The Sisters Brothers
2018; Regisseur: Jacques Audiard; Darsteller: John C. Reilly, Joaquin Phoenix, Jake Gyllenhaal; Genre: Western
Oregon, 1851: Die beiden Brüder Charlie und Eli Sister werden vom sogenannten "Commodore" damit beauftragt sich mit dem ebenfalls für ihn arbeitenden John Morris zu treffen. Der ist einem Mann auf den Fersen, der eine Flüssigkeit entwickelt hat, die Gold in Flussbetten sichtbar machen kann. Die beiden vor Gewalt nicht zurückschreckenden Brüder sollen die Formel aus dem Chemiker herausfoltern. Allerdings verläuft alles ziemlich anders als geplant.
Der Western gilt als totes Genre, das kaum noch bedient wird. Meistens wenn heute nochmal die Cowboystiefel ausgepackt werden, handelt es sich um Dekonstruktionen oder Komödien, die nichts mehr mit den ursprünglichen Filmen zu tun haben. "The Sisters Brothers" hat natürlich auch seinen ganz eigenen und modernen Kniff, der ihn als kontemporäres Werk erkennbar macht, hat aber einen erfreulich unzynischen und ernst gemeinten Ansatz.
Sofort ins Auge sticht natürlich die tolle Besetzung: John C. Reilly, Joaquin Pheoenix, Jake Gyllenhaal und der in diesem Jahr für "Sound of Metal" für den Oscar nominierte Riz Ahmed. Man kann kritisieren, dass es sich hier um einen reinen Männerfilm handelt und Frauen wirklich nur Staffage sind. Andererseits kann man vielleicht auch loben, dass man sich traut hier den Vorbildern treu zu bleiben, die ja auch nie besonders große und starke Frauenfiguren hatten. "Spiel mir das Lied von Tot" sei hier ausgenommen und es gibt sicher auch andere rar gesäte Beispiele, die mir jetzt nicht einfallen. Jedenfalls machen die genannten Herrschaften ihre Aufgabe erwartbar sehr gut. Herausheben muss man allerdings C. Reilly, den man wahrscheinlich am besten aus Blödelkomödien wie "Stiefbrüder" kennt und der hier mit den sonstigen Charakterdarstellern mehr als mithalten kann. Er wird sogar ein bisschen zum Highlight, weil er zwar auch nicht gerade zimperlich ist, aber man ihm deutlich seine Verletzlichkeit anmerkt. Und anstatt seines Bruders Charlie (Pheonix), der säuft und hurt, ist Eli sehr viel zurückhaltender. Man fragt sich immer wieder mal, warum so einer wie er zum Revolverhelden und Kopfgeldjäger wurde. Und darauf bekommt man natürlich Antworten, die ich nicht verrate, aber es hat natürlich mit seiner Familie zu tun. Charlie und Eli sind trotz ihrer Taten ziemlich liebevoll zueinander stehende Brüder, was sie zu faszinierenden Antihelden macht - neben der Tatsache, dass Phoenix und C. Reilly eine echt tolle Chemie haben und man ihnen abkauft Verwandt zu sein. Es wird sich immer wieder mal für persönliche Momente Zeit gelassen, in denen ihre Beziehung zueinander beleuchtet wird.
Spaß macht auch Gyllenhaal als John Morris, der seine Aufgabe und dann auch seine Existenz immer mehr zu hinterfragen beginnt und zu dem Chemiker Hermann Kermit Warm (Ahmed) eine sehr fühlbare Bindung aufbaut. Auch Warm ist eine interessante Figur, weil er zwar auch dem Goldrausch verfallen ist, aber nicht nur egoistische Pläne hat. Die beiden werden im Mittelteil meiner Meinung nach aber leider etwas zu lange ausgeblendet. Das fühlt sich irgendwie nie ganz sauber an, weil sie zwar sehr viel Raum bekommen, aber nie genug um als Zuschauer eindeutig feststellen zu können, ob sie eine eigenständige Geschichte erleben, die sich eben mit den Sisters Brothers kreuzt oder ob sie eine Nebenhandlung bzw. ein Plot Point sind, um die Katharsis der Sisters Brothers einzuleiten. So oder so: Bei ihnen fühlt es sich irgendwie so an, als hätte man einen Teil der Charakterentwicklung übersprungen.
Neben den Charakteren, die einem gerade im letzten Drittel ungeahnt zu berühren wissen, ist aber die größte Stärke von "The Sisters Brothers" die absolute Unvorhersehbarkeit der Story. Das erkauft man sich allerdings mit einigen sehr antiklimaktischen Momenten, die einem sauer aufstoßen könnten. Es werden immer wieder mal bewusst Erwartungen unterlaufen und Haken geschlagen, die einen ziemlich niederschmettern können. Das ist der kontemporäre Teil des Werkes, denn sowas hätte man sich in den 50ern und 60ern nie getraut. Der Streifen hat natürlich klassische Vorbilder, wirkt aber deswegen nie wie eine Ableitung oder Hommage, sondern wirklich als eigenständiger moderner Western. Modern ist auch, wie man mit Gewalt umgeht. Das ist jetzt kein Gemetzel, aber es geht stellenweise auch ganz schön zur Sache. Allerdings hat mir gefallen, dass das nie zu sehr exploitativ passiert und man in einem Rahmen bleibt, bei dem man nicht durch unnötigen Splatter aus einer ansonsten interessanten Handlung gerissen wird. Splatter hat seine Berechtigung, aber ich tue mich immer schwer, wenn man das außerhalb von Horrorfilmen veranstaltet.
Antiklimaktisch ist dann auch das Pacing insgesamt. Es geht mit einer relativ rasanten Schnitzeljagd los und wird dann im Verlauf immer ruhiger. Das kann einen auch irritieren, aber ich finde, dass diese Tempoverlagerung der Entwicklung der Charaktere und dem Verlauf der Story entspricht. Dennoch merkt man dieses auf die Bremse treten deutlich und die Spannung lässt unweigerlich nach.
Am Ende macht man dann doch wieder einige ziemlich schnelle Sprünge, die mir nicht gefallen haben, weil es diesen stetigen Fluss von schnell nach langsam bricht, was wenigstens eine Stringenz hat. Dennoch ist der Abschluss und was dort mit den Sisters Brothers passiert sehr rund. Auch hier geht es ins Spoiler-Territorium, aber es ist einfach erwähnenswert, dass man meiner Meinung nach den fast perfekten und fairen Abschluss für die beiden findet.
Auch die gestochen scharfen Landschaftsaufnahmen sind wirklich sehenswert und die Musik ist eine schön eigenwillige Mischung aus modernen Ansätzen und klassischen Westernmotiven.
Toller Cast, sehr eigenwillig und nicht fehlerfrei, aber so können sie aussehen: Moderne eigenständige Western. Mit ein bisschen mehr Schliff hätte man hier etwas ganz Großes erreichen können.
3,5 von 5 Sternen
https://letterboxd.com/film/the-sisters-brothers/
Trailer:
https://www.youtube.com/watch?v=AaCGqfn_qzs
Ghibli der Woche:
Arrietty - Die wundersame Welt der Borger
2010; Regisseur: Hiromasa Yonebayashi; Sprecher_Innen: Mirai Shida, Ryunosuke Kamiki, Tomokazu Miura; Genre: Anime
Arrietty ist eine sogenannte "Borgerin"; das sind wenige Zentimeter große menschenartige Wesen. Sie leben mit Menschen zusammen und "borgen" sich von diesen alles, was sie zum leben brauchen – wer merkt es schon, wenn z.B. etwas Salz fehlt. Arrietty lebt mit ihrem Vater und ihrer Mutter zusammen unter einem Anwesen und kommt jetzt in ein Alter, in dem sie zum ersten mal "borgen" will. Bei ihrem Ausflug kommt es allerdings zu einem Zwischenfall und sie wird von dem kranken Shō gesehen. Der lebt in dem abgelegen Haus, weil er Ruhe braucht, denn es steht eine schwere Operation an. "Borgern" ist es nicht erlaubt mit Menschen Kontakt aufzunehmen, aber es entsteht eine Bindung zwischen den beiden.
Immerhin das Drehbuch stammt vom Altmeister Hayao Miyazaki höchstpersönlich und so habe ich mir einiges versprochen. Die Erwartungshaltung wurde unterlaufen, aber dennoch ist das ein sehr ordentlicher Film. Die größte Schwäche ist die Handlung, die weder eine große Dynamik entwickeln kann noch eine erwähnenswerte Fallhöhe aufbaut. Wenn man es auf den Punkt bringen will: Hier passiert eigentlich nicht besonders viel. Diese Unaufgeregtheit weiß man allerdings irgendwann auch zu schätzen und es kann ja auch einmal erfrischend sein, wenn eine kleine Geschichte erzählt wird und es mal keine epische Heldenreise gibt oder man die Welt retten muss. Obwohl es natürlich in einem kleinen Rahmen besonders am Ende einige dramatische und auch traurige Momente gibt, ist Arriety ein sehr entspannendes Werk. Natürlich gibt es einen Plot, einen "Bösewicht" und Emotionen, aber das bleibt alles in einem sehr gemäßigten Rahmen.
Die Stärke liegt bei den Charakteren und besonders die namensgebende und taffe Arrietty wächst einen umgehend ans Herz. Auch die Eltern sind ziemlich süß. Mit Shō konnte ich nicht sonderlich connecten, obwohl er ein hartes – zumindest angedeutetes - Schicksal hat. Aber auch er wird einem durch die Dynamik in der Beziehung zu Arrietty näher gebracht. Und darum geht es in dem Film ja auch: Um Freundschaft. Dass man alles überstehen kann oder es einen zumindest besser geht, wenn man jemanden hat, dem man nicht egal ist.
Natürlich ist das auch eine gleich doppelte Coming-of-Age Geschichte und somit wird auch hier neben der Natur ein zweites Grundmotiv fast aller Werke von Miyazaki verwendet.
Stellenweise hat das alles auch einen ziemlich guten Witz und der Soundtrack gehört für mich zu einem der besten und eingängigsten des ganzen Ghibliverse.
Mehr kann man auch eigentlich gar nicht schreiben. Sympathisch und unterhaltsam, aber nicht der ganz große Wurf.
3,5 von 5 Sternen
https://letterboxd.com/film/the-secret- ... -arrietty/
Trailer:
https://www.youtube.com/watch?v=QfkrMq2G71g