Andreas29 hat geschrieben: ↑9. Aug 2021, 14:56
Ich kann jede Emotionalität verstehen, wenn es um dieses Thema geht. Nur als langer Teilhaber und auch Beobachter dieser Debatten, habe ich festgestellt, dass Menschen sich einer Sache eher verschließen, wenn sie sich zu sehr in eine Ecke gedrängt fühlen.
Damit meine ich ausdrücklich NICHT, dass Alltagsrassismus u.Ä. akzeptabel ist - da ist wieder einer dieser Disclaimer -, aber es kann nicht alles von einem auf den anderen Tag perfekt sein. Wir werden immer weiter in toxischen Debatten versinken, wenn man nicht Geduld hat.
Es gibt Dinge die sich sofort ändern müssen, aber wie man Schauspieler besetzt, gehört sicherlich nicht dazu. Man wird die Sexismus/Rassismus/Homophobie-Probleme unserer Gesellschaft dadurch nicht lösen und deswegen ist dieser Eingriff für mich nicht sinnvoll und aus den genannten Gründen abzulehnen.
Die Energie, die man für solche Debatten verbraucht könnte man so gut an Stellen gebrauchen, an der sie wirklich angebracht ist.
Es wird mittlerweile mehr darüber gestritten ob ein Restaurant "Zum Mohr" heißen darf als über z.B. ungleiche Löhne ist Ost und West. Es hängt was schief.
Da Du aber auch folgendes schreibst
Felidae hat geschrieben: ↑9. Aug 2021, 13:47 das kann man leicht tun, wenn die eigne Identität zeitlebens im Mittelpunkt stand.
kann ich deine Replik natürlich schon vorhersehen: Ich bin weiß und deswegen steht mir dieses Urteil gar nicht zu.
Was soll ich darauf antworten? Das ist ein Totschlagargument und deswegen mag ich es nicht besonders. Es ist das Ende jeder Debatte, jeden Kompromisses.
Ist für Dich "Identitätspolitik" jetzt auch schon Kampfbegriff, den man nicht benutzen darf? So kommt es jedenfalls für mich rüber.
Puh, Punkt für Punkt. Gleich vorweg: Ich will mit nichts DICH angreifen, es geht mir nur um Deine Aussagen. Und die Antworten beinhalten ALLE, dass ich so Sätze schon viel zu oft gelesen habe. Und Du jetzt das Ergebnis abbekommst.
Die Debatte führt in diesem Fall nicht Amazon. Sie wird angestoßen von Menschen, die das, was Amazon macht, nicht gut finden. So wie Menschen debattieren, dass sie weiterhin "Mohrenkopf" und "Zigeunerschnitzel" sagen wollen. Oder wollen, dass Pippis Papa immer "Negerkönig" bleibt. Es sind eigentlich NIE die Verlage, die Bäcker:innen, die Gastwirt:innen oder Amazon, die die Debatte lauthals führen oder auch nur beginnen. Es sind deren Kritiker:innen, die keine Veränderung wollen - und gleichzeitig wahnsinnig gern "Cancel culture!" schreien.
Dass "nicht alles von einem Tag auf den anderen perfekt sein kann" - ich vermute mal, dass sich das ziemlich zynisch liest, wenn man seit SECHZIG Jahren für eine gerechte Welt kämpft. Martin Luther King hatte seinen Traum 1963 - da liest sich "wir kriegen das halt nicht über Nacht hin, habt mal bisschen Geduld" im Jahr 2021 irgendwie schräg. Gleiches ließe sich zur Behandlung von Frauen und Homosexuellen sagen. "Wir kriegen das nicht so schnell hin" wäre in den 90ern vielleicht noch okay gewesen - aber 2021? Wir sollten froh sein, dass uns bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht schon längst das Dach überm Kopf angezündet haben angesichts unseres Tempos. Grund genug hätten sie.
Über ungleiche Löhne sollte man jederzeit diskutieren - nur sehe ich nicht ein, warum das ein entweder-oder sein muss. Zumal, wenn - wie ganz am Anfang geschrieben - die Diskussion sehr oft von denen angefangen wird, die die Veränderung VERHINDERN wollen. In Deinem Fall speziell überspitzt: Warum fängst Du dann hier eine Debatte über Amazon an, statt in der Zeit über gerechte Löhne zu diskutieren? (Natürlich WILL ich, dass Du hier darüber diskutierst. Dafür ist dieses Forum da. Aber ich hoffe, Du verstehst, worauf ich rauswill.)
Ich bin selbst weiß - ich habe keine Ahnung, was schwarze Menschen verletzt und was nicht. Ich höre von vielen, dass bestimmte Begriffe nicht okay sind ihrer Meinung nach - und sie können es nachvollziehbar begründen. So, wie auch amerikanische Ureinwohner begründen können, warum sie nicht "Indianer" genannt werden wollen. Und Sinti und Roma begründen können, warum sie ein Problem mit dem Begriff "Zigeuner" haben. Die Begründungen laufen samt und sonders auf "historischen Massenmord" raus. An und für sich sähe ich keinen Grund, deswegen Diskussionen zu führen - bestimmte abwertende Wörter nicht mehr zu benutzen, kostet mich persönlich maximal ein bisschen Umgewöhnung, den/die Gastwirt:in maximal einen neuen Satz Speisekarten - und ja, bei Straßenumbenennungen kommen tatsächlich bisschen Kosten ins Spiel. Bei denen ich immer entgegnen würde, "Nun ja, eine unschöne Geschichte kostet nunmal auch, das ist Teil der Verantwortung". Aber auch DAS ist einmal gemacht und damit erledigt - wenn dafür Menschen, die mal qua Geburt "Opfer" waren, dafür nicht mehr täglich getriggert werden, halte ich das für sinnvoll. Ich weiß schlichtweg keinen Grund, warum ich da was dagegenhaben sollte, wenn es anderen Menschen so viel bedeutet. Deshalb sehe ich auch an und für sich keinen Grund, darüber zu diskutieren - außer, dass für manche Menschen nunmal das Abendland untergeht, wenn sie keine "Zigeunersauce" mehr bestellen dürfen.
Angesichts von historischem Massenmord halte ich in der Sache einen "Kompromiss" auch für schwierig. Wie soll der aussehen? Das eine rassistische Wort streichen wir, das andere wollen wir aber weiter nutzen, soll sich der Mohr halt nicht so haben, wenn wir schon wegen ihm auf das "N"-Wort verzichten? Nicht wirklich, oder?
Schlussendlich - "Identitätspolitik" wirkt auf mich zumindest wie ein Begriff, den ich eigentlich nur von bestimmten Gruppen regelmäßig lese/höre. Jenen, die auch "Cancel culture" beklagen zB. Boris Palmer benutzt den Begriff zB sehr gern.