Ich glaube, einige Demokrat*innen weigern sich immer noch einzugestehen, wie die GOP 2020 funktioniert. Es wäre schlichtweg egal gewesen, wen sie aufgestellt hätten, die GOP im Allgemeinen und Trump im Besonderen hätten trotzdem "Sozialismus" geschrien. Auch die Behauptung einiger demokratischer Kongressabgeordneter, progressive Leute wie AOC seien für die geschrumpfte Mehrheit im Repräsentantenhaus verantwortlich und sollen sich in Zukunft gefälligst mäßigen und nur noch moderate Positionen vertreten, ist daher mMn grundfalsch. Das Wahlsystem der USA - so problematisch die weit auseinanderliegenden Flügel auch sind, die dadurch entstehen - ermöglicht es eben in moderaten Bezirken mit moderaten Kandidat*innen anzutreten und zu gewinnen und in progressiven Bezirken mit progressiven Kandidat*innen (die ja auch deshalb gewinnen und überhaupt die Vorwahlen überstehen, weil sie progressiv sind). Und auch hier: Es ist egal, ob du als demokratische*r Kandidat*in moderat oder konservativ bist, für die Republikaner bist du anno 2020 so oder so Sozialist*in.Vinter hat geschrieben: ↑7. Nov 2020, 12:53 Gleichzeitig heulen die Demokraten(!), dass der Bidensieg nur so knapp war, weil die Partei zu progressiv(!!!) aufgetreten sei. Mit einem Kandidaten, der im Prinzip keinen Grund für große Veränderungen sieht. Von irgendwelchen Träumen von der Abschaffung des Electoral College, über die Reform des Senates oder das erweitern des SCOTUS ganz zu schweigen.
Bei den Mid-terms 2018 sind angesichts der Blauen Welle auch einfach einige Demokrat*innen in eigentlich sehr republikanischen Bezirken an Sitze im Repräsentantenhaus gekommen, dass sie die in einem "normalen" Wahljahr verlieren, ist nicht weiter überraschend. Ebenso wie zu erwarten war, dass Doug Jones seinen Sitz im Senat verliert, wenn er als Demokrat im tiefroten Alabama nicht gegen einen Kandidaten antritt, der in seiner Vergangenheit Minderjährigen hinterhergestiegen ist.
Aber Stichwort Senat: Die Demokraten sollte alle ihre Energie nicht auf interne Anschuldigungen lenken, sondern auf die Stichwahlen in Georgia. Sie müssen (!!!) beide Senatssitze dort gewinnen, koste es was es wolle. Sonst wird es nämlich nicht nur schwierig, Bidens Agenda durch den Kongress zu bringen, es ist auch ihre einzige Chance zu verhindern, dass die GOP in den nächsten Jahren ihre Minderheitsherrschaft weiter zementiert. Die Siege in zahlreichen Down-ballot-races ermöglichen den Republikanern sonst nämlich nicht nur die Zementierung ihrer Mehrheiten in zahlreichen Parlamenten von Einzelstaaten per Gerrymandering. Sie werden es den Demokraten sonst (ebenfalls per Gerrymandering und weiterer Wählerunterdrückung) auch noch schwerer machen können, eine Mehrheit im Repräsentantenhaus zu bekommen. Nur mit einer Senatsmehrheit lassen sich Gesetze durchsetzen, die das verhindern/einschränken.
Kleine Korrektur an der Stelle auch zum 10er-Goodie @Andre: Bei der Frage, Puerto Rico (und Washington D.C.) zu Staaten zu befördern, geht es nicht um den Supreme Court. Da könnte Biden auch ohne Änderungen bei der Anzahl der Staaten mehr Richter*innen ernennen, so er denn eine Mehrheit im Senat bekommt. Da geht es um zwei bzw. vier sichere demokratische Sitze im Senat (D.C. ist die blauste Region der ganzen USA). Die gleichberechtigte Vertretung aller Staaten im Senat bevorteilt die GOP in einigermaßem grotesken Maßstab (wenn die Demokraten beide Sitze in Georgia gewinnen sollten, stünde es im Senat 50-50, die Mehrheit hätten sie also nur dank VP Kamala Harris - die 50 republikanischen Senator*innen würden aber 40 (!) Millionen (!) Bürgerinnen (!) weniger (!) vertreten als die 50 demokratischen). Und da eine Verfassungsänderung, die die gleichberechtigten Vertretung aller Staaten in Senat abschafft, die Zustimmung aller (!) Staaten bedarf (mit anderen Worten: Wird nicht passieren) sind Puerto Rico und D.C. die ziemlich einzige Chance da in nächster Zeit einigermaßen Chancengleichheit wiederherzustellen.
Und es ist nicht so, als sei das total unverdient: Sowohl Puerto Rico als auch D.C. haben mehr Einwohner*innen also so mancher US-Staat, zahlen dementsprechend auch mehr (Bundes-)Steuern, ohne Mitspracherecht im Parlament und - im Fall Puerto Rico - bei der Präsidentschaftswahl zu haben. Und "No taxation without representation" hat seit 1776 nichts von seiner Gültigkeit verloren...