Guthwulf hat geschrieben: ↑29. Aug 2019, 13:24
Legoli12 hat geschrieben: ↑29. Aug 2019, 13:06Mal ganz unabhängig vom Fall *Beschuldigter* habe ich ein Frage, die vielleicht sehr dämlich klingt. Wie berechnet man eigentlich Dunkelziffern?
Ganz einfach... qualifiziertes Raten
Eine Dunkelziffer mit Kommastellen ist unseriös. Bestenfalls kann man vage Größenordnungen abschätzen. Die beruhen dann auf anderen begleitenden Faktoren, Umfragen oder ähnlichem. Es geht ja "nur" darum, irgendwie abzuschätzen, wie viele Fälle es abseits der zur Anzeige gebrachten tatsächlich gibt. Ies ist klar, dass nicht jedes Verbrechen gemeldet wird und demnach auch nicht in den amtlichen Statistiken auftaucht. Aber wie groß diese Dunkelziffer tatsächlich ist, kann man in der Natur der Frage natürlich nicht konkret berechnen. Am Ende des Tages geht es nur um eine grobe Abschätzung um ggf. Handlungsbedarf zu erkennen und Ressourcen oder Maßnahmen zielgerichteter zuordnen zu können.
In meiner therapeutischen Arbeit habe ich in den letzten 5 Jahren so viele Menschen (meistens, aber nicht nur Frauen) behandelt die glaubhaft von sexuellem Missbrauch oder Vergewaltigung berichtet haben, dass ich unmöglich eine konkrete Zahl nennen kann. War möglicherweise dreistellig.
Ich weiß aber ganz gut, wieviel davon eine Anzeige/Klage eingereicht haben: höchstens 3 oder 4. Soviel zur Dunkelziffer.
Die Gründe für ein Schweigen sind vielfältig. Meistens Angst vor Rache, Angst, dass nicht geglaubt wird. Scham und Ekel auch häufig.
Die juristische Aufarbeitung einer Vergewaltigung ist darüber hinaus für viele eine Tortur. Von der Beweisaufnahme bis zur Aussage muss das Opfer - in der Regel alleine und von dafür ungeschulten, unsensiblen Personen - in allen Details die Erfahrung wieder erleben, teils kommt es zu einer Konfrontation mit dem Täter. Das ist ein weiterer Grund, warum viele Taten nicht zur Anklage kommen.
Insgesamt zeigt sich, dass sehr viele Betroffene überhaupt erst reden, weil sie erleben, dass andere vorangehen. So ist es häufig in Fällen bei denen ein strukturelles Machtgefälle gibt, Opfer melden sich erst, wenn jemand das Eis bricht.
Im Übrigen liegt eigentlich jedem Missbrauch ein Machtgefälls zu Grunde, welches ja an sich schon Täter schützt.
Daher finde ich es schwierig zuerst von "Hetze", "Unschuldsvermutung" und "Lüge" zu sprechen, wenn sich ein Opfer an die Öffentlichkeit wagt. Gleichberechtigt neben der Unschuldsvermutung sollte doch auch die Vermutung stehen, dass ein Opfer aufrichtig ist.