Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

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overTIMe
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Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von overTIMe »

Als großer Fan des Podcasts und der jedes Mal tiefgründigen Berichterstattung möchte ich mich zunächst für die ausführlichen The Last of Us 2 Podcasts bedanken, den Ausführungen zum „Crunchen“ bei Naughtydog oder gar einem Boycott widersprechen. Happy to discuss!

Wie im Podcast selbst erläutert wurde, gab es (wohl) seitens der Firmenleitung keinen expliziten Druck auf die MitarbeiterInnen, ein derartiges Commitment zu geben, wenngleich sich jedenfalls mittelbar durch die Erwartungen, die die Firmenleitung, die MitarbeiterInnen selbst ebenso wie ohne Ausnahme die gesamte Spielerschaft an The Last of Us 2 solches commitment scheinbar erforderten. Im Folgenden ausgelassen wird der Aspekt, dass manche Spielteile womöglich nicht „notwendig“ erscheinen (Stichwort: Red Dead Redemption-Pferdehoden).

Nicht nur die Spielerschaft und Presse haben (hohe) Erwartungen an das Naughtydog-Studio, sondern sicher gerade auch viele MitarbeiterInnen selbst. Es dürfte wohl unbestritten sein, dass das Studio zu der absoluten Weltspitze zählt. Ich möchte den (selbstverständlich nicht 1:1 anwendbaren) Vergleich zu drei anderen Berufsgruppen ziehen, bei denen die Gesellschaft/Kundenschaft in keinster Weise ein weit überdurchschnittliches Commitment schmäht (die Auswahl wurde nur aufgrund eigener Erfahrung, nicht Ausschließlichkeit getroffen).

(1) JuristInnen: Als jemand, der gen Ende seines Jurastudiums geht und beinahe ein halbes Jahr in sog. „Großkanzleien“ gearbeitet hat, habe ich beobachtet, dass es bestimmte Unternehmen (Kanzleien) gibt, die bewusst die absolute Elite raussucht, oft auch nicht formal absurde Wochenstunden fordern, aber sich eine Unternehmenskultur aus der MitarbeiterInnenschicht heraus bildet, die dazu führt, dass es vollkommen normal ist, aufwärts der 60 bis teilw. 70 Wochenstunden zu arbeiten (im Durchschnitt). Jeder, der sich dazu entscheidet, sich dort zu bewerben, weiß exakt, was ihn/sie erwartet. Ja, sie werden auch fürstlich bezahlt. Ich tippe aber, dass die Naughtydog-MitarbeiterInnen ebenfalls nicht am Hungertod nagen. Sie sind ebenfalls die absolute Elite ihrer Branche der EntwicklerInnen. Jede/r von ihnen, könnte sich jederzeit anderswo einen ruhigeren Job suchen (Stichwort: auf dem Lebenslauf haben, wie im Podcast besprochen wurde). Und jede/r von ihnen wird sich dessen bewusst sein, sowohl dass sie der absoluten Elite zustoßen, an die die dementsprechenden Erwartungen gestellt werden, als auch dass sie mit ihren Fähigkeiten nicht auf die Stelle angenommen worden wären und mithin auch überall sonst mit Handkuss aufgenommen werden würden.

(2) ProfisportlerInnen: Niemand würde einem Jan Frodeno im Triathlon oder einer Gesa Krause in der Leichtathletik vorwerfen, für uns Normales unmenschliche körperliche Belastungen auf sich zu nehmen, um die besten ihrer Sportart zu sein. Im Gegenteil, ein Johannes T. Bøe (Biathlon) wurde von Teilen der Presse vorgeworfen, er würde nicht genügend Commitment als WM-Titelcontender an den Tag zu legen, weil er mittels der Saison für einige Wochen Pause gemacht hat, nachdem sein erster Sohn geboren wurde. Wer das Privileg und die Fähigkeiten dazu hat, der/die beste der Branche oder des Sports zu werden, aber auch jederzeit sagen könnte, sein Lebensglück anderswo zu finden, und sich trotzdem für das EINE commited, der soll dies auch dürfen. Gleichzeitig kann nicht der Einwand erhoben werden, im Wissen darum, dass man bei der absoluten Elite mitspielen will, nicht auch ebendiese Leistung zu erbringen, insoweit dies von Anfang an ersichtlich oder erwartbar ist und insoweit die MitarbeiterInnen angemessen entlohnt werden.

(3) KünstlerInnen: Hier nur noch ganz kurz (you get my idea): Wer sich Nächte um die Ohren schlägt, das perfekte Kunstwerk zu schaffen, tut dies freiwillig und (hoffentlich) aus einem intrinsichen Drang nach Perfektion. Eine so derart hochqualifizierte Person könnte auch ihre Prioritäten im Leben anderswo setzen.

Warum ist das oben gesagt nicht verallgemeinerbar und darf bitte nicht dazu verdreht werden, als sage ich, dass jeder Arbeitende (sei es die sprichwörtliche Krankenschwester, oder der Kassierer, die taiwainesischen Kinderarbeiter, die unsere Kleider zusammennähen, etc.) ihr ganzes Leben einer Berufung verschreiben müssen und das ok ist? Weil es bei denen oftmals nicht dieselben Alternativen gibt, die so mit außergewöhnlichen und überdurchschnittlichen Fähigkeiten begabte und privilegierte Personen, wie diejenigen bei Naughtydog eben aufgrund dieser Qualifikationen haben.

Im Ergebnis daher, sofern man das Privileg hat, genuin freiwillig seinen Job auszusuchen, dürfen die Maßstäbe an commitment bei der Elite einer Branche höher sein, als das für die Arbeit nötige. (Bei dieser Argumentation angenommen wird, dass das Endprodukt nicht sogar unter einer (zu) hohen Belastung leidet, was durchaus möglich erscheint.)
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Lurtz
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von Lurtz »

Du müsstest erstmal die These belegen, dass bei Naughty Dog wirklich alle Angestellten zu der Creme de la Creme der Entwicklerszene gehören, wie du hier beschreibst. Sicher wird das für die wichtigeren Leute gelten, aber bei der Größe des Studios werden da auch Leute sitzen, die relativ stupide Fluff in den Levels verteilen, in der Qualitätssicherung tätig sind, etc.

Ob der Crunch freiwillig oder unfreiwillig geschieht ist erstmal sekundär. Ein gesunder Arbeitgeber würde seinen Mitarbeiter von ungesundem Verhalten aktiv abhalten.
Zuletzt geändert von Lurtz am 28. Jun 2020, 23:14, insgesamt 1-mal geändert.
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imanzuel
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von imanzuel »

@Threadersteller, ich weiß nicht ob du die Berichte kennst, aber ich würde dir empfehlen die Berichte von Jason Schreier bezüglich Crunch bei Naughty Dogs durchzulesen. Das soll jetzt nicht böse oder so gemeint sein (also wirklich nicht), aber wenn man sich die durchliest sollte es einen schwer fallen Crunch in egal welcher Form zu verteidigen.

Bezüglich Elite und Crunch, aus persönlicher Erfahrung kann ich dir versichern das in der Software-Entwicklung (und das gilt garantiert auch bei der Videospielentwicklung) die QA-Abteilung am meisten crunchen muss, speziell wenn die Zeitlimits knapp werden. Und das ist definitiv nicht "die Elite" (der Videospielentwicklung).
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Soulaire
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von Soulaire »

Finde die Vergleiche ehrlich gesagt ziemlich daneben. Sportler müssen extrem auf ihre körperliche und geistige Gesundheit/Fitness achten (außer sie nehmen irgendwelche Pillen, die ihre Lebenserwartung drastisch senken). dauerhafter Crunch hingegen macht beides kaputt.
Auch Künstler im klassischen Sinne produzieren nicht am Fließband. Ganz im Gegenteil, sie lassen sich Jahre, manchmal auch Jahrzehnte Zeit und bilden somit das Gegenstück zur Hamsterrad-Kulturindustrie.

Davon mal abgesehen wäre es nur halb so schlimm wenn sich Naughty Dog einsichtig zeigen würde. Aber das tun sie nicht.Hingegen haben sie diesbezüglich ein Easter Egg im Spiel, mit dem Zweck Kritik ins Lächerliche ziehen zu wollen
https://kotaku.com/the-last-of-us-2-eas ... 1844123982
auch werden Journalisten öffentlich auf Twitter angegangen, die das aufgedeckt haben. wie z.B Jason Schreier...
Zuletzt geändert von Soulaire am 28. Jun 2020, 23:27, insgesamt 1-mal geändert.
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Tengri Lethos
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von Tengri Lethos »

Gerade dein Beispiel von Kanzleien finde ich schwierig. Natürlich wird keine Kanzlei das einfordern, wie denn auch, wo es doch gesetzliche Regelungen dazu gibt, wieviel man arbeiten kann. Und gerade in rechtsberatenden Berufen würde man natürlich nie dazu auffordern, gesetzliche Regelungen (Arbeitszeitgesetz) zu umgehen. Aber wenn Kollege A nun mal im Jahr 100 Fälle schafft, Kollege B aber nur 50 wird auch oft (so haben es mir Betroffene berichtet) nicht geschaut, in welcher Zeit diese Fälle geschafft wurden, sondern Kollege A wird schlichtweg als besser eingestuft. Mit Konsequenzen wie Boni, Beförderungen und ggf. auch das Kollege B nahe gelegt wird, sich eine andere Firma zu suchen oder seinen Output zu erhöhen. Natürlich gehe ich davon aus, dass das nicht in allen Kanzleien so ist, aber es ist schon erstaunlich wieviele aus der Branche stammenden Menschen mir von solchen Systemen erzählen. Und auch wenn ich durchaus verstehen kann, dass man gerade wenn einem die Arbeit Freude macht auch gerne bereit ist, viel mehr zu arbeiten, so halte ich es heute aus diversen Gründen für falsch zu sagen, dass das doch jeder für sich selber entscheiden könne (auch wenn ich lange Jahre anderer Meinung war). Hier besteht einfach ein gesamtgesellschaftlicher Zusammenhang aufgrund dessen ich es mindestens bei abhängig beschäftigt Menschen für notwendig halte, dass Crunch, Höchsteinsatz über das gesetzlich erlaubte Maß hinaus oder was auch immer (langfristig) für niemanden gut ist.
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Dr. Zoidberg [np]
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von Dr. Zoidberg [np] »

Die Argumentation, sich einfach etwas neues suchen zu können, ist halt leider auch nicht so einfach. Klar, Treyarch ist z.B. auch in Santa Monica, aber allzu viele weitere Studios halt nicht. Kurzum: So ein Jobwechsel wäre dann auch mit einem Ortswechsel verbunden und den macht man nicht mal eben so - erst Recht nicht, wenn da eine Familie mit dran hängt.

Ansonsten kann ich nur den Tipp unterstreichen, der hier bereits gegeben wurde, bisherige Reportagen zu den Arbeitsbedingungen bei Naughty Dog zu lesen. Die sind alles andere als lustig und haben bei mir maximale Antipathie gegen die Studioleitung hervorgerufen
"I'm still tired from all the crossfit this morning" - "It's pronounced croissant and you ate 4 of them"
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DickHorner
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von DickHorner »

Da weiß ich gar nicht, wo anfangen...

Überarbeitung führt zu Minderleistung. Das hat jeder verstanden, dessen Erfolg von der individuellen Leistungsfähigkeit abhängig ist. Künstler z.B., oder natürlich Sportler.
Als Rädchen im Getriebe fällt das natürlich nicht so stark ins Gewicht, besonders bei Aufgaben, die einfach weggearbeitet werden müssen.
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Tengri Lethos
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von Tengri Lethos »

DickHorner hat geschrieben: 29. Jun 2020, 07:57
Überarbeitung führt zu Minderleistung. Das hat jeder verstanden, dessen Erfolg von der individuellen Leistungsfähigkeit abhängig ist. Künstler z.B., oder natürlich Sportler.
Als Rädchen im Getriebe fällt das natürlich nicht so stark ins Gewicht, besonders bei Aufgaben, die einfach weggearbeitet werden müssen.
Auf rationaler Ebene verstehen das bestimmt auch die meisten Menschen. Aber dann kommt der Faktor Individuum ("Aber ich bin doch etwas besonderes...") hinzu und natürlich, dass man subjektiv in Momenten, in denen es "einfach flutscht" nicht mehr rational zugänglich ist. Als ich meine Diplomarbeit geschrieben habe, hatte ich auch mal einen Lauf, bei dem ich unvernünftigerweise jeden Tag 14 Stunden und mehr daran gesessen habe und nicht unter Zeitdruck war, weil die Abgabe noch weit entfernt war. Hat mir auch Spaß gemacht, das Thema hatte mich einfach gepackt. Aber was ich dann teilweise nachkorrigieren musste hat mich letzten Endes viel viel Zeit gekostet und es war super nervig und hat die frühere Euphorie wirklich stark angegriffen.

Und bei Sportlern ist es ja so, dass sogar Leistungssportler berichten, wie schwer es Ihnen teilweise fällt, Trainingspensum richtig zu steuern, weil es sich falsch anfühlt, nicht so hart zu trainieren wie man könnte. Ich hab da mal ein Interview mit einer Läuferin gesehen, die 2 Monate vor einem wichtigen Wettkampf eine Erkältung bekommen hat und sich gar nicht richtig erholen konnte, weil sie einerseits zu angespannt war ("Ich MUSS jetzt gesund werden") und andererseits viel zu früh und zu hart wieder mit dem Training angefangen hat. Das war ihr eine wichtige Lektion und ist ihr später nicht mehr passiert.

Und zu den Rädchen im Getriebe: Doch, auch da fällt es auf, wenn zuverlässige Kolleg*innen plötzlich bei Standardaufgaben ganz leichte Fehler machen und dann die Korrekturschleife viel größer wird, als sie eigentlich sein müsste.

Leider passiert es immer wieder, dass obwohl mittlerweile so viel Wissen vorhanden ist um die Gefahren solcher Arbeitsbelastungen ganz viele Menschen wirklich einmal in die Katastrophe reinlaufen müssen (Burn-Out, körperlicher Zusammenbruch etc.) und dann auch in vielen Betrieben stigmatisiert sind. Hier muss ich leider (auch durchaus selbstkritisch) einräumen, dass viele Männer in Führungspositionen in meinem Umfeld nur sehr begrenztes Verständnis dafür haben. Um so mehr freut es mich, wenn Menschen sich rechtzeitig melden und sagen "Ich brauche Hilfe, ich schaffe das nicht".
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whitespace
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von whitespace »

overTIMe hat geschrieben: 28. Jun 2020, 22:16 (1) JuristInnen: Als jemand, der gen Ende seines Jurastudiums geht und beinahe ein halbes Jahr in sog. „Großkanzleien“ gearbeitet hat, habe ich beobachtet, dass es bestimmte Unternehmen (Kanzleien) gibt, die bewusst die absolute Elite raussucht, oft auch nicht formal absurde Wochenstunden fordern, aber sich eine Unternehmenskultur aus der MitarbeiterInnenschicht heraus bildet, die dazu führt, dass es vollkommen normal ist, aufwärts der 60 bis teilw. 70 Wochenstunden zu arbeiten (im Durchschnitt). Jeder, der sich dazu entscheidet, sich dort zu bewerben, weiß exakt, was ihn/sie erwartet. Ja, sie werden auch fürstlich bezahlt. Ich tippe aber, dass die Naughtydog-MitarbeiterInnen ebenfalls nicht am Hungertod nagen. Sie sind ebenfalls die absolute Elite ihrer Branche der EntwicklerInnen. Jede/r von ihnen, könnte sich jederzeit anderswo einen ruhigeren Job suchen (Stichwort: auf dem Lebenslauf haben, wie im Podcast besprochen wurde). Und jede/r von ihnen wird sich dessen bewusst sein, sowohl dass sie der absoluten Elite zustoßen, an die die dementsprechenden Erwartungen gestellt werden, als auch dass sie mit ihren Fähigkeiten nicht auf die Stelle angenommen worden wären und mithin auch überall sonst mit Handkuss aufgenommen werden würden.
Also entweder du hast zuviel Suits geschaut oder du redest von vllt. 20 von 10000 "Elite-Kanzleien". Da verdient man übrigens auch dementsprechend schonmal mit dem doppelten an Einstiegsgehalt als bei Programmierern oder Designern aus der Games Branche. Außerdem sind Kanzleien keine Unternehmen mit über 1000 Mitarbeitern.
overTIMe hat geschrieben: 28. Jun 2020, 22:16 (2) ProfisportlerInnen: Niemand würde einem Jan Frodeno im Triathlon oder einer Gesa Krause in der Leichtathletik vorwerfen, für uns Normales unmenschliche körperliche Belastungen auf sich zu nehmen, um die besten ihrer Sportart zu sein. Im Gegenteil, ein Johannes T. Bøe (Biathlon) wurde von Teilen der Presse vorgeworfen, er würde nicht genügend Commitment als WM-Titelcontender an den Tag zu legen, weil er mittels der Saison für einige Wochen Pause gemacht hat, nachdem sein erster Sohn geboren wurde. Wer das Privileg und die Fähigkeiten dazu hat, der/die beste der Branche oder des Sports zu werden, aber auch jederzeit sagen könnte, sein Lebensglück anderswo zu finden, und sich trotzdem für das EINE commited, der soll dies auch dürfen. Gleichzeitig kann nicht der Einwand erhoben werden, im Wissen darum, dass man bei der absoluten Elite mitspielen will, nicht auch ebendiese Leistung zu erbringen, insoweit dies von Anfang an ersichtlich oder erwartbar ist und insoweit die MitarbeiterInnen angemessen entlohnt werden.
Abgesehen davon, dass die anders ungesund leben, bekommen Sportler das Geld regelrecht hinterher geschaufelt.
overTIMe hat geschrieben: 28. Jun 2020, 22:16 (3) KünstlerInnen: Hier nur noch ganz kurz (you get my idea): Wer sich Nächte um die Ohren schlägt, das perfekte Kunstwerk zu schaffen, tut dies freiwillig und (hoffentlich) aus einem intrinsichen Drang nach Perfektion. Eine so derart hochqualifizierte Person könnte auch ihre Prioritäten im Leben anderswo setzen.
Nein. Kein Vergleich. Auf keinem Level.
overTIMe hat geschrieben: 28. Jun 2020, 22:16 Warum ist das oben gesagt nicht verallgemeinerbar und darf bitte nicht dazu verdreht werden, als sage ich, dass jeder Arbeitende (sei es die sprichwörtliche Krankenschwester, oder der Kassierer, die taiwainesischen Kinderarbeiter, die unsere Kleider zusammennähen, etc.) ihr ganzes Leben einer Berufung verschreiben müssen und das ok ist? Weil es bei denen oftmals nicht dieselben Alternativen gibt, die so mit außergewöhnlichen und überdurchschnittlichen Fähigkeiten begabte und privilegierte Personen, wie diejenigen bei Naughtydog eben aufgrund dieser Qualifikationen haben.
Krankenschwester ist wirklich der einzig valide Vergleich den ich hier gefunden habe aber ich hätte noch keinen Kassierer gesehen, der bis in die Nacht rein arbeitet und das manchmal 13- 16 Stunden.
"Taiwanesischer Kinderarbeiter"?! Echt jetzt, no offendse aber das ist absurder Whataboutism.
Hier vergleichst du Äpfel, mit Birnen, mit Bananen.
overTIMe hat geschrieben: 28. Jun 2020, 22:16 Im Ergebnis daher, sofern man das Privileg hat, genuin freiwillig seinen Job auszusuchen, dürfen die Maßstäbe an commitment bei der Elite einer Branche höher sein, als das für die Arbeit nötige. (Bei dieser Argumentation angenommen wird, dass das Endprodukt nicht sogar unter einer (zu) hohen Belastung leidet, was durchaus möglich erscheint.)
Mhm, ein "taiwainesischer Kinderarbeiter" hat also ein Privileg, soso?
Und nein. Die Programmierer Elite arbeitet bei Google, Amazon oder Apple aber nicht in der Spiele Branche. Programmierer die da angestellt sind, sind jetzt keine Idioten oder Anfänger (das vllt. schon) aber sie sind noch immer ganz normale Programmierer mit einem Durchschnitts Gehalt der im Vergleich zur Rest IT relativ gering ist. Das sage ich aus Erfahrung, da ich mich bei Meetups mit Spieleentwicklern unterhalte und auch mit anderen aus meiner Branche.
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DickHorner
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von DickHorner »

Tengri Lethos hat geschrieben: 29. Jun 2020, 10:49 Auf rationaler Ebene verstehen das bestimmt auch die meisten Menschen. Aber dann kommt der Faktor Individuum ("Aber ich bin doch etwas besonderes...") hinzu und natürlich, dass man subjektiv in Momenten, in denen es "einfach flutscht" nicht mehr rational zugänglich ist. Als ich meine Diplomarbeit geschrieben habe, hatte ich auch mal einen Lauf, bei dem ich unvernünftigerweise jeden Tag 14 Stunden und mehr daran gesessen habe und nicht unter Zeitdruck war, weil die Abgabe noch weit entfernt war. Hat mir auch Spaß gemacht, das Thema hatte mich einfach gepackt. Aber was ich dann teilweise nachkorrigieren musste hat mich letzten Endes viel viel Zeit gekostet und es war super nervig und hat die frühere Euphorie wirklich stark angegriffen.

Und bei Sportlern ist es ja so, dass sogar Leistungssportler berichten, wie schwer es Ihnen teilweise fällt, Trainingspensum richtig zu steuern, weil es sich falsch anfühlt, nicht so hart zu trainieren wie man könnte. Ich hab da mal ein Interview mit einer Läuferin gesehen, die 2 Monate vor einem wichtigen Wettkampf eine Erkältung bekommen hat und sich gar nicht richtig erholen konnte, weil sie einerseits zu angespannt war ("Ich MUSS jetzt gesund werden") und andererseits viel zu früh und zu hart wieder mit dem Training angefangen hat. Das war ihr eine wichtige Lektion und ist ihr später nicht mehr passiert.

Und zu den Rädchen im Getriebe: Doch, auch da fällt es auf, wenn zuverlässige Kolleg*innen plötzlich bei Standardaufgaben ganz leichte Fehler machen und dann die Korrekturschleife viel größer wird, als sie eigentlich sein müsste.

Leider passiert es immer wieder, dass obwohl mittlerweile so viel Wissen vorhanden ist um die Gefahren solcher Arbeitsbelastungen ganz viele Menschen wirklich einmal in die Katastrophe reinlaufen müssen (Burn-Out, körperlicher Zusammenbruch etc.) und dann auch in vielen Betrieben stigmatisiert sind. Hier muss ich leider (auch durchaus selbstkritisch) einräumen, dass viele Männer in Führungspositionen in meinem Umfeld nur sehr begrenztes Verständnis dafür haben. Um so mehr freut es mich, wenn Menschen sich rechtzeitig melden und sagen "Ich brauche Hilfe, ich schaffe das nicht".
Du hast völlig recht, das war sehr stark verkürzt. Danke für Deine Ergänzungen!
whitespace hat geschrieben: 29. Jun 2020, 11:08 Abgesehen davon, dass die anders ungesund leben, bekommen Sportler das Geld regelrecht hinterher geschaufelt.
Jetzt bin ich neugierig. In Deutschland: in welcher Sportart außer Fußball ist das so?
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whitespace
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von whitespace »

DickHorner hat geschrieben: 29. Jun 2020, 11:34 Jetzt bin ich neugierig. In Deutschland: in welcher Sportart außer Fußball ist das so?
Tennis, Handball, Eishockey, Skifahren, Langlauf, Ski springen und vielen anderen Profi Sportarten.
Stefan H.
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von Stefan H. »

overTIMe hat geschrieben: 28. Jun 2020, 22:16 Als großer Fan des Podcasts und der jedes Mal tiefgründigen Berichterstattung möchte ich mich zunächst für die ausführlichen The Last of Us 2 Podcasts bedanken, den Ausführungen zum „Crunchen“ bei Naughtydog oder gar einem Boycott widersprechen. Happy to discuss!

Wie im Podcast selbst erläutert wurde, gab es (wohl) seitens der Firmenleitung keinen expliziten Druck auf die MitarbeiterInnen, ein derartiges Commitment zu geben, wenngleich sich jedenfalls mittelbar durch die Erwartungen, die die Firmenleitung, die MitarbeiterInnen selbst ebenso wie ohne Ausnahme die gesamte Spielerschaft an The Last of Us 2 solches commitment scheinbar erforderten. Im Folgenden ausgelassen wird der Aspekt, dass manche Spielteile womöglich nicht „notwendig“ erscheinen (Stichwort: Red Dead Redemption-Pferdehoden).

Nicht nur die Spielerschaft und Presse haben (hohe) Erwartungen an das Naughtydog-Studio, sondern sicher gerade auch viele MitarbeiterInnen selbst. Es dürfte wohl unbestritten sein, dass das Studio zu der absoluten Weltspitze zählt. Ich möchte den (selbstverständlich nicht 1:1 anwendbaren) Vergleich zu drei anderen Berufsgruppen ziehen, bei denen die Gesellschaft/Kundenschaft in keinster Weise ein weit überdurchschnittliches Commitment schmäht (die Auswahl wurde nur aufgrund eigener Erfahrung, nicht Ausschließlichkeit getroffen).

(1) JuristInnen: Als jemand, der gen Ende seines Jurastudiums geht und beinahe ein halbes Jahr in sog. „Großkanzleien“ gearbeitet hat, habe ich beobachtet, dass es bestimmte Unternehmen (Kanzleien) gibt, die bewusst die absolute Elite raussucht, oft auch nicht formal absurde Wochenstunden fordern, aber sich eine Unternehmenskultur aus der MitarbeiterInnenschicht heraus bildet, die dazu führt, dass es vollkommen normal ist, aufwärts der 60 bis teilw. 70 Wochenstunden zu arbeiten (im Durchschnitt). Jeder, der sich dazu entscheidet, sich dort zu bewerben, weiß exakt, was ihn/sie erwartet. Ja, sie werden auch fürstlich bezahlt. Ich tippe aber, dass die Naughtydog-MitarbeiterInnen ebenfalls nicht am Hungertod nagen. Sie sind ebenfalls die absolute Elite ihrer Branche der EntwicklerInnen. Jede/r von ihnen, könnte sich jederzeit anderswo einen ruhigeren Job suchen (Stichwort: auf dem Lebenslauf haben, wie im Podcast besprochen wurde). Und jede/r von ihnen wird sich dessen bewusst sein, sowohl dass sie der absoluten Elite zustoßen, an die die dementsprechenden Erwartungen gestellt werden, als auch dass sie mit ihren Fähigkeiten nicht auf die Stelle angenommen worden wären und mithin auch überall sonst mit Handkuss aufgenommen werden würden.

(2) ProfisportlerInnen: Niemand würde einem Jan Frodeno im Triathlon oder einer Gesa Krause in der Leichtathletik vorwerfen, für uns Normales unmenschliche körperliche Belastungen auf sich zu nehmen, um die besten ihrer Sportart zu sein. Im Gegenteil, ein Johannes T. Bøe (Biathlon) wurde von Teilen der Presse vorgeworfen, er würde nicht genügend Commitment als WM-Titelcontender an den Tag zu legen, weil er mittels der Saison für einige Wochen Pause gemacht hat, nachdem sein erster Sohn geboren wurde. Wer das Privileg und die Fähigkeiten dazu hat, der/die beste der Branche oder des Sports zu werden, aber auch jederzeit sagen könnte, sein Lebensglück anderswo zu finden, und sich trotzdem für das EINE commited, der soll dies auch dürfen. Gleichzeitig kann nicht der Einwand erhoben werden, im Wissen darum, dass man bei der absoluten Elite mitspielen will, nicht auch ebendiese Leistung zu erbringen, insoweit dies von Anfang an ersichtlich oder erwartbar ist und insoweit die MitarbeiterInnen angemessen entlohnt werden.

(3) KünstlerInnen: Hier nur noch ganz kurz (you get my idea): Wer sich Nächte um die Ohren schlägt, das perfekte Kunstwerk zu schaffen, tut dies freiwillig und (hoffentlich) aus einem intrinsichen Drang nach Perfektion. Eine so derart hochqualifizierte Person könnte auch ihre Prioritäten im Leben anderswo setzen.

Warum ist das oben gesagt nicht verallgemeinerbar und darf bitte nicht dazu verdreht werden, als sage ich, dass jeder Arbeitende (sei es die sprichwörtliche Krankenschwester, oder der Kassierer, die taiwainesischen Kinderarbeiter, die unsere Kleider zusammennähen, etc.) ihr ganzes Leben einer Berufung verschreiben müssen und das ok ist? Weil es bei denen oftmals nicht dieselben Alternativen gibt, die so mit außergewöhnlichen und überdurchschnittlichen Fähigkeiten begabte und privilegierte Personen, wie diejenigen bei Naughtydog eben aufgrund dieser Qualifikationen haben.

Im Ergebnis daher, sofern man das Privileg hat, genuin freiwillig seinen Job auszusuchen, dürfen die Maßstäbe an commitment bei der Elite einer Branche höher sein, als das für die Arbeit nötige. (Bei dieser Argumentation angenommen wird, dass das Endprodukt nicht sogar unter einer (zu) hohen Belastung leidet, was durchaus möglich erscheint.)
Erst einmal sagt mir meine Erfahrung in der Softwareentwicklung deutlich, dass Mitarbeiter in 'angesagte' Branchen (also Spieleentwicklung) zu gerne ihre persöhnliche Erfüllung über ihr Gehalt stellen.Bei Naughty Dog wird sicher nicht am Hungertuch genagt, vielleicht gibt es sogar gute Boni, aber ich bezweifle das die (insbesondere im Gesamtvergleich mit anderen Branchen) wirklich gut verdienen. Wenn man 7 Tage die Woche im Büro schläft und isst, hat man wahrscheinlich keine großen Ausgaben. In einer Bank oder Versicherung mag man auf den ersten Blick (!) keine Erfüllung finden, aber man fährt nach 35h mit einem Oberklassewagen nach Hause. Sich als selbst zur Elite zu erklären, hiflt da nur temporär die kognitive Dissonanz die sich aus der Situation ergibt zu überwinden. Irgendwann ist aber der jugendlich Elan ausgebrannt, man will vielleicht auch mal eine Familie gründen und dann verlässt man ganz schnell solche Unternehmen.

Und auch der Vergleich mit Spitzensport und Kunst zeigt doch deutlich. Da findet viel übermenschliche Selbstausbeutung teils auch Selbstzerstörung statt, trotzdem kommen nur eine Handvoll (die Fußballspieler der 1. Liga, die Olympiagewinner mit Werbevertrag ...) Protagonisten auch finanziell überdurchschnittlich weg. Der Rest opfert seine Gesundheit für ein finanziell präkeres Leben in der Mittelklasse seines Handwerkes. Ist das vernünftig?

Letztendlich ist aber der entscheidende Punkt, der durch alle Erfahrungen belegt ist: Ein Mitarbeiter der dauert Überstunden macht runiniert nicht nur sich selbst sondern auch seine Arbeit. Fehler nehmen zu. Gerade auch beim Programmieren entsteht das, was man technische Schulden nennt. In der Summe entsteht sogar negative Arbeit. Auch ein Anwalt der 70h arbeitet mag mehr Fälle wegschaffen, aber ob die Klienten mit dem Ergebnis immer glücklich sind darf bezweifelt werden. Wahrscheinlich entsteht in der Kanzlei noch viel mehr Arbeit mit den Nacharbeiten von Schriftstücken die überarbeitete Anwälte zusammengestümpert haben. Deswegen ist und bleibt zu sagen, dass Arbeitgeber nicht nur zum Schutz ihrer Arbeitnehmer Überstunden limitieren müssen, sondern auch aus Eigeninteresse. Auch um erfahrene Mitarbeiter im Unternehmen zu halten. Mag sein das der Junior gerne 70h schrubbt, aber der Senior hat die Idee wie man das gleiche Problem in 30h löst.
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Dr. Zoidberg [np]
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von Dr. Zoidberg [np] »

Tengri Lethos hat geschrieben: 29. Jun 2020, 10:49 Auf rationaler Ebene verstehen das bestimmt auch die meisten Menschen. Aber dann kommt der Faktor Individuum ("Aber ich bin doch etwas besonderes...") hinzu und natürlich, dass man subjektiv in Momenten, in denen es "einfach flutscht" nicht mehr rational zugänglich ist. Als ich meine Diplomarbeit geschrieben habe, hatte ich auch mal einen Lauf, bei dem ich unvernünftigerweise jeden Tag 14 Stunden und mehr daran gesessen habe und nicht unter Zeitdruck war, weil die Abgabe noch weit entfernt war. Hat mir auch Spaß gemacht, das Thema hatte mich einfach gepackt. Aber was ich dann teilweise nachkorrigieren musste hat mich letzten Endes viel viel Zeit gekostet und es war super nervig und hat die frühere Euphorie wirklich stark angegriffen.
1. Verfall nicht dem Survivorship Bias
2. Mal eine kurze Phase mehr arbeiten ist noch kein Crunch. Crunch wie etwa bei Naughty Dog geht über Monate, manchmal sogar länger als ein Jahr.
3. Es gibt nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, dass Crunch Unfug ist, die Erkenntnisse dazu sind auch uralt. Ich empfehle dazu die Lektüre von "Why Crunch mode doesn't work" - schau dann auch mal darauf, wie alt die Quellen teilweise sind. Hier schon mal als Teaser der Abstract:
When used long-term, Crunch Mode slows development and creates more bugs when compared with 40-hour weeks.

More than a century of studies show that long-term useful worker output is maximized near a five-day, 40-hour workweek. Productivity drops immediately upon starting overtime and continues to drop until, at approximately eight 60-hour weeks, the total work done is the same as what would have been done in eight 40-hour weeks.

In the short term, working over 21 hours continuously is equivalent to being legally drunk. Longer periods of continuous work drastically reduce cognitive function and increase the chance of catastrophic error. In both the short- and long-term, reducing sleep hours as little as one hour nightly can result in a severe decrease in cognitive ability, sometimes without workers perceiving the decrease.
4. Ich halte die Argumentation "In anderen Branchen ist es doch auch so" für nicht zielführend. Mag sein, dass es dort auch so ist, dann ist es dort aber auch scheiße. Und gerade beim Sport ist hinlänglich bekannt, dass man Pausen machen *muss*, um zu regenerieren - jeder gute Trainer und Coach weiß das und wer da anders handelt, handelt grob fahrlässig
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Tengri Lethos
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von Tengri Lethos »

Dr. Zoidberg [np] hat geschrieben: 29. Jun 2020, 13:29
Tengri Lethos hat geschrieben: 29. Jun 2020, 10:49 ...
1. Verfall nicht dem Survivorship Bias
Kannst Du mir vielleicht erklären, in welchem Punkt ich das deiner Meinung nach getan habe? Oder meintest Du allgemein "Man soll nicht..."?
Mein Beispiel ist aus mehreren Gründen natürlich kein Crunch gewesen: kein Druck von außen, kein Zeitdruck, keine Existenzängste, wenn ich es nicht schaffe etc. Mein Beispiel sollte zeigen, dass selbst (und gerade wenn) man meint "Ist doch alles cool, mache ich doch gerne" sehr schnell in eine Falle reinlaufen kann, die einem nachhaltig schadet. Ich wollte damit sagen, dass es bestimmt auch in der Software Branche Leute gibt, die für ihr Projekt richtig hart arbeiten und auch sagen, dass das alles nicht so schlimm sei, aber letzten Endes die wissenschaftlichen Erkenntnisse (die Du ja auch zitiert hast) etwas anderes sagen. Also sogar wenn intrinsische Motivation sehr stark vorhanden ist, kann es zu Problemen führen.
Dr. Zoidberg [np] hat geschrieben: 29. Jun 2020, 13:29 4. Ich halte die Argumentation "In anderen Branchen ist es doch auch so" für nicht zielführend. Mag sein, dass es dort auch so ist, dann ist es dort aber auch scheiße. Und gerade beim Sport ist hinlänglich bekannt, dass man Pausen machen *muss*, um zu regenerieren - jeder gute Trainer und Coach weiß das und wer da anders handelt, handelt grob fahrlässig
Natürlich ist diese Argumentation nicht zielführend. Und ja, jeder gute Trainer weiß das. Trotzdem kommt es im Spitzensport dazu, dass Spieler nicht ausreichend Zeit zum regenerieren bekommen und selber fahrlässig handeln. Man sieht immer wieder im Fußball (in anderen Sportarten bestimmt auch, aber die verfolge ich nicht so), wie Spieler nach Verletzungen viel zu schnell wieder reingeworfen werden oder aber so viele Spiele machen, dass sie gerne mit dem Sammelbegriff "überspielt" bezeichnet werden. Natürlich ist das auch ein Problem davon, dass mentale Belastung schwieriger zu messen ist als körperliche (in einer langen Saison wird ja auch das Training für die Spieler individuell daran angepasst, wie fit sie gerade sind...aber das macht man primär an rein pyhsischen Indikatoren fest). Ich glaube, das ist fast schon ein philosophisches Problem, dass der Mensch meint, der Geist triumphiert immer über den Körper. Und das Problem ist, dass so natürlich auch Heldengeschichten geboren werden: Jürgen Klinsmann hat 1996 innerhalb von 7 Tagen einen Muskelfaserriss aus dem Viertelfinale auskuriert und dann das Finale gespielt. Tolle Geschichte, große Leistung! Aber viele ziehen aus soetwas die Lehre: "Das geht also, dann geht das auch bei mir" und riskieren dann zu schnell zu viel. Und natürlich funktionieren Heldengeschichten, die auch ich heute immer wieder gerne höre, nur so. Keiner berichtet von dem Menschen, der vernünftigerweise gesagt hat "Ich überbringe die Nachricht vom Sieg über die Perser erst in drei Tagen, weil ich mir die Strecke gut einteile, da ich meine körperlichen Grenzen kenne."

Long Story short: Regenerationsphasen (sowohl physisch als auch psychisch und gerade weil das eine oft mit dem anderen zusammenhängt) einhalten, Grenzen nie ruckartig ausweiten und auch mal akzeptieren. Der Preis, den man sonst zahlt kann sehr hoch sein.
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schneeland
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von schneeland »

Tengri Lethos hat geschrieben: 29. Jun 2020, 14:23 Ich wollte damit sagen, dass es bestimmt auch in der Software Branche Leute gibt, die für ihr Projekt richtig hart arbeiten und auch sagen, dass das alles nicht so schlimm sei, aber letzten Endes die wissenschaftlichen Erkenntnisse (die Du ja auch zitiert hast) etwas anderes sagen. Also sogar wenn intrinsische Motivation sehr stark vorhanden ist, kann es zu Problemen führen.
Gibt es :). Das Kernproblem ist einfach: a) für ein paar Wochen geht das sogar und man merkt selber nicht unmittelbar, wie die eigene Leistungsfähigkeit sinkt und b) denkt man sich halt gern: "ich bin besonders/überdurchschnittlich leistungsfähig" (was stimmen mag, aber gegen die Biologie kommt man halt trotzdem nicht an).
"Hello, my friend! Pay a while, and listen!" (BlizzCon 2018)
"And now our RPG even has NPCs!" (Bethesda, E3 2019)
"..." (E3 2020, entfallen)
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Tengri Lethos
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von Tengri Lethos »

schneeland hat geschrieben: 29. Jun 2020, 14:47

Gibt es :). Das Kernproblem ist einfach: a) für ein paar Wochen geht das sogar und man merkt selber nicht unmittelbar, wie die eigene Leistungsfähigkeit sinkt und b) denkt man sich halt gern: "ich bin besonders/überdurchschnittlich leistungsfähig" (was stimmen mag, aber gegen die Biologie kommt man halt trotzdem nicht an).
Sehe ich ganz genau so.
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Wudan
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von Wudan »

whitespace hat geschrieben: 29. Jun 2020, 11:08 "Taiwanesischer Kinderarbeiter"?! Echt jetzt, no offendse aber das ist absurder Whataboutism.
Hier vergleichst du Äpfel, mit Birnen, mit Bananen.
Jain. Genau an dieser Stelle möchte ich hier kurz einhaken, weil das ein Gedanke ist der mir in Bezug auf den geforderten Boykott von Entwicklerstudios schon öfters durch den Kopf gegangen ist.

Das empfinde ich nämlich als genau die Heuchlerei die solchen "Shitstorms" gerne anhängt. Es gibt Spieler die regen sich richtig auf, sind empört, fordern Boykott von Studios wie Rockstar oder Naughty Dog für den angeblichen Misbrauch von Arbeitskräften - schön und gut, Crunch ist scheisse - brauchen wir nicht zu diskutieren.

Aber ist es nicht so das sich die meisten dieser empörten Leute (sicherlich nicht alle, aber der größte Teil) umgekehrt einen Dreck darum scheren wer ihre 10€ Tshirts unter welchen Umständen zusammengenäht hat? Sollte man nicht eher an dieser Stelle erstmal ansetzen wenn man sich gegen die systematische Ausbeutung von Arbeitsräften einsetzen will? Ich will jetzt nicht mehr Beispiele anbringen, aber es ist doch so das viele unsere Klamotten (nicht mal nur die Discountware) unter den aller widrigsten Bedingungen hergestellt werden, in geradezu sklavischen Arbeitsverhältnissen in der Kinderarbeit an der Tagesordnung ist. Wo ist da der empörte Aufschrei der "Gamer" ?

Ich will den Crunch in der Gamesbranche überhaupt nicht schön reden. Das ist scheisse und das sollte nicht sein, völlig klar. Aber aus dem o.g. Grund halte ich den Großteil der Spielerempörung für heuchlerischen Opportunismus, unreflektierte Fremdempörung der sich gerne bedient wird wenn man eh dem Studio eine reindrücken will, weil gegen AAA Studios und Publisher zu wettern "chic" ist. Geht es wirklich darum das man sich ernsthaft um Angestellte sorgt oder geht es darum auf einen Hatetrain aufzuspringen der grad angesagt ist, oder ein Spiel zu bashen dessen Hype einem eh auf den Sack geht? Ich wette dass ein Großteil dieser Empörer das plötzlich gar nicht mehr so eng sieht wenn sie das Spiel richtig toll finden und richtig heiss drauf sind. Und wieviele regen sich in Comments über den Crunch bei RDR2 auf und kaufen es sich dann trotzdem? Deswegen kann ich diese aufgesetzte Empörung die diesen Diskussionen zu eigen sind nicht wirklich ernst nehmen.

Kurz noch zu den schrumpfenden Pferdehoden in RDR2: Bietet sich natürlich als plakatives Beispiel gut an, aber ich kann mir vorstellen dass sowas nicht viel Aufwand ist einzubauen. Ein Skript das ein Objekt schrumfen/wachsen lässt wenn man sich in einer bestimmten Region aufhält ist vielleicht an einem lauen Nachmittag geschrieben von einem Skripter der grad nix besseres zu tun hat weil er eh auf etwas warten muss (vorsicht gefährliches Halbwissen).
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Guthwulf
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von Guthwulf »

Ich bin mir nich sicher, worüber wir hier grad diskutieren?

Für mich ist es einfach: "Crunch" ist ein erhebliches Gesundheitsrisiko und damit ein Problem, völlig egal ob er intrinsisch oder extrinsisch motiviert ist. Es gibt zudem genügend wissentschaftliche Studien, die Aufzeigen das bei Überschreiten der maximal empfohlenen täglichen Arbeitszeit, die Produktivität und Konzentration zwangsweise runtergehen und das Risiko für Fehler sowie langfristige gesundheitliche Folgen rasant steigen. Es gibt einen Grund für die Arbeitszeitgesetze in Deutschland. Crunch zuzulassen, zu entschuldigen oder tolerieren ist schlichtweg nicht akzeptabel. Regenerationsphasen sind ein Notbehelf, wenn es mal wirklich nicht anders geht, entschuldigen den Crunch an sich aber nicht.

Ich bin übrigens selber in die Falle reingelaufen. Jung, übermotiviert, hält sich für "unverwundbar", Ausruhen kann man ja später immer noch irgendwann... und inzwischen zahle ich den Preis mit schweren gesundheitlichen Folgen. Gerade weil es viele Personen individuell für sich nicht wahrhaben können oder wollen (ich bin besser, wir sind die elite etc.), ist es die Pflicht vom Management, darauf zu achten und rechtzeitig einzuschreiten. Die langfristigen Risiken nicht nur für die betroffenen Personen selbst, sondern die Firma als Ganzes, sollten das offensichtlich machen. Aber leider gelten hohes Arbeitspensum (vs. langfristige Qualität), Überstunden an sich und die Gruppendynamik im Crunch (gemeinsam an der Front) viel zu oft noch als Auszeichnungen und positiv in der heutigen Arbeitskultur, egal wie viele wissenschaftliche Studien davor warnen. Bissel wie mit dem Klimawandel. Eine ganze Weile scheint es doch irgendwie noch halbwegs "gut" zu gehen. Wenn man dann aber schließlich die langfristigen Folgen am eigenen Leib spürt, ist es eigentlich schon zu spät.

Das Argument "es gibt aber andere viel schlimmere Probleme in der Welt" ist für mich nicht zulässig, da das ein Totschlagargument für alles ist. Natürlich ist das so und natürlich sind Menschen auch gerne sehr selektiv, welche Probleme sie wahrnehmen wollen und welche sie ignorieren. Das macht die Crunchkultur nicht besser oder entschuldbar.
guthwulf04 (Steam), dreosan (PSN), Guthwulf06 (Xbox), Guthwulf16 (Switch: SW-7403-8257-5609)
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bluttrinker13
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von bluttrinker13 »

Dr. Zoidberg [np] hat geschrieben: 29. Jun 2020, 13:29
3. Es gibt nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, dass Crunch Unfug ist, die Erkenntnisse dazu sind auch uralt. Ich empfehle dazu die Lektüre von "Why Crunch mode doesn't work" - schau dann auch mal darauf, wie alt die Quellen teilweise sind.
Super Quelle, vielen Dank.
:clap:
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bluttrinker13
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Re: Widerspruch: Crunchen bei Naughtydog

Beitrag von bluttrinker13 »

Dr. Zoidberg [np] hat geschrieben: 29. Jun 2020, 13:29 schau dann auch mal darauf, wie alt die Quellen teilweise sind
Passend zu dem Thema "Burnout im 19. Jhd." war auch gerade ein kleines Interview in der WiWo, ich lasse den Link hier deshalb mal noch da:

https://www.wiwo.de/erfolg/beruf/work-l ... 49328.html
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