ZiggyStardust hat geschrieben: ↑21. Okt 2021, 13:53
Ist Kaufhof wirklich so schlecht?
Weiß ich nicht, ich war seit 20 oder so nicht mehr drin.
Chemnitz ist halt auch ein schönes Beispiel was passiert, wenn man Städte mit Einzelhandel zukleistert und die Kaufkraft nicht dazu passt.
Denn gegenüber von unserem Kaufhof, gibt es die
Galerie Roter Turm, hinter diesem Gebäude steht ein
übergroßer Peek & Cloppenburg. Da kommt aber kaum einer hin, insbesondere Chemnitzer nicht - weil es in der Innenstadt kaum Parkplätze gibt. Also gehen die Leute, die im Lutherviertel, Bernsdorf und Sonnenberg (drei sehr bevölkerungsreiche Viertel) wohnen, lieber in die
Sachsen Allee und die Leute, die im Norden der Stadt (Borna, Schloßchemnitz, die Viertel rund um Küchwald und Zeisigwald) leben, gehen gleich ins
Chemnitz Center, weil näher und viele Parkplätze.
Und jetzt kommt die Pointe: Chemnitz Center wurde 1991 oder 92 eröffnet (kurz nach der Wende jedenfalls) und die Sachsen Allee 1997. Als man dann die Entscheidung getroffen hat diese Einkaufsmeilen in der direkten Innenstadt vor dem Rathaus zu bauen, gab es beide Einrichtungen schon oder waren bereits in Planung. Und schon damals gab es Kritik, dass es zuviel wird und eine Stadt wie Chemnitz nicht für geeignet ist. Ihr könnt ja mal auf Google Maps gucken wie nah das am Ende alles zueinander ist.
Aber auf die Kritik wurde, wie so häufig, nicht gehört, man hat dennoch gebaut. Und da niemand die Innenstadt in ihrer jetzigen Form braucht, geht da niemand hin. Aber man subventioniert lieber weiter den dortigen Einzelhandel statt sich alte Fehler in der Stadtplanung einzugestehen. Da kommen auch so Aussagen wie "Es würde zu viel kosten, die Innenstadt zurückzubauen". Ach, und den dortigen Einzelhandel zu subventionieren kostet nix?
Um das ganze Chemnitzer Problem noch zu veranschaulichen, habe ich mal ein Luftbild aus dem Jahr 1991 rausgesucht:
https://abload.de/img/25f38668-c4c7-493f-9uhjyo.jpeg
Rechts unten seht ihr das alte und neue Rathaus. In der Mitte den Roten Turm. Und ihr müsst Euch vorstellen: Quasi alles drumherum war nach dem Krieg Wüstenlandschaft. Die komplette Innenstadt wurde den Erdboden gleichgemacht. Also sieht das Foto so aus, wie es aussieht: schönster DDR Bau der 50er und 60er Jahre. Die Gebäude stehen auch heute zum Großteil alle noch. Das sieht für heutige Verhältnisse nicht schön aus, hatte aber durchaus ein Konzept: In den unteren Etagen waren Geschäfte drin (heute sind da die angesprochenen Shishabars und anderes zu finden), in den darüberliegenden Stockwerken waren Büros, Verwaltung, etc. untergebracht. Drumherum dann Wohnhauser. Man hat die drei Bereiche damals ganz gut zusammengebracht. Und für eine Stadt wie Chemnitz hat das auch funktioniert.
Der Fehler begann dann in den 90ern. Stadt die bereits vorhandenen Gebäude zurückzubauen, umzubauen oder zu sanieren, stehen die heute noch im wesentlichen in herrlichster DDR-Schönheit. Noch zu den Zeiten der 80er gab es entsprechende Pläne und dazu diese ganzen Freiflächen, die ihr auf dem Bild seht, zur Begrünung zu nutzen. Jedenfalls: Seht ihr diesen riesigen Parkplatz neben der Stadthalle und dem Roten Turm? Dort hat man ab Ende der 90er diese angesprochenen Einkaufstempel platziert: Galerie Roter Turm, Peek & Cloppenburg und anderes. Auf den grünen Streifen vor dem Rathaus kam dann die Galeria Kaufhof in einem monströsen Glasklotz hin. Während alle anderen Gebäude seitdem im wesentlichen vor sich hinrotten. Ach ja, seht ihr den großen Parkplatz oben im Bild? Auch dieser ist nun nicht mehr, da wird gerade ein "Komplex für Büros und hochwertige Wohnungen" gebaut.
Was es aber in diesem ganzen abgebildeten Bereich nicht gibt: Kreative Angebote für Kinder, Kultur, Familie, Sport. Also Dinge die Freude machen, wo man gerne hingeht. Das hätte man Ende der 90er in den Mittelpunkt rücken müssen, da schon damals absehbar war, dass für eine Stadt wie Chemnitz zwei große Einkaufsmeilen ausreichend sind und es nicht noch eine in der Innenstadt braucht.
Und ich denke halt, Chemnitz wird nicht die einzige mittelgroße Stadt mit solchen Problemen sein. Gerade in den Städten, die nach dem Krieg schwer zerstört wurden, hat man dann in den folgenden Jahrzehnten zu sehr auf Einzelhandel gesetzt. Und das rächt sich jetzt.