Jochen Gebauer hat geschrieben: ↑9. Nov 2021, 19:25
Nein, nicht ganz. Es geht um den Vorwurf, etwas vermeintlich oder tatsächlich Wertvolles für einen zu geringen Gegenwert verkauft zu haben. Das ist qualitativ etwas anderes als Korruption. Man kann im bildhaften Sinne die Beine breit machen bzw. sich zu prostituieren, ohne korrupt zu sein. Die Vorwürfe liegen eng beinander, sind aber sprachlich nicht deckungsgleich.
Interessant. Aber ich denke als Überbegriff passt Korruption hier in jedem Fall. (Korrumpierung ist aber vermutlich der noch bessere Begriff, weil Korruption stärker auf ein do ut des abstellt.) Letztlich geht es darum, dass jemand eine bestimmte Funktion inne hat und gegen Vorteile in der Ausübung dieser Funktion von ihrem inhärenten Anspruch abweicht. Konkret man geht beim Verfassen von Meldungen nicht nach dem Nachrichtenwert, sondern nach der kommerziellen Bedeutung der zugehörigen Stichworte. Die Trennung von Redaktion und Vermarktung wird nicht umgesetzt. Wobei die Bedienung populärer Stichworte im Spektrum der Medienprodukte - möglicherweise bedauerlich - ihren Platz hat. Die Frage ist wohl, ob man das unter Journalismus fassen will.
Aber zurück zu deiner Deutung. Die bringe ich gerade mit "Keyword-Prostitution" nicht so ganz zusammen. Also wer ist die Gamestar in dieser Analogie? Verkaufen sie ihre Meldungen für keywords zu billig? Oder das was sie an Meldung liefern, liegt unter dem Wert der anhand des keyword möglichen Qualität, weil es nur darum geht überhaupt etwas zum Thema zu haben?
Jochen Gebauer hat geschrieben: ↑9. Nov 2021, 19:25
Nein, die bildhafte Redewendung funktioniert als negatives Bild über die Abwertung des Gegenwerts, den man für die Handlung erhalten hat. Es geht im Kern weder um die sexuelle Handlung an sich noch über eine Entweihung der Sexualität, sondern darum, dass ein hohes Gut (im ursprünglichen Wortsinne die eigene sexuelle Selbstbestimmung) für vergleichweise wenig Geld zur Disposition gestellt wird. Und das ist der Prostitution historisch kaum abzusprechen. Die Zahl der Prostituierten, die das aus völlig freien Stücken machen und weil sie gut dafür bezahlt werden und überhaupt kein Problem damit haben, ihren Körper den sexuellen Vorlieben anderer zu überlassen, dürfte - leider! - immer noch ziemlich gering sein im Vergleich zu jenen, die das machen, weil sie keine andere Wahl haben und/oder sehen.
Nur, dass man aus Not für einen zu geringen Gegenwart Arbeit macht, die vielleicht sogar tief die eigene Würde beeinträchtigt, tritt eben nicht nur im Bereich der Prostitution auf. Ein Unterschied ist, zumindestens bei allem was als legale Arbeit verstanden wird, dass man einen Wert, einen gesellschaftlichen Nutzen in dieser Arbeit sieht, selbst wenn ihre Bedingungen fragwürdig sind. So ein gesellschaftlicher Nutzen wird Prostitution oft abgesprochen. Und ich verstehe durchaus, wenn man hier die Nähe von Zwangsprostitution in der Bewertung heranzieht. Aber ich denke das läuft dennoch auf eine kategoriale Andersbewertung hinaus, denn da draußen gibt es wahrlich genug Beispiele für menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, von Sklavenarbeit bis zu prekär Beschäftigten oder sogar gut bezahlte totale berufliche Vereinnahmung, wie man sie in der Spieleproduktion sieht. Nur sehen wir nicht-sexuelle Arbeitskraft nicht grundsätzlich davon berührt. Die andere Kategorie geht letztlich auf unsere Sicht auf Sexualität zurück.
Spätestens bei der Frage des Wertes des verkauften Guts sind wir in der moralischen Bewertung von Sexualität drin. Die sexuelle Selbstbestimmung ist nur bei der Zwangsprostitution berührt oder wenn man sich tatsächlich völlig außer Stande sieht, anders zu überleben. Sexuelle Selbstbestimmung bedeutet auch das eigene sexuelle Funktionieren zum Gegenstand einer kommerziellen Selbstausbeutung machen zu können. (Und diese sollte dann auch nur einer arbeitsrechtlichen oder kommerziellen Regulierung unterworfen sein, nicht der Umsetzung moralischer Ansprüche auf die Deutung des Sexuellen, wenn man diese Freiheit ernstnimmt.)
Wenn der Prostitutionsvergleich als negatives Bild also nicht über "Abwertung der entsprechenden sexuellen Handlungen oder eine Art Entweihung des Sexuellen" funktioniert, sondern ein Inbegriff für sich unter Wert verkaufen ist, sehe ich dahinter immer noch die Aufwertung einer Sexualität, die frei ist von kommerziellen Erwägungen, und die entsprechende Abwertung, einer, die es nicht ist. Das wäre ein Beispiel für Entweihung. Unabhängig davon, entspricht diese Verwendung als Analogie wohl nicht dem, was die meisten Menschen, die diese Arbeit ausüben, sich wünschen. Die brauchen das zusätzliche Stigma als Inbegriff für Billigkeit zu stehen nicht. Insofern würde ich so oder so dafür plädieren, das Sprachbild nicht zu gebrauchen.
Und wenn ich schließlich nochmal zu "die Beine breitmachen" zurückkomme. Bei Prostitution sehe ich durchaus, dass man mit einer neutraleren Haltung gegenüber der
Art von Arbeit mit Blick auf die typischen oder historisch typischen
Bedingungen der Arbeit ein anders funktionierendes Sprachbild erhalten kann. Bei "die Beine breitmachen" ist aber das viszerale Bild dominant und der Ausdruck ist sonst kontextfrei. Das Warum ist völlig unklar. Gleichzeitig gibt es für den Ausdruck meines Erachtens eine einzelne neutrale oder positive Verwendung, nämlich in der Beschreibung sexueller Handlungen. Sonst wird er stets negativ gebraucht. Wer die Beine breit macht, hat verloren. Genauso wie eine vergleichbare Formulierung ohne die sexuelle Konnotation wie "sich benutzen lassen" eigentlich auch nie positiv gemeint ist. Das sexuelle Element hinzu zu nehmen, ist einfach eine Steigerung, weil sich sexuell benutzen lassen als noch negativer verstanden wird. Ich würde sagen mit "sich verkaufen", "sich benutzen lassen" als Alternativen kann man darauf verzichten.