Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

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Nico
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Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Nico »

Hi,

Da ihr hier ein Thema besprochen habt, bei de ich ausnahmsweise mal wirklich Experte bin (habe selbst schon an mehreren Studien via MTurk und co. mitgewirkt und stecke als Doktorand auch allgemein ziemlich gut im Thema), hier ein paar Anmerkungen:

1. MTurk ist, wie schon im Podcast gemutmaßt, in der Tat sehr umstritten. Es ist ursprünglich nicht als Forschungstool gedacht und auch nicht für den gleichen Zweck wie Fiverr, sondern um besonders kleine Fleißarbeiten wie z. B. das Erstellen von Trainingsdaten für KIs zu "automatisieren" (deshalb auch der etwas geringschätzige Name der Plattform). Entsprechend nehmen die Leute auch nicht aus echtem Interesse an Studien teil, sondern aus rein finanziellen Gründen, was keine gute Voraussetzung für vernünftige Ergebnisse ist (und teils auch ethisch fragwürdig, besonders wenn man am Ende einen Euro für 10-15 Minuten Arbeit zahlt). Einige Papers, die sich wiederum der Frage angenommen haben, ob man Ergebnissen von solchen Plattformen trauen kann, raten auch eher davon ab, sie für Umfragen zu benutzen. Es gibt zwar Maßnahmen wie Bot-Detektoren, das Filtern von "zu schnellen" Teilnehmern oder Kontrollfragen ("attention checks" wie sie die besprochene Studie anscheinend benutzt hat), aber besonders bei reinen Multiple Choice-Fragebögen ist es schwer, einen gelangweilten Irgendwas-Klicker von einem wirklich interessierten Teilnehmer zu unterscheiden.

2. Unsauberes Zitieren ist leider ziemlich alltäglich in der Wissenschaft, insbesondere in den Nicht-Geisteswissenschaften, wo man so gut wie nie wörtlich zitiert und Referenzen eher als grobe Verweise zu relevanten anderen Arbeiten statt als präzise Belege für Behauptungen versteht. Allgemein gilt, dass man damit eigentlich immer durchkommt, solange man nicht explizit behauptet, dass eine andere Arbeit eine spezifische Aussage getroffen hat. Es ist natürlich kein guter Stil, aber Reviewer haben in der Regel einfach keine Zeit, jedem Zitat hinterher zu recherchieren.

3. Zum Thema Statistik: Leider wird hier auch generell sehr viel gepfuscht, und damit meine ich nicht einmal offensichtliche Fehler wie das von Helge erwähnte unsinnige α. Es ist beispielsweise umstritten, ob man subjektive, ordinale Daten (also eine numerische Skala von 1-7 ohne Zwischenwerte) wirklich so behandeln sollte als wären es genaue Messergebnisse und mit ihnen Dinge wie Regression und Signifikanztests durchführen. Ich verweise dazu mal nur auf die üblichen Debatten um Spielewertungen und die Tatsache, dass man hier quasi den "I would fight for video games"-Metacritic-Score errechnet, mit fast genau den gleichen Schwachstellen und Problemen. Dazu kommen dann noch die schon erwähnten Probleme mit dem p-Hacking (das was Helge als Schleppnetz-Methode bezeichnet hat), die leider in der Praxis oft weniger offensichtlich sind, als Andre es zusammengefasst hat. Beispielsweise muss man die besprochene Studie sogar loben, dass sie vorab eine "Power Analysis" zur Ermittlung einer sinnvollen Teilnehmerzahl durchgeführt haben, während es in der Praxis oft genug vorkommt, dass man eher Pi-mal-Daumen eine Anzahl aussucht und dann hinterher nachkorrigiert wenn das Ergebnis nicht eindeutig ist (was auch eine Form des p-Hacking ist).

4. Weil Helge es nicht so explizit kommentiert hat: Nein, Forschende haben kein Interesse daran, dass ihre Arbeit hinter Paywalls abgeschirmt wird. Wissenschaftliche Verlage leisten in der Regel sehr wenig für die Wissenschaft (Peer Reviewer und selbst Redakteure arbeiten fast immer unbezahlt, ein echtes Lektorat findet nicht statt, und als Autor zahlt man teilweise sogar noch drauf um seine Arbeit veröffentlichen zu dürfen) und von daher gibt es immer wieder Bewegungen, Arbeiten einfach auf öffentlichen Plattformen zu verbreiten statt irgendwen für nichts außer den "guten Ruf" des Journals zu bezahlen.

Unabhängig vom Paper war das übrigens ein sehr schöner Podcast und ich freue mich, dass ihr damit nicht nur gesellschaftliche Themen wie Extremismus im Gaming, sondern eben auch die Wissenschaft an sich für eine breitere Zielgruppe zugänglich macht. Gerne mehr davon!

//edit:

Ach ja, einen hab ich noch: Besonders schade finde ich bei diesem Paper, dass am Ende einfach lapidar gesagt wird, dass die Rohdaten auf Anfrage herausgegeben werden. In der Praxis ist das leider gar nichts wert, da Autoren vermeintlich kritische Anfragen gerne auch mal ignorieren oder die Daten nach der Veröffentlichung gar nicht mehr bereithalten. Besonders bei potentiell fragwürdigen Studien wie dieser hier wird eine gründliche Prüfung schließlich eher noch mehr Probleme aufdecken, die die Autor*innen schlecht dastehen lassen. Aus diesem Grund verlangen die meisten Journals inzwischen echte Transparenz via standardisierten Archiv-Webseiten, bei denen man seine Daten hochladen und dauerhaft für die Öffentlichkeit bereitstellen kann. Dass es Ausnahmen gibt, z. B. bei sensiblen Daten, ist klar, aber das ist hier ja offensichtlich nicht der Fall und ich bin auch vom entsprechenden Journal enttäuscht, das diese lahme Aussage trotz Datentransparenz-Policy einfach akzeptiert hat.
Zuletzt geändert von Nico am 20. Apr 2023, 00:46, insgesamt 1-mal geändert.
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Vinter
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Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Vinter »

Für mich war die Studie im Grunde durch, als ihr ganz am Anfang einen Wert von 25(?) Prozent von Leuten genannt habt, die laut Studie entsprechendes Gedankengut teilen.

Nun weiß ich nicht, wie der Wert in den USA aussieht, aber für Deutschland heißt es regelmäßig, das rechtsextreme Wählerpotential betrage ~20 bis 30 Prozent. Ich glaube, die Mitte Studien sind das, die den Wert immer ermitteln.

Sprich: Wenn 25% der Gamer rechtsextreme Einstellungen teilen, dann entspricht das lediglich ziemlich exakt leider dem Anteil der Bevölkerung, die rechtsextreme Einstellungen teilen...
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Rigolax
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Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Rigolax »

Jo, Danke für den Podcast, auch wenn es mich (wieder) aufgeregt hat. Ich kannte die Studie schon, mir ist diese Diskrepanz bei dieser "fight/die"-Frage auch aufgefallen und ansonsten viele Fragezeichen. Dass der Bullshit dann doch so weit geht, wundert mich aber schon. Nicht wundert mich (mehr), dass so etwas unreflektiert durch die Medien und Twitter geht, auch teils bei Leuten, wo man meint, sie müssten es besser wissen. Hilft mir jedenfalls nicht, meine generelle Skepsis gegenüber solchen (im weiteren Sinne) Wirkungsstudien zu verlieren.

EDIT: Hier übrigens aktuell in ähnlicher Richtung: https://journals.sagepub.com/doi/10.117 ... 0231167214 "Right-Wing Extremism in Mainstream Games: A Review of the Literature". Das ist eine rein "qualitative" Studie (so sagt man das, glaube ich). Das sind im Grunde nur luftleer im Raum stehende "Erkenntnisse" und "Anklagen". Etwa ein WTF-Abschnitt:
Mainstream videogames are culturally appealing to right-wing extremists beyond a shared sense of white male aggrievement and home-grown extremist game builds or mods. Many mainstream games advance in-game representations, narratives, and mechanics that reflect existing racial and structural inequities and even align with extremist worldviews (Harrer, 2020; King & Leonard, 2016; Leonard, 2003, 2006; Nae, 2018; Salvati, 2019). As King and Leonard (2016) describe, “Games such as World of Warcraft (2004), Resident Evil (1996), Killzone (2004), Grand Theft Auto III (2001), Grand Theft Auto: Vice City (2002), and various World War II games are ubiquitously cited as both sources of fun and games that allow for the celebration or promotion of white nationalism” (p. 113). Some extremists view such titles as educational tools showing the true, criminal nature of people of color (King & Leonard, 2016; Leonard, 2006), as opportunities to play out anti-Semitic and anti-Muslim ideological fantasies (Davey, 2021; Vaux, Gallagher, & Davey, 2021), or even as training modules to prepare for race war (King & Leonard, 2016).
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XfrogX
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Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von XfrogX »

Toller Podcast. Echt viel Arbeit die ihr da rein gesteckt habt und gut aufgearbeitet das man als „fauler“ laie das auch gut versteht.
Otis
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Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Otis »

Mal von Schummelei und Ungenauigkeit bei Quellenverwurstung und Statistik abgesehen ... schon alleine die Fragen in der zugrunde liegenden Umfrage waren doch völlig hirnrissig formuliert. "Would you fight for games/gaming?" ... Fight kann alles mögliche bedeuten, von Terroranschlägen bis Teepartyplausch. Da kreuzt dann Erna19bis77 an, sie hält sich für 'ne 4 von 7, weil sie in der Mittagspause im Steamforum ab und zu gegen gamergategeschädigte andiskutiert, wenn wieder wo was woke gewesen sein soll, und schon steht sie als radikale Rechtsextremistin da. :ugly:
Nico hat geschrieben: 19. Apr 2023, 23:31Entsprechend nehmen die Leute auch nicht aus echtem Interesse an Studien teil, sondern aus rein finanziellen Gründen, was keine gute Voraussetzung für vernünftige Ergebnisse ist
Umgekehrt würde ich einer Umfrage, bei der die Befragten aus echtem Interesse teilgenommen haben, auch nicht unbedingt über den Weg trauen. Bei so eingekauften Antworten ist, wenn es denn alles mit rechten Dingen zugeht, zumindest eine gewisse Neutralität zu vermuten. Das Geld gibt's ja für die Teilnahme, nicht für bestimmte Antworten. Was natürlich nur gewährleistet ist, wenn die Bezahlung auch definitiv unabhängig von den Antworten erfolgt. Im Podcast klang es z.B. so, als hätte man gefragt, sind Sie Gamer, ja/nein, und wer dann nein ankreuzt, wird weggeschickt; das kann ich mir so nicht vorstellen, aber man weiß ja nie. Denke allgemein, wenn man nicht wirklich komplett zufällig irgendwo irgendwelche Leute heran zieht, muss man immer mit Verfälschung der Ergebnisse durch die Befragten rechnen. Hier z.B., was sind das denn für Leute, die MTurk nutzen? Stellen die eine repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung dar?
Resident Evil: celebration or promotion of white nationalism
Das würde mich jetzt aber mal interessieren.
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Indii
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Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Indii »

Rigolax hat geschrieben: 20. Apr 2023, 01:19 EDIT: Hier übrigens aktuell in ähnlicher Richtung: https://journals.sagepub.com/doi/10.117 ... 0231167214 "Right-Wing Extremism in Mainstream Games: A Review of the Literature". Das ist eine rein "qualitative" Studie (so sagt man das, glaube ich). Das sind im Grunde nur luftleer im Raum stehende "Erkenntnisse" und "Anklagen".
Literature Reviews sind keine eigenen Studien, sondern fassen nur zusammen, was aktuell in der Forschung zu einem Thema gemacht worden ist. Dabei geht es natürlich auch um eine Einordung und das Aufzeigen von Strömungen und übereinstimmenden Ergebnissen. Ich würde den Verfassern eines solchen Reviews aber nicht vorwerfen, dass sie selbst irgendwas in den luftleeren Raum stellen. Das haben dann meist schon andere vor ihnen gemacht.

EDIT: Ich seh gerade, dass die zumindest einen Selektionsprozess anwenden, um die Studien herauszufischen, die sie hier zusammenfassen. Find ich ein bisschen seltsam, weil der Rest des Artikels dann trotzdem aus Einzelsätzen gefolgt von 3-5 Quellenangaben besteht. Sieht sehr Zitate-Multiplikation aus.

EDIT2: Warum lese ich den Scheiß eigentlich? Der Artikel nennt Medal of Honor (1999) und Call of Duty (2003) ganz spezifisch Spiele, die im Nahen Osten spielen und ist der Meinung, dass Civilization (1991) ein Echtzeitstrategiespiel ist. Aus wissenschaftlicher Sicht mögen das kleine Schönheitsfehler sein, aber irgendwie macht das auch den Eindruck, dass man von seiner Materie keinen Schimmer hat.
Zuletzt geändert von Indii am 20. Apr 2023, 10:22, insgesamt 1-mal geändert.
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Andre Peschke
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Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Andre Peschke »

Nico hat geschrieben: 19. Apr 2023, 23:31 Da ihr hier ein Thema besprochen habt, bei de ich ausnahmsweise mal wirklich Experte bin (habe selbst schon an mehreren Studien via MTurk und co. mitgewirkt und stecke als Doktorand auch allgemein ziemlich gut im Thema), hier ein paar Anmerkungen:
Gold-Qualität-Posting. Danke!
Vinter hat geschrieben: 20. Apr 2023, 00:00 Für mich war die Studie im Grunde durch, als ihr ganz am Anfang einen Wert von 25(?) Prozent von Leuten genannt habt, die laut Studie entsprechendes Gedankengut teilen.
Du beziehst dich auf die (IMO verzerrt zitierte) ADL-Studie, oder? Falls ja, Vorsicht: Da ging es um KONTAKT mit dem Gedankengut der White Supremacy. Das waren 23%. Wie erläutert, braucht es nur einen Bruchteil von Sendern um so viele Kontakte herzustellen. Die ADL-Studie hat dann aber ja sogar nochmal ihre Erfassungsmethode geändert (Checkbox zu Freitext) und kam dann nur noch auf 9%. Die 23% Kontakte sind daher grundsätzlich fragwürdig, ohne diese Zusatzinformation. In keinem Fall ging es darum, dass 23% der Gamer dieses Gedankengut teilen.

25% White-Supremacy-Gamer (also mit diesem Weltbild), wäre KRASS hoch.
Rigolax hat geschrieben: 20. Apr 2023, 01:19Hilft mir jedenfalls nicht, meine generelle Skepsis gegenüber solchen (im weiteren Sinne) Wirkungsstudien zu verlieren.
Ich sagte es ja inzwischen auch schon an vielen Stellen: Der Medienwirkungsforschung ist mit Skepsis zu begegnen, ohne dabei die Offenheit für mögliche relevante Erkenntnisse zu verlieren. Da muss man sich in beide Richtungen aussteuern, so gut es geht.
Otis hat geschrieben: 20. Apr 2023, 09:17 Umgekehrt würde ich einer Umfrage, bei der die Befragten aus echtem Interesse teilgenommen haben, auch nicht unbedingt über den Weg trauen.
Das würde ich jetzt zB als ZU skeptisch einordnen. Vorausgesetzt, eine Studie hat eine ausreichend große Teilnehmerzahl und wird kompetent durchgeführt, dann ist das eine völlig akzeptable Methode. Du kannst zB Ausreißer in der Beantwortung aussieben oder separieren und dann getrennte Auswertungen fahren. Außerdem fragen clevere Studien oft nicht derart direkt, sondern stellen dir einen Katalog von Fragen, bei denen du gar nicht weißt, was deren Ziel ist (als Laie). Es gibt auch Kontrollfragen, die darauf abzielen zB deine Aufmerksamkeit oder Aufrichtigkeit zu testen und so weiter.

Weil man aber bei so einer Veröffentlichung den originalen Fragenkatalog selten einfach mitgeliefert bekommt, ist das wieder so ein Fall, wo sich die Qualität nicht einfach mal im Vorbeigehen prüfen lässt.
Otis hat geschrieben: 20. Apr 2023, 09:17Im Podcast klang es z.B. so, als hätte man gefragt, sind Sie Gamer, ja/nein, und wer dann nein ankreuzt, wird weggeschickt; das kann ich mir so nicht vorstellen, aber man weiß ja nie.
Doch, das ist korrekt.
Otis hat geschrieben: 20. Apr 2023, 09:17Denke allgemein, wenn man nicht wirklich komplett zufällig irgendwo irgendwelche Leute heran zieht, muss man immer mit Verfälschung der Ergebnisse durch die Befragten rechnen. Hier z.B., was sind das denn für Leute, die MTurk nutzen? Stellen die eine repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung dar?
Erstmal korrekt, das nennt man Selection Bias und deswegen haben wir das auch diskutiert. Aber das kann man durch eine gute Selektionsmethode vermeiden bzw es ist auch immer die Frage, inwiefern mögliche Selektionseffekte überhaupt wirksam werden. Helge erwähnte ja zB, dass ganz viele Studien erstmal auf Studenten zurückgreifen. Das kann sehr relevant sein, wenn das soziale Millieu ein erheblicher Faktor deiner Untersuchung ist. Es kann aber auch egal sein, wenn die Merkmale, die die Gruppe "Psychologiestudenten" vom Bundesdurchschnitt unterscheiden für deine Untersuchung sowieso egal sind oder wenn eine gewisse Homogenität deiner Gruppe sogar wünschenswert ist (zB für die Studie "Haarfarben unter Psychologiestudent*innen" o.ä.)

Wir wollen mit dem Podcast informieren, wie man aufgeklärter mit solchen Meldungen und Studien umgehen kann. Was wir NICHT wollen, ist eine generelle oder zu pauschale Wissenschaftsskepsis. Bei dem Thema muss man differenziert denken.

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Nico
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Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Nico »

Otis hat geschrieben: 20. Apr 2023, 09:17 Umgekehrt würde ich einer Umfrage, bei der die Befragten aus echtem Interesse teilgenommen haben, auch nicht unbedingt über den Weg trauen. Bei so eingekauften Antworten ist, wenn es denn alles mit rechten Dingen zugeht, zumindest eine gewisse Neutralität zu vermuten. Das Geld gibt's ja für die Teilnahme, nicht für bestimmte Antworten. Was natürlich nur gewährleistet ist, wenn die Bezahlung auch definitiv unabhängig von den Antworten erfolgt. Im Podcast klang es z.B. so, als hätte man gefragt, sind Sie Gamer, ja/nein, und wer dann nein ankreuzt, wird weggeschickt; das kann ich mir so nicht vorstellen, aber man weiß ja nie. Denke allgemein, wenn man nicht wirklich komplett zufällig irgendwo irgendwelche Leute heran zieht, muss man immer mit Verfälschung der Ergebnisse durch die Befragten rechnen. Hier z.B., was sind das denn für Leute, die MTurk nutzen? Stellen die eine repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung dar?
“Interesse” meint hier natürlich kein Interesse an einem bestimmten Ergebnis (oder am absichtlichen Verfälschen der Daten, vgl. Review-Bombing). Bei einem so “heiklen” Thema stimme ich dir auch zu, dass MTurk hier vielleicht die bessere Wahl war als Leute direkt auf Steam zu rekrutieren. Allerdings bringt es natürlich auch nichts, wenn viele Teilnehmer nicht einmal ordentlich die Fragen lesen und einfach schnell auf “weiter, weiter, ich will bloß so viel Geld wie möglich verdienen” aus sind, was Studien über MTurk immer wieder berichten. Aus diesem Grund verwenden viele Forscher inzwischen auch nicht mehr MTurk selbst, sondern ähnliche Plattformen speziell für Forschungszwecke, auf denen Teilnehmer eine zumindest dem Mindestlohn entsprechende Vergütung erhalten, der Seite gegenüber mit Klarnamen registriert und überprüft sind, und es auch Meldemechanismen gibt wenn ein Teilnehmer auffällig schlechte Daten liefert. Ob man damit dann einen besseren Querschnitt der Gesellschaft erreicht, ist natürlich trotzdem eine offene Frage, aber wie Helge richtig im Podcast erwähnt hat, ist eine Teilnehmergruppe, die nicht ausschließlich aus Studenten der eigenen Uni besteht schon eher überdurchschnittlich repräsentativ.

Grundsätzlich ist es übrigens erst mal kein Problem, wenn man eine breite Palette von Gamern in der Studie einschließt, da man ja anscheinend später auch noch einmal feiner nachgefragt hat (z. B. nach der wöchentlichen Spielzeit) und entsprechend kontrolliert (also vereinfacht gesagt nur Vielspieler mit anderen Vielspielern und umgekehrt vergleicht). Das gleiche gilt auch für das Geschlecht, das ausdrücklich in der Kontrolle berücksichtigt wurde. Die im Podcast erwähnte Tabelle zeigt schon kontrollierte Ergebnisse, was vielleicht auch die eher schwachen Effekte erklärt. Auch hier wären aber wieder einmal mehr Details und Transparenz hilfreich gewesen um die Ergebnisse klarer interpretieren zu können.
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Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Vinter »

Andre Peschke hat geschrieben: 20. Apr 2023, 10:17 25% White-Supremacy-Gamer (also mit diesem Weltbild), wäre KRASS hoch.
Neee, schon klar. Geht bei dem Wert nicht um Hardcore-Ideologen, die sich in ihrem Prepper-Bunker auf den kommenden Rassenkrieg vorbereiten, sondern um Menschen, die rechtsextreme Einstellung teilen, ohne jetzt genau zu definieren, in welchem Ausmaß. Sprich: Stammtisch-Rassismus, -Sexismus, -Antisemitismus etc. Und da habe ich für Deutschland im Kopf, dass wir da von einem Wert von 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung sprechen, die dem in der ein oder anderen Form zuneigen. Wenn wir also herausfinden, dass 25% der Gamer so ticken, ist das überhaupt keine Erkenntnis über Gamer, sondern entspricht total der Erwartung bzw. wäre eigentlich sogar besser als erwartet, wenn wir annehmen, dass die Menge junger Männer, die sich für Gaming interessieren, deutlich überproportional ist. Denn dann würde man eigentlich einen höheren Wert erwarten als der Bevölkerungsschnitt.

Aber du hast Recht, es ging da wie du sagtest um den reinen Kontakt mit rechtsextremen Einstellung, was so schwammig formuliert ist, dass ich da vermutlich auch zugestimmt hätte. Dafür muss man ja heutzutage teilweise kaum mehr machen, als den Browser zu öffnen :?
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Andre Peschke
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Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Andre Peschke »

Vinter hat geschrieben: 20. Apr 2023, 10:33 Aber du hast Recht, es ging da wie du sagtest um den Kontakt rechtsextremen Einstellung, was so schwammig formuliert ist, dass ich da vermutlich auch zugestimmt hätte. Dafür muss man ja heutzutage teilweise kaum mehr machen, als den Browser zu öffnen :?
Nichtmal das, es geht um eine ganz spezifische Ausprägung von rechtsextremer Einstellung (Überlegenheit der weißen Rasse). Da kommst du nirgendwo auf 25%, wenn wir von einem echten Weltbild reden.

Auch bei deinen Studien wird es sich IMO rausstellen, dass es darum geht, dass die Menschen "rechtsextremes Gedankengut" in sich tragen und nicht um eine wirkliche, rechtsextremistische Weltanschauung. Was ein erheblicher Unterschied ist. Es werden zB viele Menschen irgendwie Angst vor Zuwanderung haben. Vielleicht wegen Kriminalität, wegen Angst um den Job, wegen Belastung der Sozialsysteme oder auch nur, weil sie Angst um den Wert einer Immobilie haben. Sowas würde möglicherweise alles als rechtsextreme Einstellung kodiert. Aber ist es das, oder ist es normaler Egoismus gepaart mit medial geschürter Hysterie?

Wir haben nie und nimmer 25% "echte" Rechtsextreme in Deutschland, IMO. Vielleicht in den AFD-Hochburgen und selbst da würde ich Zweifel anmelden.

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Vinter
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Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Vinter »

Nein, da bin ich ja völlig bei dir. Dann war das missverständlich formuliert. Es ging nie um 25% Rechtsextremisten, sondern um 25% Leute, die auch die ein oder andere Einstellung teilen, die dem Rechtsextremismus zugeordneten würde.
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Otis
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Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Otis »

Wollte auch eher allgemein ausdrücken, dass ich die Tatsache, dass gegen Bezahlung geantwortet wird, nicht als per se problematischer ansehe, als Freiwilligendienst, sondern dass man so oder so aufpassen muss, dass die Daten zuverlässig und aussagekräftig sind; daher auch das "wenn alles mit rechten Dingen zugeht", kann im Detail natürlich trotzdem problematisch sein. (Wie halt die Frage, ob jemand sich die Fragen überhaupt durchliest oder nur schnell irgendetwas anklickt.) Umgekehrt aber bei nichtmonetärem Interesse eben auch.

Generelle oder pauschale Wissenschaftsskepsis ... hm. Wenn man sich dann ab und zu die Mühe macht, und die Wissenschaft auch überprüft, soll man ruhig skeptisch sein. Ist schließlich Teil der wissenschaftlichen Vorgehensweise. Als Ausrede, alles abzulehnen, was einem nicht gefällt, soll es aber nicht taugen.
Herrmann
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Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Herrmann »

Sehr guter, fokussierter aber auch unterhaltsamer Podcast zum Thema auf mindestens dem Niveau eines Deutschlandradio Nova Hörsaal. Applaus.
Rigolax
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Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Rigolax »

Indii hat geschrieben: 20. Apr 2023, 10:10 Literature Reviews sind keine eigenen Studien, sondern fassen nur zusammen, was aktuell in der Forschung zu einem Thema gemacht worden ist. Dabei geht es natürlich auch um eine Einordung und das Aufzeigen von Strömungen und übereinstimmenden Ergebnissen. Ich würde den Verfassern eines solchen Reviews aber nicht vorwerfen, dass sie selbst irgendwas in den luftleeren Raum stellen. Das haben dann meist schon andere vor ihnen gemacht.
Man kann (sollte) die Ergebnisse aus der Literatur auch kritisch einordnen?

Ich wollte erst beim Posting schreiben, dass ich glaube, ich könnte mit einem Monat Zeit ebenso ein Ding zusammenbasteln, wenn ich müsste und das wäre qualitätsmäßig nicht schlechter, dachte mir aber dann, das wirkt vielleicht sehr nach Hybris. Uhm.
Indii hat geschrieben: 20. Apr 2023, 10:10 EDIT: Ich seh gerade, dass die zumindest einen Selektionsprozess anwenden, um die Studien herauszufischen, die sie hier zusammenfassen. Find ich ein bisschen seltsam, weil der Rest des Artikels dann trotzdem aus Einzelsätzen gefolgt von 3-5 Quellenangaben besteht. Sieht sehr Zitate-Multiplikation aus.
Kann man dann nicht doch sagen, das ist eine Art von Studie dann?
Indii hat geschrieben: 20. Apr 2023, 10:10EDIT2: Warum lese ich den Scheiß eigentlich? Der Artikel nennt Medal of Honor (1999) und Call of Duty (2003) ganz spezifisch Spiele, die im Nahen Osten spielen und ist der Meinung, dass Civilization (1991) ein Echtzeitstrategiespiel ist. Aus wissenschaftlicher Sicht mögen das kleine Schönheitsfehler sein, aber irgendwie macht das auch den Eindruck, dass man von seiner Materie keinen Schimmer hat.
Ich dachte, die haben sich womöglich vertan und meinten die Reihen, haben dann aber die Jahreszahlen der ersten Titel angegeben. Teile von MoH und CoD spielten ja im Nahen Osten. Aber ja, mein Beileid, dass du das gelesen hast.
Fauve
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Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Fauve »

Zu dem Punkt der Wissenschaftsskepsis hab ich auch noch ein bisschen Meinung. Vorab: finde sowohl das Format als auch die Folge sehr gut, nur ist das halt eher eine medial diskursive (ich weiß, gefährlicher Begriff in diesem Kontext) Einordnung/Erklärung als eine Wissenschaftskritik, schlicht weil Wissenschaft anders funktioniert. Und hier setzt auch mein Punkt an: Wissenschaft ist nicht ein Artikel oder eine Studie - muss ich hier aber vor allem dem Thread-ersteller als letztem erzählen - sondern viel mehr die Masse an Studien, papern usw, die gewisse Positionen beziehen, widerlegen und neue Richtungen vorgeben. Peer-reviews tun dann im Optimalfall ihr übriges, um schlechtes wissenschaftliches Arbeiten nicht in den Kanon einfließen zu lassen. Nur ist das für Medien halt oft egal, wenn die einen fetzigen Studientitel lesen und daraus dann weltweite Diskussionen auslösen. "Standing on the shoulders of giants" kommt halt nicht von irgendwoher als Beschreibung der Wissenschaft. Dementsprechend würde ich diese Studie - bei allen Fehlern, die gemacht werden - auch gar nicht derart abwatschen, schlicht weil es im System so eingeschrieben ist und das Arbeiten dort gar nicht anders oft möglich ist. Aber das geht in der Diskussion hier auch wieder zu weit. Die Schnittmenge von einzelner, schlecht durchgeführter Studie plus General interest Presse ist da doch der Problempunkt.

Zum inhaltlichen will ich auch noch ganz kurz dazu sagen, dass ich das Studiendesign an sich schon abstrus fand, weil solch ein Phänomen psychologisch erklärt doch zum Scheitern nahezu verurteilt ist. Als soziologische Untersuchung? Gern! Eine kritische Diskursanalyse? Immer her damit! Kulturwissenschaftlich aufgearbeitet? Joa, wieso nicht... Aber gut, das sind wieder nur meine Standpunkte dazu, vielleicht auch mit ein bisschen Bias aus meiner Richtung.

Sorry falls ich hier jetzt so ganz ungeniert reingeplatzt bin, um meine unsortierten Gedanken unterzubringen. Es kommt nicht oft vor, dass ich hier im Forum mein Unwesen treibe, weil mich eine folge so ähm nunja agitiert hat.
Ingoknito
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Registriert: 19. Jul 2021, 21:55

Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Ingoknito »

Andre Peschke hat geschrieben: 20. Apr 2023, 10:41
Vinter hat geschrieben: 20. Apr 2023, 10:33 Aber du hast Recht, es ging da wie du sagtest um den Kontakt rechtsextremen Einstellung, was so schwammig formuliert ist, dass ich da vermutlich auch zugestimmt hätte. Dafür muss man ja heutzutage teilweise kaum mehr machen, als den Browser zu öffnen :?
Nichtmal das, es geht um eine ganz spezifische Ausprägung von rechtsextremer Einstellung (Überlegenheit der weißen Rasse). Da kommst du nirgendwo auf 25%, wenn wir von einem echten Weltbild reden.

Auch bei deinen Studien wird es sich IMO rausstellen, dass es darum geht, dass die Menschen "rechtsextremes Gedankengut" in sich tragen und nicht um eine wirkliche, rechtsextremistische Weltanschauung. Was ein erheblicher Unterschied ist. Es werden zB viele Menschen irgendwie Angst vor Zuwanderung haben. Vielleicht wegen Kriminalität, wegen Angst um den Job, wegen Belastung der Sozialsysteme oder auch nur, weil sie Angst um den Wert einer Immobilie haben. Sowas würde möglicherweise alles als rechtsextreme Einstellung kodiert. Aber ist es das, oder ist es normaler Egoismus gepaart mit medial geschürter Hysterie?

Wir haben nie und nimmer 25% "echte" Rechtsextreme in Deutschland, IMO. Vielleicht in den AFD-Hochburgen und selbst da würde ich Zweifel anmelden.

Andre
Ich denke da unterschätzt du das Thema etwas. Nur weil jemand Angst hat macht es denjenigen nicht weniger rechtsextrem. Gerade in Amerika und den Republikanern (die zum Großteil nur noch aus Trumpisten bestehen) sieht man doch das die 25% auf das ganze Land bezogen ziemlich genau hinkommen. In Deutschland mag es vielleicht noch ein paar Prozente weniger sein. Die Zahlen bspw. zum Antisemitismus belegen aber dass man leider auch nicht nicht allzu weit entfernt davon ist.
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Model
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Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Model »

Fauve hat geschrieben: 20. Apr 2023, 13:59 Zum inhaltlichen will ich auch noch ganz kurz dazu sagen, dass ich das Studiendesign an sich schon abstrus fand, weil solch ein Phänomen psychologisch erklärt doch zum Scheitern nahezu verurteilt ist.
Beziehst du dich da auf das Studiendesign, bzw. dem Problem, dass mit dem korrelativen Ansatz eben nix erklärt werden KANN, sondern nur ein Zusammenhang (nicht) gefunden werden kann?

Tolle Folge, hat mir sehr gefallen! Hätte mir von Helge zum Ende hin noch etwas Einordnung gewünscht, warum so was überhaupt publiziert werden kann, wenn die Datenbasis so schwach ist*, die Effekte so klein und z.B. offensichtliche Fehler wie das Alpha, kein mittleres Alter der Stichprobe angegeben und die dubiose Aufteilung dieses 7-Item Fragebogen. Sowas "muss" eigentlich im Review Prozess auffallen.

Edit: Ich sehe gerade, der Editor ist aus Münster, den könnten wir ja mal fragen. :ugly:
https://www.uni-muenster.de/Kowi/person ... -reer.html

*im Sinne davon, dass eben wenig "extrem rechte Einstellungen" vertreten waren.
EDIT: Hier übrigens aktuell in ähnlicher Richtung: https://journals.sagepub.com/doi/10.117 ... 0231167214 "Right-Wing Extremism in Mainstream Games: A Review of the Literature". Das ist eine rein "qualitative" Studie (so sagt man das, glaube ich). Das sind im Grunde nur luftleer im Raum stehende "Erkenntnisse" und "Anklagen". Etwa ein WTF-Abschnitt:
Ich finde den Abschnitt gar nicht so WTF und beim ersten überfliegen unterscheidet sich die Qualität doch deutlich von dem Paper aus dem Podcast.

Das Vorgehen dort ist üblich für ein Review - siehe auch Post von Indii dazu.

Eine qualitative Studie wäre übrigens z.B. eine mit Interviews und diskursiver Auswertung der Forschenden. In Reviews (und Metanalysen) werden hingegen keine neuen Daten erhoben, sondern nur aggregiert was schon da ist.
Rigolax
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Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Rigolax »

Model hat geschrieben: 20. Apr 2023, 20:28 Ich finde den Abschnitt gar nicht so WTF und beim ersten überfliegen unterscheidet sich die Qualität doch deutlich von dem Paper aus dem Podcast.
Ich finde es sehr absurd, nochmal in fett:
Mainstream videogames are culturally appealing to right-wing extremists beyond a shared sense of white male aggrievement and home-grown extremist game builds or mods. Many mainstream games advance in-game representations, narratives, and mechanics that reflect existing racial and structural inequities and even align with extremist worldviews (Harrer, 2020; King & Leonard, 2016; Leonard, 2003, 2006; Nae, 2018; Salvati, 2019). As King and Leonard (2016) describe, “Games such as World of Warcraft (2004), Resident Evil (1996), Killzone (2004), Grand Theft Auto III (2001), Grand Theft Auto: Vice City (2002), and various World War II games are ubiquitously cited as both sources of fun and games that allow for the celebration or promotion of white nationalism” (p. 113). Some extremists view such titles as educational tools showing the true, criminal nature of people of color (King & Leonard, 2016; Leonard, 2006), as opportunities to play out anti-Semitic and anti-Muslim ideological fantasies (Davey, 2021; Vaux, Gallagher, & Davey, 2021), or even as training modules to prepare for race war (King & Leonard, 2016).
Wie soll man mit RE etc. white nationalism zelebrieren oder promoten; ich kann es noch bei WW2-Titeln sehen. Dann ist das Review offenbar noch massiv veraltet inhaltlich, obwohl es neu ist, erinnert mich an diesen Kebekus-Beitrag, über den GameStar komplett unkritisch berichtet hat (dort in Bezug auf Sexismus): "Many mainstream games advance in-game representations, narratives, and mechanics that reflect existing racial and structural inequities and even align with extremist worldviews"; welche sollen das bitte sein, vor allem in -- excuse me -- current year. Ich fühl mich in meiner (nicht wirklich vorhandenen) Gamer-Identität regelrecht beleidigt, wenn ich so etwas lesen muss. Und weiter (ist etwas wild zitiert, nicht zwingend chronologisch):
The games industry is overwhelmingly dominated by White, heterosexual men (Daniels & LaLone, 2012; Euteneuer & Meints, 2020; Hammar, 2020; Nakamura, 2012), with disproportionate under-representation of African-American developers (Hammar, 2020; Ong, 2016).
Kommt mir veraltet vor, in jedem Fall zu pauschal.
This homogeneity across the mainstream professional game industry has implications for the products they design. From the early 1990s, mainstream games were marketed exclusively to white, male, suburban youth through both imagery and content (Bezio, 2018; Cassell & Jenkins, 1998). This exclusion of marginalized groups and female players was evident in game narratives (Nae, 2018), representations (Russworm, 2018), and mechanics (Salvati, 2019). War, science-fiction, and fantasy themes rose in prevalence, as well as stories revolving around an exceptional white male protagonist fighting enemy invasion or conquering land or space (Harrer, 2020; Leonard, 2006; Nae, 2018). The games that portrayed women at all rendered them either weak, sexualized, or both (Euteneuer & Meints 2020; Leonard, 2003).

Although the games industry is constantly evolving in terms of gaming platform, genre, and mechanics, this gendered contestation continues without significant abatement (Maloney, Roberts & Graham, 2019). In 2021, an Entertainment Software Association report touted increasing diversity among players in terms of age, ethnicity, and gender, with nearly half of all U.S. game players (45%) identifying as female (Entertainment Software Association, 2021). Yet despite shifts in gamer demography, racist and sexist gatekeeping in the games industry persists: marketing continues to cater to young White males (Bezio, 2018; Braithwaite, 2016; Euteneuer & Meints 2020), emboldening these players to enforce gaming culture as white male space (Ratan et al., 2015).
Again, leben die in current year? Mal davon ab, dass es in jedem Fall auch viel zu pauschal ist.
From the use of terms like “safe space” and “snowflake” for dismissing progressive views [...]
Safe Space ist ein genuin linker Begriff. Versteh ich nicht.
As Ferguson and Glasgow note (2021), the intricacies of the situation were complex and many supporters of the movement fell outside of the hardcore gamer stereotype.
(Kontext: GamerGate) Ich habe viel Sympathie für Ferguson, aber die Studie ist übrigens fragwürdig, weil sie auf Selbstauskunft basiert. Ich würde es nicht wie "Keinen Pixel dem Faschismus" als "pseudowissenschaftlich" bezeichnen, aber sie haben einen Punkt: https://keinenpixel.de/2022/03/02/gefae ... rstellung/ (wobei GamerGate insg. ein weitaus komplexeres Phänomen ist, als "Keinen Pixel" es darstellt, bitte denen auch nicht auf den Leim gehen.)

-- Ich könnte noch mehr zitieren, ich mag aber nicht. Ich halte dieses Review für ignorant und borderline verleumderisch, im Ernst.
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Model
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Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Model »

Die Studie zitiert andere Sachen bis 2021, auf diesem "Wissensstand" wird sie also sein - da ist üblich, weil die Einreichungs-, Review- und Korrigerprozesse locker auch mal 2 Jahre dauern.
Rigolax hat geschrieben: 20. Apr 2023, 20:40 Wie soll man mit RE2 etc. white nationalism zelebrieren oder promoten; ich kann es noch bei WW2-Titeln sehen. Dann ist das Review offenbar noch massiv veraltet inhaltlich, obwohl es neu ist, erinnert mich an diesen Kebekus-Beitrag, über den GameStar komplett unkritisch berichtet hat (dort in Bezug auf Sexismus): "Many mainstream games advance in-game representations, narratives, and mechanics that reflect existing racial and structural inequities and even align with extremist worldviews"; welche sollen das bitte sein, vor allem in -- excuse me -- current year. Ich fühl mich in meiner (nicht wirklich vorhandenen) Gamer-Identität regelrecht beleidigt, wenn ich so etwas lesen muss. Und weiter (ist etwas wild zitiert, nicht zwingend chronologisch):
Von zelebrieren oder promoten steht in den zitierten Teil nix mehr, bei WoW hast du einen Punkt. Bei allen anderen Spiele bin ich ehrlich gesagt deren Meinung - die Spiele sind ja auch alle ~20 Jahre oder mehr alt und das "Weltbild" in dem sie spielen, spiegelt ungefähr das wieder was sie als: "reflect existing racial and structural inequities" beschreiben. Ist natürlich nicht die "Schuld" der Spiele oder der Entwickler, sondern schlicht "Zeitgeist", bzw. Abbild der Welt.
Rigolax hat geschrieben: 20. Apr 2023, 20:40 Kommt mir veraltet vor, in jedem Fall zu pauschal.
Naja, es ist der Stand von 2020 - und selbst heute würde mir das nicht veraltet vorkommen. Da hat sich sicherlich was getan in den letzten 5-10 Jahren, aber von... naja raten wir mal 95%+ weiße, hetero-Männer bis ... keine Ahnung 70% vs. X% dauert es einige Jahrzehnte.
Die diversen Sexismus-Skandale passen auch ganz gut dazu.
Rigolax hat geschrieben: 20. Apr 2023, 20:40 Again, leben die in current year? Mal davon ab, dass es in jedem Fall auch viel zu pauschal ist.
Im ersten Abschnitt sprechen sie ja über die 1990er Jahre, ich denke das ist relativ unstrittig, oder?

Im zweiten Abschnitt gebe ich dir Recht, bzw. sie fallen auf das rein was Andre auch angesprochen hat - die Statistiken der Branchen Lobbyisten. 45% weiblich, aber wie viele Spielen davon die Nach-Nach-Nachfolger der vorher zitierten CODs und Co.? Bzw. welche Marketing Kampagnen hat sich die Studie von Ratan et. al 2015 (!) angeguckt: die für "cute mobile Game XY" auf Insta? Wahrscheinlich nicht.
Rigolax hat geschrieben: 20. Apr 2023, 20:40 -- Ich könnte noch mehr zitieren, ich mag aber nicht. Ich halte dieses Review für ignorant und borderline verleumderisch, im Ernst.
Ich bringe mal die Zusammenfassung als "Gegen-Zitat" an, an der habe ich z.B. fast nix auszusetzen. Wie gesagt, wahrscheinlich Stand von 2020/2021.
Many mainstream games reflect inherent equity and inclusion problems in the industry. Those games then circulate cultural models that position non-White, non-male persons as outsiders. This, in turn, has fomented toxicity and harassment toward marginalized players and allowed gaming culture to become one where once-fringe, anti-democratic, right-wing extremist views are increasingly normalized. As a result, misogynists and white supremacists continue to operate in the open with impunity. The long-term impacts of a generation of youth witnessing, if not participating directly in, such a culture without consequence is difficult to predict. The immediate impacts of hate directed towards marginalized players continue. Much work remains as we identify and understand the conditions, mechanisms, consequences, and enablers of this process.
Das fett markierte sehe ich eher gelassen, solche Einflüsse gabs schon immer, daneben gibt's ja auch diverse andere Einflüsse auf eine "Generation" (z.B. Schule, Eltern, Peers offline, usw.). Das riecht danach als wollen sie mal wieder Untergang des Abendlandes am Horizont beschwören... unnötig.
Was ich persönlich noch wichtig finde anzumerken ist, dass es an anderen Ecken der Gesellschaft, oder des Internetzes ja nicht so viel anders aussieht - siehe Kommentarspalten bei Zeitungen, Social Media und Co. und bei allen diesen Beobachtungen die Lauten und Extremen auch "gehört" werden - über die tatsächliche Verteilung von Einstellungen bestimmter Subgruppen ist also wenig bekannt.
Rigolax
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Re: Nachgeforscht: Radikale Einstellungen bei Gamern

Beitrag von Rigolax »

Model hat geschrieben: 20. Apr 2023, 21:26 Die Studie zitiert andere Sachen bis 2021, auf diesem "Wissensstand" wird sie also sein - da ist üblich, weil die Einreichungs-, Review- und Korrigerprozesse locker auch mal 2 Jahre dauern.
Es wird auch ein Artikel aus diesem Jahr zitiert: "Andrews S. (2023). The ‘First Person Shooter’ Perspective: A Different View on First Person Shooters, Gamification, and First Person Terrorist Propaganda. Games and Culture". Außerdem zwei weitere von 2022.
Von zelebrieren oder promoten steht in den zitierten Teil nix mehr, bei WoW hast du einen Punkt.
Da steht doch: "As King and Leonard (2016) describe, “Games such as World of Warcraft (2004), Resident Evil (1996), Killzone (2004), Grand Theft Auto III (2001), Grand Theft Auto: Vice City (2002), and various World War II games are ubiquitously cited as both sources of fun and games that allow for the celebration or promotion of white nationalism” (p. 113)." Okay, muss man sich diesen Artikel von King/Leonard mal besorgen. Aber again, wie soll das überhaupt gehen in etwa Resident Evil (Sorry hatte "RE2" geschrieben, ich mein natürlich den ersten), oder in GTA, Killzone? Okay, man kann das irgendwie sicher machen, aber was ist das für ein weirder doch implizierter "Vorwurf" an die Spiele. Wenn das ein legitimer Vorwurf ist, dann kann man Fiktion bald beerdigen, im Ernst. Weil irgendwelche Nazis wohl immer etwas "finden", selbst an antirassistischen Titeln. Ich habe mal einen gesehen auf Steam, der hat Screenshots aus Attentat 1942 auf seinem Profil ausgestellt als eine Art Devotionalie und kommentierte das Attentat auf Heydrich in der Spieldarstellung darauf mit "sad". Aber das kann ja kein ernster Vorwurf an das Spiel selbst sein.
Bei allen anderen Spiele bin ich ehrlich gesagt deren Meinung - die Spiele sind ja auch alle ~20 Jahre oder mehr alt und das "Weltbild" in dem sie spielen, spiegelt ungefähr das wieder was sie als: "reflect existing racial and structural inequities" beschreiben. Ist natürlich nicht die "Schuld" der Spiele oder der Entwickler, sondern schlicht "Zeitgeist", bzw. Abbild der Welt.
Ja okay, aber ist es überhaupt verwerflich bzw. war es dann, wenn Spiele "existing racial and structural inequities" reflektieren bzw. reflektiert haben... diese inequities haben damals halt so existiert bzw. existieren, und wenn man annährend die Realität abbilden will, dann bildet man die auch ab bzw. das ergibt sich dann halt so, war auch so bei Filmen (mittlerweile ist Hollywood ja eher eine hyperprogressive Parallelwelt; sorry ich bin wieder polemisch, aber imho stimmt das tendenziell). Und der Teil nach dem letzten "and" ist doch weird: "Many mainstream games advance in-game representations, narratives, and mechanics that reflect existing racial and structural inequities and even align with extremist worldviews." Ich kann das nur mit einer sehr weiten Definition von "extremist worldviews" nachvollziehen.
Im zweiten Abschnitt gebe ich dir Recht, bzw. sie fallen auf das rein was Andre auch angesprochen hat - die Statistiken der Branchen Lobbyisten. 45% weiblich, aber wie viele Spielen davon die Nach-Nach-Nachfolger der vorher zitierten CODs und Co.? Bzw. welche Marketing Kampagnen hat sich die Studie von Ratan et. al 2015 (!) angeguckt: die für "cute mobile Game XY" auf Insta? Wahrscheinlich nicht.
Diese Statistik mit den weiblichen Spielenden überlese ich mittlerweile regelmäßig, das wird ja sehr oft pauschal behauptet, siehe auch wieder Kebekus. Das ist wie mit der Lebenserwartung im Mittelalter bei vermeintlich 35 Jahren (pauschal).
Rigolax hat geschrieben: 20. Apr 2023, 20:40Ich habe viel Sympathie für Ferguson, aber die Studie ist übrigens fragwürdig, weil sie auf Selbstauskunft basiert. Ich würde es nicht wie "Keinen Pixel dem Faschismus" als "pseudowissenschaftlich" bezeichnen, aber sie haben einen Punkt: https://keinenpixel.de/2022/03/02/gefae ... rstellung/
Als Nachtrag, weil auch Zugänglichkeit wissenschaftlicher Studien Thema war im Thread. Bei Keinen Pixel heißt es: "Durch seine Veröffentlichung als Journalbeitrag innerhalb formalisierter akademischer Standards erzeugt der Artikel einen Anschein von Seriosität. Dieser lässt ihn für Außenstehende und besonders für Kolleg*innen aus dem wissenschaftlichen Feld ohne Kenntnis des GamerGate-Diskurses glaubwürdig erscheinen. Dazu trägt auch seine Exklusivität bei: Der Artikel ist ein kostenpflichtiges Closed-Access-Paper, Interessierte müssen also bezahlen oder Zugriff über ein wissenschaftliches Institut anfordern, um ihn zu lesen." Tatsächlich gibt es diese Studie aber auf der Website von Ferguson, afaik schon länger: https://christopherjferguson.com/GamerGate.pdf Dass sie meinen, es sei eine "subjektiv[e] Selbstbefragung" ist auch eher fragwürdig, weil nicht direkt gefragt wurde, ob man "liberal" oder "conservative" ist, sondern die Haltung zu "Abortion, Gay Rights, Universal Healthcare, Marijuana legalization, Global Warming, Affirmative Action" abgefragt wurde und daraus dann eine politische Haltung "errechnet". Das meinte ich übrigens auch bei Troy Leavitt, der Ex-Dev von Hogwarts Legacy, der ja GamerGate-Sympathisant war (siehe seinen medial krass problematisierten Youtube-Kanal): GamerGate-Sympathisanten waren durchaus signifikant liberal, eher eben liberal mit konservativen Tendenzen bzw. "rechtsliberal" (edit: bzw. libertär), mit einer hohen Gewichtung von "free speech". Übrigens wird GamerGate auch in der Studie zu Identity Fusion erwähnt, das wird ja quasi immer erwähnt in solchen Artikeln/Studien.
Zuletzt geändert von Rigolax am 20. Apr 2023, 22:21, insgesamt 1-mal geändert.
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