Ach,Leute, es juckt zu sehr in den Fingern...
The 800
2020; Regisseur: Guan Hu; Darsteller: Wang Qian-Yuan, Zhang Yi, Jiang Wu; Genre: Kriegsaction
1937 befindet sich China mit Japan im Krieg. Die chinesische Armee ist auf dem Rückzug und droht nach schweren Verlusten den Konflikt zu verlieren. Um das strategisch wichtige Shanghai zu halten, besetzt eine Kompanie ein großes Lagerhaus vor der Stadtgrenze. Die Stadt selbst ist ein auf internationaler Ebene ausgehandelter neutraler Boden und darf weder von den Japanern angegriffen noch als Rückzugsort für die chinesischen Truppen genutzt werden. Aufgrund eines großen Treibstofflagers kann man das Lagerhaus nicht mit Artillerie oder aus der Luft angreifen. So kommt es zu einem erbitterten Verteidigungskampf gegen eine Übermacht, während auf der anderen Seite Zivilisten und die internationale Presse zuschauen.
"The 800" ist mit einem Einspielergebnis von 460 Mio. Dollar der erfolgreichste Film des Jahres 2020. Er konnte im von Corona geplagten Kinojahr 100 Mio. Dollar mehr einspielen als der im Westen profilierteste Start "Tenet". Fast die gesamten Einnahmen wurden natürlich in China selbst generiert, wo die Lichtspielhäuser unter weit weniger bis kaum Restriktionen zu leiden hatten.
Wie umgehen mit einem Propagandafilm? Das ist die große Frage, die sich jemandem stellt, wenn er dieses Werk reviewen will. Ansätze einer zumindest an einigen Stellen kritischen Auseinandersetzung des Konflikts wurden von der Zensurbehörde glattgebügelt. Es mussten mehrere Szenen entfernt werden, weil sie der Kommunistischen Partei nicht passten. Da hier mit der "Republik China" ein anderes System als die heutige "VR China" abgebildet wird, soll möglichst der Eindruck entstehen, dass es um das Land generell geht. So mussten Sequenzen entfernt werden, in der das Vorgängersystem "zu positiv" dargestellt wird. So wurden einem sowieso schon nicht besonders kritischem Werk die letzten Kanten abgeschliffen.
Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage muss wohl lauten, dass man ihn auf zwei Ebenen betrachten muss: Einmal auf einer inszenatorischen und dann auf einer inhaltlichen.
Die Inszenierung muss man als ziemlich großartig bezeichnen. Mit riesigem Aufwand ist hier ein handwerklich einwandfreies, spannendes und schonungsloses Schlachtengemälde gelungen, das teilweise atemberaubende Actionsequenzen bietet. Atmosphärisch wird eine große Dichte erreicht, denn durch die räumliche Komponente wird ein beengtes Gefühl erzeugt – auch wenn das Gebäude wirklich sehr groß ist. Beklemmung wird hier auch durch das wuchtige Sounddesign erzeugt, bei dem man oft das Gefühl hat die Kugeln würden einem wirklich um die Ohren fliegen... oder eine Druckwelle von einer Explosionen würde einen erfassen und vom Bildschirm wegfegen. Man fühlt sich mit den handelnden Personen eingeschlossen in dieser Hölle, in der es jeden Moment vorbei sein kann und man mit seinen Gedärmen in der Hand in seinem Blut elendig verreckt. Auf dieser Ebene kann man "The 800" nicht vorwerfen irgendetwas zu idealisieren oder zu verharmlosen. Das ist knüppelhart und nichts für schwache Nerven.
In riesigen und zum größten Teil echt gebauten Sets tummeln sich etliche Statisten. Dabei gibt es immer wieder spektakuläre Kameraeinstellungen und komplizierte Choreografien. Man kann hier definitiv mit den meisten westlichen Kriegsfilmen der letzten Jahre locker mithalten und meiner Meinung nach sogar so manchen Vertreter bei der Intensität deutlich übertreffen. Natürlich ist diese Situation einer kleinen Gruppe entschlossener Männer, die einen übermächtigen Feind abwehren müssen, ein erprobtes Szenario, das grundsätzlich Spannung und Fallhöhe erzeugt – und man ist ganz automatisch auf Seiten des Underdogs. Langeweile kommt durch das gute Pacing, bei dem sich immer Aufregung und Beruhigung in den richtigen Dosen abwechseln, über die stolzen 150 Minuten nie auf.
Charaktere berücksichtigt man dabei leider kaum. Man folgt grob der Geschichte einer kleinen Truppe, die eigentlich desertieren möchte, sich dann aber gezwungenermaßen der Kompanie anschließen muss, die das Lagerhaus verteidigen soll. Hier begleitet man dann noch mal speziell einen jungen Mann und seinem noch jüngeren Bruder, der eigentlich noch ein Kind ist. Emotionen werden aber hauptsächlich dadurch erzeugt, dass diese Vorkommnisse einfach generell erschütternd sind, weil sie sich als so erbarmungslos und lebensfeindlich darstellen.
Um zu der problematischen zweiten Ebene zu kommen, sollen allerdings auch vor allem Emotionen damit geweckt werden, dass das hier Helden des Vaterlandes sind, die es zu verehren gilt. Das will man mit heroischer und getragener Musik, sehr viel Pathos und glorifizierter Opferbereitschaft erreichen. Spätestens an dieser Stelle wird einem klar, dass diese schonungslose Inszenierung nicht dazu dient den Schrecken des Krieges darzustellen, sondern vor allem dazu da ist, das Leid dieser Helden zu zeichnen.
Es gibt immer wieder Szenen, die einem so ein bisschen die Kotze hochsteigen lassen. In einer binden sich zu anschwellendem Score Soldaten Granaten und Sprengsätze um und springen in japanische Truppen hinein. An einer Stelle gilt es die chinesische Flagge auf dem Dach zu hissen und bei dieser Aktion sterben etliche Soldaten – wegen eines Stücks Stoff. Wie mir das gezeigt wird, lässt aber keinen Raum zur Interpretation: Ich soll das richtig finden, ich soll das gut finden und ich soll diese Soldaten und die, die sie dazu befehligt haben, dafür feiern und ehren. Dann als letztlich gesagt wird, dass das "die wahren Chinesen" seien, möchte man eigentlich spätestens abbrechen. Man kann aber nicht, weil es eben so gut inszeniert ist. Ich gebe offen zu, dass der Film am Ende zumindest bei mir aufgrund des Zusammenspiels der Bilder, der Musik und der Situation wirklich zu Gänsehaut geführt hat. Obwohl ich dem ganzen kritisch gegenüber stehe und ich das hinterfrage, ist in mir etwas passiert. Man mag sich also leider nicht wirklich ausmalen wollen, wie effektiv "The 800" wohl als Propagandawerk funktioniert.
Aus handwerklicher Sicht ist das verehrenswert - was man aussagen will verachtenswert. Wer mit dieser Dissonanz leben kann, ist hier an der richtigen Adresse.
Und hier der Disclaimer, dass ich mit westlichen Vertretern natürlich genauso hart ins Gericht gehen würde. Unsere amerikanischen Freunde machen sowas nämlich auch alle Nase lang. "Hacksaw Ridge", "13 Hours" und "American Sniper" und viele andere ähnliche Vertreter boykottiere ich bisher standhaft, obwohl die zum Teil sehr gute Kritiken haben.
3,5 von 5 Sternen
https://letterboxd.com/film/the-eight-hundred/
Trailer:
https://www.youtube.com/watch?v=BbI5IypEBfo