Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

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Sebastian Solidwork
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von Sebastian Solidwork »

Zoiglbier hat geschrieben: 2. Nov 2019, 10:45 Also ich hab Wirtschaftswissenschaften studiert ...
Volks- oder Betriebs-?
Ich sehe beide als sehr eingeschränkte Perspektiven auf einen viel größere Bereich.
Was Geld im Kern ist können meinem Eindruck nach diese Lehren bisher kaum zufrieden stellend beschreiben.

Zumindest für BWL halte ich folgende, etwas polemische, Beschreibung für zutreffen: "Planungsregeln für erfolgreiches Wirtschaften in der kapitalistischen Konkurrenz"

Mich freut das Aufkommen der Heterodoxe Ökonomie.
Zoiglbier hat geschrieben: 31. Okt 2019, 10:25
Sebastian Solidwork hat geschrieben: 30. Okt 2019, 23:40 Ein Staat sollte nicht etwas (in Form von Steuern) seinen Bürgern nehmen müssen um sich zu finanzieren. Eher sollte er beschränkt die Möglichkeit haben direkt von der Zentralbank Geld bekommen zu können.
Wie meinst du das, dass der Staat Geld direkt von der Zentralbank bekommen soll? Geld kann nicht einfach gedruckt und dann verschenkt werden.
Auf eine pervertierte Art ist der passierende Aufkauf von Staatsanleihen das bereits. Spätestens bei 0% Zinsen.
Und generell machen die EZB nichts anderes bei ihren Anleihen. Da halt bei Unternehmen anstatt Staaten.

Klar muss die Ausgabe von Geld gewissen Regeln folgen. Die Preisstabilität ist weiter zu gewähren.
Aber die Vergabe als Kredit erscheint mir mittlerer Weile arbiträr.

Zumal konzeptionell dauerhaft positive Zinsen für Zentralbankkredite ich als Problem sehe. Das ist ein Teufelskreis.

Unten mehr zu meiner Idee.
Tengri Lethos hat geschrieben: 31. Okt 2019, 11:58 Würde mich auch interessieren, wie Du das meinst, weil ich mir erstmal so nichts drunter vorstellen kann. Gibt es da eine ausgearbeitete Theorie zu, auf die Du Dich beziehst?
Leider ist mir keine Theorie dazu bekannt.
Ein einfaches Beispiel: Für jeden Bürger des Landes bekommt die Bundesregierung 1000€ pro Monat. Davon soll sie die Ausgaben den Bundeshaushaltes bestreiten. Fehlt ihr was kann sie immer noch Kredite aufnehmen.
Die Politik darf nicht beliebig selbst bestimmt wie viel sie bekommt.

Was ich auf jeden Fall als notwendig ansehe ist ein umlaufgesichertes Geld. Positiver Leitzins und akzeptierte Inflation sind als Steuermechaniken am Ende ihrer Möglichkeiten und beginnen immer mehr zu schaden. Sie funktionieren nur in einer permanent wachsenden Wirtschaft...

Unser jetziges Geld ist nicht neutral. Bestehende Vermögen werden von selbst immer größer. Reiche werden vor allem wegen dem schon vorhanden Geld reicher.
Auch ist Kapitalismus nur eine Form der Marktwirtschaft, NICHT die einzige. Freiwirtschaft ist eine andere. Sozialismus/Kommunismus ist nicht die einzige Alternative, die Kritik am Kapitalismus ist berechtigt.
Zoiglbier hat geschrieben: 2. Nov 2019, 10:45 Was die EZB derzeit macht ist nichts anderes als klassische Geldpolitik...
Genau die funktioniert nicht mehr. Es braucht unorthodoxe Ideen und kein Festhängen an Dogmen.
Hier ist die etablieren "Wirtschaftswissenschaften"/Plangungslehren am Ende.
XfrogX hat geschrieben: 3. Nov 2019, 13:01 Naja das es Gold (oder Ähnliches) nicht mehr als Gegenwert zum ausgegeben Geld eines Staates gibt ist doch seit Ende des 19. Jahrhunderts so.
Mal davon abgesehen, dass der Wert von Gold auch nur in Geld bemessen wird. :lol: Gold hat keinen inneren, auf ewig festen, Wert.
Spätestens wenn Lebensmittel knapp sind, sinkt der Handelswert von Gold und es wird den Bauern hinter geworfen werden.
Auch der Goldwert unterliegt Angebot und Nachfrage.

Wir zwei sind wohl sehr ähnlich Meinung :-) Das freut mich.
„Schönheit ist auch immer ethisches Empfinden.“

Umweltschutz beginnt im Geldsystem.
Fix the system!

Der Sinn des Lebens ist, dass Menschen voller Sinn das niemals wissen müssen. - Gunter Dueck in Omnisophie
Zoiglbier
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von Zoiglbier »

Sebastian Solidwork hat geschrieben: 6. Nov 2019, 23:17
Zoiglbier hat geschrieben: 2. Nov 2019, 10:45 Also ich hab Wirtschaftswissenschaften studiert ...
Volks- oder Betriebs-?
Ich sehe beide als sehr eingeschränkte Perspektiven auf einen viel größere Bereich.
Was Geld im Kern ist können meinem Eindruck nach diese Lehren bisher kaum zufrieden stellend beschreiben.

Zumindest für BWL halte ich folgende, etwas polemische, Beschreibung für zutreffen: "Planungsregeln für erfolgreiches Wirtschaften in der kapitalistischen Konkurrenz"

Mich freut das Aufkommen der Heterodoxe Ökonomie.
Keine Ahnung was mein BWL-Studium damit jetzt zu tun haben soll... Fakt ist, dass mir bisher kein wissenschaftlicher Beitrag zu der vorgestellten These gezeigt wurde, und darum gehts ;)
Sebastian Solidwork hat geschrieben: 6. Nov 2019, 23:17
Zoiglbier hat geschrieben: 31. Okt 2019, 10:25
Sebastian Solidwork hat geschrieben: 30. Okt 2019, 23:40 Ein Staat sollte nicht etwas (in Form von Steuern) seinen Bürgern nehmen müssen um sich zu finanzieren. Eher sollte er beschränkt die Möglichkeit haben direkt von der Zentralbank Geld bekommen zu können.
Wie meinst du das, dass der Staat Geld direkt von der Zentralbank bekommen soll? Geld kann nicht einfach gedruckt und dann verschenkt werden.
Auf eine pervertierte Art ist der passierende Aufkauf von Staatsanleihen das bereits. Spätestens bei 0% Zinsen.
Und generell machen die EZB nichts anderes bei ihren Anleihen. Da halt bei Unternehmen anstatt Staaten.

Klar muss die Ausgabe von Geld gewissen Regeln folgen. Die Preisstabilität ist weiter zu gewähren.
Aber die Vergabe als Kredit erscheint mir mittlerer Weile arbiträr.

Zumal konzeptionell dauerhaft positive Zinsen für Zentralbankkredite ich als Problem sehe. Das ist ein Teufelskreis.

Unten mehr zu meiner Idee.
Ich verstehe jedoch trotzdem nicht wo Staatskredite da äquivalent zur einfachen Ausgabe von Geld sein sollten. Im ersteren Fall liegt ein Kredit vor, der im Endeffekt auch wieder zurück bezahlt werden muss und im zweiten Fall nicht.

Sebastian Solidwork hat geschrieben: 6. Nov 2019, 23:17
Tengri Lethos hat geschrieben: 31. Okt 2019, 11:58 Würde mich auch interessieren, wie Du das meinst, weil ich mir erstmal so nichts drunter vorstellen kann. Gibt es da eine ausgearbeitete Theorie zu, auf die Du Dich beziehst?
Leider ist mir keine Theorie dazu bekannt.
Ein einfaches Beispiel: Für jeden Bürger des Landes bekommt die Bundesregierung 1000€ pro Monat. Davon soll sie die Ausgaben den Bundeshaushaltes bestreiten. Fehlt ihr was kann sie immer noch Kredite aufnehmen.
Die Politik darf nicht beliebig selbst bestimmt wie viel sie bekommt.

Was ich auf jeden Fall als notwendig ansehe ist ein umlaufgesichertes Geld. Positiver Leitzins und akzeptierte Inflation sind als Steuermechaniken am Ende ihrer Möglichkeiten und beginnen immer mehr zu schaden. Sie funktionieren nur in einer permanent wachsenden Wirtschaft...

Unser jetziges Geld ist nicht neutral. Bestehende Vermögen werden von selbst immer größer. Reiche werden vor allem wegen dem schon vorhanden Geld reicher.
Auch ist Kapitalismus nur eine Form der Marktwirtschaft, NICHT die einzige. Freiwirtschaft ist eine andere. Sozialismus/Kommunismus ist nicht die einzige Alternative, die Kritik am Kapitalismus ist berechtigt.
Gut, nun kann man natürlich über Freiwirtschaft als theoretisches Konstrukt diskutieren und inwiefern das eine Option wäre. Da ich da nicht im Thema drin bin, habe ich dazu keine Meinung.

Sebastian Solidwork hat geschrieben: 6. Nov 2019, 23:17
Zoiglbier hat geschrieben: 2. Nov 2019, 10:45 Was die EZB derzeit macht ist nichts anderes als klassische Geldpolitik...
Genau die funktioniert nicht mehr. Es braucht unorthodoxe Ideen und kein Festhängen an Dogmen.
Hier ist die etablieren "Wirtschaftswissenschaften"/Plangungslehren am Ende.
Ich habe auch nicht gesagt, dass diese noch funktioniert. Ob die zugrunde liegenden Ursachen, die ich in meinen Ausführungen auch erwähnt hatte, jedoch gleich das Infragestellen der etablierten Wirtschaftswissenschaften rechtfertigen, würde ich jedoch bezweifeln ;)
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Golmo
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von Golmo »

Bitte ein BGE einführen und jeder Mensch sollte für seine Zeit das selbe Geld bekommen.
Vollkommen egal ob Pizzafahrer, Doktor, Müllentsorger, Altenpfleger oder Putzkraft:
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LegendaryAndre
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von LegendaryAndre »

In Österreich ist es möglich in dieser Woche (bis zum 25.11.) für das bedingungslose Grundeinkommen zu unterschreiben! Die Initiative wurde von einer Privatperson als Volksbegehren in die Wege geleitet. Ich habe heute im Magistrat unter Vorlage meines Ausweises unterschrieben und war erstaunt dass sehr viele unterschiedliche Personen im Amt waren um zu unterschreiben. Da die Grenze zwischen armen und reichen Leuten sichtbar deutlicher wird, wäre die Zeit reif dafür, diesen Misstand endlich auszugleichen! Wenn man selbst nicht betroffen ist, kann man sich wohl kaum vorstellen wie schlimm es sein kann Existenzängste haben zu müssen oder dem Druck in Ämtern wie dem Arbeitsamt oder der Pensionsversicherungsanstalt ausgesetzt zu sein. Gerade bereits weiterentwickelte Länder wie Österreich oder Deutschland hätten hier die Möglichkeit eine zeitgemäße Lösung zu präsentieren und das Leid zu lindern - natürlich ohne dabei den wirtschaftlichen Aspekt zu vernachlässigen. Es soll schon alles durchdacht und wohl überlegt sein!
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Tsuran
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von Tsuran »

Ich bin kein Wirtschaftswissenschaftler, aber das Thema BGE bzw. allgemein die soziale Verteilung von Wohlstand interessiert mich sehr.

Ich finde die gesamte Diskussion in Deutschland etwas befremdlich, da wir eigentlich de facto bereits ein Grundeinkommen haben. Denn wer es braucht wird es auf die ein oder andere Weise auch bekommen. Er muss nur viele Anträge ausfüllen, einen gigantischen Verwaltungsapparat beschäftigen um am Ende Geld aus Topf X zu erhalten. Es fehlt also nur der passus "bedingungslos". Es wäre wirklich mal sehr interessant wenn man ALLE Töpfe mit Förder-, Unterstützungs-, Beihilfemitteln samt deren Verwaltungs- und Unterhaltskosten (ich meine ALLES auch Arbeitslosen- und Rentenversicherungsgelder, Kindergeld usw.) zusammenrechnet und dann die Rechnung aufmacht was unterm Strich dabei für ein Betrag raus kommt. Das ist sicherlich äußerst komplex aber vmtl. eine Summe die enorm ist. Was ganz gerne auch vergessen wird ist die Justizseite die sich plötzlich nicht mehr mit Klagen beschäftigen müsste weil Herr/Frau X. gegen Bescheid 2373928 klagt wo 10 € zu wenig pro Monat bewilligt werden. All diese Faktoren sind mit einzurechnen. Weniger Beamte, Angestellte, Gebäude(unterhalt), Equipment, das Potential ist gigantisch.

In Verbindung mit Anpassungen an anderen Stellen (Steuergesetzgebung usw.) die wirklich UMWÄLZEND sind wäre man für die Zukunft jedenfalls besser aufgestellt als aktuell.

Ich bin für ein BGE, weil es letztendlich ehrlich ist. Wenn ein Staat sich dazu verpflichtet niemanden durch das Raster fallen zu lassen, dann sollte man es auch so unkompliziert wie möglich tun. Alles andere ist nur ein "wir wollen das Kind nicht beim Namen nennen" und macht es unterm Strich nur teurer.

Für Deutschland sehe ich hier aber tatsächlich eher schwarz (hö hö!). Zu konservativ und verschlafen ist das Bürgertum geworden. Die Politik zu selbstgefällig und selbstherrlich.
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Feamorn
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von Feamorn »

Tsuran hat geschrieben: 12. Dez 2019, 10:34
Ich bin für ein BGE, weil es letztendlich ehrlich ist. Wenn ein Staat sich dazu verpflichtet niemanden durch das Raster fallen zu lassen, dann sollte man es auch so unkompliziert wie möglich tun. Alles andere ist nur ein "wir wollen das Kind nicht beim Namen nennen" und macht es unterm Strich nur teurer.
Ganz abgesehen davon, dass dann auch diese herabwürdigende Entblössung vor den Behörden im Falle von Hartz4 endlich aufhören würde, von den abartigen Kürzungen ganz zu schweigen...
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von TheGameOli »

Axel hat geschrieben: 22. Okt 2019, 19:03
Dicker hat geschrieben: 22. Okt 2019, 18:57 andere weniger (faulenzen, um es platt zu sagen).
Und was wäre so schlimm daran?
Ist die Frage nach dem was daran schlimm wäre jetzt Ironie oder meinst du das wirklich so?
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Feamorn
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von Feamorn »

TheGameOli hat geschrieben: 12. Dez 2019, 17:30
Axel hat geschrieben: 22. Okt 2019, 19:03
Dicker hat geschrieben: 22. Okt 2019, 18:57 andere weniger (faulenzen, um es platt zu sagen).
Und was wäre so schlimm daran?
Ist die Frage nach dem was daran schlimm wäre jetzt Ironie oder meinst du das wirklich so?
Axel mag das arg verkürzt haben, aber im Grunde sehe ich das auch so. So lange das System funktioniert tun auch ein paar "Faulenzer" nicht weh. Die berüchtigten "Hartz 4 Familien" gibt es doch auch jetzt schon. Anstatt aber einfach alle zu trietzen, nur um die paar Negativbeispiele zur erwischen, was ohnehin nicht funktioniert, bzw. die Situation für alle schlechter macht, sollte man einfach hinnehmen, dass es ein paar gibt, die einfach nicht mitmachen. Passiert wie gesagt auch heute, und ich gehe, nach meiner Erfahrung, davon aus, dass die meisten Leute produktiv sein wollen. Im aktuellen System existiert nur das Problem, dass zu vielem gezwungen wird, ohne, dass das einen wirklichen Effekt hätte. Ein BGE würde die persönliche Freiheit erhöhen und am Ende wollen die Leute ja trotzdem noch Geld zum ausgeben haben, oder einfach aus Freude an der Arbeit etwas tun. So wie es jetzt ist, zementiert man eher die Situation für jene, die nur noch Scheißjobs bekommen (können), indem man sie in die Resignation treibt.
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von TheGameOli »

Feamorn hat geschrieben: 12. Dez 2019, 19:18
TheGameOli hat geschrieben: 12. Dez 2019, 17:30
Axel hat geschrieben: 22. Okt 2019, 19:03

Und was wäre so schlimm daran?
Ist die Frage nach dem was daran schlimm wäre jetzt Ironie oder meinst du das wirklich so?
Axel mag das arg verkürzt haben, aber im Grunde sehe ich das auch so. So lange das System funktioniert tun auch ein paar "Faulenzer" nicht weh. Die berüchtigten "Hartz 4 Familien" gibt es doch auch jetzt schon. Anstatt aber einfach alle zu trietzen, nur um die paar Negativbeispiele zur erwischen, was ohnehin nicht funktioniert, bzw. die Situation für alle schlechter macht, sollte man einfach hinnehmen, dass es ein paar gibt, die einfach nicht mitmachen. Passiert wie gesagt auch heute, und ich gehe, nach meiner Erfahrung, davon aus, dass die meisten Leute produktiv sein wollen. Im aktuellen System existiert nur das Problem, dass zu vielem gezwungen wird, ohne, dass das einen wirklichen Effekt hätte. Ein BGE würde die persönliche Freiheit erhöhen und am Ende wollen die Leute ja trotzdem noch Geld zum ausgeben haben, oder einfach aus Freude an der Arbeit etwas tun. So wie es jetzt ist, zementiert man eher die Situation für jene, die nur noch Scheißjobs bekommen (können), indem man sie in die Resignation treibt.

Ok, dann habe ich es falsch verstanden. Es hat sich für mich so gelesen das Axel das BGE haben möchte und dann keiner mehr was tun braucht ;)
Es gibt nix schlimmeres als faule Menschen oder Schmarotzer. Doch wie du richtig geschrieben hast, die gibt's unter Hartz IV auch schon.
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Axel
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von Axel »

TheGameOli hat geschrieben: 12. Dez 2019, 20:14 Es gibt nix schlimmeres als faule Menschen oder Schmarotzer.
Das sind aber wertende Begriffe. Wie oft ich schon als das eine oder das andere abgestempelt wurde, aufgrund meines Krankheitsbildes...

Niemand, NIEMAND, will faul sein. Denn wir Menschen sind in erster Linie soziale Tiere. Jeder von uns will ein kleines bisschen Anerkennung. Was denkst Du denn, wer in diesem Land die ganze ehrenamtliche Arbeit in den Vereinen macht? Der gestresste Arbeitnehmer, der jeden Tag 10 Stunden unterwegs ist und am Wochenende froh ist seine Familie zu sehen?

Nein. Es sind sehr häufig Menschen die Rente bekommen, ALG2 oder sogar erwerbsunfähig erkrankt sind. Oder wo der Partner sehr viel verdient. All diese Menschen müssen sich dennoch von etlichen Schlaumeiern anhören, dass sie „faul“ wäre. Warum?

Zumal sich der Arbeitsbegriff ändern muss. Spätestens dann wenn Digitalisierung und Automatisierung mindestens 50% aller Jobs wegrationalisiert haben. Was in den nächsten 10-20 Jahren passieren wird. So sicher wie das Amen in der Kirche.
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LegendaryAndre
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von LegendaryAndre »

Axel hat geschrieben: 12. Dez 2019, 21:39 Nein. Es sind sehr häufig Menschen die Rente bekommen, ALG2 oder sogar erwerbsunfähig erkrankt sind. Oder wo der Partner sehr viel verdient. All diese Menschen müssen sich dennoch von etlichen Schlaumeiern anhören, dass sie „faul“ wäre. Warum?
Da stimme ich Axel zu! Mehr Toleranz wäre wirklich wünschenswert! Wir können ja gar nicht wissen was den Menschen widerfahren ist, die in irgendeiner Form anders sind als andere. Es steckt fast immer mehr dahinter! Natürlich kann und muss man nicht für alle Verständnis aufbringen, aber man könnte das politische System dahingehend ändern, dass es für niemanden eine Schmach sein muss, wenn man Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld empfangen muss. Wie ich in meinem Umfeld beobachten konnte, gibt es leider immer wieder Menschen die sich damit brüsten selbst im Leben zu stehen und die auf andere (manchmal auch unbewusst) herabsehen. Genau das verstärkt das Problem aber nur. Ich finde stattdessen sollten all jene Menschen denen es möglich ist ein stabiles Leben zu führen dankbar dafür sein, dass sie in dieser glücklichen Lage sind.

Ich selbst habe umfassende Ausbildungen absolviert und in unterschiedlichen Firmen gearbeitet. Immer wieder habe ich nach Jahren oder auch Monaten einen Zustand erreicht in dem es mir nicht mehr möglich war meiner Arbeit nachzugehen, trotz meines Durchhaltevermögens und meiner pflichtbewussten Einstellung. Zuerst wurde vor Jahren ein "Burnout" diagnostiziert, aber mittlerweile hat sich bei der Gesprächstherapie herausgestellt dass es viel schwerwiegender ist. Dazu war aber eine professionelle psychologische Betreuung und meine Bereitschaft zur intensiven Aufarbeitung meiner Probleme nötig. Nach außen hin merkt man mir nichts an, aber bestimmte Ereignisse im Leben triggern Zustände, die mich in einen Zustand bringen, in denen ich nichts mehr tun kann. Auf diese Weise ist das Leben alles andere als einfach, denn du kannst dir etwas aufbauen und lebst in ständiger Angst dass du es wieder verlierst. Ich selbst habe viele Jahre gebraucht um zu verstehen wo ich stehe und wie ich damit umgehen kann (die Phasen der Selbstverurteilung habe ich längst hinter mir), daher erwarte ich auch kein echtes Verständnis von anderen. Was aber schön wäre, wäre eben eine Änderung der "Regeln", die es einem weniger schwer machen und mehr Akzeptanz für Andersartigkeit innerhalb der Gesellschaft. Dabei würde es schon reichen, wenn man aufhört mit dem Finger auf andere zu zeigen (in der Gesellschaft) und Betroffene aufgrund eines bürokratischen und kühlen Regelwerkes zur Zwangsarbeit zu verurteilen (in Ämtern).

Die Welt ist groß geworden und sollte eigentlich Raum für viele unterschiedliche Individuen bieten, selbst solche die keinen "wertvollen Beitrag zur Gesellschaft" leisten (können, denn nicht "wollen" bedeutet meistens auch nicht können).
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von ProfessorFutura »

Wäre doch super wenn durch Automatisierung und Digitalisierung ganz viele Menschen nicht mehr arbeiten müssten und diese dann aber nicht in Armut leben sondern diese maschinelle Produktivität auch besteuert werden würde und von diesen Einnahmen allen Menschen ein Grundeinkommen gezahlt wird. Dann wäre es absolut legitim ein Leben lang einfach nur verschiedenen Hobbies nachzugehen oder zum Beispiel zu studieren ohne das Ziel damit jemals einen Beruf auszuüben. Oder Vollzeit ehrenamtlichen Tätigkeiten nachzugehen, weil kein wirtschaftlicher Zwang besteht etwas zu tun was Geld einbringt.
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von XfrogX »

Ganz ehrlich, wer nicht arbeiten will und vom System gezwungen wird ist ein größeres Problem als sie daheim zu lassen.
Der Aufwand sie anzutreiben, den Mist den sie in den Betrieben bauen, die schlechte Stimmung usw.
Jedes Mal wenn so jemand in einem Betrieb aufschlägt kostet das alle viel Kraft und Zeit und das Geld müssen nun viel weniger Leute erwirtschaften.

Und die haben ja meistens trotzdem Hobby und Interessen, helfen gerne Freunden oder so, das alles trägt dann bei einem bge für alle ja auch viel zur Gesellschaft bei. Mehr als „Zwangsarbeit“

Und ja die wenigsten Menschen wollen sich allein daheim verschanzen und verkraften das lange gut, das ist meistens dann krankhaft, und diese Krankheiten könnten sie dann mit viel weniger Stress angehen, auch weil ihr Umfeld mehr Zeit und Ruhe hätte um sich mit ihnen zu beschäftigen und sie zu unterstützen ;)
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von Zoiglbier »

Axel hat geschrieben: 12. Dez 2019, 21:39 Zumal sich der Arbeitsbegriff ändern muss. Spätestens dann wenn Digitalisierung und Automatisierung mindestens 50% aller Jobs wegrationalisiert haben. Was in den nächsten 10-20 Jahren passieren wird. So sicher wie das Amen in der Kirche.
Ich weiß nicht woher dieser Irrglaube immer kommt. Digitalisierung soll die menschliche Arbeitskraft unterstützen und nicht ersetzen. Man zeige mir einen Beleg wo das in den letzten 10 Jahren wirklich eingetreten ist. Also wo Menschen wirklich eins zu eins durch digitale Prozesse ersetzt wurden und nicht dann woanders ihre Fähigkeiten im Unternehmen entfalten konnten. Digitalisierung führt in erster Linie zu einer effizienteren Arbeit und die Menschen können sich mal auf das konzentrieren wofür sie auch wirklich eingestellt wurden.

Nicht zu vergessen, dass manche Geschäftsmodelle und ganze Branchen erst neu entstehen. Sowas wie ThePod, Streamingdienste, Carsharingdienste, digitale Finanzdienstleistungen, etc.

Du wirst die menschliche Arbeitskraft so schnell nicht aus einem Wirtschaftssystem herausbekommen. Allein aus physikalischen und technischen Gründen. Innovation ersteht durch Menschen, die Reaktion auf unregelmäßige Vorgänge, selbstständige Entscheidungen. Ich wär da nicht so pessimistisch, sondern eher vorfreudig, dass unser Arbeiten besser und angenehmer wird.
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von Axel »

Zoiglbier hat geschrieben: 13. Dez 2019, 10:12 Man zeige mir einen Beleg wo das in den letzten 10 Jahren wirklich eingetreten ist.
Ist schon eingetreten und wird in den kommenden Jahren immer sichtbarer. Kann man jetzt schon teilweise beobachten. Beispiele:

- In der Industrie gibt es immer mehr Fabriken die autonom laufen. Wo nur noch 2-3 Leute da sind, die die Maschinen bedienen / überwachen. Auch in anderen Bereichen ist das schon lange so. Unsere Wasseraufbereitung in Chemnitz beispielsweise: Waren da vor 20 Jahren noch viele Menschen beschäftigt, ist heute sehr viel automatisiert.

- Aktuell bauen die bei uns fleißig die Netto-Märkte um. Teilweise nur noch mit 1-2 Kassiertischen, aber mit einer großen Wand voller Selbstkassierautomaten. Und diese Automaten werden gut angenommen. Ich denke daher nicht, dass es in 10 Jahren überhaupt noch Kassierer in der Supermärkten und Discountern gibt.

- Etwas weiter in der Zukunft werden wir durch die 5G Technologie auch autonomes Fahren bekommen. Und das müssen, damit man Autos effizienter nutzen kann. Was dem Klima nur gut tun kann. Jedenfalls: Wozu braucht es dann eigentlich noch Busfahrer, LKW Fahrer oder Bahnfahrer?

- Verwaltung! Was man durch Algorithmen in diversen Verwaltungsjobs wie Buchhaltung alles automatisieren könnte...
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Feamorn
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von Feamorn »

Zoiglbier hat geschrieben: 13. Dez 2019, 10:12
Axel hat geschrieben: 12. Dez 2019, 21:39 Zumal sich der Arbeitsbegriff ändern muss. Spätestens dann wenn Digitalisierung und Automatisierung mindestens 50% aller Jobs wegrationalisiert haben. Was in den nächsten 10-20 Jahren passieren wird. So sicher wie das Amen in der Kirche.
Ich weiß nicht woher dieser Irrglaube immer kommt. Digitalisierung soll die menschliche Arbeitskraft unterstützen und nicht ersetzen. Man zeige mir einen Beleg wo das in den letzten 10 Jahren wirklich eingetreten ist. Also wo Menschen wirklich eins zu eins durch digitale Prozesse ersetzt wurden und nicht dann woanders ihre Fähigkeiten im Unternehmen entfalten konnten. Digitalisierung führt in erster Linie zu einer effizienteren Arbeit und die Menschen können sich mal auf das konzentrieren wofür sie auch wirklich eingestellt wurden.

Nicht zu vergessen, dass manche Geschäftsmodelle und ganze Branchen erst neu entstehen. Sowas wie ThePod, Streamingdienste, Carsharingdienste, digitale Finanzdienstleistungen, etc.

Du wirst die menschliche Arbeitskraft so schnell nicht aus einem Wirtschaftssystem herausbekommen. Allein aus physikalischen und technischen Gründen. Innovation ersteht durch Menschen, die Reaktion auf unregelmäßige Vorgänge, selbstständige Entscheidungen. Ich wär da nicht so pessimistisch, sondern eher vorfreudig, dass unser Arbeiten besser und angenehmer wird.
Damit gehst Du aber doch von einem unbeschränkten Wachstumspotential in den Unternehmen aus?
Das ist doch gerade der große Fehler im aktuellen System. Unbeschränktes und ewiges Wachstum kann es schlicht nicht geben. Wenn deine Arbeit durch die Digitalisierung effizienter wird, kommt irgendwann der Punkt, an dem eben keine weitere Mehrarbeit mehr da ist, die erledigt werden kann. Und dann kommt irgendwann der Punkt, wo eben kein Bedarf mehr für die alte Anzahl von Angestellten vorhanden ist.
Natürlich trifft das nicht auf alle Bereiche zu, aber wenn ich mir ansehe, wie bei unseren Kunden (wir produzieren IT-Lösungen) zum Teil aus "Kostengründen" Arbeiten, die eigentlich per Software besser zu lösen wären, ich denke da zum Beispiel an Datenerfassung und -überführung in andere Systeme, immer noch von Menschen erledigt werden, mit der zu erwartenden Menge an dadurch wieder entstehenden Fehlern, das wird nicht auf Ewig so bleiben. Für mich ist es ganz offensichtlich, dass da Arbeitsplätze weg fallen. Ganz abgesehen davon, dass die eigentliche Arbeit auch ganz schön ätzend ist, nur will eben auch im aktuellen System niemand, dass sein Scheißjob durch die Maschine ersetzt wird, weil er ja sonst auf der Straße sitzt und dann selbst in die oben vielseitig kritisierte Bürokratiemühle rutscht, wo man dann rechtfertigen muss, warum man keinen Scheissjob mehr hat, aber trotzdem halbwegs gut leben möchte (oder auch nur überleben).
Ebenso frage ich mich bei diversen IT-Administratoren des öfteren, warum sie sich das Leben so schwer machen, anstatt viel zu automatisieren (was oft geht), andererseits würde sie den Gesamtbedarf an Admins im Unternehmen damit eben auch reduzieren, weil Sachen, die sonst einen Tag oder mehr brauchten, plötzlich mit einer Skriptanpassung (wenn überhaupt) und einem Knopfdruck erledigt sind.

Ein anderes Beispiel wäre der Journalismus, in dem einfache "Berichterstattung" zunehmend automatisiert wird. Denkst Du wirklich, dass die Leute, die früher die Fußballergebnisse zusammen gefasst haben dafür jetzt an "richtigen" Sportjournalismus gesetzt werden? Warum gibt es dann zunehmend weniger fest angestellte Journalisten und umso mehr schlecht bezahlte Freelancer?
Das ganze Thema Automatisierung abseits der Software-Sphäre ist dabei noch gar nicht angeschnitten. Wenn die Fabrik die Autos irgendwann komplett selbstständig zusammen setzt, und Du nur noch eine handvoll Leute für die Wartung der Maschinen brauchst stehen die ganzen Mechatroniker auch irgendwann da und finden im Betrieb eben keine weitere Beschäftigung mehr. Das sind ganze Arbeitszweige die, wenn sie nicht ganz wegfallen, doch zumindest sehr viel kleiner werden. Eben durch die von dir genannte Effizienzsteigerung.

Dazu ist ein guter Teil der Jobs, die stattdessen neu entstehen, Teil der "Bullshit-Jobs", die sich quasi nur mit dem System und seiner Komplexität selbst beschäftigen, aber eben auch keinen offensichtlichen Sinn haben und dementsprechend nicht sonderlich erfüllend sind (oder sein können). Meiner Meinung nach wird das alles dazu führen, dass die Menge der Arbeits- und Existenz-bezogenen psychischen Probleme nur noch weiter steigen wird. Dafür gibt es bis heute schlicht keine Lösung.
Zoiglbier
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von Zoiglbier »

Gut, wir werden es sehen, letztendlich sind das alles Zukunftprognosen die das Aufkommen neuer Branchen nicht beachten. Das liegt aber auch in der Natur des Menschen, wir gehen halt vom derzeit Existenten aus und argumentieren anhand dessen weil wir uns einfach nicht vorstellen können was als nächstes noch neues kommt.
Ich glaub nicht daran, dass die absolute Anzahl der Arbeitsplätze sinken wird. Wir haben auch die Industrialisierung überlebt, in der auch schon alle das gleiche gedacht haben ;)

Empfehle hierzu auch folgende Studie:

https://www.heise.de/newsticker/meldung ... 10846.html

Ums vorweg zu greifen: letztendlich müssen wir dahin kommen signifikant mehr in Bildung zu investieren.
Feamorn hat geschrieben: 13. Dez 2019, 11:00
Dazu ist ein guter Teil der Jobs, die stattdessen neu entstehen, Teil der "Bullshit-Jobs", die sich quasi nur mit dem System und seiner Komplexität selbst beschäftigen, aber eben auch keinen offensichtlichen Sinn haben und dementsprechend nicht sonderlich erfüllend sind (oder sein können). Meiner Meinung nach wird das alles dazu führen, dass die Menge der Arbeits- und Existenz-bezogenen psychischen Probleme nur noch weiter steigen wird. Dafür gibt es bis heute schlicht keine Lösung.
Seh jetzt nicht wie das passieren soll. Kannst du dazu Beispiele/Belege nennen? In der Studie wird auch gut verdeutlicht, dass die Anzahl analytischer und interaktiver Berufe steigt, welche ich persönlich schon als erfüllend sehen würde.
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Tsuran
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von Tsuran »

Zoiglbier hat geschrieben: 13. Dez 2019, 10:12 Ich weiß nicht woher dieser Irrglaube immer kommt. Digitalisierung soll die menschliche Arbeitskraft unterstützen und nicht ersetzen. Man zeige mir einen Beleg wo das in den letzten 10 Jahren wirklich eingetreten ist. Also wo Menschen wirklich eins zu eins durch digitale Prozesse ersetzt wurden und nicht dann woanders ihre Fähigkeiten im Unternehmen entfalten konnten. Digitalisierung führt in erster Linie zu einer effizienteren Arbeit und die Menschen können sich mal auf das konzentrieren wofür sie auch wirklich eingestellt wurden.
Mir fällt noch kein Job ein der 1:1 ersetzt worden ist. Aber das ist glaube ich auch nicht unbedingt nötig. Du sagst, digitale Prozesse sollen den Menschen helfen effizienter zu arbeiten. Nun geht ja die Entwicklung der IT Technologien seit längerem weg von einer automatisierung hin zu einer autonomisierung.

Will heißen ein Unternehmen, nehmen wir den Lieferservice Bella nuova Italia, stellt seine Bestellabwicklung auf ein KI basiertes System um. Also wenn Du sie unbedingt anrufen möchtest um zu bestellen nimmt Deine Bestellung eine KI auf. Solche Systeme gibt es bereits, sie sind nur etwas unmenschlich, aber das wird schon noch.

-1 Arbeitsplatz bei der Bestellannahme, weil nicht mehr benötigt.

Weiterhin nutzt das Unternehmen die erste Generation der Kochrobotik der RoboRecall Corp. welches die Bestellung der KI annimmt und damit beginnt die bestellte Pizza mit extra Käse zuzubereiten und im Anschluss an die Zubereitung dem autonomen Zustellsystem zu übergeben. Solche Robotiksysteme gibt es ebenfalls bereits, sie sind nicht ganz ausgereift, aber das wird schon noch.

-1 Arbeitsplatz bei der Zubereitung, weil nicht mehr benötigt.

Das Zustellsystem entscheidet anhand der Adresse welcher Roboter oder welche Drohne verwendet werden soll. Auch solche Systeme existieren für Testszenarien bereits. Was autonome Fahrzeuge oder Drohnen angeht sollte mittlerweile jeder mitbekommen haben, dass daran intensiv gearbeitet wird.

-1 Arbeitsplatz bei der Zustellung, weil nicht mehr benötigt.

Dein Argument ist "Die Leute können sich dann auf das konzentrieren wofür sie eingestellt wurden." Sie wurden eingestellt um zu telefonieren, zu kochen und zuzustellen. Wo diese Mitarbeiter/innen bei Bella nuova Italia künftig ihr Potenzial in diesem Unternehmen entfalten sollen vermag ich mir nicht vorzustellen. Die Realität wird sein: Ihre Arbeitskraft wird nicht mehr benötigt weil eine autonome Maschine die Arbeit durchgehend, schneller, effizienter, zuverlässiger erledigen wird.

Es handelt sich hier nur um ein kleines Beispiel. Es gibt Unternehmen die arbeiten daran KI Systeme zu bauen die das mittlere Management eines Unternehmens größtenteils obsolet machen. Die Reihe an Jobs die auf der Strecke bleiben werden ist nicht alleine auf die unqualifizierteren Jobs beschränkt sondern eben auch auf Bereiche in denen bisher langes menschliches Lernen nötig war.

Rechne dies alles mal auf eine breite Masse hoch. Das häufig genannte Gegenargument ist: "Dann entstehen andere Jobs." Das ist sicher richtig, aber entstehen sie in entsprechender Menge die auch erreichbar (Qualifikation) ist? Über dieses Argument streitet sich die Wissenschaft leidenschaftlich.

Ist der Wegfall der oben bspw. genannten Jobs wirklich ein Verlust für den Menschen?
Wollen wir weiterhin so tun als wären diese Menschen (das kann jeder von uns sein!) irgendwie weniger Wert weil ihre zur Verfügung gestellte Arbeitskraft schlichtweg nicht mehr benötigt wird? Dafür gibt es unterschiedliche Ansätze, den, den wir in Deutschland verfolgen ist für mich jedenfalls eine Stigmatisierung. Das etablierte Vokabular "abhartzen", "Hartz IV TV" usw. spricht eine DEUTLICHE Sprache.

Das Thema ist äußerst komplex, aber ich glaube nicht, dass unser gesellschaftliches Denken überhaupt erfasst hat welche tiefgreifenden Veränderungen künftig anstehen über die wir uns Gedanken machen MÜSSEN.
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von Feamorn »

Zoiglbier hat geschrieben: 13. Dez 2019, 11:27 Gut, wir werden es sehen, letztendlich sind das alles Zukunftprognosen die das Aufkommen neuer Branchen nicht beachten. Das liegt aber auch in der Natur des Menschen, wir gehen halt vom derzeit Existenten aus und argumentieren anhand dessen weil wir uns einfach nicht vorstellen können was als nächstes noch neues kommt.
Ich glaub nicht daran, dass die absolute Anzahl der Arbeitsplätze sinken wird. Wir haben auch die Industrialisierung überlebt, in der auch schon alle das gleiche gedacht haben ;)

Empfehle hierzu auch folgende Studie:

https://www.heise.de/newsticker/meldung ... 10846.html

Ums vorweg zu greifen: letztendlich müssen wir dahin kommen signifikant mehr in Bildung zu investieren.
Zum einen würde ich mich gerne Tsurans beiden vorletzten Absätzen anschließen, die bringen es für mein Verständnis gut auf den Punkt.
Es geht ja, zumindest in meiner Vorstellung, nicht nur ausschließlich darum, die Leute irgendwie zu beschäftigen, sondern sie "sinnvoll" zu beschäftigen. Zur Zeit ist die Metrik hier fast ausschließlich "taucht nicht mehr in der Statistik auf", und das ist für mich auf vielen Ebenen einfach, sorry, scheiße.
Dazu kommt die merkwürdige Entkopplung von Einkommen und "sozialer Wertigkeit" eines Jobs (Beispiel Krankenpflege, Betreuung der Jüngsten und Ältesten der Gesellschaft etc., aber auch unverhältnismäßige Arbeitsbelastung bei besser bezahlten Berufen in dem Bereich, wie Ärzten).
Zudem, wie Tsuran bereits schrieb, wird der Jobersatz ja oft nicht durch äquivalent fordernde Jobs gestellt, und es kann eben nicht jeder ein passendes Studium durchlaufen. Was passiert mit all den Menschen, die nicht in der Lage sind, die vielen Jobs die eine für sie zu hohe Qualifikation erfordern zu erfüllen, die große Zahl der "einfachen" Tätigkeiten, für die sie früher in Frage gekommen wären, aber durch autonome Systeme ersetzt wird?
Natürlich kann bessere Bildung von Beginn an das zum Teil abfedern, trotzdem wirst Du einen bestimmten (nicht ungewichtigen) Anteil an Menschen haben, die das nicht leisten können. Und eben für die Gruppe muss eine Lösung gefunden werden, die eben nicht auf Ausgrenzung und Erniedrigung basiert, sei es nun die soziale oder bürokratische. Für mich ist da ein bedingungsloses Grundeinkommen der logischste und am Ende auch menschenwürdigste Schritt.
Nur beinhaltet das eben, dass viele der heutigen hochbezahlten Jobs, die entweder kaum an der tatsächlichen Wertschöpfung beteiligt sind, oder zumindest unverhältnismäßig hoch vergütet werden, entsprechend auch für die Allgemeinheit einstehen müssen, womit wir wieder bei anderer Besteuerung und der allgemeinen Kapitalismuskritik wären.
Zoiglbier hat geschrieben: 13. Dez 2019, 11:27
Feamorn hat geschrieben: 13. Dez 2019, 11:00
Dazu ist ein guter Teil der Jobs, die stattdessen neu entstehen, Teil der "Bullshit-Jobs", die sich quasi nur mit dem System und seiner Komplexität selbst beschäftigen, aber eben auch keinen offensichtlichen Sinn haben und dementsprechend nicht sonderlich erfüllend sind (oder sein können). Meiner Meinung nach wird das alles dazu führen, dass die Menge der Arbeits- und Existenz-bezogenen psychischen Probleme nur noch weiter steigen wird. Dafür gibt es bis heute schlicht keine Lösung.
Seh jetzt nicht wie das passieren soll. Kannst du dazu Beispiele/Belege nennen? In der Studie wird auch gut verdeutlicht, dass die Anzahl analytischer und interaktiver Berufe steigt, welche ich persönlich schon als erfüllend sehen würde.

Da sich das für mich hauptsächlich auf Beobachtungen stützt, nicht wirklich.
Ich kann dir auf die Schnelle einen Artikel über den Anthropologen anbieten, der den Begriff geprägt hat (der Zeit-Autor ist durchaus auch ein wenig kritisch):
https://www.zeit.de/arbeit/2018-09/bull ... -rezension

Ansonsten speist sich meine Überzeugung aus Beobachtungen der Nachrichten und gesellschaftlichen Diskussionen sowie aus Erfahrungen und berichten im Freundeskreis. Da haben alle durchaus "sinnvolle" Jobs, seien Lehrer, Pflegemanagement, Ärzte, Seelsorger, aber so richtig glücklich ist da kaum jemand, weil man sich auch mit unglaublich mit Mist beschäftigen muss, der ziemlich unsinnig ist, unnötig und einen von den Dingen, die einen erfüllen oder zumindest Freude bereiten abhält. Das geht selbst mir so, der weitestgehend ausschließlich in der Softwareentwicklung sitzt.

Meiner Beobachtung nach hat das aktuelle System insgesamt große Probleme. Die "einfachen" Jobs sind oft schlecht bezahlt und/oder fallen weg, die komplexeren sind durch Mismanagement oder bescheuerte gewachsene Strukturen oft derart schlauchend, dass die Leute irgendwann resignieren oder zusammenbrechen.
Zum Glück wird mittlerweile mehr über solche Themen geredet, und wenn ich mich so umschaue, hat jeder in meinem Umfeld entweder selbst bereits Erfahrungen mit psychischen Problemen oder jemanden in der näheren Familie, der Probleme hat. Da stimmt doch irgendwas grundlegend nicht?
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Re: Brauchen wir Bedingungsloses Grundeinkommen?

Beitrag von Feamorn »

PS: Der Heise-Artikel hat erst ewig nicht geladen, konnte ihn daher erst lesen, nachdem ich meinen Text geschrieben hatte. Aber da steht im Fazit ja auch bereits der angesprochene Punkt, die Anforderung der neuen Jobs ist deutlich höher als bei den wegfallenden. Im Satz danach kommt dann auch die Schlussfolgerung: die Schere zwischen den Schichten wird noch weiter auseinander gehen.
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