Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

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Andreas29

Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Andreas29 »

Immer wieder kommt es vorwiegend in den sozialen - aber auch klassischen bzw. digitalen - Medien zu Debatten um sogenannte "Cultural Appropriation"; also "kulturelle Aneignung". Das bedeutet sich an einer für einen selbst fremden Kultur zu orientieren, sich davon inspirieren zu lassen und ihre optischen, auditiven oder sonstigen Merkmale zu verwenden.
Kritiker erkennen darin eine Respektlosigkeit und im Endeffekt Rassismus aus einer Position des "White Privilege" in einer kolonialistischen Tradition.
Sie kritisieren, dass weiße Menschen ohne dieselben Repressalien fürchten zu müssen eine fremde Kultur "stehlen", nicht referenzieren und die Lorbeeren für sich einstreichen; das die eigentlichen Urheber*innen untergehen und mit der angeeigneten Kultur Geld verdient wird.

Ich habe es jetzt mal laienhaft in eigenen Worten beschrieben. Arte hat dazu ein gutes Video gemacht: https://www.youtube.com/watch?v=ANfCZB3XYKA

Besonders häufig trifft die Kritik Pomusiker*innen, die sehr oft Mode der asiatischen oder afrikanischen Kultur appropriieren. Es ist müßig Beispiele aufzulisten, denn fast JEDER größere Musiker unserer Zeit hat diese Debatte im großen oder kleinen Umfang schon über sich ergehen lassen müssen; einfach mal testen: Man nehme irgendeinen bekannten Musiker und tippe ihn zusammen mit "Cultural Apprpriation" bei Google ein und man wird in sehr vielen Fällen fündig.
Auch die Musik an sich wirft immer wieder diese Debatten auf... ich denke jeder kennt z.B. den Streit um Elvis, der viel von schwarzen Künstlern inspiriert war. Oder nehmen wir den Blues, der später in die Rockmusik überging und seine Ursprünge in der Black Community hat.
Es gibt streit um Karnevals- und Halloweenkostüme, Filme- und Serien stehen in der Schusslinie und zuletzt sogar der Streit um eine Übersetzung:
https://www.ndr.de/kultur/Streit-um-Ged ... en104.html

Wie immer bei identitätspolitischen Themen ist die Stimmung enorm aufgeheizt und emotional.

Es geht mittlerweile so weit, dass ich auf Demonstrationen Schilder gelesen habe mit "White Culture is Theft".
In den USA ist besonders dieser Fall heiß diskutiert worden:
https://www.youtube.com/watch?v=jDlQ4H0Kdg8
Ein weißer Student wird wegen seiner Dreadlocks angegriffen.

Es gibt die Strömung, dass es eine Linie gibt zwischen Appropriation und Appreciation und es mit dem richtigen Fingerspitzengefühl möglich ist, dass diese "Aneignung" respektvoll und nicht verletzend angenommen werden kann.

Andere lehnen den Begriff "Cultural Appropriation" komplett ab und halten die Aufregung darum für fehlgeleitet. Sie sehen es als das eigentliche Ziel und den gewünschten Zustand an, dass sich die Kulturen vermischen und sich die Grenzen zwischen ihnen aufheben. Ein Argument ist, dass man, wenn man "Cultuaral Appropriation" beklagt, eigentlich nichts anderes fordert als einen Ethnopluralismus wie es die rechten Identitären tun. Ethnopluralismus bedeutet, dass man die Existenz anderer Kulturen zwar anerkennt, aber eben nur in einem abgeschlossenen und vor allem getrennten Umfeld (Deutschland den -ethnisch- Deutschen, Nigeria den -ethnischen- Nigerianern etc..).
https://www.bpb.de/politik/extremismus/ ... luralismus

Wie steht ihr dazu?
Rince81
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Rince81 »

Andreas29 hat geschrieben: 17. Mär 2021, 21:33 Wie steht ihr dazu?
Warum startest Du die deiner Meinung nach nötige Diskussion nicht mit DEINER Meinung?
Die "Gesendet von meinem HTC11 Life mit Tapatalk"-Signatur
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Dicker
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Dicker »

Ich hab mich damit nicht im Detail auseinandergesetzt, aber finde das, was du da beschreibst, in den wenigsten Fällen problematisch. Im Video heißt es "Mitglieder einen dominanten Kultur adaptieren auf respektlose Weise Elemente einer marginalisierten Kultur". Da wird imo die Unterdrückung von Bevölkerungsgruppen, Ethien etc. mit der Verwendung von kulturellen Referenzen vermischt. Denn wer bestimmt, was respektlos ist.
Überhaupt, sowas gab es doch schon immer. Die Kultur hat sich immer weiterentwickelt, wenn sie Einflüssen von außen ausgesetzt war. Das befruchtet sich gegenseitig. Es ist ja auch keine rein westliche Sache. Asiatische Kultur hat westliche Einflüsse aufgegriffen und umgekehrt. In Afrika orientiert man sich an Musik, Film und Kunst der USA und Europa. Und wir bauen afrikanische Kultur bei uns ein. Ich seh da erstmal nichts verwerfliches. Auch gerade weil Trennlinen da so stark verschwimmen.
Das Thema entzweit Kulturen und bringt sie nicht zusammen. Und am Ende versteht sich gar keiner mehr. Und wo das hinführt, hat man ja schon oft gesehen.

Aber Andreas29, jetzt bezieh du mal Stellung.
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Tsuran
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Tsuran »

Andreas29 hat geschrieben: 17. Mär 2021, 21:33 Kritiker erkennen darin eine Respektlosigkeit und im Endeffekt Rassismus aus einer Position des "White Privilege" in einer kolonialistischen Tradition.
Sie kritisieren, dass weiße Menschen ohne dieselben Repressalien fürchten zu müssen eine fremde Kultur "stehlen", nicht referenzieren und die Lorbeeren für sich einstreichen; das die eigentlichen Urheber*innen untergehen und mit der angeeigneten Kultur Geld verdient wird.
Ich weiß nicht auf was diese Kritik am Ende abzielt. Es wird impliziert, dass eine Nutzung von exotischeren kulturellen und ästhetischen Einflüssen von Menschen hellerer Hautfarbe automatisch in böser Absicht geschieht. Weiter wird impliziert, dass ein angeblich rechtsfreier Raum existiert, wo das Urheberrecht für Menschen mit heller Haut nicht gilt. Oder Menschen mit anderem genetischen Profil entrechtet sind. Außerdem: Nicht "weiße" Ethnien sind von Respektlosigkeit und Rassismus ausgenommen?
Andreas29 hat geschrieben: 17. Mär 2021, 21:33 Auch die Musik an sich wirft immer wieder diese Debatten auf... ich denke jeder kennt z.B. den Streit um Elvis, der viel von schwarzen Künstlern inspiriert war. Oder nehmen wir den Blues, der später in die Rockmusik überging und seine Ursprünge in der Black Community hat.
Die widerrum Instrumente verwendet hat die ursprünglich aus dem europäischen Raum kommen. Diese Instrumente haben ihren Ursprung aber..... usw usw.
Andreas29 hat geschrieben: 17. Mär 2021, 21:33 Es gibt streit um Karnevals- und Halloweenkostüme, Filme- und Serien stehen in der Schusslinie und zuletzt sogar der Streit um eine Übersetzung:
https://www.ndr.de/kultur/Streit-um-Ged ... en104.html
Der "Streit" um die Übersetzung ist kein Streit sondern ein vollendeter Fall von Rassismus.

Andreas29 hat geschrieben: 17. Mär 2021, 21:33 https://www.youtube.com/watch?v=jDlQ4H0Kdg8
Ein weißer Student wird wegen seiner Dreadlocks angegriffen.
Wie man recht deutlich sehen kann ist die Dame die den Mann aufhält zwar schnell dabei handgreiflich zu werden, als das dann nicht so recht funktioniert geht es sofort in die Richtung "Don´t put your hands on me." Wer weiß, vielleicht finden sich ja genug Leute die mir einen "abuse" oder gar "sexual harassment" abnehmen. Ach verdammt, ich wurde gefilmt.....
Andreas29 hat geschrieben: 17. Mär 2021, 21:33 Es gibt die Strömung, dass es eine Linie gibt zwischen Appropriation und Appreciation und es mit dem richtigen Fingerspitzengefühl möglich ist, dass diese "Aneignung" respektvoll und nicht verletzend angenommen werden kann.
Wer entscheidet denn eigentlich was respektvoll und nicht verletzend ist? Das hohe Tribunal der kulturellen Identitätswächter?
Andreas29 hat geschrieben: 17. Mär 2021, 21:33Wie steht ihr dazu?
Ich lehne die Begrifflichkeit insofern ab, als dass sie als Kampfbegriff verwendet wird. Es erscheint fraglich was am Ende dabei rauskommen soll, wenn sich Kulturen untereinander abgrenzen und Menschen in freien Gesellschaften quasi eine Identität zugeteilt bekommen. Da ist mir zu viel extremes drin, egal aus welcher Richtung.
Zuletzt geändert von Tsuran am 18. Mär 2021, 12:10, insgesamt 1-mal geändert.
mockturtle
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von mockturtle »

Welche Erkenntnisse können erwartet werden, wenn man Wölfe über die Notwendigkeit eines Kreidefressverbots diskutieren lässt? Ich will die Diskussion nicht canceln, führt sie, wenn ihr wollt, halte aber das Forum hier und seine Teilnehmer für einen viel zu engen Rahmen und allenfalls gut für kleine ideologische Scharmützel.
Gruß!
Andreas29

Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Andreas29 »

Dicker hat geschrieben: 17. Mär 2021, 23:23 Aber Andreas29, jetzt bezieh du mal Stellung.
Rince81 hat geschrieben: 17. Mär 2021, 22:04 Warum startest Du die deiner Meinung nach nötige Diskussion nicht mit DEINER Meinung?
Ich wollte den Thread neutral starten, damit die Menschen, die interessiert sind erst einmal ihre eigene Meinung schreiben, anstatt es sofort in eine Diskussion geht

Interessant dass hier sofort vermutet wird, dass man sich vor einer Meinung drückt :D Gehört wohl zu der grundlegenden Toxizität solcher Themen.

Also bitte:

Ich versuche wie immer bei solchen Themen eine mittlere Position einzunehmen, weil man so am besten Kompromisse eingeht. Ich kann sehr gut verstehen, dass es Menschen stört oder sie sich sogar verletzt fühlen, wenn Dinge aus ihrer Kultur von anderen (hier geht es ja meist um Weiße) Menschen ohne Referenzierung benutzt werden und erst dadurch die verdiente Popularität erlangen. Das mag ein Schlag ins Gesicht sein.
Mit Dingen die nicht der eigenen Kultur entspringen respektlos oder bewusst verletzend umzugehen (hier muss man wie immer darauf achten, was der Kontext ist wie z.B. Satire), geht natürlich gar nicht.
Ich bin aber keinesfalls der Meinung, dass das grundsätzlich problematisch ist. Es gibt für mich Beispiele, die zeigen, dass es auch einen respektvollen Weg gibt Einflüsse aus anderen Kulturen zu zeigen.

Ein solches Positivbeispiel ist für mich Eric Clapton. Der hat von Anfang an zusammen mit den schwarzen Künstlern die ihn beeinflusst haben auf der Bühne gestanden. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, woher seine Musik kommt.

https://www.youtube.com/watch?v=TcTOoOlr288
https://www.youtube.com/watch?v=CpyO7xmeugI
https://www.youtube.com/watch?v=8-_GsiHCeqA

Oder Stevie Ray Vaughan:
https://www.youtube.com/watch?v=SeLddbrzsHk
https://www.youtube.com/watch?v=m9S-4ab14sk

Auch die Rolling Stones hatten Auftritte wie den hier: https://www.youtube.com/watch?v=Mbao_laqF8E

Ich finde wenn man deutlich zeigt, wer seine Vorbilder waren und sind, ist das unproblematisch.

Es gibt natürlich Menschen die das trotzdem schlimm finden, die schwarzen Künstler selber haben sich aber immer gefreut und bedankt, dass ihre Popularität gestiegen und ihre Musik mehr gehört wurde. Dass das erst durch andere weiße Künstler passiert ist... nun, das ist natürlich sehr bedauerlich, aber das zeigt eben, dass sich Kulturen gegenseitig befruchten können und man sich gegenseitig respektiert, ist die unsichtbare Wand erst einmal eingerissen.
Und wenn mehr Weiße auch schwarze Musik hören wird das auch den Rassismus senken.


Und in der Tat finde ich den Wunsch das sich Kulturen nur noch auf sich besinnen sollen und nicht vermischen sollen ziemlich regressiv. So weit das rechten Ethnopluralismus zu nennen würde ich nicht gehen, aber das ist eher eine Forderung, die mich im linken identitätspolitischen Sektor sehr am Kopf kratzen lässt.
Zuletzt geändert von Andreas29 am 18. Mär 2021, 16:18, insgesamt 1-mal geändert.
gdm41

Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von gdm41 »

Ich halte diese Diskussion für absolut unnötig. Musik ist Musik und keine Kultur oder Hautfarbe hat ein Anrecht auf irgendwas. Sicherlich kann man, wenn man will, seine Referenzen nennen, dies hat aber eher was mit Respekt gegenüber dem jeweiligen Künstler zu tun also mit der Kultur.
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IpsilonZ
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von IpsilonZ »

Das ist auch ein bisschen mein Problem. Natürlich können wir uns jetzt über Leute lustig machen, die mal irgendwo nen dummen Streit oder Shitstorm losgetreten haben, weil jemand als weißer Mensch es gewagt hat Dreadlocks zu tragen oder Mangafiguren zu zeichnen. Oder wir können darüber spekulieren ob bestimmte Mitglieder einer bestimmten Ethnie irgendwas als verletzend ansehen könnten oder nicht.

Aber ohne vernünftiges Beispiel ist es mMn unmöglich hier jetzt zu sagen, ob "Cultural Appropiation wirklich ein Problem" ist. Vor allem weils einfach n zu komplexes Thema ist, um da jetzt ne so simple Antwort wie ja oder nein zu finden. Sowas wird halt gerne mit dem Holzhammer diskutiert.

Grundsätzlich scheints mir n ganz guter Weg zu sein, sich im Zweifelsfall aufkommende Kritik im einzelnen anzuhören und kein Arschloch zu sein. Also nicht gleich lachend mit dem Finger draufzuzeigen, nach dem Motto "haha, da hat jemand "cultural appropiation" gesagt". Mehr kann ich so generell auch nicht dazu sagen.
Johpir
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Johpir »

Käse. Und auch der Grund, warum die heutige Linke nicht mehr funktioniert. Zu viele Alibi-Schlachtfelder.
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Aratirion
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Aratirion »

Ich finde, Sensibilität im Umgang mit kulturspezifischen Anspielungen oder der Übernahme von ästhetischen, rituellen oder anderen Aspekten einer fremden Kultur sind mitnichten entgegengesetzt zu dem, was du hier schreibst (@Andreas29): "[...] Sie sehen es als das eigentliche Ziel und den gewünschten Zustand an, dass sich die Kulturen vermischen und sich die Grenzen zwischen ihnen aufheben. Ein Argument ist, dass man, wenn man "Cultuaral Appropriation" beklagt, eigentlich nichts anderes fordert als einen Ethnopluralismus wie es die rechten Identitären tun." In der extremen Kritik von "Cultural Appropriation" würde ich dieses Problem auch erfüllt sehen. Bzw. sehe ich die Notwendigkeit des fruchtbaren Austausches von Kulturen, fluider Identitäten bei gleichzeitiger Sensibilität von bestimmten kulturellen oder identitätsbezogenen Erscheinungen als durchaus vereinbar an.

Finde deine Beispiele sehr passend und würde mich auch da in ewa verorten.

Es kommt, wie so oft, letztlich auf den Kontext und die konkrete Darstellung an. Blackfacing in Filmen, wie es historisch betrieben wurde, ist zb ein Problem, ganz klar.
Bei der Besetzung von ursprünglich zb asiatischen Figuren mit westlichen Darstellern ist es schon weniger eindeutig - allerdings wünscht man sich hier die Sensbilität aller Beteiligten und differenzierte Begründungen und Erläuterungen; umgekehrt ist das oft als erzwungen empfundene gender- undethnopluralistische Ensemble in Filmen manchmal eben tatsächlich das: erzwungen oder durchschaubar und in Wahrheit nur eine scheinheilige Form von Repräsentation. Gleichzeitig kann man das auch richtig machen. Ob aber überall notwendigerweise die heutige Pluralität der Gesellschaft abgebildet werden muss, ist wiederum fraglich. In historischen Filmen muss das nicht unbedingt sein. Bei Fantasy kann man hier aber durchaus diskutieren und gute Gründe dafür finden.
Im Kinderfasching/Kinderkarneval ist es letztlich wieder weniger problematisch. Ein 6-jähriger "Indianer" deutscher Herkunft wird kaum die Gemüter erregen. Ob es bei Erwachsenen angebracht ist, wiederum komplexer...

Zum Thema der Übersetzung habe ich vor kurzem folgenden Blog-Eintrag geschrieben, der sich wohl auf das Thema insgesamt umlegen lässt und meine Haltung dazu ganz gut zum Ausdruck bringt:

"Sollen nur Schwarze Amanda Gorman übersetzen dürfen, fragt die NZZ. Fragen sich eigentlich manche, die sich mit diesem Diskurs auseinandergesetzt haben. Es mangelt natürlich auch nicht an Antworten, viele dumm, noch mehr dümmer, einige aber durchaus verständlich, differenziert und klug. Denn so viel vorweg: mit einfachen Antworten kommen wir in so einer Diskussion natürlich nicht weit. Auf die konkrete Frage gibt es dann aber doch, so meine ich, eine eindeutige und einfache Antwort: natürlich soll auch eine nicht-schwarze Frau eine schwarze Frau übersetzen können!

Für mich zeigt diese Thematik aber vor allem zweierlei: Identitätspolitik ist ein zweischneidiges Schwert. Die Bandbreite geht von der vollauf verständlichen Berücksichtigung bzw. Bekämpfung von spezifischen, schwer teilbaren Erfahrungen bzw. Erlebnissen, die von anderen nur schwer nachvollziehbar sind - insb. von Ungleichheit oder Diskriminierung - bis hin zur faschistischen Blut-und-Boden-Ideologie der idiotischen Identitären. Unsere Unfähigkeit des unaufgeregten Umgangs mit diesem Problem zeigt außerdem, dass gerade viel im Umbruch zu sein scheint und neue Lösungen rar sind, die sowohl die (früheren, potentiell oder tatsächlich) Benachteiligten als auch die (früheren, potentiell oder tatsächlich) Bevorzugten mittragen können. Freilich muss man den Privilegierten (und selbst den nur potentiell Privilegierten) hier nicht die selbe Stimme geben, wie den tatsächlich Benachteiligten - das wäre absurd, denn so würde eine Bevorzugung einer Mehrheit nie ein Ende finden. Gleichzeitig wäre es aber absurd, keinerlei Reflexion mehr über Forderungen anzustellen, die in diesem Diskurs geäußert werden. Lang- und mittelfristig betrachtet kann nur eine Lösung funktionieren, die keinen Bürgerkrieg provoziert (dieser wäre wohl nur angesichts einer Revolution rechtfertigbar, die die tatsächliche Unterdrückung von Leib und Leben zum Ziel hat).

Soweit so gut... oder schlecht. Das Ziel muss, ganz generell, aber somit sein, dass Ungerechtigkeiten basierend auf verschiedensten sexuellen, ethnischen oder religiösen Identitäten weitgehend beseitigt werden. Dass diese Identitäten selbstverständlich gelebt werden können und auch offen "gezeigt" werden können. Gleichzeitig dürfen die darauf aufbauenden Befindlichkeiten aber auch nicht übersteigert werden, nicht zu etwas ausschließlichem oder vereinzelbaren werden. Respekt und Toleranz ist angebracht, Unantastbarkeit aber wenig zielführend. Immerhin brauchen wir nicht nur die selbstverständliche Offenheit im Ausleben der Identität, sondern auch den selbstverständlichen Austausch, den Kontakt, die Vermischung der Identitäten, wenn diese, unsere freie Gesellschaft funktionieren soll.

Warum ist nun also die Forderung ein Problem, dass nur eine schwarze, junge Frau ein Gedicht einer schwarzen, jungen Frau übersetzen können soll? Weil die Aussagen und Empfindungen, die Amanda Gorman teilt, zwar durchaus mit ihrer Herkunft und sozialen Situation verknüpft sind, diese Herkunft aber nicht essentiell für die Wirkung ist. Das besondere und mitreißende an diesem vor dem Kapitol vorgetragenen Gedicht ist eben gerade, dass eine Brücke geschlagen wird zwischen der Besonderheit der Situation und des Kontexts (eine schwarze junge Frau berichtet selbstbewusst von ihrer Rolle in der amerikanischen Gesellschaft an jenem Ort, an dem zuvor Rassisten und verirrte Seelen die Grundfesten dieser Gesellschaft zerstören wollten bzw. symbolisch auch tatsächlich zerstört haben) und einer Botschaft, die letztlich aber für alle nachvollziehbar ist und uns alle etwas angeht. Hier wird vom Besonderen, vom Außergewöhnlichen auf eine neue, erst zu erschaffende und endlich herbeizuführende Gewöhnlichkeit geschlossen, indem eben eine Identitätsübergreifende Ebene angesprochen wird, die das unabdingbare Fundament bildet für einen selbstbewussten aber letztlich wünschenswert entspannten Umgang mit den eigenen Identitäten und jenen der anderen. Ein Umgang, der Andersartigkeit anerkennt und respektiert, aber diese Andersartigkeit nicht ins Zentrum stellt, sondern letztlich das Verbindende, Identitätenübergreifende.

Wäre dieses Gedicht eines gewesen, das sich explizit den Angelegenheiten Schwarzer in den USA widmet, vorgetragen im Kontext einer Bürgerrechtsveranstaltung vor ausschließlich schwarzem Publikum, dann könnte man diese Diskussion anders führen. Aber auch hier stellt sich die Frage, warum die Inhalte dann nicht auch andere etwas angehen sollen und warum nicht auch Nicht-Schwarze einen Beitrag für die Verbreitung einer derartigen Botschaft leisten können sollen - solange sie den Prozess nicht vereinnahmen und somit die Selbstbestimmung der Unterdrückten untergraben oder aber gar kanalisieren und abwürgen. Zur Erinnerung: Schon Frederic Douglass, ein ehemaliger Sklave und späterer Abolitionist sowie einflussreichster afroamerikanischer Schriftsteller des 19. Jahrhunderts verstand die Abschaffung der Sklaverei als gesamtgesellschaftliches Anliegen. Er unterstützte explizit die "weißen Brüder im Geiste", die für die Abschaffung der Sklaverei den Tod suchten und fanden. Die Vorreiter der Frauenwahlrechtsbewegung des beginnenden 20. Jhdts. verbündeten sich mit der Bürgerrechtsbewegung, etc. etc. Unrecht hat immer eine persönliche Komponente. Letztlich kann Recht aber nur von uns allen zum Durchbruch verholfen werden.

Es ist, aus meiner Sicht, vollkommen verständlich, dass die identitätspolitische Diskussion momentan zu überschießen neigt. Einerseits kann das gar nicht anders sein (in der Hitze des Gefechts geht man unweigerlich oft einen Schritt zu weit), andererseits täuscht einen aber auch die Wahrnehmung: was früher noch kein Thema war und heute eines ist, das wird mit jeder Äußerung, mit jeder Diskussion als etwas besonderes und vielleicht aufdringliches oder gar unnötiges wahrgenommen. Diese Empfindung muss man aushalten können als Mitglied der mehr oder weniger privilegierten Mehrheitsgesellschaft. So wie aber auch die Kritik an Merkmalen, die man als exklusiv und subjektiv empfindet ausgehalten werden muss, solange sie mit Respekt und Reflexion geäußert wird.

Allerdings bringt dieses "Überschießen" des identitätspolitischen Diskurses auch ernsthafte Probleme mit sich: selbst aufgeklärte, reflektierte Menschen oder Instanzen (insbesondere in der Wissenschaft) empfinden den Wunsch auf stärkere Berücksichtigung identitätspolitischer Merkmale mittlerweile oft als Einschränkung oder Zensur bzw. Angriff auf die freie Meinungsäußerung ("man wird doch wohl noch ... dürfen"; siehe auch den Beitrag vor einer Woche über das fragwürdige "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit"). Umgekehrt instrumentalisieren rechte Ewiggestrige den Diskurs für sich indem sie freie Meinungsäußerung mit dem angeblichen Recht zur Hetze und Diskriminierung verwechseln - oder aber mit dem Recht zur Übersteigerung der exklusiven, ausschließenden, eigenen Identität. "Ich muss alles dürfen können, aber verlangen soll man von mir nichts dürfen." Letztlich ein durch und durch sozialdarwinistisches, faschistisches Konstrukt.

Und hier sind wir wieder beim "Mittragenkönnen". Freilich müssen wir nicht soweit auf den ewiggestrigen Mob eingehen, dass jede ihrer als Zumutung empfundene und als Kritik getarnte Hetze beachtenswert wäre. Je mehr Teile der Bevölkerung aber von einer gelassenen, respektvollen und akzeptierenden Haltung abweichen und zu radikalen Skeptikern und Kritikern von eigentlich wünschenswerten, nur manchmal vielleicht eben als überschießend empfundenen Veränderungsprozessen werden, desto problematischer wird es für uns alle. Desto polarisierter werden wir alle. Desto grausiger und engstirniger wird der Diskurs.

Gerade an diesem Punkt kann uns aber ein klares Statement helfen! Es ist nicht nur egal, ob ein oder eine weiße oder schwarze Autorin bzw. Autor dieses Werk übersetzt. Es ist geradezu ein essentielles Zeichen, wenn dies Personen mit anderen Identitäten tun, und das ganze nicht mehr als große Aufregung empfunden wird (bzw. wenn dann nur im positiven, ermutigenden Sinne)! Gute und wichtige und richtige Aussagen gehören niemandem. Sie gehören uns allen, selbst und gerade, wenn sie von individuellen Schicksalen oder jenen von Minderheiten berichten. Diese gehen uns etwas an, diese haben uns etwas anzugehen und diese können auch mal unsere eigenen Schicksale werden.

Lange Rede, kurzer Sinn: verdammt noch mal, ja, natürlich dürfen auch Weiße dieses Gedicht übersetzen! Sie dürfen nicht nur, sie müssen es, und sei es auch nur im Stillen für sich alleine, wenn sie dem Original im ursprünglichen Kontext lauschen! Emanzipieren wir uns von den sinnlosen, verkopften Blüten des Diskurses und lassen wir etwas Empathie Einzug halten in unsere Ansichten und Argumente. Hören wir zu, was die Betroffenen selbst sagen, aber finden wir eine selbstbewusste, eigene Stimme. Diese wird gehört werden, wenn wir selbst zuhören, und diese wird nichts an Eigenständigkeit und Identitätsstiftung verlieren, wenn andere sie hören und teilen und im Widerhall zu ihrer eigenen Stimme machen! Eigenständige, selbstbewusste Stimmen im Konzert des respektvollen, solidarischen polyphonen Chors aller. "



~~~
Johpir hat geschrieben: 18. Mär 2021, 15:01 Käse. Und auch der Grund, warum die heutige Linke nicht mehr funktioniert. Zu viele Alibi-Schlachtfelder.
Ja und Nein. Es ist letztlich für viele Betroffene (gleich wie beim Gender-Thema etwa) kein Alibi-Thema. Und auch, dass es nicht mehrheitsfähig ist, sagt noch nix aus.

Ich gebe dir aber insofern recht, dass die Linke sich darauf konzentrieren sollte, das Identitätsthema letztlich auf vernünftige Art und Weise zu überwinden, indem klargemacht wird, dass gesellschaftlicher Fortschritt letztlich nur gelingen kann, wenn man die materiellen und strukturellen Ungleichheiten und Machtprobleme quer über Geschlechter, Ethnien, Religionen, etc. angeht. Oft genug sind die Dinge, die zB Frauen in der Arbeitswelt bzw. Vereinbarkeit von Beruf und Familie (bzw. ein glückliches und gelingendes Leben) unter Druck setzen, auch dieselben Dinge, die es Männern schwer machen, die eben nicht hardcore Karrieretypen sind und nur auf Status aus sind. Das ist aber nicht leicht und geht weit über Populismus hinaus. Fähige Politiker zu finden, denen diese neue Art von Volkspartei gelingt, die gleichzeitig sensibel genug sind, das Identitätsthema nicht auszublenden, dafür aber auch nicht die eigentlich zu Grunde liegenden und alles verknüpfenden Aspekte (soziale und wirtschaftliche Ungleichheit aller Art) hintanzuschieben, sind rar, und das verständlicherweise.

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EDIT: Sorry für die Wall of Text. :D :ugly:
biaaas
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von biaaas »

Aratirion hat geschrieben: 18. Mär 2021, 17:17 Im Kinderfasching/Kinderkarneval ist es letztlich wieder weniger problematisch. Ein 6-jähriger "Indianer" deutscher Herkunft wird kaum die Gemüter erregen. Ob es bei Erwachsenen angebracht ist, wiederum komplexer...
Auch da wird das thematisiert, wobei es da eher darum geht Klischees weiter zu verfestigen:
https://www.tagesspiegel.de/politik/deb ... 74214.html
ZiggyStardust
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von ZiggyStardust »

mockturtle hat geschrieben: 18. Mär 2021, 13:53 Welche Erkenntnisse können erwartet werden, wenn man Wölfe über die Notwendigkeit eines Kreidefressverbots diskutieren lässt? Ich will die Diskussion nicht canceln, führt sie, wenn ihr wollt, halte aber das Forum hier und seine Teilnehmer für einen viel zu engen Rahmen und allenfalls gut für kleine ideologische Scharmützel.
Gruß!
Komische Ansicht. Wie kommst Du darauf, dass es Cultural Appropriation nur im Westen gibt? Und wer außer dir spricht von einem Verbot? Die ganzen japanischen Spiele und Filme, die in den USA oder Europa spielen, fallen doch genauso unter Cultural Appropriation.

Wäre ein Spiel wie Grim Fandango heute noch möglich oder würde das direkt nach der Ankündigung von einem wütenden Twitter-Mob gecancelt werden? Tim Schafer ist ja schließlich kein Mexikaner, sondern ein Weißer.

Bei solchen Geschichten kann ich auch nur noch mit dem Kopf schütteln:
https://boundingintocomics.com/2020/11/ ... hairstyle/
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bluttrinker13
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von bluttrinker13 »

ZiggyStardust hat geschrieben: 18. Mär 2021, 19:55 Bei solchen Geschichten kann ich auch nur noch mit dem Kopf schütteln:
https://boundingintocomics.com/2020/11/ ... hairstyle/
Ach du K****. :lol: :doh:
meieiro
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von meieiro »

ZiggyStardust hat geschrieben: 18. Mär 2021, 19:55 Bei solchen Geschichten kann ich auch nur noch mit dem Kopf schütteln:
https://boundingintocomics.com/2020/11/ ... hairstyle/
Schaut ihr euch die Seiten mal an die ihr da teilt? Da muss ich mit dem Kopf schütteln.
Eine Seite deren Artikel zum Großteil daraus bestehen, was die bösen Linken alles kaputt machen.
Und in dem Artikel haben ein paar Twitter User das kommentiert, von denen ein Teil überhaupt nicht mehr existiert. Wenn wir jetzt wegen 3 Twitter User Post jedes Mal einen Artikel machen, dann können wirs gleich lassen
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IpsilonZ
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von IpsilonZ »

Ja, kann mich nur wiederholen. So schnell sind wir schon an dem Punkt angelangt. Wie vorhersehbar... ^^
IpsilonZ hat geschrieben: 18. Mär 2021, 14:29 Das ist auch ein bisschen mein Problem. Natürlich können wir uns jetzt über Leute lustig machen, die mal irgendwo nen dummen Streit oder Shitstorm losgetreten haben, weil jemand als weißer Mensch es gewagt hat Dreadlocks zu tragen oder Mangafiguren zu zeichnen.
(...)
Hihi, guckt mal. Irgendwo hat mal irgendjemand was dummes gesagt.
Rince81
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Rince81 »

Ja Cultural Appropriation ist ein Problem. Dieses Forum ist gleichzeitig nicht geeignet um das zu diskutieren, dazu ist die Nutzergruppe des Forums zu wenig betroffen und die Diskussion zuverlässig auf einer sehr schrägen Bahn, da zuverlässig absolute Mindermeinungen von Einzelnen genutzt werden um damit das gesamte Thema zu definieren und abzulehnen.

Sei es das Video mit der jungen Frau, die jemanden wegen seiner Dreadlocks körperlich(!) angreift. Natürlich ist sie im Unrecht. Natürlich darf er Dreads tragen. Da existiert aber ein breiter Hintergrund, in dem Weiße sich problemlos bei Frisuren von anderen Kulturgruppen bedienen können und dann cool wirken, während beispielsweise Schwarze bis heute Diskriminierung und Ablehnung in Alltag und Beruf erfahren, wenn sie Dreads, Cornrows oder einen Afro tragen. Die Diskussion ist aber mit diesem Video als Basis nicht mehr möglich.
Und eine extrem „woke“- minimale Minderheit bei Twitter regt sich über Frisuroptionen bei Animal Crossing auf? Wenn es eine irgendwie theoretisch mögliche abseitige Meinung gibt, wird sie irgendjemand auf Twitter vertreten. Irgendjemand wird dort sich auch Uwe Boll für einen Jahrhundertregisseur halten. Wenn wir dann eine Online-Presse haben, die auf Klicks steht und damit 2020 jeden Schwachsinn verbreitet hat so lange Animal Crossing „betroffen“ war, bekommt dieser Blödsinn auf einmal eine Plattform und wird dann anscheinend hier anscheinend wirklich die Beispiel für etwas, was Cultural Appropriation sein soll. Damit ist die Diskussion leider schon völlig unmöglich. Dabei ist das ein hochinteressantes Thema. Ist der Name Washington Redskins ok oder unangebracht? Letztes Jahr haben diverse Sponsoren gesagt, dass der Name wirklich unangebracht ist…
https://www.youtube.com/watch?v=AJKfs4ZnbNE
Ist es wirklich okay, jedes Faschingskostüm zu tragen, nach dem einem gerade ist, selbst wenn es am Ende rassistische Klischees bedient?
https://www.youtube.com/watch?v=LxQq8HTtb4A

Dieses Forum ist für solche Diskussionen der falsche Raum.
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Aratirion
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Aratirion »

biaaas hat geschrieben: 18. Mär 2021, 17:47
Aratirion hat geschrieben: 18. Mär 2021, 17:17 Im Kinderfasching/Kinderkarneval ist es letztlich wieder weniger problematisch. Ein 6-jähriger "Indianer" deutscher Herkunft wird kaum die Gemüter erregen. Ob es bei Erwachsenen angebracht ist, wiederum komplexer...
Auch da wird das thematisiert, wobei es da eher darum geht Klischees weiter zu verfestigen:
https://www.tagesspiegel.de/politik/deb ... 74214.html
Richtig, aber dem würde ich nicht allzu viel Beachtung schenken. Ein Bekannter hat zu dem oben zitierten Blogbeitrag etwas sehr kluges geschrieben, das für mich auch hierzu passt:

"Für mich gibt es einen ganz wichtigen Aspekt in der Betrachtung solcher Forderungen:
In jeder Szene, in jeder Bewegung gibt es mindestens drei Typen von Leuten, die laut nach Außen auftreten:
1.) Mitläufer, die guten Willens sind, aber gedankenlos dem Aktionismus fröhnen, und oft nichtmal genau verstanden haben, welcher Strategie sie folgen, bzw ob überhaupt einer. Hier hilft es oft einfach, die konkrete Forderung/Äußerung auf ihren Nutzen für das eigentliche Ziel abzuklappern und die Antwort dazu zu werten.
2.) Leute, die sich ernsthaft für die Ziele der Bewegung einsetzen. Von denen sind die Äußerungen oftmals so geerdet, daß sie nicht für solche Aufreger taugen, und falls doch, werden sie in aller Regel von weiterführenden Argumenten begleitet. Mit diesen Leuten kann und sollte man arbeiten.
3.) Leute, die mehr auf ihre Karriere und Ruf innerhalb der Szene bedacht sind, als auf die eigentlichen Ziele. Man bekommt da oft den Eindruck, daß eine Forderung/Aussage/Aktion nur deshalb so gestellt wurde, um damit die "Konkurrenz" aus dem eigenen Lager zu übertreffen und weiter an der Spitze zu stehen. Hier werden auch oft Aktionen gerissen, die für die Ziele selbst ein Bärendienst sind, Hauptsache puplikumswirksam.

Daraus folgend hat sich für mich die Frage ergeben:
Glaube ich wirklich, daß sich jemand fragte "Wie kann ich XYZ am besten helfen? Ah, damit" und deswegen auf diese Idee kam?
Wenn ich das nicht glaube, ignoriere ich die Forderung in aller Regel. Man muß nicht über jeden Stock springen, und es gibt wahrlich genug Aspekte des Themas, die mehr Aufmerksamkeit vertragen würden."


Natürlich ließe sich dann letztlich auch drüber diskutieren, ob Kinder sich als "Indianer/amerikanische Ureinwohner" verkleiden dürfen. Für mich ist diese Diskussion aber letztlich in unseren Breiten genauso ergiebig wie jene, ob man Zwerge und Elfen/Elben innerhalb einer Fantasywelt als Rasse bezeichnen darf. Man kann und soll über (fast) alles ausgiebig reden, aber manche Themen lohnen halt letztlich mehr als andere. Beim Kinderkarneval ist sowohl Schaden als auch Nutzen eines Verbots aus meiner Sicht so gering, dass man die Energie lieber auf die anderen Themen richtet, wo es wirklich problematisch ist. Aber klar, Empfindungen sind letztlich subjektiv, es kommt auch hier stark auf den Kontext an (in den USA ist das Thema verständlicherweise heikler, wie umgekehrt verständlicherweise alles, was mit Nationalsozialismus zu tun hat bei uns heikler ist und daher ein Prinz Harry im NS-Kostüm weniger schlimm ist, als der Durchschnittsdeutsche oder Ösi); und ich habe natürlich kein Recht irgendjemandem hier eine Betroffenheit oder ein Problembewusstsein abzusprechen oder madig zu machen. Intersubjektiv betrachtet wird sich hier halt keine wirklich fruchtbare Diskussion ergeben.

Ganz anders jedoch beim Überthema als solchem. Ich halte daher von dem Argument, die Diskussion wäre hier nicht richtig aufgehoben, nicht richtig. Letztlich könnte man das über jede Diskussion sagen. Natürlich werden nicht alle möglichen Sichtweisen abgebildet, aber der ernsthafte Versuch kann wohl gelten, die nötige Differenzierung, Vorsicht und Selbstreflexion vorausgesetzt. Außerdem beißt sich die Katze bei einem "Diskussionsverbot" quasi in den Schwanz. Es werden eigentlich zur Debatte zu stellende Argumente genutzt um die Debatte selbst abzuwürgen. Etwas derartiges hielte ich nur für sinnvoll, wenn es etwa darum geht, den intoleranten Rechten keinen Raum zu geben und falsche Toleranz walten zu lassen, die den eigenen Untergang bereitet. Dieses hier ist aber letztlich ein Thema wie jedes andere auch, insbesondere da viele von uns ja potentielle "appropriater" sind. Klar freue ich mich aber über den Input von Betroffenen. Der kann aber auch zitiert werden und muss hier nicht aus erster Hand kommen.
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DickHorner
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von DickHorner »

Ich finde es schwierig darüber zu sprechen. Als (inzwischen nur noch) Hobbymusiker vertrete ich die Ansicht, dass Kultur etwas ist, dass durch den stetigen Austausch geprägt ist. Wenn ich mich mit einem anderen Musiker treffe, zusammen Musik mache, dann geht automatisch etwas von seiner Musik auf mich über. Ich höre das, nehme es an, wenn es passt lasse ich es in meine eigene Musik einfließen... Mit anderen Kulturformen ist es sicherlich ähnlich. Da, wo Menschen zusammenkommen, findet Austausch statt. Das lässt sich überhaupt nicht verhindern, und das ist doch auch das, was die ganze Sache lebendig macht.
Etwas für sich zu beanspruchen, wie soll das gehen? Jeder Musiker, der in irgendeiner Form eine abendländische Ausbildung hat, wird sich im Bereich der wohltemperierten Stimmung bewegen. Da führt überhaupt kein Weg dran vorbei. Auch Black Music. Und nun? Dürfen Schwarze das nicht, weil, das ist ja schließlich weiße Musik? Und ich darf keine Breaks in meine Songs einbauen, weil das ist Black Music? Das ist doch alles Schwachsinn, so funktioniert Musik nicht. Ich kann's verstehen, wenn man es blöd findet, ein wichtiger Einfluss für jemanden zu sein, und dafür keine Credits zu bekommen, aber mehr als Stolz und verletzte Eitelkeit steckt da in meinen Augen nicht dahinter.
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Aratirion
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Aratirion »

DickHorner hat geschrieben: 19. Mär 2021, 12:03 Ich finde es schwierig darüber zu sprechen. Als (inzwischen nur noch) Hobbymusiker vertrete ich die Ansicht, dass Kultur etwas ist, dass durch den stetigen Austausch geprägt ist. Wenn ich mich mit einem anderen Musiker treffe, zusammen Musik mache, dann geht automatisch etwas von seiner Musik auf mich über. Ich höre das, nehme es an, wenn es passt lasse ich es in meine eigene Musik einfließen... Mit anderen Kulturformen ist es sicherlich ähnlich. Da, wo Menschen zusammenkommen, findet Austausch statt. Das lässt sich überhaupt nicht verhindern, und das ist doch auch das, was die ganze Sache lebendig macht.
Etwas für sich zu beanspruchen, wie soll das gehen? Jeder Musiker, der in irgendeiner Form eine abendländische Ausbildung hat, wird sich im Bereich der wohltemperierten Stimmung bewegen. Da führt überhaupt kein Weg dran vorbei. Auch Black Music. Und nun? Dürfen Schwarze das nicht, weil, das ist ja schließlich weiße Musik? Und ich darf keine Breaks in meine Songs einbauen, weil das ist Black Music? Das ist doch alles Schwachsinn, so funktioniert Musik nicht. Ich kann's verstehen, wenn man es blöd findet, ein wichtiger Einfluss für jemanden zu sein, und dafür keine Credits zu bekommen, aber mehr als Stolz und verletzte Eitelkeit steckt da in meinen Augen nicht dahinter.
Absolut, würde ich voll so unterschreiben.

Es kommen allerdings noch weitere Elemente hinzu, die schon problematischer sind. Oft geht es ja um einzelne Merkmale oder klischeehafte Darstellungen anderer Kulturen, die in einen anderen Kontext verfrachtet und mit anderen Bedeutungen versehen werden bzw. mit Bedeutungen versehen werden, die rein der "approprierenden" Perspektive entspricht, und sich nicht unbedingt mit jener decken muss, die Personen aus ebenjenen Kulturen teilen, von denen entlehnt wurde. Aber klar, das kann mal vollkommen unproblematisch sein, mal jedoch auch stark politisch konnotiert.

Kontextfrei lässt sich natürlich schwer drüber sprechen, aber es ist wohl wichtig, dass darüber gesprochen wird, und, dass eine gewisse Reflexion stattfindet, sodass man in konkreten Einzelfällen Erfahrungswerte und eine Pluralität an Ansichten parat hat, mit denen sich argumentieren lässt. Ansonsten beginnen wir bei jedem "Eklat" bei 0. Oder tappen selbst ins Fettnäppfchen...
Tal Rusha
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Re: Cultural Appropriation - Wirklich ein Problem?

Beitrag von Tal Rusha »

Finde auch, dass man da zwischen zwei Fällen trennen muss.

Im ersten Fall geht es um kulturelle Elemente, die beide Seiten zwar identisch verwenden, aber die auf der einen Seite ok sind, auf der anderen Seite jedoch angeblich aneignend. Rastalocken sehen bei Schwarzen und Weißen praktisch gleich aus, genauso wie sich Soulmusik gleich anhört, egal wie die Hautfarbe der Musiker ist, die sie spielen.
Für diesen Fall kann ich exakt null Verständnis aufbringen, selbst wenn ich jedes Joule an Empathie in meinem Körper verwende. Wenn man Menschen die Verwendung bestimmter Dinge aufgrund unveränderlicher Geburtsmerkmale vorenthalten will, kann ich darin beim besten Willen nichts Gutes entdecken, nur dumpfen Tribalismus.

Der zweite Fall ist da schon etwas komplexer, nämlich wenn die eine Seite ein Zerrbild der Kultur der anderen Seite verwendet, Beispiel Indianerkostüm. Da kann ich zumindest die Aufregung Betroffener verstehen. Allerdings würde ich auch behaupten, dass keine Kultur einfordern kann, immer und überall korrekt dargestellt zu werden. Ich zocke z.B. derzeit Titan Quest, was ein einziges Zerrbild, ein klischeehaftes Disneyland des antiken Griechenlands ist. Aber ich fühle mich auch ausgewachsen genug, um zu erkennen, dass das antike Griechenland nicht nur aus muskelbepackten Spartiaten mit peinlichem Akzent bestand. Diese Abstraktionsleistung sollte man auch Leuten zutrauen, die sich an Fasching als Indianer verkleiden.
Das einzige Argument, was dann meiner Meinang nach übrig bleibt, ist der verletzte Stolz der Betroffenen, und das ist kein besonders starkes Argument. Es ist aber trotzdem ok, wenn Betroffene dieses Argument in der Hoffnung äußern, dass Andere da ein gewisses Fingerspitzengefühl zeigen, nur einfordern kann man das eben nicht.

Deshalb ist es doch sinnvoll, wenn man darüber redet. Und nicht den Thread als entgleist darstellt, bevor er überhaupt begonnen hat. Das ist doch ein Thema, in dem Mehrheit und Minderheit versuchen, einen Kompromiss zu erarbeiten, und auch wenn hier keine Betroffenen mitdiskutieren sollten (Fragezeichen, das kann ich nicht beurteilen), wird doch zumindest deren Stimme vertreten, was schon mal besser ist, als das Thema einfach totzuschweigen. Wenn so ein heißes Eisen im Netz zivilisiert diskutiert werden kann, dann doch wohl hier ;)
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