Hallo zusammen,
ich habe das Bedürfnis, noch einmal kurz auf die vor einigen Seiten angesprochenen Maßnahme der 'Ausgangssperre' einzugehen. Vor allem die von Axel angesprochene Verbindung mit psychischen Erkrankungen. Aus meiner Sicht gibt es dort zwei Dinge, die noch einmal erwähnt werden sollten.
Vorab zur Klarstellung: Ich bin kein Virologe, kein Epidemologe oder sonstwie im Gesundheitssystem tätig. Ich habe bestimmt nicht mehr Ahnung als ihr. Das ist eine rein persönliche Einschätzung.
1. Eine allgemeine Ausgangssperre bedeutet nicht, dass jeder Mensch in seiner eigenen Wohnung eingeschlossen, also zwangsisoliert wird (so wie es in der Stadt Wuhan in China der Fall war, IIRC). Bislang ist es in allen europäischen Ländern, die eine Ausgangssperre verhängt haben, nach meinen Informationen weiterhin möglich, die Wohnung zu verlassen - sofern ein wichtiger Grund besteht. Dazu zählen Einkaufen, Arztbesuche und auch die Arbeit, wenn diese von zuhause nicht möglich ist.
Heute hat auch Frankreich eine solche Ausgangssperre angeordnet, und selbst Sport im Freien ist dort noch möglich - solange es sich um Individualsport handelt (
https://www.tagesschau.de/ausland/frank ... e-101.html). Die spanische Regierung ist restriktiver vorgegangen, dort ist ein Spaziergang oder ein Besuch bei Freunden bspw. nicht mehr erlaubt (
https://www.tagesschau.de/ausland/coron ... d-101.html). Wie eine solche Ausgangssperre also in Deutschland ausgestaltet sein könnte, gilt es demnach noch abzuwarten. Wenn eine Ausgangssperre im Raum steht, heißt das aber nicht zwingend, dass ein Aufenthalt im Freien (und damit persönlicher Kontakt zu Freunden) in jedem Fall ausgeschlossen sein wird.
Kontrolliert wird die Einhaltung der Ausgangssperre durch die Polizei. In Frankreich stellt die Regierung, wie dem oben verlinkten Artikel zu entnehmen, Formulare bereit, die man vor dem Verlassen seines Hauses ausfüllen kann (handschriftliche Formulare werden aber auch akzeptiert). Es heißt dazu im Artikel wörtlich: "Jeder und jede, die sich nach Beginn der Ausgangssperre außerhalb ihrer Wohnung aufhalten, müssten schriftlich nachweisen, dass der Ausgang notwendig ist".
Ich persönlich kann es mir vorstellen, dass Personen mit psychischen Krankheiten - im Falle einer auch in Deutschland verhängten Ausgangssperre - eine derartige schriftliche Bestätigung der Notwendigkeit des Aufenthalts außerhalb der eigenen Wohnung vom jeweiligen Arzt ausgestellt bekommen könnten. Vielleicht könnte es sich also lohnen, sich gesetzt diesem Fall diesbezüglich mit den Ärzten in Verbindung zu setzen. Das ist aber nur eine Überlegung von mir. Inwieweit das praktikabel ist, wird auch von der Ausgestaltung einer etwaigen Ausgangssperre in Deutschland abhängen. Da die Polizeikräfte, die die Einhaltung einer Ausgangssperre überwachen, allerdings auch nur Menschen sind, gehe ich davon aus, dass diese Verständnis für den Aufenthalt außerhalb der Wohnung aus den o.g. Gründen haben.
Ich kann verstehen, dass man diesbezüglich aufgrund des in der Tat mangelnden Bewusstseins fürs psychische Erkrankungen Bedenken haben kann. Es ist aber IMO der falsche Ansatz, prinzipiell nur an "das Schlechte" im Menschen zu glauben. Letzeres führt zwangsläufig immer zu Unsolidarität (z.B. auch zu Hamsterkäufen - ich kauf mal lieber das ganze Klopapier, bevor es mir jemand anderes wegkauft). Das ist kein persönlicher Vorwurf an irgendjemanden - Schuldzuweisungen sind aktuell eh so unangebracht wie sonst nie, außerdem ist das grundsätzlich ein sehr verständlicher menschlicher Mechanismus - sondern soll lediglich als Verdeutlichung meines Plädoyers dafür dienen, dass es in solchen Extremsituation ganz maßgeblich ist, stattdessen an "das Gute" im Menschen zu glauben. Klingt vielleicht zu pathetisch, ist aber IMO wichtig zu betonen.
2. Die Maßnahme der Ausgangssperre soll grundsätzlich vorwiegend die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus eindämmen, und die damit verbundenen negativen Folgen werden mit der Verhängung einer solchen automatisch mit in Kauf genommen, sofern sie sich nicht kompensieren oder abmildern lassen. Das ist bei dieser Maßnahme nicht anders als bei den Schulschließungen, nur in unterschiedlicher Ausprägung.
Was man aber nicht unterschätzen darf: Sie dient ebenfalls dem Zweck,
Menschen, die sich zwangsweise draußen aufhalten müssen, vor einer Infektion zu schützen. Also beispielsweise zum Schutz der Menschen, die Arbeiten gehen müssen, zum Arzt müssen, oder deren Vorräte zu neige gehen und die daher Einkaufen gehen müssen. Wenn aufgrund einer psychischen Erkrankung ein Aufenthalt im Freien zum Treffen mit Freunden ebenfalls zwingend notwendig ist, dann sorgt eine Ausgangssperre also aus meiner Sicht nicht für eine erzwungene Verschlechterung der aktuellen Situation des oder der Betroffenen,
sondern dient zu seinem oder ihrem Schutz. Die Situation analog zu o.g. "Glauben an das Gute" aus diesem anderen Blickwinkel zu betrachten, ist meiner Meinung nach viel hilfreicher, als dies als persönliche Bedrohung warzunehmen.
Ich leide unter keinen diagnostizierten psychischen Erkrankung. Auch mir ist der soziale Kontakt zu meinen Freunden aber unheimlich wichtig (geworden in den letzten Jahren). Diese Situation ist für jeden eine Herausforderung, auch für mich (wenn auch natürlich nicht vergleichbar mit anderen Menschen: Die Summerschool in Südafrika einer Freundin von mir wurde abgesagt, mein Mitbewohner ist im Auslandssemester im Spanien und kann das aktuell natürlich nicht sonderlich genießen, Mitusern aus dem Forum hier werden ihre Urlaubspläne zunichte gemacht - und von den Herausforderungen für Menschen im Gesundheits- und Pflegebereich will ich gar nicht anfangen). Dessen muss ich mir in meiner Situation bewusst sein, das heißt aber natürlich nicht, dass die eigenen Sorgen und Nöte jeweils weniger wichtig sind.
Jeder ist einfach ganz individuell unterschiedlich betroffen und muss damit seinen Umgang finden - alleinstehenden Menschen kann 'social distancing' sicherlich mehr zusetzen, als solchen, die mit mehreren Familienmitgliedern zusammen oder in einer WG wohnen (leider komme ich mit meinem Zwischenmitbewohner überhaupt nicht klar, was natürlich ungünstig ist, wenn man demnächst aufeinander hocken könnte - tja). Für uns als Videospielliebhaber wiederum ist die Situation eventuell generell gesprochen sogar etwas besser auszuhalten als für Menschen, deren Hobbys meistens im Freien stattfinden.
Ich handhabe die Situation aktuell so: Obwohl das Infektionsrisiko in meiner Wohngegend, dem Ruhrgebiet, weiterhin sehr gering ist, verlasse ich meine Wohnung so wenig wie möglich, da ich momentan gut von zuhause arbeiten kann und einkaufstechnisch aus grundsätzlich gut ausgestattet bin. Diese Maßnahmen wären im konkreten Fall vielleicht gar nicht nötig, aber ich kann mit relativ geringem Aufwand dafür sorgen, das momentan auch noch so kleine Infektionsrisiko für mich und andere Menschen noch weiter zu senken (denn niemand kann mit absoluter Sicherheit sagen, ob er schon infiziert ist oder nicht - selbst bei einem negativen Test, es ist möglich, fünf Minuten nach der Abstrichnahme infiziert zu werden). Damit will ich keine Panik verbreiten, aktuell ist das Risiko wie gesagt noch verschwindend gering, dessen muss man sich aber stets bewusst sein. Und dann muss man in die Risikoabwägung gehen: Muss ich vor diesem Hintergrund trotzdem zur Arbeit gehen, oder kann ich etwas von zuhause aus tun? Muss ich trotzdem einkaufen, oder bin ich noch versorgt? Muss ich trotzdem im Freien unterwegs sein, weil mir sonst die Decke auf den Kopf fällt? Muss ich trotzdem Freunde treffen, oder reicht vielleicht auch ein Telefonat oder Videocall?
Und die Antwort auf all das kann momentan durchaus noch sein: "Ja, ich muss dafür meine Wohnung verlassen!". Das ist überhaupt kein Problem zu diesem Zeitpunkt. Ich bin beispielsweise täglich spazieren gegangen (und habe darauf geachtet, nicht zu husten bzw. meinen Mund zu öffnen und nichts anzufassen). Heute oder morgen werde ich auch mal wieder die Vorräte aufstocken müssen - dann aber eben auch eine Woche lang nicht mehr. Und wenn man Freunde treffen muss, dann muss man dies eben tun, solange es noch geht (man könnte sich falls möglich z.B. eine Bezugsperson aussuchen, mit der man sich dann regelmäßig trifft, und dafür mit anderen Freunden persönlichen Kontakt vermeiden).
Es geht schlussendlich aktuell und auch bei zukünftigen Maßnahmen wie der Ausgangssperre darum, Wahrscheinlichkeiten zu reduzieren, nicht darum, jede Person in ihrer eigenen Wohnung einzusperren. Auch wenn letzteres als ultimative letzte Maßnahme zur Reduktion der Infektionswahrscheinlichkeit möglich sein kann (siehe Wuhan) - ich glaube ganz persönlich nicht daran, dass es in Deutschland dazu kommen wird. Man sollte sich stets auch vor Augen halten: Wir alle haben einfach unfassbares Glück, hier leben zu können - mit einem trotz aller Probleme im weltweiten Vergleich hervorrangenden Gesundheitssystem. Wird schon schiefgehen.