ronnymiller hat geschrieben: ↑19. Dez 2020, 22:12
Macht es Euch wirklich Spaß, diesen langweiligen Interaktiven Film zu spielen? Einen Großteil der "Spielzeit" verbringt man mit zusehen, noch mehr mit zuhören und Multiple Choice Antworten. Ein "Rollenspiel" hab ich nicht gefunden - ich hab mir meist die dicksten Wummen gekrallt und losgeballert, weil Schleichen und Hacken keinen Spaß machen. Die Fahrerei ist langweilig, weil ohne Herausforderung. Die Welt wirkt auch nicht lebendig, weil nix passieren kann, egal was ich mache. Klauen? Morden? Alles umhaun und umfahren. So what.
Ja, mir macht es wirklich Spaß und für mich ist die PC-Version von Cyberpunk trotz fehlendem Feinschliff das beste Spiel des Jahres.
Das liegt daran, dass es ein großer Open World Titel ist, der sich vollkommen frisch anfühlt, bei dem ich mich nicht an bekannte Reihen anderer Publisher oder sogar den Vorgänger erinnert fühle und bei dem ich daher die Zusammenhänge und Besonderheiten der Spielwelt vollkommen neu entdecken kann. Das kommt in der Qualitätsklasse leider nur extrem selten (alle paar Jahre) vor, da es selbst bei Neuentwicklungen wie Ghost of Tsushima von einem komplett anderen Publisher nicht unüblich ist, dass man darin viele bereits aus anderen Open World Titeln bekannte Elemente (aka Ubisoft-Formel) stark wiedererkennt.
Zum anderen auch an der herausragenden Grafik mit einzigartiger Lichtstimmung, die mich so stark beeindruckt, wie das zuletzt beim Schritt zur HD-Auflösung der Fall war und wie ich es in der heutigen Zeit der "diminishing returns" fast nicht mehr für möglich gehalten hätte. Bei Cyberpunk ist das auch nicht nur ein kurzer Wow-Effekt, sondern die Spielwelt beeindruckt mich auch nach 30 Stunden immer wieder erneut.
Außerdem bietet das Gameplay viele Freiheiten innerhalb der Missionen - fast immer kann man einen interessanten Mix aus Hacken, Schleichen, Klettern, Nahkampf (nicht mein Ding) und diversen Waffen nutzen um an das Ziel zu kommen. Es gibt für mich nichts besseres als Open World Titel, bei denen ich in den Missionen so vielfältig und frei wie im folgenden Video gezeigt vorgehen kann:
https://www.youtube.com/watch?v=QYI0TF3CDA8
Cyberpunk kommt dabei schon recht dicht an meinen Favoriten Far Cry 4 heran, was diese Art von Gameplay in den Missionen angeht (zu Far Cry 4 gibt es auch nette Videos - z.B. mal nach "Speak No Evil" suchen), spielt also auch in dem Punkt ganz weit oben mit und mir würde kein anderes Spiel aus diesem Jahr einfallen, bei dem ich in den eigentlichen Missionen so viel Spaß hatte.
Ein Open World Sandkasten wie in GTA gibt mir hingegen nichts - damit spiele ich anfangs mal ein paar Stunden herum und merke aber recht schnell, dass es sich doch nur um eine sehr oberflächliche Simulation der Welt handelt, die nicht die Tiefe hat mein Spielerlebnis wirklich zu bestimmen oder wesentlich zu bereichern. Diese vergleichsweise aufwendige Simulation erkauft man sich bei allen Rockstar-Spielen leider mit einer trägen Steuerung, die alle Aktivitäten in der Spielwelt und somit das eigentliche Gameplay auf das Niveau eines 65-75% Titels zurückwirft. Würde sich ein reines Rennspiel oder ein 3rd-Person Actionspiel wie GTA spielen, würde das zurecht komplett untergehen.
Im Endeffekt macht es für mich zu weiten Teilen gar keinen Unterschied, ob und wie weit ich mit dem Verkehr oder Passanten interagieren kann, da diese Handlungen weder bei GTA noch bei Cyberpunk in meinem Spielablauf langfristig vorkommen. Die wirklich schlimmen Szenen, die man zu Cyberpunk auf Youtube findet, bei denen die Schwächen schonungslos aufgedeckt werden, kommen in meinem normalen Spielverlauf einfach nicht vor - oder so selten, dass ich damit leben kann, wenn dafür das eigentliche Gameplay passt und nicht zu einer trägen Ragdoll-Simulation verkommt.
Deine Kritik bzgl. interaktivem Film kann ich nicht nachvollziehen. Das trifft vielleicht zu, wenn man nur der Hauptstory nachgeht, wobei selbst dann nur phasenweise, z.B. beim Übergang von Akt 1 zu Akt 2. Spielt man aber auch Nebenmissionen und nimmt auch mal auf dem Weg einen Polizeieinsatz mit oder erkundet ein interessantes Gebäude oder Gelände das man auf dem Weg entdeckt, hat man ein sehr freies Spielgefühl. Dass die Missionen stellenweise "filmreif" inszeniert sind ist dann eher ein Pluspunkt, gerade weil einen das Spiel dafür nicht wie RDR2 in ein Schlauch-Korsett steckt, aus dem man keinen Zentimeter abweichen darf.