Im Keller
2014; Regisseur: Ulrich Seidl; Genre: Dokumentation/Groteske
Nach den Fällen von Natascha Kampusch, die 8 Jahre von einem Mann in einem Keller festgehalten und misshandelt wurde und Josef Fritzl, der seine Tochter 24 Jahre festhielt und mit ihr 7(!) Kinder zeugte, gab es viele sehr geschmacklose Witze darüber, was denn so in österreichischen Kellern vor sich geht. Diese Frage hat sich auch der Filmemacher Ulrich Seidl gestellt und ist dem in dieser "Dokumentation" (warum ich das in Anführungszeichen setze, erfährt man im weiteren Verlauf) auf den Grund gegangen. Sehr hochwertig gefilmt und mit interessanten, oft symmetrischen Kameraeinstellungen und Bildkompositionen verfolgen wir ohne großen Zusammenhang mehrere Menschen bei ihren Tätigkeiten im Keller: Eine Frau, die dort mit Babypuppen spricht und sie so behandelt, als seinen sie echt; eine Frau, die ihren Mann als Sexsklaven hält; einen Opern singenden Schießstandbesitzer; einen Blasmusiker, der seinen ganzen Keller mit nationalsozialistischen Devotionalien eingerichtet hat... und so weiter und so fort.
Hier ist auch mein größter Kritikpunkt, denn der Film konzentriert sich fast ausschließlich auf absolute Extremfälle. Das ist sehr boulevardesk, auch wenn es in einem sehr künstlerischen Rahmen präsentiert wird. Dass es hier mehr um den Knalleffekt, den Skandal, die Empörung geht sieht man besonders dann, wenn die Abschnitte in denen man sexuelle Dinge beobachtet, gerne mal sehr explizite Darstellungen zeigen.
Und hier stellt man sich die Frage, was jetzt von mir als Zuschauer verlangt wird. Soll ich darüber lachen? Schließlich sind das hier Menschen, die nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprechen und das was sie machen, ist – zumindest wenn man ein gut behütetes Leben hatte und hat – ziemlich skurril. Soll ich mich ekeln? Empören? Bei mir überwog eher die Anerkennung, dass man sich so vor der Kamera zeigt.
Eine "Dokumentation" in dem Sinne, das wirklich mal herausgefunden werden soll, wie der Österreicher so im stillen Kämmerlein tickt, ist das nicht. Eigentlich wird hier nur ein Kuriositätenkabinett des Extremen präsentiert. Solche Menschen, die hier gezeigt werden existieren natürlich, aber sie sind keinesfalls repräsentativ. Ansonsten wäre der Film allerdings wahrscheinlich auch ziemlich langweilig, aber darunter darf die Ergebnisoffenheit einer Dokumentation meiner Meinung nach nicht leiden. Wenn ich feststelle, dass sich meine These nicht bestätigt oder es langweilig wird, muss ich den Schneid haben das Projekt zu beenden. Aber das scheint ja auch gar nicht der Anspruch gewesen zu sein.
Und Seidl inszeniert auch auf formaler Ebene zu viel. In langen Einstellungen starren mich immer mal wieder die gezeigten Menschen über 30 Sekunden bis zu einer Minute mit neutralem Gesichtsausdruck an. Das ist natürlich kein normales Verhalten und es gab hier eine Regieanweisung. Die Intention ist klar: Ich soll Nähe zu den Protagonisten aufbauen - oder auch eben hier über sie lachen. Weil manche so grimmig dreinschauen, dass man Angst bekommt. Wie soll es denn auch anders sein, denn keiner von ihnen ist ausgebildeter Schauspieler, was man bei manchen an unsicheren Augenbewegungen merkt und man sich fast fremdschämt. Und auch so hat man immer wieder den Eindruck, dass Seidl ihnen gesagt hat, dass sie die Dinge tun sollen, die er für möglichst absurd hält.
Jetzt kann man den ganz großen Interpretationsmotor anwerfen und sagen, dass "Im Keller" die Botschaft sendet, die Gesellschaft wäre zu verklemmt und deswegen müssten diese Menschen in den Keller flüchten, um ihren Bedürfnissen und Hobbys nachzugehen, wenn diese nicht der Norm entsprechen. Und dadurch, dass sie dort im Verborgenen passieren, werden sie immer extremer und deswegen kommt es auch immer wieder dazu, dass es solche eingangs erwähnten Verbrechen gibt. Das kann man sicherlich machen, aber das ist mir dann alles viel zu einseitig, denn hier wird eben nur das Extreme gezeigt.
Der Film ist für mich weniger Dokumentation als viel mehr eine Farce oder Groteske, zwar mit echten "Darstellern", aber hier hat ein Regisseur seine Vision verwirklicht und war an Aufklärung und Beobachtung relativ wenig interessiert. Das ist trotzdem natürlich unterhaltsam, weil egal mit wie viel Anspruch man an eine solche Sache herangeht: Das Befriedigen niederer Instinkte funktioniert eben trotzdem. Und es gibt auch seltsam ehrliche Momente, wie z.B. ein kleiner schmächtiger Mann, der ganz stolz von sich erzählt wie hart er ejakulieren kann und er damit die Frauenwelt beglückt. Das hört sich als Erzählung jetzt etwas eigenartig an, aber das fand ich irgendwie so erfrischend unironisch ehrlich.
An ein paar Stellen hätten Untertitel nicht geschadet, die ich leider nicht aktivieren konnte. Den österreichischen Dialekt versteht man im Großen und Ganzen, aber der ein oder andere hat dann doch einen etwas zu harten.
"Im Keller" hatte übrigens reale Folgen, denn der Mann mit seinen NS-Devotionalien wurde angeklagt und seine Sammlung wurde konfisziert. Wobei man sich nicht nur, aber gerade bei ihm denkt, was sich so mancher gedacht hat sich hier so öffentlich zu zeigen - mit Gesicht und Namen. Die haben ja auch Kinder, Verwandte, Nachbarn, Bekannte und Arbeitskollegen und Arbeitgeber . Mich würde interessieren, wie es denen im Nachhinein so ergangen ist.
3 von 5 Sternen
https://letterboxd.com/film/in-the-basement/
Trailer:
https://www.youtube.com/watch?v=SSdJ6h-QEEU
Ghibli der Woche:
Das Königreich der Katzen
2002; Regisseur: Hiroyuki Morita; SprecherInnen: Chizuru Ikewaki, Yoshihiko Hakamada, Aki Maeda; Genre: Anime
Haru ist ein etwas tollpatschiges und verpeiltes Mädchen. Als sie eines Tages von der Schule mit einer Freundin nach Hause geht, rettet sie eine Katze davor von einem LKW überfahren zu werden. Sie macht große Augen, als diese sich dann vor ihr verbeugt und sich bedankt. In der Nacht darauf steht plötzlich der König der Katzen vor ihrem Haus, der sich bei ihr erkenntlich zeigen will, weil sie seinen Sohn den Prinzen gerettet hat.
Am nächsten Tag bekommt sie nochmal Besuch von einer Katze, die ihr eröffnet, dass der König sie bittet in sein Reich zu kommen. Dort soll sie seinen Sohn heiraten. Haru weiß nicht so recht, was sie davon halten soll und ist überrumpelt, beschließt aber die Reise anzutreten.
Der erste Film von Ghibli nach "Chihiros Reise ins Zauberland" ist leider nur eine Fingerübung. Das ist immer noch gut, aber nichts im Vergleich zu den großen Klassikern des Studios. Der Standard mit seinen wunderschönen Zeichnungen, detaillierten Animationen, eingängigem und stellenweise emotionalen Soundtrack und schrägen Chrakteren wird natürlich nicht unterlaufen. Auch Haru als Hauptcharakter ist wirklich sympathisch und sorgt stellenweise für gute Lacher. Die Geschichte allerdings ist wirklich sehr simpel und die typische "Moral von der Geschichte" bzw. die Entwicklung der Hauptfigur, die am Ende passieren muss, fand ich dieses mal wirklich wenig zwingend und kaum nachvollziehbar - fast ein wenig platt. Außerdem wirkt alles so klein und insignifikant. Es muss ja nicht immer Epik und Bombast sein, aber man kann auch im Kleinen eine große Geschichte erzählen, was "Das Königreich der Katzen" leider nicht tut. So konnte mich das auch nicht emotional abholen. Ich hätte auch gerne viel mehr über diese Welt der Katzen erfahren, denn gute Fantasy bietet auch immer Mythologie für das World Building oder schafft es mit wenigen Mitteln viel mehr zu implizieren. Leider nimmt man sich aber nur 75 Minuten Zeit ein sehr flaches und holzschnittartiges Märchen zu erzählen.
Kein schlechter Film. Dennoch hat sich Ghibli eben ein Ruf erarbeitet, bei dem man mehr erwartet.
3 von 5 Sternen
https://letterboxd.com/film/the-cat-returns/
Trailer:
https://www.youtube.com/watch?v=Gp-H_YOcYTM