vicsbier hat geschrieben: ↑16. Apr 2020, 15:58
Trump hat auch nicht alles schlecht gemacht. Er hat bis zur Krise, für die kein Staat ein 100%iges Patentrezept zu haben scheint, die Arbeitslosigkeit auf einen Rekordstand gesenkt. Er hat auch keinen Krieg angefangen, das war unter seinen Vorgängern ganz anders. Er hat den Dialog mit China, Nordkorea und dem Iran gesucht oder mit teilweise ungewohnten Methoden erzwungen. Er hat verstanden, dass Russland militärisch zwar eine Bedrohung sein kann, aber nicht der Gegner im 21 Jhd sein wird, dafür ist es wirtschaftlich (noch) nicht stark genug.
Ich vermisse die Positionen von Joe Biden. Was ist das große Konzept? Wie wird die Gesellschaft wieder mehr am Wohlstand beteiligt?
Joe Biden kann sicherlich in Sachen Umweltpolitik punkten, da ist Trump gar nicht wahrnehmbar.
Diese Bewertung der politischen Erfolge hält meines Erachtens einer objektiven Betrachtung nicht stand, insbesondere was die Außenpolitik betrifft. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass überhaupt keine außenpolitische Strategie der USA momentan erkennbar ist - abgesehen von America first in erratischer Umsetzung.
- Iran: Es gab eine Basis für weitere Gespräche, nämlich das internationale Atomabkommen (was sicherlich durchaus an einigen Stellen kritikwürdig ist). Stattdessen wurde das aufgekündigt mit der Folge einer absehbaren atomaren Bewaffnung des Iran und einer weiteren Destabilisierung des nahen Ostens.
- Nordkorea: sicherlich das dickste Brett, was amerikanische Präsidenten derzeit zu Bohren haben. Fakt ist aber, dass bis auf öffentlichkeitswirksames Tamtam und gegenseitige Liebesbriefe, bislang kaum eigentliche Verhandlungen stattgefunden haben. Und die wenigen sind inzwischen auch ins Stocken geraten. Das zeigt auch das Unverständnis Trumps, wie politische Prozesse funktionieren oder eben auch nicht funktionieren. Er kann eben nicht alles allein regeln, sondern braucht seine politischen Beamten und Diplomaten, die vorher die kleinteilige Detailarbeit leisten. Vielleicht ist es Trump aber auch egal, solange er vermeintlich tolle Bilder mitbringt. Profitiert hat bislang jedenfalls ausschließlich Nordkorea, auch zu Lasten des eigenen Verbündeten Südkorea. So viel dann zu America First.
- Auch bezüglich China würde ich sagen, dass er den vorhandenen Dialog mit seinem Handelskrieg eher erschwert, denn verbessert hat.
- Es gibt meines Erachtens keine konsistente Russlandpolitik. Da passiert viel aus dem Bauch und aus einer Bewunderung gegenüber Putin; oft zu Lasten der eigenen Verbündeten oder sogar der amerikanischen Interessen.
- Über die Wirtschaftspolitik lässt sich sicherlich trefflich streiten, hier sah es vor der Krise tatsächlich ganz gut aus. Im Kontext betrachtet, sehe ich das dann aber doch ambivalenter. Trump konnte hier auf einem recht hohen Niveau ansetzen, was Obama hinterlassen hat. Dies hat er dann über die Steuerreform noch einmal gepuscht. Meines Erachtens aber nicht zu dem Erfolg, dass es den Preis (eine katastrophale Neuverschuldung in Boom-Zeiten) wert gewesen wäre. Diesen Preis werden die nachfolgenden Präsident*innen zu zahlen haben.
Ich würde auch bei der Beschreibung Trumps und Bidens in der Corona-Zeit widersprechen. Du zeichnest ein Bild von Trump als "Kämpfer an der vordersten Front gegen das Virus", eine Geschichte, wie sie "die Amerikaner lieben". Wenn man sich aber die täglichen Konferenzen anschaut, kann dieses Bild eigentlich kaum entstehen. Ja, da steht ein Kämpfer, aber nur einer, der für sich selbst kämpft. Zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Wenn es um die Bekämpfung des Virus geht, dann sieht man oft den "I take no responsibility"-Trump. Verantwortung wird auf die Krankenhäuser, die Ärzte oder die Governors abgeschoben, konkrete Lösungen zu den Fragen, die auf und ab diskutiert werden (bspw. ob der Bund eine stärkere Regulierung in der Zuteilung der Schutzkleidung zu den Bundesstaaten übernimmt, dass sie nicht gegenseitig im Bieterwettstreit miteinander und dem Bund sind), finden sich ebenso wenig, wie wirkliche Empathie für die Betroffenen. Stattdessen wir routiniert die Presse beschimpft oder es fallen Sätze wie, "meine Regierung macht einen super Job, wir haben nichts falsch gemacht" - während in New York bereits Massengräber ausgehoben werden. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das abseits der totalen Fanbase irgendwie verfängt.
Biden wiederum hat gerade das Problem, dass eine Krise die Stunde der Exekutive ist. Es bringt für ihn nichts, das Haus zu verlassen und bspw. nach New York zu reisen und sich in präsidialer Pose zu präsentieren. Ohne Handlungsgewalt wird ihm das im Zweifel eher negativ ausgelegt. Was er machen kann, hat er gemacht: das Angebot zur überparteilischen Zusammenarbeit. Ansonsten kann er tatsächlich wenig tun. Begegnungen mit Menschen ist gerade nicht drin (auch um ein gutes Beispiel in der derzeitigen Situation abzugeben), die Medien werden dominiert von Corona. Es ist halt auch eine blöde Situation für ihn.
Dafür gebe ich dir aber recht, dass Biden eine große Vision fehl, wie sie zuletzt Obama hatte. Aber zumindest steht er dafür, das Auseinandertriften der amerikanischen Gesellschaft aufzuhalten. Das ist mit Blick auf die amerikanische Gesellschaft ja schon etwas. Und das konnte Sanders mit seinen mitunter etwas radikalen Fans leider nicht bieten.
Die politischen Vorschläge sind zugegebenermaßen eher Detailverbesserungen an bestehenden Systemen (bspw. der Gesundheitsversicherung), die aber durchaus einem großen Teil der Amerikaner zu gute kommen dürften. Ja, Biden ist auch nicht "mein Kandidat der Herzen", aber ganz ohne politische Vorschläge steht er nicht da. Und sein Netzwerk hat ihm sicher geholfen, aber man darf auch anerkennen, dass Sanders die Vorwähler*innen vielleicht auch einfach nicht so überzeugt hat, wie er sich das gewünscht hätte.
Beste Grüße
M