Du warst noch nie mit Künstlern im engeren Gespräch, oder? Anders kann ich mir das nämlich nicht erklären.vicsbier hat geschrieben: ↑19. Jul 2020, 23:06 [Man muss nicht gleich alles verkaufen, es gibt ein Schonvermögen und Arbeitswerkzeug muss man auch nicht abegeben. Also nicht übertreiben.Die Leute die Kultur machen machen sie auch danach noch. Die sind nicht weg - wohin sollten die denn weg sein? Vielleicht nutzen diese sogar die Krise als Chance und vervollkommnen ihr Portfolio und arbeiten an neuen Ideen? Da würde ich nicht so schwarz sehen.
Was wäre den deine Lösung? Geld ohne Gegenleistung oder gegen einen Arbeitseinsatz als Dienst an der Gemeinschaft?
Ich mach das mal plastisch um zu verdeutlichen, dass wir hier über professionelle Musiker reden! Nicht über Hobby-Musiker. Ne gute Bekannte von mir ist eine hier im Osten recht bekannte Singer/Songwriterin. Sie spielt solo wie auch in Bandbesetzung. Zudem hat sie noch eine kleine Familie, die irgendwie ernährt werden will. Der Vater ist auch im Kulturbereich tätig, als Schauspieler im Theater. Auch er hat keine Einkünfte.
Jedenfalls: Sie hat allein für ihre Musik Geräte im mittleren fünfstelligen Bereich in der Wohnung.
Da wären natürlich erstmal die Instrumente: Mehrere Gitarren, Akkordeon, Trommeln, Keyboard, was man so eben braucht. Schon allein das übersteigt das Schonvermögen von rund 10.000€ die ein Erwachsener hat, will er Hartz 4 beantragen. Mal so als Richtwert: Für eine gute Konzertgitarre bist Du locker ab 1.500-2.000€ dabei. Professionelle Musiker haben aber nie nur ein Instrument, sondern mehrere. Muss man auch haben, weil man sonst nicht live spielen kann, wenn ein Instrument mal kaputt geht. Erfahrungswerte von vielen Berufsmusikern: Habe lieber noch 2-3 weitere Instrumente in der Hinterhand.
Dann reicht ein Instrument natürlich nicht um live aufzutreten. Selbst wenn sie Soloauftritte hat, kommen einige Geräte dazu:
Lautsprecher, Verstärker, Mischpult, Mikrofon, Effektgerät, gerne auch mal eine Loop Station und: Stative! Das unterschätzt man gerne mal, wie scheiße teuer ein gutes Stativ ist! Und natürlich, je nach Bedarf, auch noch ne kleine Lichtanlage.
Warum hat sie all das? Ganz einfach: Viele Locations haben nur unzureichend Technik. Viele denken mit einer mittelmäßigen PA und unterdurchschnittlichen Lautsprechen hätte man alles. Und dann sagt man als Berufsmusiker irgendwann mal: „Ach, kein Bock mehr auf Technik von anderen angewiesen zu sein. Ich bau mir jetzt was eigenes auf.“ Weil man ja möchte, dass die Gäste einen guten Sound und Qualität bekommen. Nur so kann Musik wirken und dann sind die Leute begeistert, schauen sich dann mal online nach Dir um und bleiben Dir dann auch treu, wenn Du ihnen einmal nen geilen Abend beschert hast. Und da ist ne gute Technik die Grundlage dazu. Du kannst noch so viel Talent mitbringen: Wenn Du ständig gegen die Technik anspielen musst, wird das Konzert automatisch schlechter. Und man ist dazu auch flexibler um überall zu spielen: Auf Straßenfesten, Hochzeiten, Ausstellungen, usw. Tatsächlich hatte sie vor der Corona-Zeit häufig Auftritte außerhalb von klassischen Clubs und Konzerthäusern. Vom Wohnzimmerkonzert über Vernisage bis hin sogar zu Firmenfeiern. Damit Du das alles mitnehmen kannst, brauchst Du aber ein eigenes Technikarsenal. Und damit Du als Künstler das alles noch transportieren kannst, brauchst Du auch noch ein größeres Auto. Sie hat dementsprechend einen Hochdachkombi im Einsatz.
Das wäre jetzt nur der Livebereich. Dazu hat sie auch noch ein Homestudio sich über die Jahre aufgebaut. Mit Computer, einiges an Aufnahmeequipment und natürlich kommen die üblichen Softwarelizenzen auch noch oben drauf. Aufnahmesoftware, Grafiksoftware, Videosoftware, und dann kommt auch noch so Kleinscheiß wie Serverkosten dazu. Auch diese laufenden Kosten läppern sich natürlich irgendwann. Braucht man aber eben auch, will man online vernünftig stattfinden. Youtube will gefüttert werden, die Fans in den sozialen Medien wollen Updates, auf Patreon will man den Leuten auch was bieten. Und da macht man natürlich viel mit Videos, Grafiken, Soundaufnahmen, etc.
Also wenn man das alles zusammen nimmt, was da bei ihr zuhause an Technik steht, da kommt man bestimmt locker auf einen Wert von 40.000-50.000€. Musikalisch aktiv ist sie seit 20 Jahren, professionell ist sie seit rund 12 Jahren. Das alles hat sie sich im letzten Jahrzehnt mit harter, disziplinierter Arbeit aufgebaut. Gerade wenn man Wert auf Qualität setzt, braucht man eben auch teureres Profi-Equipment.
Und dann wären halt noch die normalen laufenden Kosten, die dazu kommen: Versicherungen, Kreditabzahlung, Strom, Internet, Unterhaltung zweier Autos und so weiter. Und dann ganz am Ende kommen dann Lebensmittel, Kleidung und so weiter.
Derzeit lebt das Paar noch von Rücklagen die eigentlich mal für die Altersvorsorge gedacht war. Hartz 4 ist für die einfach nicht geeignet, schon allein weil die laufenden Kosten den Satz nahezu auffressen würden. Und so geht das wirklich allen professionellen Berufsmusikern die ich so kenne. Da wird jetzt nassforsch von denen verlangt „Gebt mal euren Wohlstand auf“ während das aber kein Wohlstand ist, sondern schlicht und ergreifend Notwendigkeiten wenn man sich mit Musik selbstständig machen will. Während viele andere wiederum diese romantische Vorstellung haben und sagen „Ach, so ein Musiker hat doch nur sich und sein Instrument“ und nicht mal ahnen was so alles dahintersteht was man eben nicht sieht.
Und hier muss man eben auch der Politik unterstellen, dass die von der Realität von selbstständigen Musikern keine Ahnung haben. Was wäre ne Lösung? Das was für alles eine Lösung wäre: Ein existenzsicherndes Bedingungslosen Grundeinkommen von 1.500€. Zumindest für diese sehr kleinteilige Branche mit so vielen unterschiedlichen Berufsbildern hätte man sowas auflegen müssen für ein Jahr. Und jetzt kommt mir nicht „aber die Kosten!“ - Denn gleichzeitig werden Milliarden in Großkonzerne investiert!