Heretic hat geschrieben: ↑12. Sep 2020, 12:54
Knives Out
Etwas aufgeblasen wirkendes Whodunit-Movie mit Starensemble. Stellenweise echt witzig und unterhaltsam, aber manchmal etwas zu schwafelig (ja, ich meine Sie, Mr. Craig!) und langatmig. Eine halbe Stunde weniger hätte dem Film nicht geschadet. Denn leider wirken trotz der ausufernden Laufzeit einige Charaktere zu blass und unwichtig. Stattdessen fokussiert man sich mit der Pflegerin des verblichenen Hausherrn auf den meiner Meinung nach uninteressantesten Charakter - das herzensgute, zu Kotzattacken neigende scheue Reh.
"Knives Out" ist beileibe kein schlechter Film, aber nach meinem Empfinden auch kein Meisterwerk.
Häresie!
Da habe ich eine ganz konträre Meinung dazu:
Knives Out ist eine Hommage an die großen Krimanalautoren wie Agatha Christie oder Arthur Conan Doyle, Kriminalfilmen wie Columbo oder Mord ist ihr Hobby - welche teilweise auch direkt genannt werden. Benoit Blanc (der Privatdetektiv) wird als Hercule Poirot-Verschnitt bezeichnet, er selbst ernennt Marta Cabrera zu seinem Watson und bei ihrer Mutter läuft im Fernsehen "Mord ist ihr Hobby" auf Spanisch. Das Opfer ist weltbekannter Kriminalautor.
Die voller Geheimnisse steckende Villa, in welcher der Film spielt, ist ein weiteres Genre-Klische, welche durch unzählige kleine Details zur Perfektion eines Filmsets wird und trotzdem nicht unrealistisch erscheint, weil der Besitzer ein kauziger Kriminalautor ist, der Details aus seinen Büchern in seine Villa bauen ließ.
Ich dachte bis ich beim zweiten Mal schauen des Films die englische Orginalspur hörte (und Daniel Craig kein "Englisch" spricht, sonder Südstaaten-Dialekt), dass der Film in England spiele, weil diese Art Häuser für mich mit England verbunden sind - aber es spielt und wurde gedreht in der Gegend um Bosten.
Vermutlich weil ich kürzlich alle originalen Sherlock Holmes Romane und Kurzgeschichten las, empfinde ich den Detailreichtum noch besser. So zitiert Ryan Johnson die Kurzgeschichte "Der Mann mit dem geduckten Gang" Sherlock Holmes Meinung zu (Spoilerzitat)
Hunden:
In einer Hundeseele spiegelt sich das Leben der Familie, der er gehört. Wer hat jemals einen munteren, fröhlichen Hund in einer verdrossenen Familie gesehen oder einen trübseligen Hund in einer glücklichen? [...] Die wechselnden Launen der Tiere mögen sehr wohl ein Spiegelbild der wechselnden Launen der Familien sein.
Viele weitere Details des Drehbuchs fielen mir erst beim 2. Schauen des Films aufs.
Die schauspielerische Leistung ist hervorragend.
Der Plot bietet einige Wendungen, bei denen der Zuschauer sich nicht mehr sicher sein kann, auf welcher Seite er selbst steht und auf welcher die Protagonisten. Das passiert in dieser Form nur selten.
Ja, einige Charaktere (z.B. Meg) fehlen ein paar Minuten, um genauer charakterisiert zu sein. Doch schafft es der Film mit Andeutungen über sie, den Zuschauer dazu anzuregen, eine eigene Vorstellung über sie sich zu bilden. Viele hervorragende Filmen haben ihre "Längen" (der Pate, Herr der Ringe, Die Verurteilten, etc.), diese bleiben jedoch nicht ungenutzt und werden für ein World-Building, einen höheren Detailgrad, Charakterisierung, usw. genutzt. Das trifft auch auf Knives Out zu. Der Humor sitzt, die Tragik auch, so wird er insgesamt zu einem kurzweiligen Film.
Leider gibt es ein großen Plotloch, welches den Film (im Nachinein) etwas schlechter macht:
Es gibt keinen Grund, wieso Benoit Blanc gerufen werden sollte. Der toxikologische Bericht der Gerichtsmedizin wäre auch ohne sein zutun an die Polizei weitergegeben worden und hätte Ermittlungen ausgelöst, wenn er positiv gewesen wäre.
Rian Johnson Star-War-Irrfahrt wird mit diesem Film umso schlimmer. Welch guten Film hätte er stattdessen drehen können? Ich hoffe, dass es in Zukunft einen weiteren Film im Knives Out Universum (ohne zu spoilern) von ihm geben wird. Sehr gut für Film-Fans, großartig für Krimi-Fans. Auf einem Niveau mit den ersten Staffeln von Sherlock.
9/10