Beasts of the Southern Wild
2012; Regisseur: Benh Zeitlin; Darsteller_Innen: Quvenzhané Wallis, Dwight Henry, Levy Easterly; Genre: Drama
Das kleine Mädchen Hushpuppy lebt mit ihrem trinkenden und aufbrausenden Vater in "Bathtub". Das ist eine Art Insel im Sumpfland von Louisiana, die vor einem großen Damm liegt, der das Festland vor steigendem Wasser schützt. Das Leben ist bestimmt von Armut und dem großen Zusammenhalt der Bewohner. Hushpuppy hat die Welt hinter dem Schutzwall nie gesehen und fragt sich, wie es dort wohl sein mag. Sie wünscht sich ihre Mutter zu sehen, deren Schicksal sie nicht kennt. Eines Tages zieht ein Sturm auf und das Dorf aus notdürftig zusammengeschusterten Hütten auf Stelzen wird überschmemmt und teilweise zerstört.
Mit nur 1,8 Millionen Dollar Budget und Laiendarstellern ist hier ein beeindruckendes Drama verfilmt worden. Im Jahr seines Erscheinens 2012 wurde es von Kritikern hoch gelobt, gewann unzählige Preise und wurde für vier Oscars nominiert. Die Academy schlug den Film für "Best Picture", "Best Director", "Best Adapted Screenplay" und "Best Actress in a Leading Role" vor. Letzteres war eine Sensation, denn Quvenzhané Wallis war lediglich neun Jahre alt und damit die jüngste Nominierte aller Zeiten in dieser Kategorie und die drittjüngste Nominierte überhaupt. Gewinnen konnte "Beasts of the Southern Wild" jedoch keinen der Goldjungen.
Im Fall der kleinen Hauptdarstellerin ist das zu bedauern, denn die macht ihre Sache wirklich hervorragend. Sie spricht die Off-Stimme, die die gesamte Laufzeit narrativ begleitet. Ansonsten muss sie meistens nur mit ihrem Gesichtsausdruck, der Körperhaltung und Gesten spielen. Das ist unscheinbar und es gibt kaum emotionale Ausbrüche, aber trotzdem schafft sie es den Streifen komplett zu tragen. Dass in dem Alter zu schaffen, wäre die Auszeichnung schon alleine wert gewesen, auch wenn Jennifer Lawrence (Gewinner in diesem Jahr) und die anderen Nominierten vielleicht ein breiteres Spektrum an Emotionen abdecken und ausdrucksstärker spielen durften. Hushpuppy ist die meiste Zeit über unglücklich und traurig. Das ist schwer anzusehen und insgesamt kann man sagen, dass man sich das nicht anschauen sollte, wenn man gute Laune erwartet. Auch der Vater Wink, der von Dwight Henry verkörpert wird, ist eine schwere Figur. Er ist Alkoholiker, aufbrausend, hart und sogar an einer Stelle gewalttätig gegenüber seiner Tochter, obwohl die Liebe zu ihr nie außer Frage steht.
Die Geschichte von "Hushpuppy" ist der zentrale Dreh- und Angelpunkt des Films und handelt vom erzwungenen Erwachsenwerden im Kindesalter. Hier erlaubt man sich einen Kniff, den ich nicht erwartet habe: Es gibt eine übernatürliche Komponente. Auerochsen sind ausgestorbene Säugetiere, die hier aber aus dem Eis erwachen und immer wieder auf der Reise nach "Bathtub" und somit zu unserer Heldin gezeigt werden. Was es damit auf sich hat und für was das steht, will ich nicht verraten. Leider wurde "Beasts of the Southern Wild" auch teilweise als "Fantasydrama" vermarktet, was ihm nicht gut getan hat. Denn der Anteil dieser Elemente ist zwar ziemlich wichtig für unsere Hauptfigur, macht aber zeitlich gesehen einen sehr geringen Teil aus. Sie sind auch ziemlich bodenständig, denn hier geht es ja nicht um Elfen und Kobolde, sondern um eine real existierende ausgestorbene Tierart.
Sowieso spielt die Natur eine sehr große Rolle, denn die Schönheit dieser Sumpflandschaft und deren Flora und Fauna wird in elegischen Bildern und eigenartig fröhlicher Musik gefeiert. Allerdings werden auch die Gefahren dieser Wildnis gezeigt und dass der Mensch dort wie jedes andere Tier den Launen der Natur ausgesetzt ist und ebenso der Willkür von Leben und Tod.
Ein weiteres großes Thema, das hier verarbeitet werden soll ist Stolz. Während der Sichtung habe ich lange das Attribut "falsch" davor gesetzt, bin aber irgendwann zu einem anderen Ergebnis gekommen. Die Menschen in "Bathtub" verweigern sich in mehreren Sequenzen der Hilfe von außen. Besonders Wink frustriert in dieser Hinsicht immer und immer wieder, weil er besonders aggressiv auf ausgestreckte Hände reagiert. Auch die anderen Bewohner verachten die Welt hinter dem Damm und wollen sich nicht helfen lassen. Erst nach der Sichtung bin ich nach einiger Reflexion zu der Ansicht gekommen, dass dieser Stolz nicht "falsch" ist. Diese Menschen fühlen sich von der Gesellschaft verachtet und sind dieser auch vollkommen egal. Jetzt, da etwas passiert ist, muss sich diese plötzliche Hilfsbereitschaft der Außenwelt wie Spott anfühlen. Menschen die so sehr kämpfen müssen um zu überleben, die auf sich gestellt sind und eine verschworene Gemeinschaft bilden, wollen dann natürlich auch bis zum Schluss selbst für sich kämpfen. Das Selbstverständnis dieser Menschen und deren Würde bezieht sich zu einem großen Teil daraus, es trotz allem irgendwie immer geschafft zu haben. Denen das zu nehmen käme einer Entmündigung gleich. Dennoch...ja, dennoch fragt man sich wegen der Kinder, ob man das nicht trotzdem irgendwie runterschlucken könnte. Aber da spreche ich wahrscheinlich aus der bequemen Sicht eines Mitteleuropäers, der in einer Stadt wohnt und nie so eine krasse Form der Armut kannte.
Die Menschen dort sind allerdings nicht 24/7 verbittert und depressiv; in einer Sequenz sehen wird sie am Independence Day ausgelassen feiern. Sie ergehen sich nicht in Selbstmitleid und sind zufrieden mit dem, was sie haben. Somit umgeht man es zu platt zu wirken und zeigt, dass es sich hier nicht um reine Opfer handelt, sondern um Menschen, die sich ihre Selbstachtung bewahrt haben.
Bei den sonstigen Bewohnern von "Bathtub" wären wir auch beim nächsten Punkt, der mir besonders gefallen hat: Es ist kein rein schwarzes Armutsdrama, in dem wieder einmal BIPoC viktimisiert werden. Die Community auf dieser Sumpfinsel ist ethnisch gemischt. Schwarze und Weiße sind dort vertreten. Das negiert nicht den strukturellen Rassismus, den PoCs bis heute in den USA und auch sonstwo ausgesetzt sind. Es macht aber klar, dass Rassismus auch ein sozio-ökonomisches Problem ist. Hier schwarze und weiße Menschen tief in Freund- und Gemeinschaft in Armut zusammenleben zu sehen ist nur auf der Oberfläche negativ zu bewerten. Impliziert es doch, dass das auch in die andere Richtung funktioniert, wenn keiner arm ist. Ohne diesen kleinen Rassismus-Exkurs zu lang zu ziehen, möchte ich natürlich berücksichtigen, dass man das anders sehen kann. Die Frage nach der Henne und dem Ei und ein Teufelskreis stehen im Raum: Entsteht der Rassismus, weil man wegen der vorwiegend ärmeren schwarzen Bevölkerung Vorurteile entwickelt oder ist diese Situation erst durch den Rassismus und die Vorurteile entstanden? Und wie will man das lösen, wenn der (strukturelle) Rassismus verhindert, dass sich die sozio-ökonomischen Verhältnisse der schwarzen Bevölkerung verbessern und somit weiter die Vorurteile perpetuiert werden? Eine Antwort werde ich nicht geben können... schon gar nicht in einer Filmkritik.
Es ist bezeichnend für die Qualität des Films, dass er so viele Gedanken in mir evoziert hat. Im Endeffekt geht es in "Beasts of the Southern Wild" aber gar nicht so sehr darum, sondern allgemein um Menschen, die außerhalb der Gesellschaft leben und wie deren Haltung zu dieser und zu sich sich selbst ist.
Ein Werk das also bedrückt, frustriert, zum Nachdenken anregt und sehr schön audiovisuell inszeniert ist. Letztlich wird man auf einer sehr bittersüßen Note entlassen. Zu den Charakteren kann man nur schwer Verbindung aufbauen, was aber wahrscheinlich daran liegt, dass wir ein vollkommen anderes Leben als diese führen.
Ein pointiertes 90-Minütiges Powerhouse mit keinem Gramm Fett zuviel, das man schauen sollte.
4,5 von 5 Sternen
https://letterboxd.com/film/beasts-of-t ... hern-wild/
Trailer:
https://www.youtube.com/watch?v=vRQWkVmkUKc
Ich habe zwar meine Rangliste der Ghibli-Filme schon veröffentlicht, aber dennoch möchte ich den Rest auch noch detaillierter kritisieren:
Die Chroniken vom Erdsee
2006; Regisseur: Gorō Miyazaki; Sprecher_Innen: Junichi Okada, Aoi Teshima, Bunta Sugawara; Genre: Fantasy
Die Welt ist nicht mehr mit sich im Reinen und Drachen bekämpfen sich, was eigentlich nicht sein darf. Im Königreich Enlad ersticht der Prinz Arren seinen Vater den König und flieht. Arren ist jedoch kein kaltblütiger Mörder, sondern scheint immer wieder unfreiwillig aggressive Anfälle zu bekommen. Er trifft auf den Zauberer Sperber, der ihn unter seine Fittiche nimmt. Zusammen finden sie auf einem Bauernhof eine Unterkunft, wo sie die distanzierte und geheimnisvolle Therru kennenlernen. Während Arren versucht sich mit ihr anzufreunden erfährt Sperber, dass der Magier Cob hinter dem Ungleichgewicht in der Welt steckt und auch hinter dem jungen Königsmörder hinterher ist.
Das ist er also, der nach allgemeiner Auffassung mit Abstand schlechteste Vertreter von Studio Ghibli. Bei "Die Chroniken vom Erdsee" führte erstmals Gorō Miyazaki - Sohn von Mitgründer Hayao - Regie. Übrigens gegen den ausdrücklichen Wunsch der Autorin der Vorlage Ursula K. Le Guin, die darauf bestand dass der Vater das Projekt verwirklicht. Als es klar wurde, dass der aber – zu diesem Zeitpunkt – keine Filme mehr machen wollte, wurde vereinbart, er solle wenigstens bei künstlerischen Entscheidungen das letzte Wort haben, was aber auch nicht der Fall war.
Der Streifen wurde von Kritikern und Fans zu großen Teilen verrissen und "gewann" die "Goldene Himbeere" als schlechtester Film des Jahres und Gorō Miyazaki wurde bei derselben Verleihung schlechtester Regisseur.
Wie bereits geschrieben hatte ich ein bisschen Angst mir das anzuschauen, aber wie so häufig, wenn man überhaupt gar nichts erwartet, wird es dann am Ende doch gar nicht so schlimm.
Zunächst einmal mochte ich die Zeichnungen. Natürlich sind die stilistisch dieses Mal etwas entsättigter und geerdeter, aber das passt für meine Begriffe mehr zu der Welt und dem ziemlich ernsten Thema. Es geht nämlich hauptsächlich um den Tod. Vor allen Dingen darum, wie dieser im Bezug zum Leben einzuordnen ist. Das hat mich zunächst ziemlich überrascht ist das doch eine sehr ernste Angelegenheit. In der Hinsicht bietet man philosophisch jetzt nicht wirklich viel Neues, aber das mit dem Bezug auf eine Fantasywelt zu sehen, fand ich recht erfrischend.
Ich bin der festen Überzeugung, dass bei der allgemeinen negativen Rezeption auch die Erwartungshaltung ein Problem war und man bei den Drachen auf jedem Poster und Vorschaubild epische Fantasy erwartet hatte. Aber "Die Chroniken vom Erdsee" sind in der Hinsicht eher zurückhaltend und genauso geerdet, wie der Zeichenstil. Drachen und Magie spielen zwar eine Rolle, aber erst im letzten Viertel so richtig. Auch das mag ich, weil es dem mehr Gewicht verleiht, als wenn man damit total inflationär umgeht.
Die Probleme lassen sich aber natürlich auch nicht wegdiskutieren: Das World Building wirkt generisch und undurchsichtig. Da das eine Romanverfilmung ist und man sich hier den 3. Band als Vorlage genommen hat, hatte ich ständig das Gefühl, dass man hier vielleicht Menschen adressiert, die die Bücher gelesen haben. Ich habe weder ein geografisches Gefühl für die Welt bekommen noch irgendeine stichhaltige Vorstellung von deren Gesetzmäßigkeiten, was z.B. Magie oder andere Konzepte angeht, die sich von unserer Welt unterscheiden. Also entweder man hat hier vorausgesetzt, dass man die Vorlage gelesen hat – zumindest die ersten beiden Bände – und muss das besser kommunizieren oder die Macher sind nicht wirklich gut beim World Building. Exposition ist sowieso ein großes Problem, werden mir doch viele Konstellationen und Beziehungen, was Fraktionen und Charaktere angeht, in Dialogen erzählt. "Show don't tell" ist aber eigentlich die goldene Regel. Lass deine Figuren mir nicht alles in wenig authentischen, weil aufgesetzten Dialogen erklären, weil ich merke, dass die nur für mich sind und sich nicht natürlich ergeben.
Außerdem ist der Film mit 115 Minuten wesentlich zu lang und er vermag es nicht diese Laufzeit auch nur im im Ansatz durchgehend spannend und zwingend zu füllen. Es gibt einige Stellen, an denen man tief durchatmet, weil es sich gerade so langsam erzählt und nichts wirklich relevantes passiert. Generell ist der gesamte Plot recht statisch; ein Abenteuer mit einer Reise wird hier nicht erzählt.
Auch bei den Charakteren, die ich im Großen und Ganzen nicht unsympathisch fand, bleiben ein paar essentielle Fragen offen und ihre Motivation bleibt an einigen Stellen unklar.
Ich weigere mich das aber doch irgendwie wirklich "katastrophal" oder auch nur "schlecht" zu nennen. Natürlich ist "Die Chroniken vom Erdsee" gerade in der glorreichen Vita von Studio Ghibli und besonders im Vergleich zu dessen besten Werken nicht die Rede wert, aber auch keine vollkommene Katastrophe, wie manche behaupten.
Mit ziemlicher Sicherheit aber ist das kein Werk, das Schmähpreise wie die "Goldene Himbeere" verdient hat. Was die Juroren da geritten hat, weiß der Geier.
Also das Fazit lautet, dass man zwar interessante Ansätze und ernste Themen verhandelt, ein passendes Artdesign bietet und überraschend erwachsen ist, aber Welt und Charaktere untererklärt wirken und auch sonst an allen Ecken und Enden etwas Politur fehlt.
3 von 5 Sternen
https://letterboxd.com/film/tales-from-earthsea/
Trailer:
https://www.youtube.com/watch?v=8hxYx3Jq3kI&t=4s
An die Eltern: Die FSK6 finde ich recht sportlich, wird doch das Thema "Tod" behandelt und werden doch durchaus existentialistische Fragen gestellt. Außerdem gibt es einige ziemlich abgefahrene und gruselige Designs und auch ein paar blutige Szenen. In einer wird sogar sichtbar eine Hand abgeschlagen. Und ganz allgemein, wie es in der Kritik schon anklingt: Ich glaube nicht, dass Kinder da wirklich durchblicken.
Dass der Film so erwachsen ist, zähle ich persönlich allerdings zu den Pluspunkten.