Runde #317: Cancel Culture?

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Elb356
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Elb356 »

Tattus hat geschrieben: 2. Mai 2021, 23:13
lovecraftFTW hat geschrieben: 2. Mai 2021, 14:04 Es gibt da dieses Beispiel mit McDonalds. Um bei den Kunden kein schlechtes Gewissen zu erzeugen, kann man an der Kasse für die dritte Welt spenden, es gibt gesündere Essens-Alternativen im Angebot, umweltfreundliche Initiativen etc. Wie es aber hinter dieser Fassade aussieht scheint allerdings nur die wenigsten zu interessieren.
Ein Wohlfühl-Anno mit Sklaverei wäre genau das.
Hier ein Baudrillard-Zitat dazu: "Das System produziert eine Negativität als trügerischen Schein, der in die Produkte des Spektakels integriert wird, das ist die effektivste Methode jeder echten Alternative einen Riegel vorzuschieben. Es gibt keinen äußeren Omega-Punkt mehr auf den man sich stützen kann um diese Welt zu denken." man integriert quasi die Kritik am eigenen Spiel mit ein, nur um sich davon zu immunisieren und Kritik mundtot zu machen..
Wirklich interessanter und wichtiger Punkt. Ein entscheidender Unterschied zwischen deinem Beispiel und einem Anno, dass Sklavenhaltung thematisiert, wäre aber, dass Anno nicht die Alternative zum Sklavenhandel ist. Es ist keine Charity gegen selbsterzeugtes Leid. Das Problem der Alibi-Implementation bleibt aber natürlich.
Das hätte ich vielleicht dazu schreiben sollen. Würde dir definitiv zustimmen, dass Anno hier definitiv nicht die "Alternative" darstellt, deswegen ist eine Kritik auch erforderlich. Und es geht nicht nur um ein Alibi für die Entwickler, sondern darum was das Spiel dann aussagt. Wenn sowas von außen kommt und evt sogar Markt-getrieben ist, schafft das z.B neue problematische Stereotypen und Ideologien. Black Panther ist hier wohl das prominenteste Beispiel, der sich in rechten Kreisen großer Beliebtheit erfreute unter anderem weil er "Abschottung nach Außen" propagierte.
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Alienloeffel
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Alienloeffel »

Schöne Folge. Mir haben die Herleitungen und auch der Gesprächsfluss sehr gut gefallen.

Ich hatte die genshin impact Folge nicht gehört, fände aber spontan schon, dass man das Fass gut hätte aufmachen können.
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Smutje187
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Smutje187 »

Kann es denn sein, dass es Spielen aktuell am Mut mangelt, bewusst ignorant und kleingeistig zu sein? Niemand käme auf die Idee, Tom Clancys Hurrapatriotismus oder Michael Bays Militärparade als große Kunst zu bezeichnen, aber Games versuchen sich gelegentlich peinlichst als „...aber wir sind jetzt erwachsen und relevant und Kultur, aber unangenehme Themen sparen wir dann aus, weil uns das ein zu heißes Eisen ist“ darzustellen. Warum sagt Ubisoft nicht einfach, dass Anno eine idealisierte Darstellung der Vergangenheit ist - Call of Duty behauptet doch auch nicht, authentisch und akkurat zu sein, sondern will gut unterhalten (und ganz unter uns, Ghosts und WW2 haben mir unheimlich kurzweilige Stunden beschert).

Damit kommt man natürlich nicht ins Feuilleton, aber wäre das so schlimm?
Voigt
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Voigt »

Tattus hat geschrieben: 2. Mai 2021, 23:13
Voigt hat geschrieben: 2. Mai 2021, 16:16
Hedeltrollo hat geschrieben: 2. Mai 2021, 16:13 Super Punkt. Hatte genau den selben Gedanken. Am Ende kommt es wohl auf das Setting an, welche historischen Elemente aufgegriffen werden sollten. Ein 2. Weltkriegs-Shooter hat das wesentliche Element eines Krieges, der Kampf auf Leben und Tot, schon integriert und kommt dran auch nicht vorbei.
Es spielt aber nicht im 18. Jhr. sondern im 19. Jhr. und damit Zeitalter der aufkommenden industriellen Revolution in England. Und da ist deren Wirtschaft schon unabhängig von der Sklavenwirtschaft (immernoch abhängig vom Imperialismus, aber das ist seperat).
Anno 1602 und 1701 wäre viel passendere Kandidaten für die Sklavendiskussion, aber halt gerade Anno 1800 nicht.
Passend mit Sicherheit, aber auch im 19. Jhd. war das noch relevant.

Siehe dazu diesen Artikel der BpB:

"Diese Verzahnung von rohstofforientierter Kolonialwirtschaft und zunehmender Industrialisierung in Europa setzte sich bis zur endgültigen Abschaffung der Sklaverei in Europa und den USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fort. Bis zum amerikanischen Bürgerkrieg (1861-65) landete die hochprofitable Baumwolle von den Plantagen in Georgia und Mississippi in den neu entstehenden Textilmühlen Englands und machte damit sowohl Unternehmer wie Verbraucher in Europa zumindest indirekt zu Komplizen der Sklavenwirtschaft des amerikanischen Südens."
Ich will ja wie gesasgt Kolonialismus und Imperialismus nicht schön reden, das war schon eine Dreckangelegenheit. Der Punkt war aber dass in einem englisch angehauchten 19.Jhr. Spiel die Sklaverei durchaus so "versteckt" sein kann, und trotzdem plausibel. Natürlich kommt das Ubisoft zu passe, dass die damit einen Vorwand haben sich nicht mit der Sklaverei Thema befassen zu müssen, trotzdem existiert der. Daher man kann ja Arbeiter bis zu 50% härter arbeiten lassen, für bissel unzufriedenheit (Lohnsklave) und in der Neuen Welt in der Kampagne wird schon ziemlich deutlich gesagt, dass die Bewohner vor Ort Sklaven waren beim Konkurenten und zu dir fliehen wollen. Macht es halt alles nur Implizit, und ist primär einfach nur Heile Welt von Anno, aber es kann halt auch zur Geschichte passen.
Auch wenn ich mir wie in AoE2 damals einfach im Menü zusätzliche Hintergrundinformationen zu bestimmten Gegebenheiten gewünscht hätte. In AoE2 waren es damals Technologien, Zeitalter, Völker und herrausragende Persönlichkeiten wenn ich mich richtig erinnere. Da ein netter Text zur Situation der Sklaverei im 19. Jhr., aber auch heute noch wäre gewinnbringend gewesen.

Ich habe jetzt auch die Folge selbst gehört, fand die ganz nett. Etwa irritiert hat mich Doms Empfinden, das Ubisoft ihm eine Antwort auf seine Fragen "schuldig" wäre. Anscheinend ist das ja für ihn den Hauptpunkt seiner Kritik, dass es nie zu einem Gespräch kam.
Persönlich hätte ich nie diesen Anspruch dass eine Multimillionen Firma explizit auf meine Anfrage antworten müssen, egal wieviel Aufmerksamkeit das hat. Eventuell bin ich da aber auch einfach noch zu sehr Ostdeutscher Druckser im Herzen. ^^
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Andre Peschke
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Andre Peschke »

Tattus hat geschrieben: 2. Mai 2021, 23:13 Ich kann mir insofern vorliegend schon sehr gut vorstellen, dass man denkt: "Der wirtschaftliche Aufschwung Englands im 19. Jhd. hat nichts mit dem Sklavenhandel zu tun." Der Vorwurf dreht sich ja hier genau um das Bestärken von Fehlannahmen. Und das ist ja auch der Schlusssatz in Doms Artikel für Golem:

"Indem Anno 1800 Kolonisation verniedlicht und den Beitrag der Sklaverei für die Industrialisierung und den Wohlstandszuwachs Europas ignoriert, hilft es, eine europäische Erfolgsgeschichte zu verbreiten, welche die dunklen Seiten einfach ausblendet."
Vorstellen kann ich mir das theoretisch auch. Meine Antwort war ja aber bezogen auf die anekdotische Evidenz des Posters auf den ich geantwortet habe. Zur zitierten These selbst finde ich die Diskussion interessanter, ob jedes Ausblenden wirklich schlimm ist. Unterhaltungsmedien blenden immer etwas aus, verharmlosen etliche schlimme Dinge. Wie also legen wir fest, wo diese Freiheiten der Unterhaltung zuliebe enden sollen? Sind wir da wieder bei Brecht und Theater soll nur Instrument der Aufklärung sein, oder sind wir bereit der Unterhaltung zuliebe mehr Leine zu lassen und wie viel und nach welchen Kriterien?

Andre
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Voigt »

Über den Beitrag der Skalverei zu Industrialisierung von Britannien ließe sich aber auch streiten.
Zucker und Rum wo Britannien durchaus Sklaven in der Karibik noch für einsetzte, hat eher geringen Einfluss auf die Industrialisierung, das waren Luxus-Kolonialgüter. Die günstige Baumwolle aus Südstaaten-Amerika wurde ja schon angesprochen, aber da konnte England ja dann doch recht einfach auf Indien wechseln. Hätten die wahrscheinlich auch früher machen können, aber haben die halt nicht. Daher profizierten die natürlich in der ersten Hälfte des 19. Jhr von der günstigen Baumwolle, aber schwierig zu sagen ob es auf Sklaverei basiert, oder doch "nur" auf Kolonialismus.
Grundsätzlich haben ja auch Deuschland und Italien mit nun wirklich sehr begrenzten Kolonien/Sklaverei im 19. Jhr auch industrialisiert, hingegen Skalvereistaaten wie Portugal oder Brasilien erst sehr verspätet aufgeschlossen haben.
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Dr_Hasenbein »

@Tattus Das liegt in der Natur der Dinge, ändert aber nichts daran, dass es CC gibt und meine Kritik bezog sich eben nicht auf das Entziehen vor Kritik. Ich erwähnte bereits mehrfach Beispiele wie Cassie Jaye, Bernd Lucke oder den etlichen Fällen, in denen Menschen hinterhergeforscht wird und diese dann denunziert werden um ihnen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Man könnte auch noch Thomas de Maiziere als Opfer von CC anführen und ja, es reicht auch wenn das nur Temporär ist. Und ich habe nicht den Eindruck, dass das vermehrt von Rechtsaussen kommt. Von rechts, OK, aber auch da: Was ist das für eine Debattenkultur, in der man so tut als sei alles was von rechts kommt das ultimative Böse, und wer das Wort nutzt ist auch ein Rechter mit dem man nicht reden kann? Ich mein, die Bundesregierung wird nun durchgehend seit 16 Jahren von einer rechten Partei geführt.
Zuletzt geändert von Dr_Hasenbein am 3. Mai 2021, 00:25, insgesamt 1-mal geändert.
Dr_Hasenbein
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Dr_Hasenbein »

Smutje187 hat geschrieben: 2. Mai 2021, 23:52 Kann es denn sein, dass es Spielen aktuell am Mut mangelt, bewusst ignorant und kleingeistig zu sein? Niemand käme auf die Idee, Tom Clancys Hurrapatriotismus oder Michael Bays Militärparade als große Kunst zu bezeichnen, aber Games versuchen sich gelegentlich peinlichst als „...aber wir sind jetzt erwachsen und relevant und Kultur, aber unangenehme Themen sparen wir dann aus, weil uns das ein zu heißes Eisen ist“ darzustellen. Warum sagt Ubisoft nicht einfach, dass Anno eine idealisierte Darstellung der Vergangenheit ist - Call of Duty behauptet doch auch nicht, authentisch und akkurat zu sein, sondern will gut unterhalten (und ganz unter uns, Ghosts und WW2 haben mir unheimlich kurzweilige Stunden beschert).

Damit kommt man natürlich nicht ins Feuilleton, aber wäre das so schlimm?
Es gibt durchaus Spiele, auch von Ubisoft, die sich mit solchen Dingen befassen. Erwachsenes Medium bedeutet für mich aber nicht, dass das jedes einzelne Produkt machen müsse. Und wer bestimmt eigentlich, was relevant und Kultur ist? Bei der reinen Wirtschaftsleistung ist die Sache für mich eigentlich schon geklärt :D
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von IpsilonZ »

Smutje187 hat geschrieben: 2. Mai 2021, 23:52 Kann es denn sein, dass es Spielen aktuell am Mut mangelt, bewusst ignorant und kleingeistig zu sein? Niemand käme auf die Idee, Tom Clancys Hurrapatriotismus oder Michael Bays Militärparade als große Kunst zu bezeichnen, aber Games versuchen sich gelegentlich peinlichst als „...aber wir sind jetzt erwachsen und relevant und Kultur, aber unangenehme Themen sparen wir dann aus, weil uns das ein zu heißes Eisen ist“ darzustellen. Warum sagt Ubisoft nicht einfach, dass Anno eine idealisierte Darstellung der Vergangenheit ist - Call of Duty behauptet doch auch nicht, authentisch und akkurat zu sein, sondern will gut unterhalten (und ganz unter uns, Ghosts und WW2 haben mir unheimlich kurzweilige Stunden beschert).

Damit kommt man natürlich nicht ins Feuilleton, aber wäre das so schlimm?
Die Welt und der Videospielmarkt entwickelt sich halt. Ich denke aber eher, dass er diverser geworden ist. Manche versuchen bestimmt besonders künstlerisch wertvoll zu sein oder besondere Aussagen zu treffen. Aber genauso gibts ja immer noch überall eher stumpfe Spiele die einfach und "kleingeistig" sind und es nicht auf das Feuilleton abzielen. Weiß nicht wirklich was du da vermisst. ^^
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Smutje187 »

Es hat halt leider schon Gründe, warum etwa Far Cry 5 nach großen Hoffnungen meinerseits aufgrund des interessanten Settings dann letztendlich doch wieder nur eine Schießbude mit diesem Mal halt „religiösen“ Fanatikern als Zielscheiben wurde...
IpsilonZ hat geschrieben: 3. Mai 2021, 00:24 Manche versuchen bestimmt besonders künstlerisch wertvoll zu sein oder besondere Aussagen zu treffen. Aber genauso gibts ja immer noch überall eher stumpfe Spiele die einfach und "kleingeistig" sind und es nicht auf das Feuilleton abzielen. Weiß nicht wirklich was du da vermisst. ^^
Ich vermisse nichts, aber wundere mich darüber, dass sich Menschen über die Kritik an Anno 1800 wundern.

Szenario A: „Anno 1800 ist eine idealisierte Version der Vergangenheit (gewisse unangenehme Dinge haben wir ausgespart)“ (ich kann kein Marketingsprech)
Szenario B: „Willkommen im 19. Jahrhundert, [...] Anno 1800 gibt Spielerinnen und Spieler reichlich Gelegenheit, ihre Fähigkeiten als Machthaber unter Beweis zu stellen, indem sie riesige Metropolen errichten, effiziente Logistiknetzwerke planen, einen exotischen neuen Kontinent besiedeln, Expeditionen um die Welt in Auftrag geben und ihre Gegner durch Diplomatie, Handel oder Krieg dominieren.“

Und man hat sich halt für B entschieden.
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Jockage »

Wollte heute Mittag schon was schreiben, habs aber vergessen. Also jetzt etwas spät.
Ich finde die Diskussion über Doms Artikel ziemlich spannend und muss ihn hier mal in Schutz nehmen. Ich erinnere mich gut an die Diskussion unter Historikern über den Film "unsere Mütter unsere Väter". Das absolut selbe Problem wie bei Anno. Ein Werk was den Anschein macht Historisch akkurat zu sein und von Studierenden immer wieder als Argument für Verharmlosung von NS verbrechen genutzt wird....und diese studierenden sollten ja eig ein gewisses Grundwissen mitbringen.

Solche Rückfragen an den Entwickler sollten absolut an der Tagesordnung sein und ich würde mich sogar echt über ein entsprechendes format mit Dom freuen. Natürlich darf ein Spiel Historisch Romantisiert sein, das Bewusstsein sollte aber da sein. Ein Anno, dessen Entwickler in einer ehemaligen Kolonialmacht sitzt könnte sich dazu tatsächlich mal äußern.

Hoffe ich hab nicht allzu großen Stuss geschrieben, musste das aber loswerden bevor ich einschlafen konnte ^^
Rick Wertz
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Rick Wertz »

Anno macht den Anschein, historisch akkurat zu sein??
Smutje187 hat geschrieben: 3. Mai 2021, 00:31 Es hat halt leider schon Gründe, warum etwa Far Cry 5 nach großen Hoffnungen meinerseits aufgrund des interessanten Settings dann letztendlich doch wieder nur eine Schießbude mit diesem Mal halt „religiösen“ Fanatikern als Zielscheiben wurde...
Und trotzdem gab es viele Beschwerden über den Far Cry-typischen Twist; die religiösen Fanatiker hatten recht was das Ende der Welt betraf.

Zeigt ganz deutlich, dass man es niemandem recht machen kann.
RogueMike
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von RogueMike »

In Sachen Anno gebe ich folgendes zu bedenken: Es ist ein eindeutig ein auf Gameplay fokussiertes Spiel und praktisch alle Videospiele, sogar Simulationen, spielen in einer idealisierten Spielwelt (mit idealisierten Mechaniken), zwecks erhöhtem Spielspaß, schließlich diesen Videospiele in erster Linie als Zerstreuung und sind keinen exakten Abbilder der (möglicherweise in der Vergangenheit liegenden) Realität wie es etwas Dokumentationen wären.

Dies wird deutlich selbst beim Genre der Flipper/Pinball-Spiele: Hier würde man vielleicht zunächst geneigt sein anzunehmen, dass man vor allem möglichst physikalisch exakte Tische bauen würde. Und auch wenn sich die Tische einigermaßen realistisch anfühlen, so hat man bei der erfolgreichsten Flipperspiel-Reihe, Pinball FX3, bei den meisten Tischen bewusst Dinge verändert, die reale Tische nicht hergeben, etwa eine etwas gnädigere Ballphysik (die Bälle fühlen sich leichter an und das Gameplay ist nicht so brutal schnell) sowie zusätzliche Spielelemente wie frei bewegliche (und abschießbare) Figuren sowie 3D-Animationen. Und das alles offensichtlich, weil es den meisten Leuten mehr Spaß macht. Oder nehmen wir Fußball"simulationen": Dieses sind schneller als die Realität (vor allem kommt es öfter zu Torchancen), weil 90minütige Partien (bzw. Tore oftmals erst nach 30+ Minuten) weniger Spaß machen würden. [Bei Basketball ist der Fall etwas anders gelagert: Die Partien sind ebenso verkürzt, aber das Gameplay läuft in etwa 1:1 in derselben Geschwindigkeit, eben weil echter Basketball bereits ziemlich schnell ist.]

Es würde ein Anno vermutlich spielmechanisch kaputtmachen oder unrealistisch hohe Anforderungen an die Entwickler (und den Spiely -> weniger Spielspaß) stellen, wenn es versuchen würde, die Realität 1:1 abzubilden. Auch in anderen Medien ist eine idealisierte bzw. vereinfachte Welt der Standard und vermutlich ist das gut so. Wobei, zugegeben, als Kind habe ich durchaus gewundert, warum die Leute in der Lindenstraße nie auf die Toilette gehen. :ugly: Anders sieht es hingegeben bei Dokumentationen aus: Hier sollte die Realität, ganz entsprechend der Erwartungshaltung der Konsumentys, möglichst originalgetreu wiedergegeben bzw. zusammengefasst werden. Würde man ein Anno als eine Art "virtuelles Museum" (/ Walking Simulator) entwickeln und dieselben Dinge weglassen, so wären entsprechende Kritikpunkte schon eher angebracht.

Wenn Kritik geäußert wird, so muss man natürlich betrachten, inwiefern (und in welchem Umfang) überhaupt negative Konsequenzen vorliegen. Im Hinblick auf Anno kann man sich fragen, ob durch die fehlende Darstellung der Sklaverei die Spielys in irgendeiner Form zu schlechteren Menschen werden bzw. durch den Konsum in der Folge insgesamt schlechter handeln werden. Diese Betrachtung ist natürlich grundsätzlich sehr subjektiv bzw. schwer in Zahlen zu fassen und man könnte hier ansetzen am Narrativ: Wird einem vorgegaukelt, es würde sich um eine historisch akkurate Darstellung handeln? Immerhin wird einem ja gesagt "das Spiel spielt in Jahr X" usw.. Ich denke aber, dass es allgemeiner (und insgesamt sinnvoller) Standard ist, dass ein Spiel dem Konsumenty die Spielwelt irgendwie schmackhaft machen will und dazu gehört die ungefähre Verortung in der Geschichte, sofern es überhaupt einen historischen Bezug gibt. Gleichwohl kann man davon ausgehen, dass kaum ein Spiely hier eine historisch akkurate Simulation vermutet. Und für die wenigen Spielys, die Anno für ein akkurates Abbild der damaligen Realität halten: Was hat dies für negative Konsequenzen; kann man wirklich davon ausgehen, dass ein signikanter Anteil dieser Spielys in der Folge fragwürde Ansichten (mit tatsächlichen negativen Konsequenzen) haben wird? Summa summarum denke ich, dass sich der Schaden wirklich in Grenzen hält [Zumal man alle positive Konsequenzen - Spielspaß usw. - gegenrechnen muss]. Ich kann verorten, wo Doms Kritik herkommt, schließe mich ihr aber unterm Strich nicht an (und halte den Titel "Anno 1800 schreibt die Geschichte um" für schief).
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Terranigma
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Terranigma »

RogueMike hat geschrieben: 3. Mai 2021, 02:32Gleichwohl kann man davon ausgehen, dass kaum ein Spiely hier eine historisch akkurate Simulation vermutet.
Das sehe ich einerseits ebenso, andererseits besagt diese Annahme wiederum auch nichts. Wenn ich mich vor ein Videospiel setze und davon ausgehe, dass hier bestimmte Elemente fiktiv sind, so nützt mir diese Einsicht nichts, wenn ich nicht in der Lage bin zu identifizieren, was Fiktion ist, welche Elemente historisch sind und welche historischen Elemente man aufgrund des historischen Szenarios erwarten würde, die aber fehlen. Genau hier dürfte ja der Reiz von historischen Szenarien im Allgemeinen liegen, sei es nun Anno, Assassin's Creed, Ghost of Tsushima und derlei. Die Titel bezeichnen sich nicht selbst nicht als akkurate Simulationen und auch der Spielerschaft dürfte größtenteils bewusst sein, dass sie hier eine Art von "Infotainment" erhalten, wo historische Snippets gleichberechtigt neben Fiktion und Auslassung stehen. Sofern man mit dem historischen Sachgegenstand nicht vertraut ist, wird man im Einzelnen nicht auseinanderhalten können, was nun eigentlich was ist.

Denn das Videospiele wiederum durchaus Geschichte auf eine lehrreiche, authentische und wahrheitsgemäße Art abbilden können, das wird grundsätzlich wiederum auch nicht in Frage gestellt: Ich erinnere an Berichterstattungen und Diskussionen bzgl. Kingdom Come, das für seinen hohen Grad an "historischer Korrektheit" mehrfach gelobt wurde und zu Ghost of Tsushima hat Luibl von 4Players eine ganz Videoreihe rausgebracht, in welcher er mehrfach die Historizität des Titels lobte. Und diese Videos sind ein schönes Beispiel, denn Luibl - obwohl selbst Geschichte studiert - hat keine fundierten Kenntnisse über das Szenario, und bezeichnet Elemente als "historisch korrekt", welche es nicht sind. Gerade diese Gleichberechtigung von Fiktion und Historizität, wo man im Einzelnen das eine nicht vom anderen trennen kann, dürfte das Geschichtsbild zu allerlei Sachverhalten erheblich prägen.


Dies ist allerdings nicht als Vorwurf gemeint. Ich habe von allerlei historischen Themen ebenso nicht mehr als ein grobes Orientierungswissen und werde, wie wohl alle, allerlei unzutreffende Geschichtsbilder im Kopf haben. Viele davon wahrscheinlich auch medial vermittelt. Ich denke, die entscheidende Frage ist am Ende nicht, ob Videospiele - wie auch insb. Filme - dazu beitragen, dass sich romantisierte, verklärte und fiktionalisierte Geschichtsbilder verfestigen, denn dies halte ich für evident, sondern ob dies grundsätzlich schlimm sei. Das wiederum denke ich nicht. Umgekehrt denke ich, dass Entwickler aber auch eine Verantwortung für die Narrative haben, welche sie in die Welt entlassen. Videospiele fungieren in dieser Hinsicht als Multiplikatoren.
Sitting quietly and doing nothing,
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Schreibkraft

Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Schreibkraft »

Ich persönlich fand den Podcast sehr interessant - vermutlicht nicht obwohl, sondern weil der Kontrast zwischen Jochen und Dom so ziemlich genau jenen Zwiespalt widerspiegelt, der bezüglich dieses Themas in mir herrscht. Einerseits finde ich es wichtig, dass menschenfeindliche Klischees (wie in diesem Fall rassistische), die nicht der Vermittlung der dahinter stehenden Problematik dienen, benannt und bestenfalls korriegiert, bzw. künftig vermieden werden. Andererseits halte ich die Art, wie dies oft thematisiert wird, nicht für zielführend, da diese ein ums andere Mal darauf abzielt, im Sinne der Öffentlichkeitökonomie zu skandalisieren und damit - nicht zuletzt auch durch das Zutun rechter Gegner - in einer Weise polarisiert, dass konstruktive Diskussionen schwer bis unmöglich werden.
In diesem Sinne wünsche ich mir mehr solcher Podcasts, in denen vergleichsweise unaufgeregt diskutiert und analysiert wird!

Darüber hinaus noch zwei Anmerkungen:

Zum einen denke ich, dass Jochen mit der Annahme irrt, dass diese Diskussionen vorwiegend durch extreme Linke und Rechte derart polarisierend werden, dass sachliche wie zielführende Diskussionen oft kaum möglich sind. Der argumentativ kompromisslose Teil des Antirassismus, Antisexsissmus usw., ist tendenziell eher der identitätspolitischen Richtung zuzuordnen, die geschichtlich betrachtet deutlich neuer ist als die traditionelle Linke, die gerade am linken Rand durch die sozialistischen Einflüsse den Antirassismus als Teil einer politischen Idee von gesamtgesellschaftlicher Gleichheit betrachtet. Die Identitätspolitik hingegen zielt mitunter auf die Verbesserung der Lebenssituation einer Gruppe innerhalb der bestehenden Gesellschaft ab. Dies wurde zwar von von Teilen der Linken politisch aufgegriffen, wird aber längst nicht von allen und oftmals gerade nicht von traditionellen linken Hardlinern (siehe z.B. Sarah Wagenknecht, Slavoj Zizek und vielen weiteren) geteilt.
Vielmehr ist Identitätspolitik, samt jener vermeintlichen Cancel Culture, einerseits bei bürgerlichen Linksliberalen vergleichsweise stark ausgeprägt und reicht andererseits auch weit über das linke Lager hinaus.
Ebenfalls würde ich - ohne dies ebenfalls so weit auszuführen - behaupten, dass es auf rechter Seite vielfach die Neue Rechte (und damit nicht die klassichen Nazis von äußersten rechten Rand) ist, die in diesen Diskussionen den Gegenpol darstellt.
Das ist dahingehend bedeutsam, dass viele polarisierenden Standpunkte gerade deshalb gesamtgesellschaftlich so erfolreich sind, weil sie nicht von den politisch äußersten Rändern kommen, zu denen sich die sogenannte bürgerliche Mitte bewusst abgrenzt, sondern auf der einen Seite aus dem bildungsbürgerlich-urbanen linksliberalen Spektrum und auf der anderen Seite aus dem bildungsbürgerlichen nationalkonservativen Lager. Dort ist die "Meinungsdurchlässigkeit" zur sogenannten bürgerlichen Mitte deutlich höher und die Schnittmengen sind größer. Dies ist dahingehend wichtig, dass die sogenannte bürgerliche Mitte mit dem Verweis auf die extremen Ränder nur allzu gern die eigene Verantwortung für Probleme dieser Zeit (wie AfD, Querdenker usw.) auf die politischen Ränder schiebt, obwohl diese per Studien belegbar zu einem großen Teil aus ihren eigenen Reihen kommt. So jedenfalls meine Interpretation, die natürlich weder Jochen noch sonst wer teilen muss.

Weiterhin finde ich es ein bisschen schade, dass im Podcast nicht erörtert wurde, wie Sklaverei in einem Strategiespiel wie Anno hätte abgebildet werden können, ohne wiederum Gefühle zu verletzen und kritische Diskussionen loszutreten, die sich natürlich kaum ein Unternehmen für seine Produkte wünscht. Als Teil der Spielmechanik dürfte dies deutlich problematischer sein als z.B. bei antiker Sklaverei, deren Auswirkungen, im Gegensatz zum Kolonialismus, heute kaum noch sichtbar sind. Sklaverei nur als Teil der Storyline zu thematisieren, liefe wiederum Gefahr, dass dies gerade in diesen Genre aufgepropft wirkt oder den Spieler (im Spannungsfeld konkurrierender Weltmächte) von Pro-Kontra-Entscheidungen samt möglicher Konsequenzen befreit, was ebenfalls von zweifelhaftem didaktischen Wert wäre.

Vielleicht wäre der (bestmögliche) Umgang mit solchen Themen in Spielen ja mal was für einen weiteren Podcast - mich jedenfalls würde es interessieren!
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Smutje187
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Smutje187 »

Extra nochmal nachgehört: Ab Minute 58 in der Folge kommt die Begründung für das weglassen der Sklaverei - und anstatt ehrlich zu sagen, dass es sich um Fantasy handelt, versucht man es mit Fakten zu rechtfertigen, damit man vermutlich weiterhin von sich behaupten kann, historisch akkurat zu sein (aus welchen Gründen auch immer - ich gehe natürlich qua meiner Vergangenheit von verletzter Ehre und Anbiederung an den medialen Mainstream davon aus, dass Videospiele immer noch diesen Minderwertigkeitskomplex der 90er haben :ugly:)
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echtschlecht165
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von echtschlecht165 »

war eine gute Folge, die ein Aufregerthema seht unaufgeregt behandelte. Sowas ist eine Wohltat heutzutage.
Zum Inhalt: Ich stehe ungefähr auf der selben Seite wie Jochen, und habe mich so ziemlich genau über denselben Satz des Experten ärgern müssen.

Dennoch war es mal schön, Doms Beweggründe und Motivationen für diesen Artikel zu erfahren, und warum er bisher mehr oder weniger dazu geschwiegen hat.
EIn bissl Kritik muss aber dennoch sein: In der Folge kam es ein wenig so rüber, als wenn es zu besagtetem artikel ausschliesslich zustimmung oder ablehnenden Persönlichen Hass gab. So war es nämlich bestimmt nicht.
Da gabs genug kommentare, die sich genau mit inhalt des Artikels beschäftigten, und diverse Stellen (zurecht) kritisierten.

Mein Vorschlag: Gebt Dom Budget, damit er so eine Artikelserie (oder Podcasts) monatlich auf The Pod veröffentlichen kann. (so wie es sein Wunsch ist).
Hier habt ihr eine bewährte Community aus Experten, die sich tatsächlich mit dem Thema in der Tiefe auskennen (zb Terrannigama) als auch eine Userschaft, die in der Lage ist auch über solche Themen sachlich zu diskutieren. Und auch eine Moderation, die inzwischen ein paar Jahre Erfahrung in solchen Themen hat :-)

Dass diese Fragen gestellt werden sollen, die Dom in seinen Artikeln stellt, steht für mich ausser Frage.
Bei den "richtigen" Antworten bin ich ja selbst noch unschlüssig.
Vor dem hören dieser Folge sah ich den Anno - Artikel noch viel negativer als danach.
ICh finde ihn immer noch nicht gut, aber die Beweggründe dahinter umso mehr
In Stein gemeißelt
Dr_Hasenbein
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Dr_Hasenbein »

Schreibkraft hat geschrieben: 3. Mai 2021, 07:34 Vielmehr ist Identitätspolitik, samt jener vermeintlichen Cancel Culture, einerseits bei bürgerlichen Linksliberalen vergleichsweise stark ausgeprägt und reicht andererseits auch weit über das linke Lager hinaus.
Ebenfalls würde ich - ohne dies ebenfalls so weit auszuführen - behaupten, dass es auf rechter Seite vielfach die Neue Rechte (und damit nicht die klassichen Nazis von äußersten rechten Rand) ist, die in diesen Diskussionen den Gegenpol darstellt.
Ist nicht genau das die eigentliche Verharmlosung, die wir schon bei Pegida, AfD und Querdenker erlebten und erleben? In der die Menschen dort als bürgerliche Mitte bezeichnet werden, aber in einer Weise agieren, die ganz und gar nicht reasonable ist sondern unerbittlich mit Worten aufeinander einschlagen? Ab wann hat sich ein Mensch weit genug radikalisiert, dass man ihn guten Gewissens den politischen Rändern zuordnen kann?
Schreibkraft hat geschrieben: 3. Mai 2021, 07:34 Das ist dahingehend bedeutsam, dass viele polarisierenden Standpunkte gerade deshalb gesamtgesellschaftlich so erfolreich sind, weil sie nicht von den politisch äußersten Rändern kommen
Ich beobachte eher, dass gerade umgekehrt die Standpunkte von den Rändern kommen. Die Initiatoren sind oftmals politisch sehr extreme Persönlichkeiten.
Schreibkraft hat geschrieben: 3. Mai 2021, 07:34 bildungsbürgerlich-urbanen linksliberalen Spektrum und auf der anderen Seite aus dem bildungsbürgerlichen nationalkonservativen Lager
Ich glaube wir haben ein fundamental anderes Verständnis davon, was für uns noch bildungsbürgerlich ist und was nicht :)
Schreibkraft hat geschrieben: 3. Mai 2021, 07:34 Dies ist dahingehend wichtig, dass die sogenannte bürgerliche Mitte mit dem Verweis auf die extremen Ränder nur allzu gern die eigene Verantwortung für Probleme dieser Zeit (wie AfD, Querdenker usw.) auf die politischen Ränder schiebt, obwohl diese per Studien belegbar zu einem großen Teil aus ihren eigenen Reihen kommt. So jedenfalls meine Interpretation, die natürlich weder Jochen noch sonst wer teilen muss.
Hier würde ich sogar entgegenkommen. Natürlich kommen sie aus der Mitte, aber die Verantwortung begründet das nicht zwangsläufig. IMHO hat die AfD möglich gemacht, dass es auf rechten Seite plötzlich sehr viel Luft zwischen Union und NPD gab. Wie es dazu kam, ist mir nicht ganz klar. Ob die Union selbstständig weiter nach links driftete oder ob sie von außen gezwungen wurde, damit habe ich mich nie beschäftigt. Und nein, damit will ich nicht sagen, dass die Union links ist um das gleichmal vorweg zu nehmen.
Schreibkraft hat geschrieben: 3. Mai 2021, 07:34 Vielleicht wäre der (bestmögliche) Umgang mit solchen Themen in Spielen ja mal was für einen weiteren Podcast - mich jedenfalls würde es interessieren!
Das fände ich in der Tat auch sehr interessant. Aber dazu sollte man vielleicht auch nochmal die Frage klären, die Andre aufgestellt hat. Sollen Spiele nur Mittel zur Aufklärung sein?
skade
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von skade »

Ich mach mal ne Tangente auf, die glaube gut zu dem Metapunkt gerade am Anfang des Podcasts passt: ich hab vor kurzem das Buch "Conflict is not Abuse: Overstating Harm, Community Responsibility, and the Duty of Repair" gelesen (https://www.goodreads.com/book/show/293 ... -not-abuse).

Das macht einen sehr interessanten These auf: die Angewohnheit, in jedem Konflikt eine klar schuldige Seite und vor allem deren Bestrafung zu suchen verhindert die Auseinandersetzung mit dem Problem und dessen Lösung. Vor allem sieht sie dann schnell eine Fokus auf Verletzungen, die sehr überbetont werden. Konflikte - und darüber reden wir ja hier - sind erstmal nichts schlimmes und erstmal eine Gelegenheit zum Gespräch. (Es greift meiner Meinung bei ein paar seiner Beispiele auch massiv daneben, aber das ist okay)

Und genau das passiert wenn aus "das bedient rassistische Stereotype" eben nicht als das gelesen wird, sondern eben in der Diskussion ne Schippe draufgelegt wird. Konflikte sind erstmal nichts schlechtes und Jochen macht den Konflikt (chinesischer Entwickler, eventuelle Spannungen im Herstellungsland, Rezeption im Westen) ja durchaus gut auf. Da ist _viel_ drin, was in einem offenen Gespräch sehr spannend ist. Behandelt wird es aber, als müsse ein binäres Urteil darüber gefällt werden, ob das jetzt rassistisch war oder nicht. Was auf der Strecke bleibt, ist eben der von Jochen gewünscht Zwischenraum, in dem wir darüber reden können, dass kolonialistische, klar rassisistische Motive unsere Gesellschaft bis heute beeinflussen und eben auch das Design unserer Medien. Wenn wir hier über angerichtete Schäden reden wollen, wird die Diskussion schwierig. Wenn wir aber über _bessere Medien_ reden wollen, reden wir auf einer ganz anderen Ebene.

Das Buch hat mir eine ganze Menge Struktur gegeben für meinen persönlichen Wunsch (auch z.B. in der Diskussion um Trigger-Warnungen), die Sache mal auch nur eine Latte tiefer zu hängen und dann zu nochmal zu diskutieren.

Was es allerdings auch gut herausarbeitet ist _warum_ die Emotionen so stark sind: weil sich über Jahre einfach wenig getan hat und man inzwischen lautstark beschweren muss, damit man überhaupt wahrgenommen wird. Und da gebe ich Dom recht: da muss auch mal die Presse her. Weil der genannte Battlefield-General wurde wahrscheinlich nur umbenannt, weil sein Blog eine Leserschaft hat und er schon eine gewisse Reichweite hat. Würde die Gamestar regelmässig solche Themen besprechen, hat das wahrscheinlich mehr Effekt als eine Kampagne auf Twitter, bei der die Fetzen fliegen.

Eine letzte kulturelle Anmerkung noch: die kulturelle Export des Westens nach China und Japan fand über lange Strecken vor allem durch Gruppen statt, die sicher kolonialistisches Gedankengut hatten und das hat sich natürlich niedergeschlagen. Wer das am Beispiel Japan interessant findet, dem empfehle ich das Buch "Shots in the Dark", dass das berühmte Buch "Zen und die Kunst des Bogenschiessens" als Aufhänger nutzt, mal über kulturelle Wechselwirkungen zu reden. Herrigel, der Autor des Buchs, war Nazi und Rassist, dennoch ist das Buch noch sehr gerne gelesen.[1] (Ja, Japan ist nicht China, aber zu China hab ich gerade keine Empfehlung)

[1]: Es gibt dazu auch eine sehr gute Sonderausgabe der Zeitschrift des deutschen Kyudo-Bundes, die das sehr gut aufarbeitet - und glaube so, wie Jochen das einfordert - leider ist die nicht offen verfügbar. Wer lieb fragt, kriegt aber sicher ein PDF.
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Gonas
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Re: Runde #317: Cancel Culture?!?

Beitrag von Gonas »

Puh, ehrlich gesagt ist mit die Diskussion schon zu groß und auch in viele Richtungen zu grundsätzlich um mich groß an ihr zu beteiligen. Ich fand die Folge sehr gut, bin aber auch nicht sicher ob Cancel Culture der richtige Name für die Folge war, auch weil das was man darunter meist versteht für mich nicht das Hauptthema der Folge war.

tyr hat geschrieben: 2. Mai 2021, 13:54
Was ich mir mittlerweile als Kompromiss wünsche, wäre folgenden Disclaimer am Anfang solcher Spiele:

"Die Mechanismen im Spiel sind unrealistisch. In der historischen Realität waren Kolonisierung/Krieg/etc nur erfolgreich, weil Millionen Menschen unter Sklavenhaltung, Folter, etc litten. So etwas wie menschlichen Kolionalismus/Krieg/etc gibt es nicht in der Realität.
Dieses Spiel ist aber nicht die Realität, also lassen wir bewusst diese Dinge weg und erschaffen so eine Welt, in der du als Spieler hoffentlich eine große Menge Spaß hast."

Aber ich weiß, dass ich träume, sowas würde ja ehrlich und transparent sein und das macht einen ja angreifbar. Und angreifbar will in Zeiten von Twitter & Co. niemand mehr sein, lieber machen wir nur noch "unpolitische" Spiele...
Das wäre auch der Kompromiss den ich in solchen Spielen gerne hätte. Momentan spiele ich ja Assassins Creed Origins und da wurde das finde ich sehr vorbildlich gemacht. Wie weitläufig bekannt gibt es ja den als Ergänzung hervorragenden Museums Modus in dem auch oft Bezug auf das 'normale' Spiel genommen wird. Also was z.B. aufgrund von Aufwand oder Spielspaß im Spiel falsch oder unvollständig dargestellt wird.

Natürlich hat jetzt nicht jedes Spiel die Möglichkeit einen Museums Modus zu erstellen (vermutlich kaum eines), aber es gibt auch einen einfachen Weg den AC Origins auch zusätzlich geht, es packt solche Trivia-Infos die die reale Geschichte betreffen schlicht als Infotexte in die Ladebildschirme. Natürlich muss so nicht jeder zwangläufig darauf stoßen, aber ich finde das einen eleganten und unaufdringlichen Weg solche Vereinfachungen der Realität zu thematisieren und ganz offen darüber zu reden.
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