COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Wenn es nicht um Spiele und / oder den Podcast geht, dann stehen die Chancen gut, dass dein Thema hier richtig ist.
WARNUNG: Gerade bei Politik & Co. geht's gerne hoch her. Auch hier gelten die Benimmregeln. Behandelt andere Foren-User immer mit Respekt, selbst wenn ihr deren Meinung nicht respektieren könnt!
Forumsregeln
Datenschutzerklärung: https://www.gamespodcast.de/datenschutzerklaerung/
Impressum: https://www.gamespodcast.de/impressum/

Forenregeln und zukünftige Weltverfassung
ART 1: Behandle andere Nutzer mit Respekt.
ART 2: Do NOT piss off the Podcasters

Lies bitte weitere Hinweise hier: viewtopic.php?f=4&t=2789
Benutzeravatar
Axel
Beiträge: 4170
Registriert: 1. Jul 2018, 20:43
Wohnort: Chemnitz & Erzgebirge

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Axel »

vicsbier hat geschrieben: 19. Jul 2020, 23:06 [Man muss nicht gleich alles verkaufen, es gibt ein Schonvermögen und Arbeitswerkzeug muss man auch nicht abegeben. Also nicht übertreiben.Die Leute die Kultur machen machen sie auch danach noch. Die sind nicht weg - wohin sollten die denn weg sein? Vielleicht nutzen diese sogar die Krise als Chance und vervollkommnen ihr Portfolio und arbeiten an neuen Ideen? Da würde ich nicht so schwarz sehen.

Was wäre den deine Lösung? Geld ohne Gegenleistung oder gegen einen Arbeitseinsatz als Dienst an der Gemeinschaft?
Du warst noch nie mit Künstlern im engeren Gespräch, oder? Anders kann ich mir das nämlich nicht erklären.

Ich mach das mal plastisch um zu verdeutlichen, dass wir hier über professionelle Musiker reden! Nicht über Hobby-Musiker. Ne gute Bekannte von mir ist eine hier im Osten recht bekannte Singer/Songwriterin. Sie spielt solo wie auch in Bandbesetzung. Zudem hat sie noch eine kleine Familie, die irgendwie ernährt werden will. Der Vater ist auch im Kulturbereich tätig, als Schauspieler im Theater. Auch er hat keine Einkünfte.

Jedenfalls: Sie hat allein für ihre Musik Geräte im mittleren fünfstelligen Bereich in der Wohnung.

Da wären natürlich erstmal die Instrumente: Mehrere Gitarren, Akkordeon, Trommeln, Keyboard, was man so eben braucht. Schon allein das übersteigt das Schonvermögen von rund 10.000€ die ein Erwachsener hat, will er Hartz 4 beantragen. Mal so als Richtwert: Für eine gute Konzertgitarre bist Du locker ab 1.500-2.000€ dabei. Professionelle Musiker haben aber nie nur ein Instrument, sondern mehrere. Muss man auch haben, weil man sonst nicht live spielen kann, wenn ein Instrument mal kaputt geht. Erfahrungswerte von vielen Berufsmusikern: Habe lieber noch 2-3 weitere Instrumente in der Hinterhand.

Dann reicht ein Instrument natürlich nicht um live aufzutreten. Selbst wenn sie Soloauftritte hat, kommen einige Geräte dazu:
Lautsprecher, Verstärker, Mischpult, Mikrofon, Effektgerät, gerne auch mal eine Loop Station und: Stative! Das unterschätzt man gerne mal, wie scheiße teuer ein gutes Stativ ist! Und natürlich, je nach Bedarf, auch noch ne kleine Lichtanlage.

Warum hat sie all das? Ganz einfach: Viele Locations haben nur unzureichend Technik. Viele denken mit einer mittelmäßigen PA und unterdurchschnittlichen Lautsprechen hätte man alles. Und dann sagt man als Berufsmusiker irgendwann mal: „Ach, kein Bock mehr auf Technik von anderen angewiesen zu sein. Ich bau mir jetzt was eigenes auf.“ Weil man ja möchte, dass die Gäste einen guten Sound und Qualität bekommen. Nur so kann Musik wirken und dann sind die Leute begeistert, schauen sich dann mal online nach Dir um und bleiben Dir dann auch treu, wenn Du ihnen einmal nen geilen Abend beschert hast. Und da ist ne gute Technik die Grundlage dazu. Du kannst noch so viel Talent mitbringen: Wenn Du ständig gegen die Technik anspielen musst, wird das Konzert automatisch schlechter. Und man ist dazu auch flexibler um überall zu spielen: Auf Straßenfesten, Hochzeiten, Ausstellungen, usw. Tatsächlich hatte sie vor der Corona-Zeit häufig Auftritte außerhalb von klassischen Clubs und Konzerthäusern. Vom Wohnzimmerkonzert über Vernisage bis hin sogar zu Firmenfeiern. Damit Du das alles mitnehmen kannst, brauchst Du aber ein eigenes Technikarsenal. Und damit Du als Künstler das alles noch transportieren kannst, brauchst Du auch noch ein größeres Auto. Sie hat dementsprechend einen Hochdachkombi im Einsatz.

Das wäre jetzt nur der Livebereich. Dazu hat sie auch noch ein Homestudio sich über die Jahre aufgebaut. Mit Computer, einiges an Aufnahmeequipment und natürlich kommen die üblichen Softwarelizenzen auch noch oben drauf. Aufnahmesoftware, Grafiksoftware, Videosoftware, und dann kommt auch noch so Kleinscheiß wie Serverkosten dazu. Auch diese laufenden Kosten läppern sich natürlich irgendwann. Braucht man aber eben auch, will man online vernünftig stattfinden. Youtube will gefüttert werden, die Fans in den sozialen Medien wollen Updates, auf Patreon will man den Leuten auch was bieten. Und da macht man natürlich viel mit Videos, Grafiken, Soundaufnahmen, etc.

Also wenn man das alles zusammen nimmt, was da bei ihr zuhause an Technik steht, da kommt man bestimmt locker auf einen Wert von 40.000-50.000€. Musikalisch aktiv ist sie seit 20 Jahren, professionell ist sie seit rund 12 Jahren. Das alles hat sie sich im letzten Jahrzehnt mit harter, disziplinierter Arbeit aufgebaut. Gerade wenn man Wert auf Qualität setzt, braucht man eben auch teureres Profi-Equipment.

Und dann wären halt noch die normalen laufenden Kosten, die dazu kommen: Versicherungen, Kreditabzahlung, Strom, Internet, Unterhaltung zweier Autos und so weiter. Und dann ganz am Ende kommen dann Lebensmittel, Kleidung und so weiter.

Derzeit lebt das Paar noch von Rücklagen die eigentlich mal für die Altersvorsorge gedacht war. Hartz 4 ist für die einfach nicht geeignet, schon allein weil die laufenden Kosten den Satz nahezu auffressen würden. Und so geht das wirklich allen professionellen Berufsmusikern die ich so kenne. Da wird jetzt nassforsch von denen verlangt „Gebt mal euren Wohlstand auf“ während das aber kein Wohlstand ist, sondern schlicht und ergreifend Notwendigkeiten wenn man sich mit Musik selbstständig machen will. Während viele andere wiederum diese romantische Vorstellung haben und sagen „Ach, so ein Musiker hat doch nur sich und sein Instrument“ und nicht mal ahnen was so alles dahintersteht was man eben nicht sieht.

Und hier muss man eben auch der Politik unterstellen, dass die von der Realität von selbstständigen Musikern keine Ahnung haben. Was wäre ne Lösung? Das was für alles eine Lösung wäre: Ein existenzsicherndes Bedingungslosen Grundeinkommen von 1.500€. Zumindest für diese sehr kleinteilige Branche mit so vielen unterschiedlichen Berufsbildern hätte man sowas auflegen müssen für ein Jahr. Und jetzt kommt mir nicht „aber die Kosten!“ - Denn gleichzeitig werden Milliarden in Großkonzerne investiert!
vicsbier
Beiträge: 476
Registriert: 22. Okt 2016, 17:12

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von vicsbier »

schneeland hat geschrieben: 20. Jul 2020, 00:03 In einem Punkt würde ich Rince allerdings zustimmen: versuch' mal vielleicht mal den Teil wegzulassen, wo Du quasi sagst "aber das ist nicht so schlimm, weil ich ja ein netter Kerl bin". Ich glaube Dir das sogar, dass Du ein netter Kerl bist, aber der Diskussion würde es m.E. mehr helfen, wenn Du Dich zu dem marktwirtschaftlichen Ansatz, der aus Deiner Aussage relativ deutlich hervortritt, bekennst, und nicht versuchst, das als sozialdemokratisch auszugeben.

Ich finde, es hilft auch, wenn wir mit konkreten Zahlen operieren. Bspw. beträgt das Schonvermögen für einen Alleinstehenden 40-Jährigen, wenn ich korrekt recherchiert habe, 6000€ (Altersvorsorge außen vor). Er müsste also nicht plötzlich sein Hab- und Gut verkaufen, und auch seine Instrumente nicht. Aber nachdem der Regelsatz bewusst so kalkuliert ist, dass ein hoher Anreiz besteht, jeden Job anzunehmen, ist davon auszugehen, dass bei hinreichend langer Aussetzung der Möglichkeit öffentlich aufzutreten zahlreiche Menschen in der Unterhaltungsbranche diese verlassen müssten.

Jetzt gibt's da zwei Perspektiven drauf:
1. Man betont die Grenzen staatlicher Möglichkeit und sagt: dann müsst Ihr im Zweifelsfall was Anderes machen
2. Man sagt: da muss der Staat ran - im Zweifelsfall finanzieren wir die Leute auch ohne Leistung

Beide haben Vor- und Nachteile. Und man muss dann halt überlegen, wo man sich selbst verortet.

Man kann natürlich auch sagen: riskieren wir's halt - aber wohin zu viel "riskieren wir's halt" führt, sehen wir gerade an der mehr oder weniger freiwilligen "Kontrollgruppe" jenseits des Atlantiks.
Ich sage nichts Quasi, sondern es wurde unterstellt, dass ich mich nicht mit Hartz IV und sozialen Probleme aus der Nähe beschäftigen würde. Das weise ich von mir. Ich sage auch nicht, dass es sozialdemokratisch ist (wurde aber durch die SPD eingeführt), sondern das ist meine Meinung.

Ja, mit Zahlen zu Argumentieren ist immer gut, aber ich wollte es abkürzen, da man sehr schnell im Internet auf entsprechende Rechner stösst. Wie du schon sagst, muss man nicht sofort seine paar Alltagsgegenstände verkaufen. Ich dachte aber, dass das klar und logisch wäre. Es tritt ja auch erstmal die Arbeitslosenversicherung ein.

Der Staat kann nicht einfach sagen, dass er die einen ohne Gegenleistung finanziert, während die alten Hartz IV-Fälle weiterhin mit Sanktionen bedroht werden. Das funktioniert nicht. Daher gibt es nur eine Wahl: Arbeitslosenversicherung, wenn die dortigen 2 Jahre aufgebraucht sind, Hartz IV.
vicsbier
Beiträge: 476
Registriert: 22. Okt 2016, 17:12

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von vicsbier »

Rince81 hat geschrieben: 20. Jul 2020, 00:25 Welche Relevanz hat der Kommentar mit deinem Einsatz für Obdachlose, selbst wenn er stimmen sollte? Diese Art der Argumentationsverstärkung ist für Dich sehr typisch und nebenbei überhaupt kein Diskussionsstil - sondern die beste Art Kritik an Aussagen abzuwürgen. Kritisiert mich nicht als unsozial, ich helfe nämlich Obdachlosen. Ich kann nicht in meiner Trumpsicht nicht voreingenommen sein, ich rufe nämlich nachher meinen demokratischen Freund an, der dazu auch noch schwarz ist. Ich kann keine homophobe Äußerung verfasst haben, ich habe nämlich homosexuelle, grüne, ausländische, migrierte und farbige Freunde. Ich habe keine Ahnung ob du das bewusst oder völlig unbewusst machst - du zeichnest so aber konsequent ein Bild von dir, welches deinen Aussagen hier oft diametral widerspricht.
Du bist ein lustiger Gesell. In den Threads einwerfen, dass ich keine Ahnung habe und dann den Einwand meiner Erfahrung und meiner Quellen als mangelnden Diskussionsstil abtun. Sorry, so geht das nicht.

Meine Aussagen stehen nicht diametral entgegen, sondern sind eben durch emotionsfreies Nachdenken entlang des kategorischen Imperativs von Kant entstanden: Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde (Kant). Ich halte das für eine Stärke, nicht für einen Fehler.
Zuletzt geändert von vicsbier am 20. Jul 2020, 09:49, insgesamt 2-mal geändert.
vicsbier
Beiträge: 476
Registriert: 22. Okt 2016, 17:12

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von vicsbier »

Axel hat geschrieben: 20. Jul 2020, 02:07
vicsbier hat geschrieben: 19. Jul 2020, 23:06 [Man muss nicht gleich alles verkaufen, es gibt ein Schonvermögen und Arbeitswerkzeug muss man auch nicht abegeben. Also nicht übertreiben.Die Leute die Kultur machen machen sie auch danach noch. Die sind nicht weg - wohin sollten die denn weg sein? Vielleicht nutzen diese sogar die Krise als Chance und vervollkommnen ihr Portfolio und arbeiten an neuen Ideen? Da würde ich nicht so schwarz sehen.

Was wäre den deine Lösung? Geld ohne Gegenleistung oder gegen einen Arbeitseinsatz als Dienst an der Gemeinschaft?
Du warst noch nie mit Künstlern im engeren Gespräch, oder? Anders kann ich mir das nämlich nicht erklären.

Ich mach das mal plastisch um zu verdeutlichen, dass wir hier über professionelle Musiker reden! Nicht über Hobby-Musiker. Ne gute Bekannte von mir ist eine hier im Osten recht bekannte Singer/Songwriterin. Sie spielt solo wie auch in Bandbesetzung. Zudem hat sie noch eine kleine Familie, die irgendwie ernährt werden will. Der Vater ist auch im Kulturbereich tätig, als Schauspieler im Theater. Auch er hat keine Einkünfte.

Jedenfalls: Sie hat allein für ihre Musik Geräte im mittleren fünfstelligen Bereich in der Wohnung.

Da wären natürlich erstmal die Instrumente: Mehrere Gitarren, Akkordeon, Trommeln, Keyboard, was man so eben braucht. Schon allein das übersteigt das Schonvermögen von rund 10.000€ die ein Erwachsener hat, will er Hartz 4 beantragen. Mal so als Richtwert: Für eine gute Konzertgitarre bist Du locker ab 1.500-2.000€ dabei. Professionelle Musiker haben aber nie nur ein Instrument, sondern mehrere. Muss man auch haben, weil man sonst nicht live spielen kann, wenn ein Instrument mal kaputt geht. Erfahrungswerte von vielen Berufsmusikern: Habe lieber noch 2-3 weitere Instrumente in der Hinterhand.

Dann reicht ein Instrument natürlich nicht um live aufzutreten. Selbst wenn sie Soloauftritte hat, kommen einige Geräte dazu:
Lautsprecher, Verstärker, Mischpult, Mikrofon, Effektgerät, gerne auch mal eine Loop Station und: Stative! Das unterschätzt man gerne mal, wie scheiße teuer ein gutes Stativ ist! Und natürlich, je nach Bedarf, auch noch ne kleine Lichtanlage.

Warum hat sie all das? Ganz einfach: Viele Locations haben nur unzureichend Technik. Viele denken mit einer mittelmäßigen PA und unterdurchschnittlichen Lautsprechen hätte man alles. Und dann sagt man als Berufsmusiker irgendwann mal: „Ach, kein Bock mehr auf Technik von anderen angewiesen zu sein. Ich bau mir jetzt was eigenes auf.“ Weil man ja möchte, dass die Gäste einen guten Sound und Qualität bekommen. Nur so kann Musik wirken und dann sind die Leute begeistert, schauen sich dann mal online nach Dir um und bleiben Dir dann auch treu, wenn Du ihnen einmal nen geilen Abend beschert hast. Und da ist ne gute Technik die Grundlage dazu. Du kannst noch so viel Talent mitbringen: Wenn Du ständig gegen die Technik anspielen musst, wird das Konzert automatisch schlechter. Und man ist dazu auch flexibler um überall zu spielen: Auf Straßenfesten, Hochzeiten, Ausstellungen, usw. Tatsächlich hatte sie vor der Corona-Zeit häufig Auftritte außerhalb von klassischen Clubs und Konzerthäusern. Vom Wohnzimmerkonzert über Vernisage bis hin sogar zu Firmenfeiern. Damit Du das alles mitnehmen kannst, brauchst Du aber ein eigenes Technikarsenal. Und damit Du als Künstler das alles noch transportieren kannst, brauchst Du auch noch ein größeres Auto. Sie hat dementsprechend einen Hochdachkombi im Einsatz.

Das wäre jetzt nur der Livebereich. Dazu hat sie auch noch ein Homestudio sich über die Jahre aufgebaut. Mit Computer, einiges an Aufnahmeequipment und natürlich kommen die üblichen Softwarelizenzen auch noch oben drauf. Aufnahmesoftware, Grafiksoftware, Videosoftware, und dann kommt auch noch so Kleinscheiß wie Serverkosten dazu. Auch diese laufenden Kosten läppern sich natürlich irgendwann. Braucht man aber eben auch, will man online vernünftig stattfinden. Youtube will gefüttert werden, die Fans in den sozialen Medien wollen Updates, auf Patreon will man den Leuten auch was bieten. Und da macht man natürlich viel mit Videos, Grafiken, Soundaufnahmen, etc.

Also wenn man das alles zusammen nimmt, was da bei ihr zuhause an Technik steht, da kommt man bestimmt locker auf einen Wert von 40.000-50.000€. Musikalisch aktiv ist sie seit 20 Jahren, professionell ist sie seit rund 12 Jahren. Das alles hat sie sich im letzten Jahrzehnt mit harter, disziplinierter Arbeit aufgebaut. Gerade wenn man Wert auf Qualität setzt, braucht man eben auch teureres Profi-Equipment.

Und dann wären halt noch die normalen laufenden Kosten, die dazu kommen: Versicherungen, Kreditabzahlung, Strom, Internet, Unterhaltung zweier Autos und so weiter. Und dann ganz am Ende kommen dann Lebensmittel, Kleidung und so weiter.

Derzeit lebt das Paar noch von Rücklagen die eigentlich mal für die Altersvorsorge gedacht war. Hartz 4 ist für die einfach nicht geeignet, schon allein weil die laufenden Kosten den Satz nahezu auffressen würden. Und so geht das wirklich allen professionellen Berufsmusikern die ich so kenne. Da wird jetzt nassforsch von denen verlangt „Gebt mal euren Wohlstand auf“ während das aber kein Wohlstand ist, sondern schlicht und ergreifend Notwendigkeiten wenn man sich mit Musik selbstständig machen will. Während viele andere wiederum diese romantische Vorstellung haben und sagen „Ach, so ein Musiker hat doch nur sich und sein Instrument“ und nicht mal ahnen was so alles dahintersteht was man eben nicht sieht.

Und hier muss man eben auch der Politik unterstellen, dass die von der Realität von selbstständigen Musikern keine Ahnung haben. Was wäre ne Lösung? Das was für alles eine Lösung wäre: Ein existenzsicherndes Bedingungslosen Grundeinkommen von 1.500€. Zumindest für diese sehr kleinteilige Branche mit so vielen unterschiedlichen Berufsbildern hätte man sowas auflegen müssen für ein Jahr. Und jetzt kommt mir nicht „aber die Kosten!“ - Denn gleichzeitig werden Milliarden in Großkonzerne investiert!
Ich weiß was Gitarren kosten, ich hatte hier neulich acht Stück mit einem mittleren fünfstelligen Versicherungswert verwahrt.
Dennoch: Einem Profimusiker nimmt man seine Arbeitsgeräte nicht ab. Erstmal gibt es ausserdem Arbeitslosengeld.

Das BGE ist eine ganz andere Debatte und funktioniert volkswirtschaftlich nicht:
Eine Investition in die Wirtschaft ist eine nachhaltige Investition zum Wohle der Gesellschaft, denn Wohlstand beruht auf Wertschöpfung. Geld, dass man nur verteilt muss erst erwirtschaftet werden und der Produktionsrückgang führt zur Inflation: Die Nachfrage durch das BGE steigt aber das Angebot durch das BGE fällt.

Hier auch ein interessantes Video zum Thema Wirtschaft und seine Funktionsweise: https://www.youtube.com/watch?v=dJMiVGlnLSc
Aber das Thema können wir in einem anderen Thread vertiefen.
Benutzeravatar
Axel
Beiträge: 4170
Registriert: 1. Jul 2018, 20:43
Wohnort: Chemnitz & Erzgebirge

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Axel »

vicsbier hat geschrieben: 20. Jul 2020, 09:38 Erstmal gibt es ausserdem Arbeitslosengeld.
Nicht, wenn Du selbstständig bist. ALG1 gibt es nur, wenn Du irgendwo mal fest angestellt warst. Oder als Selbstständiger in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt hast. Zudem: Wie will man das berechnen? Wenn Du selbstständig bist, hast Du ja kein festes Brutto-Einkommen, sondern je nach Auftragslage unterschiedlich hohes Einkommen.

Außerdem ist es im ALG1 Grundvoraussetzung irgendwo auf dem normalen Arbeitsmarkt integriert zu werden. Das will kein Berufsmusiker, den ich kenne. Die wollen nur eines: Endlich wieder ihre normale Arbeit nachgehen. Denn sie HABEN ja einen Beruf, nur eben monatelang Berufsverbot gehabt. Jetzt geht es in einigen Bundesländern so gaaanz langsam wieder los. Aber planbar ist eben nichts.
Rince81
Beiträge: 8753
Registriert: 21. Dez 2015, 04:30

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Rince81 »

Österreich hat nun die Maskenpflicht wieder landesweit eingeführt und mit steigenden Fallzahlen begründet.

Zur Abwechslung gibt es aber diverse gute Nachrichten aus der Impfstoffforschung.
https://www.merkur.de/welt/coronavirus- ... 37693.html
Womöglich steht ein Impfstoff schon Mitte 2021 zur Verfügung - Oxford und Wuhan vermelden positive Ergebnisse in Tests.
Die "Gesendet von meinem HTC11 Life mit Tapatalk"-Signatur
Benutzeravatar
DickHorner
Beiträge: 958
Registriert: 30. Aug 2018, 10:26

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von DickHorner »

Instrumente und anderes Brimborium, was man so als Musiker hat, sind Betriebsvermögen und damit geschützt.
https://www.gesetze-im-internet.de/algiiv_2008/__7.html
Benutzeravatar
Axel
Beiträge: 4170
Registriert: 1. Jul 2018, 20:43
Wohnort: Chemnitz & Erzgebirge

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Axel »

DickHorner hat geschrieben: 22. Jul 2020, 10:10 Instrumente und anderes Brimborium, was man so als Musiker hat, sind Betriebsvermögen und damit geschützt.
https://www.gesetze-im-internet.de/algiiv_2008/__7.html
Das sag mal irgendwelchen überforderten Bearbeitern in den Jobcentern. Ich hatte in den letzten Jahren schon viele Schilderungen gehört und vereinzelt sogar miterlebt wie Jobcenter-Mitarbeiter da so reagieren. Ist ja nicht so, dass man im Jobcenter freundlich und respektvoll behandelt werden würde...


Anderes Thema! Oder wieder ein altes: Im Leipnizer Institut für Psychologie in Trier ist die deutschlandweit erste Studie über die psychosozialen Wirkung der Maskenpflicht im Preprint erschienen! https://www.psycharchives.org/handle/20 ... knwxTEs6iA

Lest Euch bitte mal die Zitate in Anhang 4 durch. Das ist im wesentlichen auch das Bild, was man in diversen Gruppen von Betroffenen erlebt.
Die populationsbeschreibende Untersuchung operiert statistisch vor allem mit dem erwartungstreuen, konsistenten, effizienten und suffizienten Schätzer P (Prozentwert) und konfidenzintervall-basierten Aussagen über die Grundgesamtheit: die sich durch die aktuellen Mund-Nasenschutz-Verordnungen nennenswert belastet erlebenden Menschen. Als in den Rahmen der Attributionstheorie und des biopsychologischen Modells einordnebares Ergebnis steht zum einen der statistisch signifikante Zusammenhang eines solchen Belastungsempfindens mit den Merkmalen „hohes Gesundheitsbewusstsein“, „hohe kritische Geisteshaltung“, „sehr geringe Erkrankungsangst“ und „Hochsensibilität/Hochsensitivität“.

Zum anderen hat „die Maske“ das Potenzial, über entstehende Aggression starke psychovegetative Stressreaktionen zu bahnen, die signifikant mit dem Grad belastender Nachwirkungen korrelieren. Depressives Selbsterleben wird hingegen weniger direkt ausgelöst/verstärkt, sondern über ein als beeinträchtigt erlebtes Selbst- und Körperempfinden. Allgemeiner „Corona-Stress“ hingegen löst häufiger direkt depressives Erleben statt Aggression aus bzw. verstärkt dies. Die Tatsache, dass ca. 60% der sich deutlich mit den Verordnungen belastet erlebenden Menschen schon jetzt schwere (psychosoziale) Folgen erlebt, wie eine stark reduzierte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft aufgrund von aversionsbedingtem MNS-Vermeidungsbestreben, sozialen Rückzug, herabgesetzte gesundheitliche Selbstfürsorge (bis hin zur Vermeidung von Arztterminen) oder die Verstärkung vorbestandener gesundheitlicher Probleme (posttraumatische Belastungsstörungen, Herpes, Migräne), sprengte alle Erwartungen der Untersucherin. Die Ergebnisse drängen auf eine sehr zeitnahe Prüfung der Nutzen-Schaden-Relation der MNS- Verordnungen.
JanTenner
Beiträge: 334
Registriert: 29. Apr 2018, 22:04

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von JanTenner »

Könnte man dem Stress durch das Maskentragen nicht entgehen indem man es einfach akzeptiert und sich nicht mit aller Gewalt dagegen sträubt? Durch die Maske selbst entsteht ja erstmal kein Schaden (an mir selbst beobachtet - selbst mehrstündige Zugfahrten sind gut zu bewältigen). Erst das Uneinsichtig sein und keine Maske tragen wollen erzeugt doch den Konflikt und die negativen Gefühle.
Rince81
Beiträge: 8753
Registriert: 21. Dez 2015, 04:30

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Rince81 »

Als in den Rahmen der Attributionstheorie und des biopsychologischen Modells einordnebares Ergebnis steht zum einen der statistisch signifikante Zusammenhang eines solchen Belastungsempfindens mit den Merkmalen „hohes Gesundheitsbewusstsein“, „hohe kritische Geisteshaltung“, „sehr geringe Erkrankungsangst“ und „Hochsensibilität/Hochsensitivität“.
Die Tatsache, dass ca. 60% der sich deutlich mit den Verordnungen belastet erlebenden
Menschen schon jetzt schwere (psychosoziale) Folgen erlebt, wie eine stark reduzierte Teilhabe
am Leben in der Gesellschaft aufgrund von aversionsbedingtem MNS-Vermeidungsbestreben,
sozialen Rückzug, herabgesetzte gesundheitliche Selbstfürsorge (bis hin zur Vermeidung von
Arztterminen) oder die Verstärkung vorbestandener gesundheitlicher Probleme (posttraumatische
Belastungsstörungen, Herpes, Migräne), sprengte alle Erwartungen der Untersucherin.

Kann man das übersetzen mit "Die Leute haben keine medizinischen Indikatoren die ein Maske tragen unmöglich/unzumutbar machen, sondern sie steigern sich einfach in etwas rein"?
Die "Gesendet von meinem HTC11 Life mit Tapatalk"-Signatur
Trugschluss
Beiträge: 214
Registriert: 5. Mär 2020, 13:29

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Trugschluss »

Danke für den Link, Axel. :)
Benutzeravatar
Andre Peschke
Beiträge: 9847
Registriert: 9. Jan 2016, 16:16
Kontaktdaten:

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Andre Peschke »

JanTenner hat geschrieben: 23. Jul 2020, 10:21 Erst das Uneinsichtig sein und keine Maske tragen wollen erzeugt doch den Konflikt und die negativen Gefühle.
Einsicht ist halt keine Entscheidung. Wäre es den Menschen möglich, die Maske als notwendig und angemessen zu begreifen, würden bestimmt die beschriebenen Stressfaktoren und auch der Vermeidungsverhalten mit seinen negativen Konsequenzen aufhören oder deutlich abgemildert. Aber man kann sich sein Weltbild halt nicht maßschneidern. Nicht 100% adäquates Beispiel zur Veranschaulichung: Ich würde ein angenehmeres Leben führen, wenn ich mich einfach entscheiden könnte, an ein Leben nach dem Tode im Paradies zu glauben, in dem ich alle verlorenen lieben Menschen wiedersehen werde. Aber meine Überzeugung ist, dass das eine Kinderfantasie ist. Dieser Blick auf die Welt ist mir mental versperrt. Ich kann diese Entscheidung nicht treffen bzw. es würde vermutlich erfodern, dass ich vorher erstmal ganz grundlegende Konzepte von mir selbst und der Welt umbaue.

Jetzt sollte der Schritt zur Einsicht re: Maskenpflicht sicherlich ein kleinerer sein, weil die Argumentationslage eindeutiger ist. Aber wir sehen ja weltweit, wie die Interpretationen von Daten auseinandergehen kann. Was für den einen glasklar belegt erscheint, erscheint dem anderen wie Augenwischerei.

Andre
Rince81
Beiträge: 8753
Registriert: 21. Dez 2015, 04:30

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Rince81 »

Andre Peschke hat geschrieben: 23. Jul 2020, 12:40 Nicht 100% adäquates Beispiel zur Veranschaulichung: Ich würde ein angenehmeres Leben führen, wenn ich mich einfach entscheiden könnte, an ein Leben nach dem Tode im Paradies zu glauben, in dem ich alle verlorenen lieben Menschen wiedersehen werde. Aber meine Überzeugung ist, dass das eine Kinderfantasie ist. Dieser Blick auf die Welt ist mir mental versperrt. Ich kann diese Entscheidung nicht treffen bzw. es würde vermutlich erfodern, dass ich vorher erstmal ganz grundlegende Konzepte von mir selbst und der Welt umbaue.
Ist hier nicht auch wieder die Gurtpflicht das perfekte Beispiel?

https://www.spiegel.de/geschichte/einfu ... 46925.html
Selten reagierten die Westdeutschen so hysterisch wie bei der Einführung der Gurtpflicht. 1975 verweigerten sich Millionen Menschen dem Lebensretter Sicherheitsgurt. Männer fürchteten um ihre Freiheit, Frauen um ihren Busen - am Ende spaltete der bizarre Glaubenskrieg die ganze Republik.
Spießbürger gegen Egoisten
Es tobte in Glaubenskrieg in Deutschland in jenen Tagen, der unerbittlich ausgefochten wurde - mit allen sozialen Konsequenzen. Gurtträger galten als ängstliche und kleinliche Spießbürger. Wer sich anschnallte, stand überdies im Ruf, mit missionarischem Eifer seine Umwelt zu nerven. Nicht wenige Autofahrer legten anfänglich genau deshalb den Gurt nicht an, weil sie solche ablehnenden Äußerungen vermeiden wollen. Umgedreht bezichtigten überzeugte Gurtträger die Gegner als verantwortungslos, arrogant und egoistisch - und forderten vereinzelt sogar Fahrverbote für Gurtmuffel.
Kommt bekannt vor?

1974 bei Sicherheitsgurten:
Um die Ursachen für die hohe Zahl an Gurtmuffeln zu ergründen, beauftragte das Bundesverkehrsministerium 1974 eine psychologische Studie. Wie tief die Aversion gegen das Anschnallen bei vielen saß, überraschte selbst die Psychologen des durchführenden Instituts. Manche Probanden verweigerten schlicht die Antworten, andere Befragte griffen die Interviewer sogar verbal an. Die Psychologen registrierten "starke latente Spannungen, unausgetragene Konflikte, affektive Verfestigungen und Bereitschaft zu kämpferischen Auseinandersetzungen".
2020 bei Masken:
Allgemeiner „Corona-Stress“ hingegen löst häufiger direkt depressives Erleben statt Aggression aus bzw. verstärkt dies. Die Tatsache, dass ca. 60% der sich deutlich mit den Verordnungen belastet erlebenden Menschen schon jetzt schwere (psychosoziale) Folgen erlebt, wie eine stark reduzierte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft aufgrund von aversionsbedingtem MNS-Vermeidungsbestreben, sozialen Rückzug, herabgesetzte gesundheitliche Selbstfürsorge (bis hin zur Vermeidung von Arztterminen) oder die Verstärkung vorbestandener gesundheitlicher Probleme (posttraumatische Belastungsstörungen, Herpes, Migräne), sprengte alle Erwartungen der Untersucherin.
Also Maske auf und durch - die Benutzer von Sicherheitsgurten haben es auch ohne bleibende psychische Schäden überstanden und die Diskussion wirkt rückblickend völlig bizarr...
Die "Gesendet von meinem HTC11 Life mit Tapatalk"-Signatur
Benutzeravatar
Axel
Beiträge: 4170
Registriert: 1. Jul 2018, 20:43
Wohnort: Chemnitz & Erzgebirge

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Axel »

Andre Peschke hat geschrieben: 23. Jul 2020, 12:40 Aber wir sehen ja weltweit, wie die Interpretationen von Daten auseinandergehen kann. Was für den einen glasklar belegt erscheint, erscheint dem anderen wie Augenwischerei.
Das ist der springende Punkt! Vor ein paar Tagen gab es im DLF ein Feature über die psychischen Folgen der Corona-Krise allgemein: https://www.deutschlandfunkkultur.de/ex ... _id=480880

Ein Folge wurde im Feature besonders herausgehoben: die tiefe Spaltung im Erleben der Pandemie, die sich dann auch in einer Spaltung der Gesellschaft manifestiert. Nehmen wir den Lockdown:

- Gruppe 1: Menschen leiden extrem, weil sie Freunde nicht mehr sehen können, die Selbsthilfegruppe nicht mehr da ist oder weil man mit Home Schooling und den Kindern hoffnungslos überfordert ist.
- Gruppe 2: Menschen empfinden den Lockdown als wohltuende Entschleunigung: Kein Stress mehr, kein langes pendeln sondern gemütliche Home Office und endlich mal wieder Zeit für Hobbies.

Diese zwei Gruppen stehen sich nun gegenüber und können schlicht nicht nachvollziehen, wie Menschen aus der jeweils anderen Gruppe empfinden.

Und genauso ist das, @JanTenner, bei der Maskenpflicht:

- Gruppe 1: Menschen leiden durch die Maske unter heftigen Panikattacken (wie ich etwa), bekommen Alpträume oder haben andere Gründe die Stress und Angst erzeugen.
- Gruppe 2 sagt: Was habt ihr denn? Ich kann die Maske stundenlang im Zug tragen, alles kein Problem.


Andre hat es sehr richtig gesagt: Empfinden sucht man sich nicht aus. Das ist einfach da und ist bei jedem unterschiedlich gelagert. Da spielen Erfahrungen aus der Kindheit mit rein, der allgemeine Lebensweg, und und und. Wenn es nur ne Entscheidung wäre wie ich die Maske empfinde, würde ich natürlich zu „Macht mir nichts aus“ greifen, dann hätte ich jetzt nämlich ein ruhigeres Leben. Psychologie ist aber keine Entscheidungssache. Das muss man sich immer wieder klar machen.

Was würde also Helfen? Als ersten Schritt erstmal ein anderer Umgang der Gruppe, denen solche Maßnahmen nichts ausmachen, mit der Gruppe die große Probleme hat. Also nicht dieses von oben herab a la „Habt Euch mal nicht so.“ Da könnte hier Ines bestimmt aus fachlicher Sicht ne ganze Menge dazu schreiben, warum man so nicht mit Menschen umgehen sollte, die aus welchem Grund auch immer große psychische Probleme haben. Der Grund für Angst und Stress ist erstmal egal. Angst und Stress sind da. Auch hier wieder meine Erkrankung: objektiv weiß ich, dass der Grund für meine PTBS seit 28 Jahren vorbei ist. Es also unsinnig ist jetzt noch Panik zu haben. Aber dennoch habe ich Panik, gegen jede Objektivität. Denn die menschliche Psyche richtet sich nicht nach Logik.

Wenn man sich die Erlebnisse von Betroffenen anschaut, die in der Studie als Anlage beigefügt sind, liest man ganz häufig Erfahrungen von Isolation, Aggressivität und Wut, Alpträume, Panikattacken und anderen negativen Folgen. Und jetzt stellt man sich mal vor, das geht über viele Monate so weiter. Dann werden ganz sicher handfeste chronische Erkrankungen entstehen.

Nun könnte man als Laie sicher sagen „Okay, müssen die Betroffenen halt therapiert werden.“ - Und jetzt kommen wir zum großen Problem: Seit vielen Jahren sind die Psychologen und Psychiater komplett überlastet, Wartezeiten für Therapien liegen nicht selten zwischen 1-2 Jahren. In weniger besiedelten Gebieten wie hier die Kreise Mittelsachsen und Erzgebirge sieht es noch schlimmer aus. Und wenn sowas bei vielen Menschen unbehandelt bleibt, besonders so nette Dinge wie Aggressionsstörungen oder Panikattacken, dann wird sich das natürlich auch irgendwann gesellschaftlich auswirken.

Dem kann man aber schon jetzt entgegnen! Ich wiederhole mich gerne: Indem man Menschen mit Problemen mit mehr Verständnis und Freundlichkeit entgegenkommt und nicht noch versucht wird, die Psychologie kleinzureden. Letzteres wird derzeit leider allzuoft getan.
Zuletzt geändert von Axel am 23. Jul 2020, 14:00, insgesamt 4-mal geändert.
Benutzeravatar
bluttrinker13
Beiträge: 4893
Registriert: 4. Jun 2016, 22:44

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von bluttrinker13 »

@Gurtpflicht-Analogie:

Das ist dann aber eher eine intellektuelle Übung. Die Parallelen sind da, natürlich, aber sie verfehlen den Kern, will sagen, die Prozesse um die es hier eigentlich geht und die zu Widerstand und Ärger/Aggression führen.

Ich glaube nicht, dass du mit einem analogen Verweis auf die Gurtpflicht (die für die meisten heute ja normal ist), irgendwen der renitent gegenüber Masken ist davon überzeugen kannst "Also Maske auf und durch" für eine jetzt doch gute Idee zu halten. Die Gurtpflicht als Einschränkung repräsentiert ja kaum noch einer von denen, gleichzeitig sehen sie (wenn wir mit der Reaktanztheorie-Brille raufgucken) aber eben den "Maskenzwang" als Bedrohung und Einschränkung akut bestehender Freiheiten in ihrem Alltag.

Da muss man weiter daran arbeiten, diese Einschränkung auch als das zu verkaufen was sie (hoffentlich) ist, sinnvolle und nützliche Hilfe zum Erhalt der Gesundheit. Das wäre nämlich eine der Randbedingungen, unter denen ein sozialer Einfluss auf das Verhalten keine Reaktanz, sondern eher Akzeptanz, erzeugt. Will sagen, gerade für die Menschen, welche auch ich jeden Tag noch in den Öffis ohne richtig sitzende Maske erlebe, ist "Covid 19" sehr wahrscheinlich nachwievor keine subjektiv prioritäre Bedrohung. Unabhängig davon ob das nun stimmt oder nicht.
Peninsula
Beiträge: 665
Registriert: 16. Jun 2016, 21:56
Wohnort: Berlin

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Peninsula »

bluttrinker13 hat geschrieben: 23. Jul 2020, 13:56 @Gurtpflicht-Analogie:

Das ist dann aber eher eine intellektuelle Übung. Die Parallelen sind da, natürlich, aber sie verfehlen den Kern, will sagen, die Prozesse um die es hier eigentlich geht und die zu Widerstand und Ärger/Aggression führen.
Ich kann nicht für Rince sprechen, aber ich glaube diese Lesart verfehlt den Kern der Gurtpflicht-Analogie. Grob vereinfacht ist meine Schlussfolgerung aus besagter Analogie: "Jede verpflichtende Maßnahme - ob sinnvoll oder nicht - wird zunächst auf Widerstand stoßen. Die Chancen stehen aber gut, dass dieser Widerstand mittel- bis langfristig nachlässt, wenn die Maßnahme sich als sinnvoll erweist. Deshalb sollte die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Maßnahme in der Diskussion eine sehr viel höhere Priorität haben als 'Widerstand aus dem Bauch heraus'."

Natürlich ist es immer erstrebenswert, möglichst viele Menschen zu überzeugen, aber der springende Punkt ist glaube ich nicht, dass man mit der Gurtpflicht-Analogie alle Menschen sofort für Masken begeistern könnte.
Benutzeravatar
Axel
Beiträge: 4170
Registriert: 1. Jul 2018, 20:43
Wohnort: Chemnitz & Erzgebirge

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Axel »

Eure Gurtpflicht-Analogie scheitert schon am folgenden Sachverhalt:
Will ich keinen Gurt um mich schnallen, verzichte ich auf das Auto und laufe oder nutze ÖPNV. Aber keine Arztpraxis, kein Laden oder irgendwas anderes verwehrt mir den Zutritt, weil ich keinen Gurt um mich schnalle. Denn es ist den dem Laden egal ob ich mit Auto, zu Fuß oder per ÖPNV komme.

An der Maske sind aber genau solche Einschränkungen gekoppelt! Das ist ein riesiger Unterschied zu Gurtpflicht. Denn beim Gurt hat man ja noch die Entscheidung auf das Auto zu verzichten.
Benutzeravatar
bluttrinker13
Beiträge: 4893
Registriert: 4. Jun 2016, 22:44

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von bluttrinker13 »

Peninsula hat geschrieben: 23. Jul 2020, 14:24
Ich kann nicht für Rince sprechen, aber ich glaube diese Lesart verfehlt den Kern der Gurtpflicht-Analogie. Grob vereinfacht ist meine Schlussfolgerung aus besagter Analogie: "Jede verpflichtende Maßnahme - ob sinnvoll oder nicht - wird zunächst auf Widerstand stoßen. Die Chancen stehen aber gut, dass dieser Widerstand mittel- bis langfristig nachlässt, wenn die Maßnahme sich als sinnvoll erweist. Deshalb sollte die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Maßnahme in der Diskussion eine sehr viel höhere Priorität haben als 'Widerstand aus dem Bauch heraus'."
Ok, aber dann sehe ich den Nutzen der Analogie nicht, denn es ist doch klar, dass wir immer wieder dasselbe beobachten - Widerstand, und Akzeptanz durch Gewöhnung. So auch hier bei der Maskenpflicht (noch vereinzelt starker Widerstand, aber eine bereits überwiegende Akzeptanz der Mehrheit und Gewöhnung im Alltag). Das meinte ich mit intellektueller Fingerübung, denn die Analogie zeigt wiederum nicht auf, woran es liegt, dass eben Ärger und Aggression auf ganz natürlichem und nachvollziehbarem Wege entstehen. Und sie hilft auch nicht bei der Sinnhaftigkeit, imo, da wir hier zwei sehr verschiedene Kontexte betrachten - Führen eines Fahrzeugs vs. Reaktion auf eine (hoffentlich zeitlich beschränkte) Pandemie.
:think:
Peninsula
Beiträge: 665
Registriert: 16. Jun 2016, 21:56
Wohnort: Berlin

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Peninsula »

Axel hat geschrieben: 23. Jul 2020, 13:54 Ein Folge wurde im Feature besonders herausgehoben: die tiefe Spaltung im Erleben der Pandemie, die sich dann auch in einer Spaltung der Gesellschaft manifestiert. Nehmen wir den Lockdown:

- Gruppe 1: Menschen leiden extrem, weil sie Freunde nicht mehr sehen können, die Selbsthilfegruppe nicht mehr da ist oder weil man mit Home Schooling und den Kindern hoffnungslos überfordert ist.
- Gruppe 2: Menschen empfinden den Lockdown als wohltuende Entschleunigung: Kein Stress mehr, kein langes pendeln sondern gemütliche Home Office und endlich mal wieder Zeit für Hobbies.
Diese zwei Gruppen stehen sich nun gegenüber und können schlicht nicht nachvollziehen, wie Menschen aus der jeweils anderen Gruppe empfinden.
Diese gesellschaftliche Spaltung - auch wenn so eine binäre Gegenüberstellung natürlich zu kurz greift und viele Perspektiven weglässt - ist glaube ich wirklich etwas, das man beobachten und genauer erforschen sollte.
Axel hat geschrieben: 23. Jul 2020, 13:54 Und genauso ist das, @JanTenner, bei der Maskenpflicht:
Einspruch! :D Das Thema "pro oder contra Maske" mit den beiden Gruppen oben zu verknüpfen, ist imo ein fataler Fehler.
Wer extrem unter dem Lockdown leidet, kann sehr wohl für eine Maskenpflicht sein, weil sie ja eine Maßnahme gegen das Virus ist, die die Krise insgesamt verkürzen soll!
Ebenso kann ein maximal egoistischer "Lockdown-Fan" gegen eine Maskenpflicht sein, weil es ja in seinem Interesse ist, dass die Krise andauert - solange er nicht selbst erkrankt.
Es lassen sich da wirklich noch jede Menge Konstellationen denken, aber wie schwer man unter der Corona-Krise leidet, muss nichts damit zu tun haben, ob man für oder gegen eine Maskenpflicht ist.
Axel hat geschrieben: 23. Jul 2020, 13:54 - Gruppe 1: Menschen leiden durch die Maske unter heftigen Panikattacken (wie ich etwa), bekommen Alpträume oder haben andere Gründe die Stress und Angst erzeugen.
- Gruppe 2 sagt: Was habt ihr denn? Ich kann die Maske stundenlang im Zug tragen, alles kein Problem.
Dafür, dasss du dich für mehr Empathie zwischen den Gruppen starkmachst, verzerrst du hier leider völlig die Argumente der Gruppe 2. Die existiert eben nicht nur als besserwisserische Reaktion auf die leidende Gruppe 1, sondern hat auch eigene Argumente und zum Teil auch starke Ängste.
"Scheiße, da ist ein gefährliches neuartiges Virus im Umlauf. Wir wollen nicht, dass sich das ausbreitet. Wir haben Angst davor (vielleicht auch Albträume, Stress oder sogar Panikattacken) und wenn die Wissenschaft sagt, dass Masken helfen, dann setzen wir eben welche auf, obwohl das für die meisten von uns unangenehm ist. Da die Maske primär dem Fremdschutz dienen soll, ist es ganz besonders im Interesse von Menschen, die keine Masken tragen können, dass alle anderen es tun!" Und solche Leute haben dann u.U. auch Stress und Angst und Panik, wenn ihnen im ÖPNV und beim Einkaufen hauptsächlich Kinnmaskenträger begegnen. Es ist nicht so, dass hier eine Gruppe völlig sorgenfrei umherspaziert und die andere drangsalieren möchte.
Peninsula
Beiträge: 665
Registriert: 16. Jun 2016, 21:56
Wohnort: Berlin

Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie

Beitrag von Peninsula »

bluttrinker13 hat geschrieben: 23. Jul 2020, 14:45
Peninsula hat geschrieben: 23. Jul 2020, 14:24
Ich kann nicht für Rince sprechen, aber ich glaube diese Lesart verfehlt den Kern der Gurtpflicht-Analogie. Grob vereinfacht ist meine Schlussfolgerung aus besagter Analogie: "Jede verpflichtende Maßnahme - ob sinnvoll oder nicht - wird zunächst auf Widerstand stoßen. Die Chancen stehen aber gut, dass dieser Widerstand mittel- bis langfristig nachlässt, wenn die Maßnahme sich als sinnvoll erweist. Deshalb sollte die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Maßnahme in der Diskussion eine sehr viel höhere Priorität haben als 'Widerstand aus dem Bauch heraus'."
Ok, aber dann sehe ich den Nutzen der Analogie nicht, denn es ist doch klar, dass wir immer wieder dasselbe beobachten - Widerstand, und Akzeptanz durch Gewöhnung. So auch hier bei der Maskenpflicht (noch vereinzelt starker Widerstand, aber eine bereits überwiegende Akzeptanz der Mehrheit und Gewöhnung im Alltag). Das meinte ich mit intellektueller Fingerübung, denn die Analogie zeigt wiederum nicht auf, woran es liegt, dass eben Ärger und Aggression auf ganz natürlichem und nachvollziehbarem Wege entstehen. Und sie hilft auch nicht bei der Sinnhaftigkeit, imo, da wir hier zwei sehr verschiedene Kontexte betrachten - Führen eines Fahrzeugs vs. Reaktion auf eine (hoffentlich zeitlich beschränkte) Pandemie.
:think:
Ich glaube, das war eine Antwort darauf, dass hier zuerst eine Studie als Argument(?) in den Raum geworfen wurde, laut der die Maskenpflicht bei Maskengegnern zu Ärger und Aggression führt. Der "Nutzen" der Analogie war in dem Zusammenhang, aufzuzeigen, dass diese Studie als Argument wenig taugt.
Antworten