Unrecht geschieht, oder man ein Unrecht empfindet, dies mit dem Spruch "Das ist nicht sachlich vorgetragen" abgeschmettert wird, weil man durch das Unrecht natürlich Ärger oder Wut und dergleichen empfindet. Macht es die Kritik denn automatisch nichtig, wenn man diese emotional vorträgt?
Und: Spricht man Menschen damit nicht ab individuelle Gefühle erleben zu dürfen und diese auch zum Ausdruck zu bringen?
Oder nochmal anders: Ist Tone Policing als Unterkategorie des Ad Hominem nicht viel mehr eine versteckte Form des "Hab Dich mal nicht so!" um ja nicht auf den Inhalt eingehen zu müssen?

Mir ist das in der Vergangenheit schon häufig so ergangen, dass mir eine Meinung oder eine Kritik unterdrückt wurde, weil diese nicht "sachlich" vorgetragen sei. Beispielsweise wenn man in einer Psychotherapie Demütigungen und Herablassungen erfährt. Das verletzt enorm, weil die eigenen Gefühle für nichtig erklärt werden. Und man nicht ernst genommen wird.
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kami
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Re: Tone Policing und die Folgen

Beitrag von kami »

Tja, es heißt, der Ton macht die Musik. Letztlich empfinde ich das als eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Die Stärke der Emotion sollte in einer nachvollziehbaren Relation zu ihrem Grund stehen. Leute, die wegen einer Kleinigkeit anfangen zu schimpfen, als hätte man ihnen gerade den letzten Rettungsbootplatz auf der Titanic weggeschnappt, würde ich schon zur Mäßigung auffordern.
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Axel
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Re: Tone Policing und die Folgen

Beitrag von Axel »

kami hat geschrieben: 23. Feb 2019, 18:44 Leute, die wegen einer Kleinigkeit anfangen zu schimpfen, als hätte man ihnen gerade den letzten Rettungsbootplatz auf der Titanic weggeschnappt, würde ich schon zur Mäßigung auffordern.
Es ist aber ja auch subjektiv, was jemand als Kleinigkeit empfindet oder nicht. Da spielen Sozialisierung, Erfahrungen und eben auch individuelles Empfinden eine große Rolle. Für den einen mag es eine Kleinigkeit sein, wenn der Vorgesetzte morgens im Büro nicht grüßt. Ein anderer jedoch könnte das als demütigend empfinden, vielleicht weil dieser aus diversen Gründen nicht so viel Selbstvertrauen hat. Wenn Du nun sagst "Rege Dich nicht über so eine Kleinigkeit auf" ist das dann respektvoll den Gefühlen des jeweiligen Menschen gegenüber?
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kami
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Re: Tone Policing und die Folgen

Beitrag von kami »

Axel hat geschrieben: 23. Feb 2019, 19:26 Es ist aber ja auch subjektiv, was jemand als Kleinigkeit empfindet oder nicht. Da spielen Sozialisierung, Erfahrungen und eben auch individuelles Empfinden eine große Rolle. Für den einen mag es eine Kleinigkeit sein, wenn der Vorgesetzte morgens im Büro nicht grüßt. Ein anderer jedoch könnte das als demütigend empfinden, vielleicht weil dieser aus diversen Gründen nicht so viel Selbstvertrauen hat. Wenn Du nun sagst "Rege Dich nicht über so eine Kleinigkeit auf" ist das dann respektvoll den Gefühlen des jeweiligen Menschen gegenüber?
Ist sein unangemessenes Aufregen denn respektvoll mir gegenüber? Und ja, ich finde, im sozialen Miteinander sollte man sich irgendwie beherrschen können, das ist eigentliche eine soziale Grundkompetenz. Das heißt nicht, dass keine Gefühle gezeigt werden dürfen. Aber solche Gefühlsäußerungen, die andere belästigen, einschüchtern oder verletzen könnten, sollten doch bitte gezügelt werden.
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Dicker
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Re: Tone Policing und die Folgen

Beitrag von Dicker »

Das Problem ist doch, das es immer Leute geben wird, die über ein besonders emotionales Verhalten versuchen Aufmerksamkeit auf ihre Sache zu lenken. Für denjenigen ist das ganze gar nicht so emotional, aber er nutzt den Effekt auf andere aus. Wie ein kleines Kind, das weint, um etwas zu bekommen.
Da niemand die Gefühlswelt des anderen kennen kann, ist die sachliche Äußerung quasi der neutrale Boden, auf dem eine Bewertung und Entscheidung getroffen werden kann.
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MrSnibbles
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Re: Tone Policing und die Folgen

Beitrag von MrSnibbles »

Ich habe Verständnis für deinen Standpunkt und es ist sicher nicht angenehm, wenn man das Gefühl hat der eigene Standpunkt wird häufig für nichtig erklärt weil man ihn emotional vorgetragen hat. Ich bin mir auch sicher, dass dieser Grund häufig vorgeschoben werden kann um die Diskussion zu ersticken. Aber ich sehe einige grundsätzliche Probleme damit wenn ich mir vorstelle ich müsste mit dir diskutieren und jegliches Level an Emotionen zulassen:

Wenn man emotional stark engagiert ist, sieht man die Dinge häufig verzerrt. Ich spreche aus eigener Erfahrung, nach einer Nacht Schlaf sehen viele Dinge oft anders aus und man hätte sich die (unangenehme) Diskussion ggf komplett ersparen können. D.h. ich würde ein "hab dich nicht so" gern in ein "wir reden später in Ruhe" verwandeln.

Wer emotional diskutiert neigt oft ebenso zu Verletzungen des Gegenübers ("wie kann man so einen menschenfeindlichen Standpunkt einnehmen?", "wie kann man nur so engstirnig sein?"). Das macht die Diskussion erst unangenehm und führt in vielen Fällen dazu, dass das GEspräch vom eigentlichen Thema abweicht und auf rein persönlicher Ebene weitergeht.

Jetzt kommt eine etwas steile These: Wenn man rein emotionale Argumente hat und keine sachlichen findet, dann ist der Standpunkt in einer Diskusson schlicht nicht haltbar. Eine Ausnahme bilden hier für mich zwischenmenschliche Gespräche über die Beziehung zueinander aber Diskussionen über Gesellschaftsthemen fallen für mich nicht darunter.

Insgesamt profitieren alle (inklusive dir selbst), wenn sich alle Beteiligten Gedanken machen, warum sie einen Standpunkt vertreten und dem Gegenüber mit Offenheit und Respekt begegnen.
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Schlagerfreund
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Re: Tone Policing und die Folgen

Beitrag von Schlagerfreund »

Das ist eigentlich etwas was ich zumindest schon vor Jahren in der Schule gelernt habe. Da gibt es ja die Vier Seiten einer Nachricht.

Bild

Von daher finde ich den Vorwurf "du redest nicht sachlich" auch schlecht. Diese Seite sollte verstanden werden und man kann das nicht einfach absprechen. Das wäre in etwa so als wenn ich sage mir ist kalt und mein Gegenüber sagt stimmt nicht.
Legoli12
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Re: Tone Policing und die Folgen

Beitrag von Legoli12 »

Schlagerfreund hat geschrieben: 4. Apr 2019, 09:30 Das ist eigentlich etwas was ich zumindest schon vor Jahren in der Schule gelernt habe. Da gibt es ja die Vier Seiten einer Nachricht.

Bild

Von daher finde ich den Vorwurf "du redest nicht sachlich" auch schlecht. Diese Seite sollte verstanden werden und man kann das nicht einfach absprechen. Das wäre in etwa so als wenn ich sage mir ist kalt und mein Gegenüber sagt stimmt nicht.
Wobei auch der Zweck/ das Ziel der Kommunikation entscheidend ist. Wenn ich in einem Diskurs sachliche Argumente austausche dann sind die anderen Seiten der Sachebene untergeordnet, da sie für die zu übermittelnden Nachrichten weniger relevant sind.Diese Gewichtung funktioniert allerdings nur dann, wenn die Gesprächspartner sich darüber im klaren sind, dass diese Gewichtung stattfindet. "Du redest nicht sachlich." ist aus meiner Perspektive ein rüpelhafter Hinweis, dass die Gewichtung, welche der Gesprächspartner in der Kommunikation vornimmt, eine andere ist als die Sachebene.

Ich bin mir auch nicht sicher, ob dein Bespiel so passend ist, denn der eine Gesprächspartner lehnt ja nicht nur eine oder zwei der Seiten ab, sondern die gesamte Aussage verneint.
Ceterum censeo Carthaginem esse delendam. - Cato der Ältere
(Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss.)
Eprom
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Re: Tone Policing und die Folgen

Beitrag von Eprom »

Tone policing ist ein Begriff den ich aus dem politischen Bereich kenne. Natürlich braucht es ein gewisses Niveau, um eine Unterhaltung zu führen & natürlich kann das beharren auf einem gewissen Niveau auch eine konservative soziale Erpressung sich so-und-so zu verhalten darstellen.

Was ich am Tone policing Begriff schwierig finde, ist seine pseudopsychologische Konnotation, die zur Rechtfertigung dienen kann, einen Opferstatus in politischen Debatten zu einzunehmen.
Politik ist aber keine Psychotherapie. Und Alltagsdebatten orientieren sich meistens an politischer Kommunikation die dazu dient Mehrheiten zu gewinnen, als an psychotherapeutischen Gesprächstechniken.
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