Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

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Tal Rusha
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Tal Rusha »

Genau da sehe ich dann aber doch einen Unterschied, was ich in meinem letzten Absatz ausdrücken wollte: die von dir aufgezählten Lesarten können durchaus neutrale Interpretationen sein. Da bin ich grundsätzlich voll dabei, egal wie sehr eine Interpretation an den Haaren herbeigezogen ist.
Wenn man hingegen etwas rassistisch liest, schwingt gleichzeitig aber auch ein ganz gewaltiger Vorwurf mit. Ein Rassismusvorwurf ist ein scharfes Schwert, das man nicht durch solche Lappalien stumpf werden lassen sollte.
Rigolax
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Rigolax »

Vor allem stellt der Artikel beim BR ja die Frage: "Sollten wir den Herrn der Ringe canceln?", was da dann beantwortet wird mit "Nein, natürlich nicht. Es wäre ein Fehler [...]" und "Nur glorifizieren sollte man das alles heute nicht mehr". Also da wird der Film teilweise präventiv geschützt, im Grunde fast schon ein verkappter Dienst an der Kunstfreiheit. ;) So gesehen kann man den Artikel imho sogar so lesen, dass es laut dem Autor durchaus eine gewisse "cancel culture" gibt; ich seh das schon fast kritisch dahingehend. Warum sollte man denn einen Film bzw. eine Reihe quasi so präventiv exkulpieren wollen?

Die Überschrift ist aber auch wieder etwas aus der Hölle imho: "Warum wir gelassen damit umgehen sollten, dass Der Herr der Ringe rassistisch ist". Im Text selbst dann heißt es nur: "Und natürlich lese ich ihn deshalb auch strukturell rassistisch." Also per se "rassistisch" findet der Autor die Filme wohl auch nicht, glaub ich, nur eingeschränkt "strukturell rassistisch" und dann halt nur als eine (natürlich legitime) Lesart. Die Überschrift ist dagegen eine aggressiv wirkende Anmaßung bzw. wirkt es auf mich so, da ja so ziemlich deklariert wird, dass die Filme rassistisch sind; das könnte man als These verstehen, kommt bei mir aber nicht so an, Stichwort auch die viel geforderte (vermeintliche) Moral Clarity im Journalismus.

Ich vermute, da wurde redaktionell die Überschrift etwas 'gepimpt'. Also generell würde ich auch empfehlen, Überschriften oftmals nicht zu beachten bzw. nach dem Lesen des Artikels sich selbst eine neue zu konstruieren, lebt man gesünder mit. Fraglich imho jedoch, ob man sich gerade beim ÖRR solchen Überschriften bedienen sollte, die dann doch vielleicht eher polarisierend statt vermittelnd wirken; also ich kann's aus wirtschaftlichen Gründen und im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie verstehen, wenn zugespitzt wird, was ja aber für den ÖRR nur begrenzt relevant sein sollte (anders gesagt erwarte ich da höhere Standards).

Ansonsten meinte auf Twitter auch jemand, dass die Kritik nicht unbedingt neu sei:
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/ ... ageIndex_3 Bei der FAZ, 2003: "Daß diese Rasse [die Orks] nur da ist, damit sie möglichst spektakulär vernichtet werden kann, dieser synthetische Rassismus wirft nicht bloß moralische, sondern vor allem ästhetische Probleme auf. Sie sind keine Menschen, ihr Ende kümmert den Betrachter kaum. [...]". Eher neu ist imho diese mitschwingende Möglichkeit des Cancelns und die tatsächliche Verurteilung als konkrete Handlungsanweisung: "Nur glorifizieren sollte man das alles heute nicht mehr".

Übrigens ist es imho schon etwas privilegiert, wenn man auf Twitter verzichten kann. Man denke an die Leute, die irgendwas mit Medien machen, Journalismus, PR, Politik, Kundensupport etc. Also da kann man froh sein, wenn man sich nicht mit Twitter rumschlagen braucht beruflich.
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Dicker
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Dicker »

Gerade bei Herr der Ringe finde ich den Rassismus Vorwurf an den Haaren herbeigezogen. Klar, es sind nur weiße Männer. Aber wenn man als Grundlage für diese Fantasywelt ein Europa der Mittelalters nimmt, dann passt das wieder, dann spiegelt das nur die Realität damals wieder. Und Fantasywelten sind idR immer recht Eindimensional in ihrer Bevölkerungs- und Charakterzeichnung, in alle Richtungen. Zudem hat eine starke Durchmischung der Bevölkerung erst seit den großen Zuwanderungswellen im letzten Jahrhundert begonnen. Was stimmt, den Orient/Afrikavergleich kann man machen und diese Bevölkerungsgruppe schlägt sich ganz bewusst auf die Seite des Bösen. Tolkien hätte sie auch ohne Not für die Guten kämpfen lassen können. Aber beim Rest direkt von strukturellem Rassismus zu reden, erinnert mich etwas an die Debatte um Kingdom Come Deliveranz.

Und dann dieser Vergleich von "weiß ist gut, schwarz ist böse" mit der Hautfarbe. Warum muss man sowas direkt auf die Hautfarbe beziehen? Wer böses vorhat, zieht sich idR schwarz an, da er so schwieriger in der Nacht erkannt wird. Die Nacht ist schwarz und unheimlich und deshalb böse. Der Tag ist hell und wird positiv besetzt. Will sagen, es gibt neben dem Bezug zur Hautfarbe auch noch andere Gründe, warum weiß gut und schwarz böse ist (wäre mal interessant, ob in Afrika die Farbe weiß böse ist und schwarz gut).
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Terranigma
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Terranigma »

Tal Rusha hat geschrieben: 21. Mär 2021, 15:13Ein Rassismusvorwurf ist ein scharfes Schwert, das man nicht durch solche Lappalien stumpf werden lassen sollte.
Der Artikel schränkt dies ja allerdings selbst ein:
Das hört sich alles ziemlich schlimm an, ist es aber nicht. Der Soziologe Aladin El-Mafaalani argumentiert hier zum Beispiel, dass man strukturellen Rassismus überall finden wird, egal wo man sucht. Seitdem ich diesen Gedanken im Kopf habe, kann ich die Herr der Ringe-Filme auch rassistisch lesen. El-Mafaalani fordert deshalb, sich nicht zu sehr über den strukturellen Rassismus aufzuregen. Man wisse ja, dass er da war und da ist – also könne man sich stattdessen auch auf die Zukunft und die eigenen Handlungen konzentrieren. Und wenn ich mich während dem Filmschauen ständig frage, an welcher Stelle das nächste rassistische Klischee wohl kommen wird, würde das auch meinen Blick auf alles verstellen, was an den Filmen so großartig ist.
An der Stelle macht der Artikel für mein Verständnis deutlich, dass er den Herrn der Ringe nicht einen "Rassismusvorwurf" macht, sondern sagt, dass man den Herrn der Ringe rassistisch lesen kann. Und ja, das kann man. Und dass der Herr der Ringe - dessen Entstehungsgeschichte mit "Der Hobbit" wohl in den 30ern begann - in allerlei Hinsicht antiquiert ist, das dürfte nüchtern gesehen nicht überraschen. Es ist die Geschichte weißer Männer. Das meine ich völlig neutral, weil's das ist. Dies bedeutet nicht, dass es ein Problem sei. Ebenso kann man den Herrn der Ringe feministisch lesen und auf die Rolle von Frauen in der Geschichte in den Blick nehmen und konstantieren, dass es mächtige Frauen in der Handlung gibt, die Gefährten aber ausschließlich männlich. Auch dass kann man erst einmal ohne Wertung beobachten.

Ich denke der Artikel widerspricht sich diesbezüglich selbst bzw. ist sich gar nicht klar, was eigentlich seine Pointe ist. Er erhebt Aspekte zum Vorwurf und sagt jedoch zeitgleich, dass die Beobachtungen selbst aber kein Problem darstellen müssen. Stellt sie dann aber als Problem dar. Klingt für mich so, als wüsste der Autor selbst nicht genau, worauf er nun eigentlich hinauswill. Also ja, ich finde, man kann den Herrn der Ringe selbstverständlich rassistisch lesen. Das ist möglich. Und ich denke man kann diesbezüglich nüchtern festhalten, dass es halt'n Roman aus der ersten Hälfte des 20. Jhds. ist und entsprechende Merkmale aufweist. Ob dies aber ein Problem ist, ist damit nicht gesagt. Ich sehe darin keines. Und soweit ich den Autoren verstehe, ... ja, keine Ahnung, was er genau sagen will. :think:

Rigolax hat geschrieben: 21. Mär 2021, 16:09Übrigens ist es imho schon etwas privilegiert, wenn man auf Twitter verzichten kann. Man denke an die Leute, die irgendwas mit Medien machen, Journalismus, PR, Politik, Kundensupport etc. Also da kann man froh sein, wenn man sich nicht mit Twitter rumschlagen braucht beruflich.
"Priviligiert" empfinde ich als'n sehr großes Wort, weil die Mehrheit der Bevölkerung nicht irgendwas mit Medien macht. Ich nehme an, die meisten Menschen nutzen Soziale Medien in ihrer Freizeit, nicht beruflich. Und das eigene Freizeitverhalten obliegt ja einem selbst. Mag meine persönliche Bubble sein, aber in meinem Umfeld nutzt niemand so wirklich Twitter und Co und bekommt von all den virtuellen Säuen und virtuellen Shitstorms nichts mit. Aber klar, wenn man beruflich damit zu tun, dann bekommt man's wohl häufiger mit. Berufsrisiko. :D
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Rigolax »

Ich glaube, der zentrale Unterschied ist "rassistisch" vs. "strukturell rassistisch". Wie der zitierte Soziologe meint, könnte man "strukturellen Rassismus überall finden wird, egal wo man sucht", weil solche Filme wie LotR in einem System strukturellen Rassismus, unter "white supremacy" entstanden seien und damit quasi *an sich* (höchstwahrscheinlich) "strukturell rassistisch" geprägt seien. Also so verstehe ich den theoretischen Unterbau zumindest, kenne mich damit aber zugegeben nicht vollends aus (hab "White Fragility" mal gelesen, iirc geht das da auch in diese Richtung). Ich halte das nicht einmal für komplett absurd; in welcher Selbstverständlichkeit in LotR etwa keine "Nicht-Weißen" vorkommen auf Seite der Guten. Fragwürdig finde ich eher, mit welcher moralischen 'Klarheit' manchmal geurteilt wird in die Richtung.
Terranigma hat geschrieben: 21. Mär 2021, 16:35 "Priviligiert" empfinde ich als'n sehr großes Wort, weil die Mehrheit der Bevölkerung nicht irgendwas mit Medien macht. Ich nehme an, die meisten Menschen nutzen Soziale Medien in ihrer Freizeit, nicht beruflich. Und das eigene Freizeitverhalten obliegt ja einem selbst. Mag meine persönliche Bubble sein, aber in meinem Umfeld nutzt niemand so wirklich Twitter und Co und bekommt von all den virtuellen Säuen und virtuellen Shitstorms nichts mit. Aber klar, wenn man beruflich damit zu tun, dann bekommt man's wohl häufiger mit. Berufsrisiko. :D
"Priviligiert", weil man imho auf viele Arten privilegiert sein kann (wobei das schon ein großes Wort ist). Ich find's nur (ebenso) schwierig, Gruppen nach bestimmten Merkmalen pauschal Privilegien zuzuschreiben. Ist mir an sich etwas zu simplifiziert, wobei es dafür sicherlich auch Gründe gibt. Das war auch gedacht als Nachtreten gegen Twitter, also dass man schon privilegiert ist, nur wenn man da nicht faktisch sein muss aus beruflichen Gründen.
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Andre Peschke
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Andre Peschke »

Terranigma hat geschrieben: 21. Mär 2021, 16:35 "Priviligiert" empfinde ich als'n sehr großes Wort, weil die Mehrheit der Bevölkerung nicht irgendwas mit Medien macht. Ich nehme an, die meisten Menschen nutzen Soziale Medien in ihrer Freizeit, nicht beruflich. Und das eigene Freizeitverhalten obliegt ja einem selbst. Mag meine persönliche Bubble sein, aber in meinem Umfeld nutzt niemand so wirklich Twitter und Co und bekommt von all den virtuellen Säuen und virtuellen Shitstorms nichts mit. Aber klar, wenn man beruflich damit zu tun, dann bekommt man's wohl häufiger mit. Berufsrisiko. :D
Und sogar ich kann auf Twitter verzichten. Dabei mach ich was mit Medien. Yay!

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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Voigt »

Ist auch eine Sache Twitter beruflich begrenzt zu nutzen, daher vorgefertige Tweets zu verfassen und auf Kommentare zu reagieren. Das andere ist sich eine eigene Followerbasis aufbaun, sich mit anderen zu vernetzen, trending hashtages zu verfolgen, Zeug zu retweeten usw.
Das "muss" kaum eine Person machen, das ist alles freiwillig, weil man soziale Medien nutzen mag.
Wie gesagt ich nutze auch Twitter für Kundensupport und paar News von Paradox mitbekommen, das ist aber fernab von irgendwelchen Shitstorms mitzubekommen/mitmachen die im sozialen Twitter ablaufen.
Andreas29

Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Andreas29 »

Dicker hat geschrieben: 21. Mär 2021, 16:21 Und dann dieser Vergleich von "weiß ist gut, schwarz ist böse" mit der Hautfarbe. Warum muss man sowas direkt auf die Hautfarbe beziehen? Wer böses vorhat, zieht sich idR schwarz an, da er so schwieriger in der Nacht erkannt wird. Die Nacht ist schwarz und unheimlich und deshalb böse. Der Tag ist hell und wird positiv besetzt. Will sagen, es gibt neben dem Bezug zur Hautfarbe auch noch andere Gründe, warum weiß gut und schwarz böse ist (wäre mal interessant, ob in Afrika die Farbe weiß böse ist und schwarz gut).
Wir leben in einer Welt, in der Nivea eine Werbung zurück ziehen musste, weil sie ihre Creme mit "White is purity" beworben haben... was sich zweifellos natürlich einzig und allein auf die Creme bezieht. Geholfen hat es nichts; Shitstorm, Medienecho und weg war es.

Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, was man heutzutage alles identitätspolitisch besetzen kann.

https://www.horizont.net/marketing/nach ... fen-157186

Du hast natürlich vollkommen Recht, dass die negative Besetzung von Dunkelheit und Schwärze evolutionär bedingt ist und rein gar nichts mit der Hautfarbe zu tun hat.´

Sich darüber zu beschweren, dass man gegenüber Orks rassistisch sei ist etwa auf dem Niveau den Gebrüdern Grimm vorzuwerfen dem bösen Wolf in Rotkäppchens-Geschichte keinen mehrdimensionalen Charakter gegeben zu haben.
Der Herr der Ringe ist ein schablonenhaftes Märchen, dass viele Archetypen verwendet und muss auch in diesem Kontext gesehen werden.
Warum die Figuren darin und in der meisten Fantasy weiß sind wurde auch schon rauf und runter diskutiert: Fantasy orientiert sich am europäischen Mittelalter. Das muss nicht zwingend so sein, aber die meiste Fantasy tut es (bisher). Und die meisten Autoren von Fantasy sind weiß.
Dazu George R. R. Martin, der (natürlich) auch des Rassismus und Sexismus beschuldigt wurde:
https://www.youtube.com/watch?v=y0yRfzTfmwM
Ich finde, dass er sehr gut reflektiert.

Herr der Ringe wurde allerdings tatsächlich schon von italienischen Faschisten missbraucht:
https://www.atlasobscura.com/articles/h ... cism-italy

Aber da gilt das gleiche wie bei Religionen: Die Menschen ziehen sich das daraus, was sie brauchen um ihre eigene Ideologie zu untermauern.

Das Ganze wird sich hoffentlich irgendwann einpendeln. Es ist eigentlich ganz natürlich, dass man nach der breiten Erkenntnis, dass man tatsächlich in einer rassistischen und sexistischen Welt gelebt hat und lebt, die Gegenbewegung etwas überschießt und in allem und jedem Rassismus und Sexismus erkennt. Wir leben jetzt gerade in einer Übergangsphase, in der einfach alles hinterfragt und abgeklopft wird.
Irgendwann wird man sich schon darauf einigen, dass man die Vergangenheit nicht löschen kann und damit umgehen muss, dass Kunst und Kultur nicht immer dem aktuellen Stand des Zeitgeists entsprechen.
Rigolax
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Rigolax »

Voigt hat geschrieben: 21. Mär 2021, 17:06 Ist auch eine Sache Twitter beruflich begrenzt zu nutzen, daher vorgefertige Tweets zu verfassen und auf Kommentare zu reagieren. Das andere ist sich eine eigene Followerbasis aufbaun, sich mit anderen zu vernetzen, trending hashtages zu verfolgen, Zeug zu retweeten usw.
Das "muss" kaum eine Person machen, das ist alles freiwillig, weil man soziale Medien nutzen mag.
Glaub, dass das in manchen Bereichen kaum mehr nicht möglich ist, gerade im Journalismus, jedenfalls nicht ohne gewisse Verluste, Stichwort Networking. Das ist in etwa so auch wie YouTube, wo man als Bewegtbild-Creator auch nur schwer dran vorbei kommt und YouTube als Firma ist auch ziemlich übel. Ich mein nur, man sollte die Relevanz von Twitter nicht unterschätzen. Ich sehe da manchmal, dass Personen mit größerer Reichweite Twitter eigentlich gar nicht mögen laut eigener Aussage, aber da nicht dran vorbeikommen.
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Dicker
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Dicker »

Eben gelesen:
Schon am Samstag hatte es bei den Grünen Ärger um Identitätsfragen gegeben. Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin für die Wahl zum Abgeordnetenhaus, beantwortete die Frage nach ihrem Berufswunsch als Kind mit dem Wort „Indianerhäuptling“. Später entschuldigte sie sich – offenbar hatten einige Parteianhänger die Aussage als anstößig und unangebracht empfunden. Jarasch sprach von „unreflektierten Kindheitserinnerungen“ und gelobte „dazuzulernen“.
https://www.welt.de/politik/deutschland ... ichte.html

Da übertreibt man es mal wieder. Selbst wenn man solche Stereotype ablehnt, muss man jemandem bei der Frage nach der Berufswunsch als Kind doch zugestehen auch solche Antworten geben zu können. Man ist als Kind ja von seiner Umgebung geprägt. Das jemandem jetzt zum Vorwurf zu machen, anstatt es als Diskussionspunkt für eine kritische Auseinandersetzung zu bereifen, zeigt, dass es nicht mehr um die Sache geht.
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Rigolax »

Dicker hat geschrieben: 21. Mär 2021, 19:11
Schon am Samstag hatte es bei den Grünen Ärger um Identitätsfragen gegeben. Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin für die Wahl zum Abgeordnetenhaus, beantwortete die Frage nach ihrem Berufswunsch als Kind mit dem Wort „Indianerhäuptling“. Später entschuldigte sie sich – offenbar hatten einige Parteianhänger die Aussage als anstößig und unangebracht empfunden. Jarasch sprach von „unreflektierten Kindheitserinnerungen“ und gelobte „dazuzulernen“.
https://www.welt.de/politik/deutschland ... ichte.html
Scheint so, dass es da nicht um den "Berufswunsch" an sich ging, sondern um das Wort "Indianer". Vgl.: https://twitter.com/JuliusBetschka/stat ... 4072910848 "An dem Wort störten sich Einzelne in der Partei."

Bin mir nicht sicher, vermute aber, dass sich diese paar Personen nicht gestört hätten, wenn sie (denkbar unauthentisch) "Häuptling bei den Native Americans" gesagt hätte.

"Indianer" gilt ja zunehmend als Tabu-Wort, wird teils mit "I-Wort" abgekürzt, wie hier bei der Debatte um die deutsche Synchro von "Kevin - Allein in New York": https://www.stern.de/kultur/tv/netflix- ... 04698.html In den USA wurden auch sechs Bücher von Dr. Seuss durch sein Estate vor kurzem aus dem Verkehr gezogen; eines, soweit ich weiß, ausschließlich wegen der Benutzung des Worts "Eskimo".
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Dicker
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Dicker »

Ah, OK. Danke für die Info.
Aber sorry, ich komm da echt nicht mehr mit, welche Begriffe wen jetzt verletzten. Das geht alles zu schnell, als dass sich das jemand merken könnte.
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Rince81 »

Die Diskussion um den Begriff geht schon über mehrere Jahrzehnte.
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Rigolax »

"I-Wort" ist aber relativ neu, jedenfalls diese Art der Tabuisierung, denke ich. Dass der Begriff "Indianer" früher kritisiert wurde, ist sicher korrekt.

Glaub auch, die haben das im Artikel bei Welt selbst nicht verstanden, also was da nun für manche problematisch war. Würde Welt auch nicht als Quelle für das Thema empfehlen, jedenfalls nicht ohne Weiteres, sind meinem Eindruck nach da öfter mal daneben. :ugly:
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Dicker
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Dicker »

An dem Beispiel merkt man halt gut, dass der Diskurs mittlerweile auf verschiedenen Ebenen stattfindet und Leute, die nicht tief genug mit den Details vertraut sind, da leicht die falschen Schlüsse ziehen können. Was wiederum den anderen zu denken geben sollte, da man offensichtlich einen Großteil der Bevölkerung nicht abholen kann.
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Rince81 »

Rigolax hat geschrieben: 21. Mär 2021, 20:54 Würde Welt auch nicht als Quelle für das Thema empfehlen, jedenfalls nicht ohne Weiteres, sind meinem Eindruck nach da öfter mal daneben. :ugly:
Ersetze öfter durch immer und es passt. ;)
"I-Wort" ist aber relativ neu, jedenfalls diese Art der Tabuisierung, denke ich.
Tagesspiegel von vor vier Jahren. Ist also auch nicht so neu die Bezeichnung, wobei ich I-Wort ziemlich beknackt finde, der Begriff ist zwar eine Fremdbezeichnung und es gibt bessere, er ist im deutschen nicht abwertend gemeint und nicht entsprechend vorbelastet.
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Voigt »

Passend zu dem Thema Indianer, oder im Englischen Indians ein Video von CGP Grey: https://www.youtube.com/watch?v=kh88fVP2FWQ
Für ein Projekt war er in verschiedenen Reservarten und hat mit den Leuten da geredet, und auch darüber geredet wie er die am besten in seinen Videso bezeichnen sollte, was die sich wünschen. Und Indians kam am besten weg, auch wenn der Ursprung natürlich historisch schlimm ist.
ZiggyStardust
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von ZiggyStardust »

Rigolax hat geschrieben: 21. Mär 2021, 19:34
Dicker hat geschrieben: 21. Mär 2021, 19:11
Schon am Samstag hatte es bei den Grünen Ärger um Identitätsfragen gegeben. Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin für die Wahl zum Abgeordnetenhaus, beantwortete die Frage nach ihrem Berufswunsch als Kind mit dem Wort „Indianerhäuptling“. Später entschuldigte sie sich – offenbar hatten einige Parteianhänger die Aussage als anstößig und unangebracht empfunden. Jarasch sprach von „unreflektierten Kindheitserinnerungen“ und gelobte „dazuzulernen“.
https://www.welt.de/politik/deutschland ... ichte.html
Scheint so, dass es da nicht um den "Berufswunsch" an sich ging, sondern um das Wort "Indianer". Vgl.: https://twitter.com/JuliusBetschka/stat ... 4072910848 "An dem Wort störten sich Einzelne in der Partei."

Bin mir nicht sicher, vermute aber, dass sich diese paar Personen nicht gestört hätten, wenn sie (denkbar unauthentisch) "Häuptling bei den Native Americans" gesagt hätte.

"Indianer" gilt ja zunehmend als Tabu-Wort, wird teils mit "I-Wort" abgekürzt, wie hier bei der Debatte um die deutsche Synchro von "Kevin - Allein in New York": https://www.stern.de/kultur/tv/netflix- ... 04698.html In den USA wurden auch sechs Bücher von Dr. Seuss durch sein Estate vor kurzem aus dem Verkehr gezogen; eines, soweit ich weiß, ausschließlich wegen der Benutzung des Worts "Eskimo".
Bei dem N-Wort und Z-Wort kann ich die Kritik nachvollziehen, aber gibt es in Deutschland Native Americans, die als Indianer beleidigt werden? Stellt der Begriff nicht eher die Europäer in ein schlechtes Licht? Zwischen Indien und den USA liegen ja doch recht viele Seemeilen und das einfach mal für Jahre zu glauben ist ziemlich peinlich. Ist ja nicht so, dass es im Vorfeld keine Zweifel an dem Plan von Columbus gab.
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von IpsilonZ »

ZiggyStardust hat geschrieben: 22. Mär 2021, 00:24
Rigolax hat geschrieben: 21. Mär 2021, 19:34
Scheint so, dass es da nicht um den "Berufswunsch" an sich ging, sondern um das Wort "Indianer". Vgl.: https://twitter.com/JuliusBetschka/stat ... 4072910848 "An dem Wort störten sich Einzelne in der Partei."

Bin mir nicht sicher, vermute aber, dass sich diese paar Personen nicht gestört hätten, wenn sie (denkbar unauthentisch) "Häuptling bei den Native Americans" gesagt hätte.

"Indianer" gilt ja zunehmend als Tabu-Wort, wird teils mit "I-Wort" abgekürzt, wie hier bei der Debatte um die deutsche Synchro von "Kevin - Allein in New York": https://www.stern.de/kultur/tv/netflix- ... 04698.html In den USA wurden auch sechs Bücher von Dr. Seuss durch sein Estate vor kurzem aus dem Verkehr gezogen; eines, soweit ich weiß, ausschließlich wegen der Benutzung des Worts "Eskimo".
Bei dem N-Wort und Z-Wort kann ich die Kritik nachvollziehen, aber gibt es in Deutschland Native Americans, die als Indianer beleidigt werden? Stellt der Begriff nicht eher die Europäer in ein schlechtes Licht? Zwischen Indien und den USA liegen ja doch recht viele Seemeilen und das einfach mal für Jahre zu glauben ist ziemlich peinlich. Ist ja nicht so, dass es im Vorfeld keine Zweifel an dem Plan von Columbus gab.
Sicher lässt der Begriff die Europäer dumm aussehen. Aber es zeigt eben auch wie unfassbar egal es den Leuten ist, was den amerikanischen Ureinwohner:innen angetan wurde und wer sie überhaupt sind. Für die einen ist es ne witzige, vielleicht etwas peinliche Anekdote. Für die anderen ein Symbol dessen wie egal man denen ist die einem vor Jahrhunderten die Heimat geraubt haben.
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Leonard Zelig
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Leonard Zelig »

IpsilonZ hat geschrieben: 22. Mär 2021, 12:54
ZiggyStardust hat geschrieben: 22. Mär 2021, 00:24
Rigolax hat geschrieben: 21. Mär 2021, 19:34

Scheint so, dass es da nicht um den "Berufswunsch" an sich ging, sondern um das Wort "Indianer". Vgl.: https://twitter.com/JuliusBetschka/stat ... 4072910848 "An dem Wort störten sich Einzelne in der Partei."

Bin mir nicht sicher, vermute aber, dass sich diese paar Personen nicht gestört hätten, wenn sie (denkbar unauthentisch) "Häuptling bei den Native Americans" gesagt hätte.

"Indianer" gilt ja zunehmend als Tabu-Wort, wird teils mit "I-Wort" abgekürzt, wie hier bei der Debatte um die deutsche Synchro von "Kevin - Allein in New York": https://www.stern.de/kultur/tv/netflix- ... 04698.html In den USA wurden auch sechs Bücher von Dr. Seuss durch sein Estate vor kurzem aus dem Verkehr gezogen; eines, soweit ich weiß, ausschließlich wegen der Benutzung des Worts "Eskimo".
Bei dem N-Wort und Z-Wort kann ich die Kritik nachvollziehen, aber gibt es in Deutschland Native Americans, die als Indianer beleidigt werden? Stellt der Begriff nicht eher die Europäer in ein schlechtes Licht? Zwischen Indien und den USA liegen ja doch recht viele Seemeilen und das einfach mal für Jahre zu glauben ist ziemlich peinlich. Ist ja nicht so, dass es im Vorfeld keine Zweifel an dem Plan von Columbus gab.
Sicher lässt der Begriff die Europäer dumm aussehen. Aber es zeigt eben auch wie unfassbar egal es den Leuten ist, was den amerikanischen Ureinwohner:innen angetan wurde und wer sie überhaupt sind. Für die einen ist es ne witzige, vielleicht etwas peinliche Anekdote. Für die anderen ein Symbol dessen wie egal man denen ist die einem vor Jahrhunderten die Heimat geraubt haben.
Und das kann man am Namen festmachen? Die Europäer haben die Menschen auf anderen Kontinenten nicht viel besser behandelt. Immerhin ist die Geschichte der amerikanischen Ureinwohner und der Verbrechen gegen sie recht präsent in der deutschen Allgemeinbildung. Dass die Belgier Ende des 19. Jahrhunderts zehn Millionen Kongolesen ermordet haben und dort über 300 Jahre ein Königreich existierte zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert ist hingegen nur wenigen Deutschen bekannt. Trotzdem stehen überall in Belgien noch Statuen von Königs Leopold II., der verantwortlich für den Genozid war. Auch die Franzosen haben in Afrika viel schlimmer gewütet als in Nordamerika.

Der Begriff Amerika wurde übrigens vom Vornamen des Italieners Amerigo Vespucci abgeleitet, der die Amazonasmündung als erster Europäer entdeckte. Er ist also auch keine Eigenbezeichnung der dortigen Menschen.
"The whole problem with the world is that fools and fanatics are always so certain of themselves, but wiser people so full of doubts."

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