Die Anne hat es aber nicht wegen deiner Kohle geschrieben und hat davon auch nicht mehr viel gehabt. Die Differenzierung von Jochen zielte ja darauf ab, dass der Autor (nicht irgendein Nachlassverwalter) sich dazu entscheidet, sein Werk zu kommerzialisieren.RipvanHahl hat geschrieben:Ich musste für meine Ausgabe des Anne Frank Tagebuches Geld bezahlen :/
Und ich denke, es wäre sicher auch durchaus nicht völlig ungehörig, wenn man bei einer Besprechung des Tagebuchs der Anne Frank auch erwähnt, dass es vielleicht nicht total fantastisch geschrieben ist. Man würde halt nur gehörig am Thema vorbei kritisieren, da es sich nichtmal um das Werk eines professionellen Autors handelt, oder auch nur eines erwachsenen Autors der mit dem Vorsatz schreibt, es der ganzen Welt zugänglich zu machen. Die "Kommerz-Regel" braucht es in diesem sehr speziellen Fall gar nicht, um sich in der Betrachtung auf eine andere Perspektive zurückzuziehen.
Diese Frage kann man ja im Grunde bei jedem tragischen Werk stellen. Warum soll sich jemand "Requiem for a Dream" anschauen, wenn man sich am Ende doch total deprimiert fühlt? Rein von der Medienwirkungstheorie her (großes Wort, von einem blutigen Laien niedergeschrieben - keep that in mind), vermutlich weil wir solch emotionale Stellvertretererfahrungen aufsuchen. Geschichten sind ja menschheitsgeschichtlich auch ein Werkzeug, um Erfahrungen weiterzugeben und uns auf reale Ereignisse vorzubereiten. Die Fähigkeit, uns über eine reine Erzählung in eine andere Figur einzufühlen, ist ja deswegen evolutionär sinnvoll, genauso wie unser Empathievermögen soziale Strukturen begünstigt / ermöglicht. Das erstreckt sich IIRC eben auch auf ein emotionales Training - ob als Nebeneffekt oder auch als sinnvolle Einrichtung - who knows.derFuchsi hat geschrieben:Aber zurück zum Spiel. Was ich mich die ganze Zeit frage seit ich die ersten Berichte gelesen habe: Warum soll man das Werk überhaupt spielen wollen ? So richtig komme ich nicht dahinter.
Weil man als Unbeteiligter gerne am Schmerz fremder Personen teilhaben möchte ? (Als ob man nicht genug Probleme im eigenen Umfeld hätte.)
Weil man selbst jemanden im näheren Umkreis hat der an Krebs starb oder erkrankt ist ? (Will man dann wirklich noch in der Wunde stochern ?)
Reiner Voyeurismus ?
IMO sind solche Geschichten daher in vielerlei Hinsicht wertvoll. Zum Beispiel, weil sie das empathische Spektrum erweitern. Je mehr man - wenn auch in diesem Fall nur stellertretend - Leid und Notsituationen nachvollzogen hat, desto eher ist man in der Lage mit anderen Menschen mitzufühlen (sofern man in der Lage ist eine abstrakte oder fiktive Erfahrung als Lektion dieser Art "abzuspeichern").
Oder, weil Geschichten, die sonst zu unkonkret sind um uns zu bewegen, plötzlich greifbar werden. Beispiel "Titanic": Ich kannte immer die abstrakte Geschichte: Großes Schiff, 1912 gesunken, 400+ Leute ertrunken, große Katastrophe. Der Film von James Cameron, wie man ihn nun auch immer finden mag, hat mir zum ersten Mal die Dimensionen dieses Unglücks vor Augen geführt. Vorher war der Untergang des Schiffs ein historisches Faktum. Danach hatte ich plötzlich einen Eindruck, wie entsetzlich eine solche Situation tatsächlich ist. Schlicht, weil ich das vorher auch nie reflektiert hatte.
Noch simpler: Weil uns solche Geschichten an alltägliche Binsenweisheiten wie "das wichtigste ist deine Gesundheit" erinnern, den Punkt aber plötzlich sehr deutlich illustrieren. Man weiß sowas, man sagt sowas vielleicht selber, aber wenn die Wunschfee in dem Moment auftaucht, will man trotzdem zwei Fantastillarden Euro.
Und letztlich suchen wir in Medien ja schlicht immer eine emotionale Erfahrung. Oft eher positive. Aber da man selbst ja nicht direkt betroffen ist, geht die emotionale Achterbahn ja im Anschluss recht bald wieder nach oben. Viele Menschen empfinden die Chance mal wieder zu weinen ja sogar als emotional reinigend (gibt ja IIRC sogar ein paar Studien die nahelegen, dass wir da biochemisch Stress reduzieren - aber keine Ahnung, ob das nachgewiesen ist oder Quatsch). So oder so, fühlt man sich nach einem solchen "low" vielleicht einfach einige Zeit später in Relation wieder "besser" und "glücklicher", selbst wenn man nur auf's Ausgangsniveau zurückkehrt.
Kurz, ich kann mir echt viele Gründe vorstellen - wohlgemerkt alles aus dem Bauch raus und gerade aus viel Halbwissen zusammengestückelt. Falls wir in der Hinsicht Experten im Board haben, würde mich da eine Betrachtung sehr interessieren.
Andre