Ja, das ist ein gesellschaftliches Problem grad im Kontext der modernen Internetkultur. Selbstverständlich hat für den individuellen Fall immer "Unschuldig bis zum Beweis der Schuld" zu gelten und selbstverständlich ist der "Lynchmob" durch Öffentlichkeit oder sensationshungrige Medien zu verurteilen.
Du vergisst oder ignorierst dabei aber die Kehrseite.
Es gibt den genauso fatalen medialen Vorwurf, dass es eigentlich irgendwie Schuld des Opfers sei oder den Generalverdacht, dass es dem Opfer nur um Aufmerksamkeit und Geld ginge.
Überall wo es Machtgefälle gibt, gibt es Machtmißbrauch und das Ausmaß an (akzeptiertem oder indirekt toleriertem) sexuellem Mißbrauch ist ebenfalls ein großes gesellschaftliches Problem. Die Opfer dieser Verbrechen stehen naturgemäß auf der Seite mit weniger Macht, sind durch das Verbrechen traumatisiert und haben oft (die sehr berechtigte Befürchtung) nicht ernstgenommen oder gesellschaftlich verurteilt zu werden. Deshalb kamen und kommen diese Verbrechen oft nie oder viel zu spät zur Anzeige. Erst durch die Öffentlichkeit von Mißbrauchsfällen (durch öffentliche Bekenntnisse von Opfern), die daraus resultierende öffentliche #MeToo Bewegung und die Angst vor den negativen Konsequenzen einer Beschuldigung, hat es überhaupt erst eine gesellschaftliche Diskussion und Fortschritte gegeben.
Deshalb kann ich es zumindest verstehen, wenn Opfer öffentlich gehen, auch wenn diese Öffentlichkeit dann natürlich leider ebenso mißbraucht werden kann. Die "Lösung" dazu kann aber nicht sein, dass Opfer öffentlich gefälligst die Klappe halten sollen und das Verbrechen rechtzeitig zur Anzeige bringen müssen, weil sie ansonsten "selber schuld" sind. Das ist nicht nur unfair gegenüber den traumatisierten und hilfsbedürftigen Opfern, sondern hat ja in der Vergangenheit nachweislich nicht funktioniert. Andernfalls hätten wir das gesellschaftliche Problem des sexuellen Mißbrauchs nicht.
Wie immer... kein Schwarz/Weiß sondern viele Graustufen und eine Abwägungsentscheidung.
EDIT: Mist... zu langsam...
Volle Zustimmung! Und diese Aussagen negieren selbstverständlich auch nicht das Problem, dass diese Öffentlichkeit in Einzelfällen mißbraucht werden kann. Das ist selbstverständlich auch ein Problem, nur in diesem Kontext vielleicht nicht gaaanz so wichtig wie das erstere (des sexuellen Mißbrauchs)Stuttgarter hat geschrieben: ↑29. Aug 2019, 11:42Vor allem ist die Argumentation ein fataler Teufelskreis. Da Vergewaltigungen nach wie vor, obwohl mittlerweile wenigstens drüber diskutiert wird, oft ein absolutes Tabu darstellen. Frauen reden oftmals nicht darüber, was ihnen passiert ist. Geben sich selbst die schuld. Schämen sich. Um das aufzubrechen, müssen Debatten wie #metoo stattfinden. Um Frauen zu zeigen, dass sie darüber reden müssen. Dann kommen aber (vor allem) Männer und fürchten, dass Männer zu Unrecht beschuldigt werden könnten.Schlagerfreund hat geschrieben: ↑29. Aug 2019, 11:37
@Axel:
Schöner Survivorship Bias.
Gerade bei psychischen Erkrankungen oder Trauma gehen sehr viele Leute nicht zum Arzt und verheimlichen das auch vor ihrem Umfeld. Da ist bei Vergewaltigungen noch komplexer als bei "simplen" Sachen wie z.B. Depressionen.