meisterlampe1989 hat geschrieben:Wenn wir anfangen Fehlverhalten der Künstler mit Boykott ihrer Werke zu bestrafen, dann wird es eine kulturelle Verarmung geben.
Grundsätzliche Zustimmung. Allerdings, und das wurde in diesem Thread womöglich schon angesprochen, und dann vermutlich in eleganteren Worten als jetzt von mir, kann das Wissen um die Taten eines Künstlers die Rezeption eines künstlerischen Werks für mich negativ beeinflussen. Außerdem bin ich z.B. nicht bereit, zum Reichtum von Künstlern beizutragen, die für mich Unentschuldbares getan haben, etwa Roman Polanski oder Woody Allen. Sollte es genügend Menschen so gehen, dann wäre es wirtschaftlich verständlich, wenn daraus Konsequenzen gezogen würden. Schließlich kann dies auch negativ auf die Geschäftspartner abfärben, etwas Netflix im Falle von Kevin Spacey. Hinzu kommt, dass die Vorwürfe gegen Kevin Spacey recht frisch sind, in ein paar Jahren sieht das vielleicht wieder anders aus.
Für mich geht es auch darum, genau zu differenzieren: Zwischen den Louis C.K. oder Kevin Spacey vorgeworfenen Taten (ohne diese verharmlosen zu wollen, und jedenfalls bei Spacey sind die vorgeworfenen Tagen ja schon nochmal gewichtiger) oder gar der dem jetzt ehemaligen britischen Verteidigungsminister Fallon vorgeworfenen Tat (ja, mir ist klar, dass für diesen zu recht ein besonders hoher Standard gilt), oder als "harmlosestem Fall" einem dummen Altherrenwitz einerseits und den Harvey Weinstein vorgeworfenen Vergewaltigungen, oder dem sexuellen Missbrauch oder sogar der Vergewaltigung eines Kindes in den Fällen von Woody Allen und Roman Polanski andererseits, liegen Welten. Und da finde ich es schon verstörend, wie die beiden letzteren jahre- bzw. jahrzehntelang von großen Teilen der Kulturbranche verteidigt und hofiert wurden - man schaue sich einmal die Liste der Unterzeichner der Petition für Roman Polanski an, als er damals in der Schweiz verhaftet wurde, oder die Liste der Schauspieler, die immer noch freudig in ihren Filmen mitspielen.
Nur zur Klarstellung: Insgesamt finde ich die momentane Entwicklung fantastisch. Endlich trauen sich Opfer, sich zu wehren, sich nicht mehr alles stillschweigend gefallen zu lassen. Endlich gibt es eine wirksame Gegenwehr und eine wirksame Abschreckung gegen diese Form des Machtmissbrauchs. Endlich werden Vorwürfe von sexuellen Belästigungen ernst genommen und haben Konsequenzen. Ich habe die Hoffnung, dass es immer weniger als Stigma gilt und empfunden wird, Opfer eines sexuellen Übergriffs zu sein und sich Opfer deshalb immer öfter trauen, sich zu wehren und an die Öffentlichkeit zu gehen, und gegebenenfalls die Täter auch anzuzeigen.
Dabei ist meines Erachtens allerdings gleichzeitig die Befürchtung, dass hier - polemisch gesagt - eine Art Lynchjustiz entsteht, die irgendwann auch einmal den Falschen treffen kann, und die nur eine Strafe kennt: im übertragenen Sinn den bürgerlichen Tod, ohne Chance auf Rehabilitierung, Begnadigung oder Resozialisierung, durchaus ernst zu nehmen. Hier ist jedenfalls zu hoffen, dass die Presse und die Öffentlichkeit mit Vorwürfen sorgsam umgehen
und eventuelle falsche Vorwürfe auch wieder zurücknehmen und gewissermaßen vergessen.
Ich halte es auch für legitim, nach der Verhältnismäßigkeit von Vergehen und gesellschaftlicher und beruflicher Strafe zu fragen, und da wäre es wünschenswert, wenn die Öffentlichkeit zwischen den Vergehen differenzieren und das Verhalten des Täters seitdem berücksichtigen würde und je nach den Umständen des Einzelfalls auch eine zweite Chance gewähren würde - wie es bei Anthony Weiner ja der Fall war (auch wenn das natürlich nicht mit den jetzt zu Tage kommenden Vorfällen gleichzusetzen ist), die er dann spektakulär genutzt hat.......nicht.