Axel hat geschrieben: ↑6. Jun 2020, 23:57
Feamorn hat geschrieben: ↑6. Jun 2020, 23:26
Film ist nun einmal ein optisches Medium, da findet eben unter Umständen ein nicht zu unterschätzender Teil der Erzählung durch die Bilder, Bildgestaltung und Bildkomposition statt.
Das mag ja sein, sollte meiner Ansicht nach aber nur
unterstützend der Fall sein. Nehmen wir mal einen Gruselfilm. Da ist natürlich eine schauerlische Atmosphäre sehr wichtig und förderlich! Aber: Das muss dann auch mit einem glaubhaften Drehbuch und tollen Charakteren gefüllt werden. Als Negativbeispiel kann man ja mal Moffats Dracula für die BBC Anfang des Jahres anführen. Was die Atmosphäre betrifft: Top! Jedoch wird das von einem derart lächerlichen und unlogischen Drehbuch konterkariert, dass die Optik da auch nichts mehr hilft. Das Ding ist eine erzählerische Katastrophe, vor allem hintenraus.
Andererseits habe ich auch schon Filme gesehen mit keinen nennenswerten Budget und wo dementsprechend die Optik auch nicht toll ist. Die Wiesbadener Tatorte mit Ulrich Tukur sind da Paradebeispiele. Da sind die Nebendarsteller mies, da ist die Optik mies, da merkt man das die da beim HR kein Geld haben. Aber Ulrich Tukur selbst trägt die ganzen Filme mit seinem Charisma, mit seinem genialen Schauspieltalent und die Drehbücher inklusive Dialoge sind echte Unterhaltungsgranaten!
Optik ist der Zuckerguss auf einem Film, aber
nicht dessen Basis. Ich kann viel eher schlechte Optik sowie schlechteres Handwerk bei Schnitt und Kamera wegblenden wenn mir Schauspieler und Drehbücher gefallen als umgekehrt. Deswegen kann ich heute auch noch Babylon 5 wirklich genießen, auch wenn die Effekte wirklich grausam gealtert sind.
Hm, empfinde ich anders. Also, dass es bloß "Zuckerguss" sein soll.
Du kannst ja rein über die Optik auch extrem viel Handlung und Aussagen vermitteln. Klar kann ein gutes Drehbuch schlechte Optik ausgleichen, oder ein guter Schauspieler einen Film weitestgehend tragen, aber meiner Meinung nach können eben auch gute Bilder (Kamera, Schnitt und/oder Ausstattung) Schwächen in den anderen Bereichen ausgleichen.
Ich empfinde es als recht hart zu sagen, dass einem der eine Faktor völlig egal ist und dann daraus abzuleiten, dass ein Film völlig Scheisse sei, wenn er in dem Bereich dann gerade großes leistet. Und ja, Blade Runner ist insbesondere in der Ebene eben herausragend gewesen, das hat ja sogar Paul im Podcast eingeräumt. Blade Runner und 2001 waren absolut stilprägend für alles danach. Natürlich ist auch vieles immer vom Geschmack abhängig, es ist auch selbstverständlich okay, einen Film wie Blade Runner nicht zu mögen, ich persönlich mag ihn auch abseits der Optik, wobei ich die Komponenten halt auch nicht wirklich trennen kann und will, aber solchen Werken die Qualität deshalb abzusprechen, finde ich ungerechtfertigt.
Um mal ein anderes kontroverseres Beispiel zu bringen, dem jüngsten Mad Max wird unheimlich oft vorgeworfen, nur Action zu haben, kein klassische Handlung. Dabei hat der Film alles, was jeder andere Film auch hat, World Building, Charakterentwicklung, sozialen Kommentar, nur eben fast ausschließlich über die Bilder entwickelt. Das muss man nicht mögen, aber zu sagen, dass es nicht vorhanden ist, nur weil er auf audiovisueller Ebene klotzt und sich in Sachen Dialogen zurückhält, ist eben nicht wirklich gerechtfertigt.
Und ganz wichtig finde ich hier nochmal herauszustellen, dass ich nicht zwangsläufig die "Qualität" der Bilder meine, sondern eben alles was dazu gehört, die Kameraarbeit, der Schnitt, wie beide den Blick lenken, die Bildkomposition und Ausstattung, die ebenfalls zur Stimmung beitragen und die alle zusammen selbst Aussagen treffen und Geschichten erzählen können. Effekte und Politur sind nur ein kleiner Teil des Ganzen. Das kann man in einer Hochglanz-Hundertmillionen-Produktion genauso erreichen wie mit einer grobkörnigen Schwarz-Weiß-Studentenproduktion mit Handkamera.
Ich brauche auch keine tolle Optik, ich liebe alte Filme mit alten Effekten, ich liebe Kammerspiele wie 12 Angry Men, ich mag eigentlich fast alle Spielarten des Films. Aber ich schätze eben auch sehr, wenn ein Film bei den Bildern "all-in" geht, und sich komplett darüber definiert, denn daher kommt der Film in seinen Ursprüngen ja tatsächlich auch, der Stummfilm basiert ja ausschließlich auf Bildern (die Schauspieler berühren ja alle Ebenen, Bild, Ton, Darbietung des Inhalts).
PS: Hab zwar lange keinen Tatort mehr gesehen, aber ja, die mit Tukur waren in der Regel sehr fein.