Die von Dir vorgeschlagene Lesart ist ja legitim, vor allem aus heutiger Sicht. Wie kann man denn ne hübsche Frau und Kinder zurücklassen um elendig im Aschesee zu verrecken?
Aber da liegt meines Erachtens auch der Knackpunkt. Diese Lesart enthält quasi das Lehrbuchspiel eines Cultural Bias. Wir schauen mit den Normen und Werten unserer Kultur auf diese fremde Kultur und werten sie entsprechend. Die Begriffe "Wahn" und "toxisch" sind da sehr schöne Beispiele. Für uns ist es wahnhaft sich so destruktiv in Rache zu versteigern. Für Amleth und die dargestellte Kultur sind diese wahnhaften Dinge aber wahrscheinlich Werte, Standards für Verhalten und Handlungsleitend. Das zieht sich durch den ganzen Film imo, bspw der Wert, als Mann eben im Kampf zu sterben und nicht einfach friedlich in hohem Alter, etwas was Amleth's Vater schon verachtungsvoll ausdrückt.
Nach allem was ich nach dem Film noch gelesen habe, scheint es ein Hauptanliegen des Regisseurs gewesen zu sein, gerade diese andere kulturelle (Werte-)Ebene schonungslos darzustellen. Hatte Christoph nicht sogar was in der Art geschrieben, dass, wer heutige Moralstandards an den Film anlegt, zwangsläufig vor den Kopf gestoßen sein wird? Das fasst es super zusammen (und erklärt auch die Leute die meinen KInosaal verliessen, lol).
Mich fasziniert an dem Film genau das - zum einen der Mut des REgisseurs, dieses sperrige Vorhaben auch schonungslos durchzudeklinieren, sowie die Kultur um die es geht, mit Blutopfern, Odin, Männlichkeitswahn, und allem drum und dran...
Heißt natürlich auf keinsten dass man nicht auch die heutige Wertebene anlegen kann. Cultural bias ist ja nun auch was Natürliches und nicht per se verdammenswert. Er lehrt uns ja was, und wenn nur die Unterschiede die es zu beachten gälte.