Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

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Felidae
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

Heretic hat geschrieben: 27. Mai 2022, 13:04
Stelle ich mir im RTS-/Aufbaugenre schwierig vor, da die Spielmechanik da weit im Vordergrund steht. Nicht unmöglich (man denke z. B. an "Frostpunk"), aber schwierig. Wenn ich meine Handelsrouten optimieren will, baue ich die Straßen mitten durch den Wald und nicht aus Umweltschutzgründen drumherum. Als Feldherr schicke ich meine Truppen ohne mit der Wimper zu zucken dahin, wo's weh tut. Wenn meine Plantage nur mit Sklavenarbeitern effizient ist, dann setze ich die ein. Dieser Optimierungszwang liegt doch im Genre begründet.

[..]

Im Prinzip liefern sie doch genau das: Eine heile Fantasy-Welt in einem historisch angehauchten Setting ohne übernatürlichen Elemente. Man kann anprangern, dass Ubisofts Marketing-Abteilung daraus eine historisch korrekte Simulation zu machen versucht, keine Frage. Und selbst wenn Anno das wäre - es ist und bleibt ein Unterhaltungsprodukt und kein für den Geschichtsunterricht taugliches Utensil.
Ich glaube, es bringt nichts, jetzt wieder zu diskutieren, wie sehr "Anno" historisch sein will oder nicht. Das wurde hinlänglich in diesem Forum getan. :)

Auf zumindest einer Meta-Ebene schafft diese Gewissensfrage übrigens auch ein "Age of Empires" - wenn Du irgendwann realisierst, dass Du einen extrem schmutzigen Krieg gegen die Zivilbevölkerung führst, um Deinem Gegner die Wirtschaft zu ruinieren. Ich gehe davon aus, dass ich nicht der einzige Mensch bin, dem in irgendeiner Partie nach hunderten Stunden plötzlich klar wurde, was da eigentlich grade auf dem Bildschirm passiert. Es muss ja nicht der Holzhammer sein.
imanzuel
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von imanzuel »

Felidae hat geschrieben: 27. Mai 2022, 12:16 Der Trick wäre, Dir spielerisch massiv Vorteile zu geben, aber Dich gleichzeitig gewissenstechnisch in große Schwierigkeiten zu bringen. WENN ein Medium das hinbekommen kann, dann wohl ein Interaktives.
Ah jo, das Medium in dem ich tausendfach ohne mit einer Wimpe zu zucken Menschen übern Haufen ballere, damit ich besser mein Loot einsammeln kann. Oder überhaupt an Loot rankomme. Ne, ne. Genau das Beispiel ist für mich Beleg genug das die Entwickler von Anno alles richtig gemacht haben. Ich meine ich stelle mir das mal bildlich vor: Um richtig viel Schotter zu machen MUSS man volle Kanne Sklaverei begehen. Also einige rechte Spinner die Anno spielen werden sich freuen, ihren Traum mal richtig ausleben zu können :ugly: Von den ganzen Memes die dadurch folgen könnten möchte ich gar nicht drüber denken.

Sklaverei spielerisch zu thematisieren macht imo nur Sinn wenn dessen Ausübung negative Folgen für den Spieler hat (also spielerische Folgen) oder man selbst (die Spielfigur) davon betroffen ist. Alles andere ist nutzlos, und am Ende verherrlicht es noch solche Themen, was eher einen Super-GAU gleichkommen würde als es gar nicht erst zu thematisieren.
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lolaldanee
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von lolaldanee »

Felidae hat geschrieben: 27. Mai 2022, 13:15 Auf zumindest einer Meta-Ebene schafft diese Gewissensfrage übrigens auch ein "Age of Empires" - wenn Du irgendwann realisierst, dass Du einen extrem schmutzigen Krieg gegen die Zivilbevölkerung führst, um Deinem Gegner die Wirtschaft zu ruinieren. Ich gehe davon aus, dass ich nicht der einzige Mensch bin, dem in irgendeiner Partie nach hunderten Stunden plötzlich klar wurde, was da eigentlich grade auf dem Bildschirm passiert. Es muss ja nicht der Holzhammer sein.
Das stimmt, das Abschlachten der Dorfbewohner des Gegners ist das fundamentale Ziel einer Age of Empires Multiplayer Partie. Quasi alle frühe Aggression im Spiel hat als Ziel Dorfbewohner zu töten. Das geht soweit, dass im frühen Stadium einer Partie 1 oder 2 tote Dorfbewohner die Partie locker entscheiden kann
Voigt
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Voigt »

Was halt oft in Spielen der Fall ist, dass man entweder einen Diktator von quasi-Robotern spielt (AoE) oder einen Benevolenten Diktator (Anno).

Daher entweder ist die Bevölkerung ein emotionsloses Bienen Arbeitervolk, die jeglichen Befehl direkt ausführt.

Oder Bevölkerung hat zumindest Bedürfnisse die erfüllt werden sollen, wobei es quasi immer sinnvoll ist, dies zu tun, weil sich nur dann die Bevölkerung vermehrt, Steuern zahlt und so weiter.

Ganz spontan fällt mir nur Tropico und Frostpunk ein, wo man zumindest die Option hat, seine Bevölkerung zu unterdrücken um ähnlich gut an seine Ziele zu kommen. Bei Tropico erschien es mir aber immer effektiver einfach benevolent zu spielen, weil ich mich ja dann nicht um Aufstände kümmern muss. Bei Frostpunk war es ja für mich das große Versagen, dass ich viel viel effektiver spielte, solange ich benevolent bin. Daher Kinderarbeit hilft nur am Anfang ein wenig, es ist aber viel effektiver die nur mit halber Nahrung abzuspeisen, wenn die nicht hart arbeiten müssen, und die meinen Ingenieuren bei der allmächtigen Forschung aushelfen zu lassen.

Edit: Noch kurz zu AoE2, nicht jeder spielt AoE2 im MP, in den Kampagnen muss man oft erstmal seine eigenen Länderein aufbaun, bevor man überhaupt dazu kommt, die vorausgebaute KI zu überfallen. Aber ja, auch da ist es irgendwann effektiv sich bei seinem großen Angriff auf die Dorfbewohner zu konzentriern.
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lolaldanee
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von lolaldanee »

Voigt hat geschrieben: 27. Mai 2022, 13:22 Ganz spontan fällt mir nur Tropico und Frostpunk ein, wo man zumindest die Option hat, seine Bevölkerung zu unterdrücken um ähnlich gut an seine Ziele zu kommen. Bei Tropico erschien es mir aber immer effektiver einfach benevolent zu spielen, weil ich mich ja dann nicht um Aufstände kümmern muss. Bei Frostpunk war es ja für mich das große Versagen, dass ich viel viel effektiver spielte, solange ich benevolent bin. Daher Kinderarbeit hilft nur am Anfang ein wenig, es ist aber viel effektiver die nur mit halber Nahrung abzuspeisen, wenn die nicht hart arbeiten müssen, und die meinen Ingenieuren bei der allmächtigen Forschung aushelfen zu lassen.
Tropico ist tatsächlich das einzig gute Beispiel für Unterdrückung das ich kenne. Weil: "Gut" spielen ist auch in Tropico einfach auf allen Ebenen effizienter. ABER: Es kann ein Spielziel sein, das eigene schweizer Bankkonto zu füllen. Man bereichert sich also knallhart einfach nur persönlich auf Kosten alles anderen im Spiel. So wird halt ein Stiefel draus, weil Unterdrückung an sich das Ziel ist, und man gegen die negativen Konsequenzen die sie automatisch hervorruft dann arbeiten muss.

Und DAS ist auch das Problem mit Sklaverei: Sie ist inhärent ineffizient, wenn sie korrekt dargestellt wird. Der einzige Grund sie jemals zu benutzen, wäre einen Punktewert hochzutreiben. DARUM könnte man natürlich ein Spiel baun, stell ich mir super interessant vor.
Zuletzt geändert von lolaldanee am 27. Mai 2022, 13:35, insgesamt 1-mal geändert.
Voigt
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Voigt »

Ich meine, Victoria 3 kommt ja, hoffentlich dieses Jahr. Das hat ja durchaus Sklaverei in Teilen der Welt noch.

Viele Paradoxspieler streben zwar paradiesische Zustände in ihren Spielnationen an, aber einige werden auch die Konföderieten Amerikaner spielen und Sklaverei beibehalten, einfach als interessantes Szenario.
Einige werden eventuell sogar versuchen das Rad der Zeit teils zurückzudrehen, und Sklaverei in Ländern wieder einzuschaffen, bin aber gespannt wie das funktionieren wird.

Finde aber insgesamt Victoria 3 als Nationbuilder Spiel, mit dem was die Entwickler geplant und vorgestellt haben, das interessanteste Projekt zum dem Thema.
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Terranigma
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Terranigma »

Axel hat geschrieben: 27. Mai 2022, 12:08Die Frage ist halt, ob sowas als Aufbau-Strategie funktioniert. Ich meine nein. Aufbau-Strategie ist ha per Genredefinition ein God Game. Und Sklaverei könnte davon weiter nicht entfernt sein.
Nja, also, nein. Die Definition dessen, was ein Genre ist, ist ja schließlich nicht fixiert. Als Doom 1993 erschien definierte es, was man zu dieser Zeit gemeinin unter einem Shooter verstand. Titel wie Apex, Hunt, Natural Selection, Counter Strike, Battlefield, etc. sind fraglos alles Shooter, aber eben andere Ausgestaltungen des Genres. Auch das Aufbau-Genre ist insofern ja keine Naturkonstante.

Ich bin nun gewiss kein Game Designer, aber selbst mir fallen am Schreibtisch gerade so allerlei Ansätze ein, wie man Sklaverei in einem interaktiven Medium abbilden kann, z.B. ähnlich wie's Frostpunk tut: indem z.B. die Verwendung von Sklaverei als Gameplay-Elemente wirtschaftliche Vorteile bringt - Stichwort: preiswert, effizient - aber auf anderer Seite die dadurch verursachten sozialen Verwerfungen ebenso innerhalb des Spiels abgebildet werden. Das ist ja nun keine Raketenwissenschaft. Von einem Titel wie Anno würde ich es wie gesagt nicht fordern; ich finde es völlig legitim, dass man Historie als weichgezeichnete Tapete gebraucht auch im Eingedenk, dass dies eben zu Geschichtsbildern führt, die ich problematisch finde. Aber den Preis kann ich akzeptieren.

Aber grundsätzlich können Aufbau-Titel sich so'n Thema natürlich annehmen.
imanzuel hat geschrieben: 27. Mai 2022, 13:20Sklaverei spielerisch zu thematisieren macht imo nur Sinn wenn dessen Ausübung negative Folgen für den Spieler hat (also spielerische Folgen) oder man selbst (die Spielfigur) davon betroffen ist. Alles andere ist nutzlos, und am Ende verherrlicht es noch solche Themen, was eher einen Super-GAU gleichkommen würde als es gar nicht erst zu thematisieren.
Da reden wir nun aber über die Frage der Umsetzung. Natürlich muss es gut umgesetzt sein. Allerdings ist's auch eine Frage der Spieler-Typs: ich mache ich Titeln durchaus Sachen nicht, auch wenn sie Vorteile bringen, weil ich's unangenehm finde. Stichwort: ich spiele in Titeln nie (!) Lederer, Kürschner, Jäger, o.Ä. Das Töten von Tieren - im schlimmsten Fall auch explizit dargestellt - wie z.B. in Far Cry ist mit ein Grund, warum ich die Titel nicht spiele. Ich finde das einfach ... bäh. :D

Ebenso tue ich in Frostpunk bestimmte Dinge nicht, auch wenn sie Vorteile bringen. Ich denke es gibt verschiedene Ansätze, wie man sowas angeht, z.B. über Spielmechaniken oder eben die Narration. Wenn "Sklaven" natürlich nur ein Wert in einer Excel-Tabelle sind und die Repräsentation darüber nicht hinausgeht, dann ist's wahrscheinlich wirkungslos. Aber das ist dann eben eine schlechte Umsetzung, spricht aber nicht gegen den Ansatz an sich. Eine schlechte 3rd Person-Kamera ist ja auch kein grundsätzliches Argument gegen Titel mit 3rd-Person Kamera.
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Smutje187
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Smutje187 »

meieiro hat geschrieben: 27. Mai 2022, 12:31 Würde ein Anno auch noch funktionieren, wenn es im 20.Jhdt. spielt und die spielbare Nation an Deutschland angelehnt wäre
Ich erinnere mich noch lebhaft an Close Combat 2: A Bridge Too Far von 1997 (Publisher war Microsoft :D ), wo man Alliierte und Achsenmächte spielen konnte - und die Eliteeinheiten auf Seiten der Wehrmacht war dann die SS. Sowas wäre heutzutage vermutlich ruftechnisch Selbstmord, aber damals ging’s nur um Taktikkämpfe und es wurde zum Beispiel keine Zivilbevölkerung simuliert.
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lolaldanee
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von lolaldanee »

Terranigma hat geschrieben: 27. Mai 2022, 13:31
Ich bin nun gewiss kein Game Designer, aber selbst mir fallen am Schreibtisch gerade so allerlei Ansätze ein, wie man Sklaverei in einem interaktiven Medium abbilden kann, z.B. ähnlich wie's Frostpunk tut: indem z.B. die Verwendung von Sklaverei als Gameplay-Elemente wirtschaftliche Vorteile bringt - Stichwort: preiswert, effizient - aber auf anderer Seite die dadurch verursachten sozialen Verwerfungen ebenso innerhalb des Spiels abgebildet werden.
So ist es im Kern übrigens in Rome 2, wenn auch seeeeeeeeeehr reduziert, dort sind die Sklaven nur ein Wert, der die Wirtschaft boostet, und hat man zu viele, kann es zu Aufständen kommen

Wo wir generell beim Thema Sklaven sind: Es gibt doch dieses absurde Spiel, in dem man einen Sklavenaufstand nachspielt, das sie bei Stay Forever mal besprochen haben:
https://www.stayforever.de/2020/10/sf-c ... erdwelten/
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Zuletzt geändert von lolaldanee am 27. Mai 2022, 13:40, insgesamt 1-mal geändert.
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Felidae
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

Smutje187 hat geschrieben: 27. Mai 2022, 13:32
meieiro hat geschrieben: 27. Mai 2022, 12:31 Würde ein Anno auch noch funktionieren, wenn es im 20.Jhdt. spielt und die spielbare Nation an Deutschland angelehnt wäre
Ich erinnere mich noch lebhaft an Close Combat 2: A Bridge Too Far von 1997 (Publisher war Microsoft :D ), wo man Alliierte und Achsenmächte spielen konnte - und die Eliteeinheiten auf Seiten der Wehrmacht war dann die SS. Sowas wäre heutzutage vermutlich ruftechnisch Selbstmord, aber damals ging’s nur um Taktikkämpfe und es wurde zum Beispiel keine Zivilbevölkerung simuliert.
Die sogenannte "Wehrmachtsausstellung" fand ab 1995 statt - und die hat einiges dazu beigetragen, das Bild des "braven deutschen Soldaten" im zweiten Weltkrieg zu korrigieren. "Schindlers Liste" ist von '93 - und der hat international sehr großen Einfluss darauf gehabt, wie das Dritte Reich wahrgenommen wird. Da ist es nicht allzu überraschend, dass '97 noch ein Spiel rauskam, das da sehr unsensibel damit umgeht.

Und ja, ein heutzutage erscheinendes Spiel, das die SS darstellt, aber ohne Kriegsverbrechen abzubilden, wäre zurecht ruftechnischer Selbstmord.
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lolaldanee
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von lolaldanee »

Weils mir grad noch einfällt: der Hardcore History Podcast hat vor kurzem auch ne Episode über Sklaverei in der Geschichte gemacht, mit Fokus auf afrikanische Sklaven natürlich:
https://www.dancarlin.com/product/hardc ... resources/
Wer mal 5 Stunden Zeit hat, und nen guten Magen, kann sich das ja mal reinziehn.

Ich find ja schon den Titel der Episode sehr bezeichnend: Human Resources
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Heretic
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Heretic »

Felidae hat geschrieben: 27. Mai 2022, 13:15 Ich glaube, es bringt nichts, jetzt wieder zu diskutieren, wie sehr "Anno" historisch sein will oder nicht. Das wurde hinlänglich in diesem Forum getan. :)
Ist halt ein nicht ganz unwichtiger Punkt in der Diskussion. Egal, was Anno sein will - es kann schlichtweg nicht in allen Belangen historisch korrekt sein. Ein Geschichtsbuch aus offensichtlichen Gründen auch nicht, aber das hat einen anderen Anspruch als ein Unterhaltungsprodukt. Wer aufgrund der Vermarktung davon ausgeht, Anno würde Geschichte authentisch abbilden, sollte dringend hinterfragen, aus welchen Quellen er seine Infos zieht.
Felidae hat geschrieben: 27. Mai 2022, 13:15 Auf zumindest einer Meta-Ebene schafft diese Gewissensfrage übrigens auch ein "Age of Empires" - wenn Du irgendwann realisierst, dass Du einen extrem schmutzigen Krieg gegen die Zivilbevölkerung führst, um Deinem Gegner die Wirtschaft zu ruinieren. Ich gehe davon aus, dass ich nicht der einzige Mensch bin, dem in irgendeiner Partie nach hunderten Stunden plötzlich klar wurde, was da eigentlich grade auf dem Bildschirm passiert. Es muss ja nicht der Holzhammer sein.
Ich habe mit dem Aufbau-/RTS-Genre so gut wie gar nichts am Hut, in ein paar aktuellere Titel habe ich höchstens mal kurz reingeschaut. Ausgiebiger gespielt habe ich zuletzt "Warcraft 2", ist also schon 'ne Weile her. :D Es liegt also vielleicht daran, dass Spiele dieses Genres bei mir keinen emotionalen Eindruck hinterlassen. Womöglich können neuere Vertreter das besser., aber für mich haben aber die meisten Spiele dieser Art den Charme einer Tabellenkalkulation. Trotzdem finde ich die Debatte sehr interessant.
Zuletzt geändert von Heretic am 27. Mai 2022, 13:47, insgesamt 1-mal geändert.
meieiro
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von meieiro »

Felidae hat geschrieben: 27. Mai 2022, 13:40 Und ja, ein heutzutage erscheinendes Spiel, das die SS darstellt, aber ohne Kriegsverbrechen abzubilden, wäre zurecht ruftechnischer Selbstmord.
Es ist ja nicht die SS in meinem fiktiven Spiel. Mein Spiel spielt ja in ner Fantasiewelt. Die Soldaten schauen nur so ähnlich aus wie SS-Leute.
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Felidae
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

meieiro hat geschrieben: 27. Mai 2022, 13:47

Es ist ja nicht die SS in meinem fiktiven Spiel. Mein Spiel spielt ja in ner Fantasiewelt. Die Soldaten schauen nur so ähnlich aus wie SS-Leute.
Ich bezog mich explizit auf Smutje - sorry, falls das missverständlich war.
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Terranigma
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Terranigma »

Nebenher als Punkt, sozusagen mal kritisch angemerkt: war womöglich auch gar nicht der Fokus der Podcasts, aber leider wurde es nur im Einstieg bzgl. der Definition dessen, was ein Geschichtsbild sei, angerissen.

Die Diskussion dreht sich um die Frage, wie ein triftiges Geschichtsbild aussieht, d.h. was Teil einer Geschichtsdarstellung sein solle und was nicht. Was Bastian aber eingangs zurecht ansprach war, dass Geschichte eine Rekonstruktion von Vergangenheit ist, und dass diese Rekonstruktion im besten Fall eine triftige Annäherung an die Vergangenheit ist. Wie und was man dabei rekonstruiert, hängt von der eigenen, gegenwärtigen (!) Perspektive ab: und diese gegenwärtigen sowie damaligen Perspektiven sind nie eindeutig. Analogie: Er hier im Forum könne denn sagen, wie der heutige Tag des 27.05.2022 (Freitag) wirklich ist? Niemand. Obwohl wir zur selben Zeit auf dem selben Planeten leben - teilweise wohl auch in gewisser Nähe zueinander - werden wir alleine diesen Tag ganz unterschiedlich wahrnehmen, eben aus unserer jeweiligen Perspektive. Das ist, was Bastian als "Multiperspektivität" bezeichnete und diese ist grundsätzlich für ein reflektiertes Geschichtsverständnis. Jede Geschichte hat mehrere Seiten (Perspektiven).


Und gerade ein interaktives Medium wie Videospiele könnte das wunderbar aufgreifen, z.B. indem es einen Konflikt aus der Perspektive verschiedener Kriegsparteien darstellt. Obwohl kein hist. Titel tat z.B. Command&Conquer oder Warcraft 3 dies in seinen Kampagnen, wo man innerhalb eines Konfliktes die Perspektiven wechselt und somit nicht nur eine Erzählung eines Konfliktes erhält. Ebenso grundsätzlich für hist. Erzählungen ist, dass diese lückenhaft sind, d.h. hist. Quellen sind nur Puzzle, die allerlei Lücken, Widersprüchlichkeiten, etc. aufweisen. Auch dies könnte gerade ein interaktives Medium wunderbar abbilden, indem es z.B. eine Rahmenhandlung mit einem unzuverlässigen Erzähler (!) verwendet. Die Darstellung einer Stadt könnte sich unterscheiden, je nachdem ob man einen Adligen - der sozusagen die Armut, den Dreck, etc. nicht sieht - oder einen Armen - der sozusagen den Wohlstand, den Prunk, etc. nicht sieht - spielt. Dadurch könnten gerade (!) Videospiele die Frage, was eigentlich wahr ist, wunderbar problematisieren in einem konstruktiven Sinne.

In dem Medium steckt so viel Potential die für Geschichte wesentliche Multiperspektivität als erzählerisches und spielerisches Element spaßig umzusetzen; aber das bleibt größtenteils liegen. Auch ein Grund, warum ich die Assassin's Creed-Reihe derart wenig mag, weil sie schon von der Rahmenhandlung her so'n Potential hat, aber null und nada davon nutzt. Anstatt den Diskurs aber darauf zu verengen, welches Geschichtsbild in welchen Videospielen abgebildet werden solle, fände ich's gewinnbringender, man würde sich grundsätzlicher über das Potential des Mediums bewusst werden, weil es so viel besser als Romane, Filme, u.Ä. den Konstruktionscharakter (!) von Geschichte darstellen kann.
Zuletzt geändert von Terranigma am 27. Mai 2022, 14:04, insgesamt 1-mal geändert.
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Felidae
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

Heretic hat geschrieben: 27. Mai 2022, 13:47
Ist halt ein nicht ganz unwichtiger Punkt in der Diskussion. Egal, was Anno sein will - es kann schlichtweg nicht in allen Belangen historisch korrekt sein. Ein Geschichtsbuch aus offensichtlichen Gründen auch nicht, aber das hat einen anderen Anspruch als ein Unterhaltungsprodukt. Wer aufgrund der Vermarktung davon ausgeht, Anno würde Geschichte authentisch abbilden, sollte dringend hinterfragen, aus welchen Quellen er seine Infos zieht.
Nur werden wir in dem Punkt keine Einigung erzielen. :) Erfahrungsgemäß gibt es die einen wie Dich, die sagen, "Was die PR daraus gemacht hat, ist Unsinn, aber letztich wurscht" - und die anderen wie mich, die sagen "Wenn Dir die Werbung erzählt, Dein neues Auto verbrauche nur 1,5 Liter, dann erwartest Du auch, dass das stimmt". Deshalb ist die Diskussion müßig.

Dass kein Spiel in ALLEN historischen Belangen korrekt sein kann - geschenkt. Aber wie ich schon Axel weiter vorn geantwortet habe: Entscheidend ist halt, WAS man dann rauslässt. Warum das in Bezug auf Sklaverei in "Anno" problematisch ist, habe ich ja ebenfalls schon geschrieben. Insofern würde ich mich da nur im Kreis drehen.
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Heretic »

Felidae hat geschrieben: 27. Mai 2022, 13:54 [...] - und die anderen wie mich, die sagen "Wenn Dir die Werbung erzählt, Dein neues Auto verbrauche nur 1,5 Liter, dann erwartest Du auch, dass das stimmt". Deshalb ist die Diskussion müßig.
Aber glaubst du es auch? Nicht wirklich, oder?

Aber gut, lassen wir das. Darüber wurde in anderen Threads in der Tat schon ausgiebig genug gelabert. :D
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Voigt »

Oder zumindest die Nachwirkung der Sklaverei oder imperialistische Abhängigkeitssituationen, wo zwar Neue Welt und Ebosa Bevölkerung keine Sklaven sind, aber in einem Zustand der Unterdrückung und Fremdherrschaft leben.

Anno 1800 hat das ja nur gaaanz am Rande gestreift, mit den Flüchlingen von der Prosperity Insel, was nach Skalvenarbeit dort klang. Aber halt nur in einem Satz in der Kampagne, und nix visuelles.

Edit: Und hey das 3L 5-Türer Auto von Audi war wirklich nur 3L. Glaube 3,L in der Stadt und 2,8L auf Landstraße/Autobahn. Hat bloß leider trotzdem keiner gekauft.
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Terranigma »

Die Frage bzgl. "historisch korrekt in allen Belangen" ist ohnehin nicht zielführend, weil der Begriff der "Korrektheit" in Bezug auf Geschichte deplaziert ist. Genauso kann niemand von uns eine "in jeden Belangen korrekte" Darstellung des 27.05.2022 präsentieren, eben weil die Kategorien 'korrekt' und 'falsch' dafür nicht sinnvoll anwendbar sind. Es geht um Perspektiven, und die Frage, welche Perspektiven berücksichtigt werden und welche nicht.
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Felidae
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Re: Nachgeforscht: Verfälschte Geschichte im Computerspiel

Beitrag von Felidae »

Terranigma hat geschrieben: 27. Mai 2022, 13:52
[...]
Danke!

Mir fällt bei so Diskussionen hier immer wieder Brenda Romeros "Train" ein. Ein BRETTspiel schafft es, die Spieler am Schluss komplett zu verstören, als sie merken, was sie eigentlich in dem Spiel getan haben. Dann sollten digitale Spiele doch mindestens (!) das gleiche schaffen.

Sie müssten halt nur wollen. Um zu erreichen, DASS sie das wollen - dafür ist die Arbeit von jemand wie Dom wahrscheinlich sehr wertvoll. Weshalb ich den Burschen unter anderem auch so mag. (Neben seiner großartigen Art, seine eigenen Witze total toll zu finden. Und der Lichtschwert-Geschichte. Und dem James Bond-Theme. Aber ich schweife ab.)
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