tsch hat geschrieben: ↑29. Jul 2018, 21:00
Ich hab jetzt zum (glaube ich) ersten Mal eine Buchreihe unterbrochen, weil ich entweder zu dumm bin, ein zu "fauler" Leser, oder der Autor einfach keinen guten Job macht, um seine Welt und deren Begriffe zu erklären. Geht um die Fantasy-Buchreihe
The Malazan Book of the Fallen. Hat das jemand gelesen?
Ja, siehe mein Username, der eine Abwandlung von Cotillion ist
. Darum versuche ich mal ein wenig auf deine Punkte einzugehen.
Vorneweg: ich habe die Reihe auf Deutsch gelesen und bin noch nicht ganz durch. Ich persönlich halte sie für den besten Fantasy Zyklus den ich jemals gelesen habe. Dennoch würde ich den meisten meiner Freunde eher Bücher wie Eis und Feuer empfehlen, wenn sie mich nach guter Fantasy Literatur fragen. Das hat verschiedene Gründe:
1.: Erikson ist rein sprachlich mE nicht der beste Autor. Er hat einen etwas sperrigen Stil und mMn schafft er es nicht immer das Geschehen adequat und verständlich zu beschreiben. Alles liest sich etwas anstrengender als bei Martin. Das wird aber in späteren Büchern besser, wenn auch hier nie die Qualität von Martin erreicht wird.
2.: Eriksons Stärke ist nicht unbedingt Charakterzeichung bzw. das Erstellen von glaubwürdigen 3 dimensionalen Figuren mit nachvollziehbaren Motiven. Viele seiner Dialoge wirken auch oft recht künstlich, und irgendwie scheint jede 2. Figur ein Hobbyphilosoph zu sein. Auch hier zieht er gegenüber Martin eindeutig den kürzeren.
3.: Man braucht einen laaaangen Atem um die Faszination hinter Malazan auszumachen. Ich hatte wie du erst Probleme der Handlung zu folgen. Erikson wirft einen direkt in seine komplexe Welt hinein, ohne wirklichen Anker(mit Ausnahme des Glossars) und Figuren, die stellvertretend für den Leser Fragen über die Natur der Ereignisse stellen. Erschwerend kommt hinzu, dass der eigentliche Plot des Zyklus erst im (englischen) 3. Band wirklich klar wird. Vieles was du in den ersten beiden Büchern lesen wirst mag dir zunächst unzusammenhängend vorkommen. Schlimm ist auch, dass der Schauplatz im 2. Buch ein völlig neuer Kontinent mit völlig neuen Figuren und einer (scheinbar) völlig anderen Handlung ist.
Ich würde jetzt nicht unbedingt sagen, dass ich mich durch die ersten beiden Bücher(die im deutschen übrigens 3 Bücher sind, da ab dem 2. Buch alle englischen Büch in Deutsch gezweiteilt wurden) gequält habe, aber das Lesen verlangte mir eindeutig mehr Konzentration und guten Willen ab, als das bei anderen Zyklen bisher der Fall war.
Ich hoffe du bist noch bei mir, denn nun kommt der Part in dem ich versuche dir zu vermitteln warum Malazan ein wahrlich einzigartiger Zyklus ist.
Ab dem 3. englischen Band nimmt die Handlung richtig fahrt auf. Viele Dinge, die für dich jetzt noch überhaupt keinen Sinn ergeben werden plötzlich wieder augegriffen und näher vertieft. Du fängst an scheinbar unwichtige Nebenhandlungen aus dem ersten Band unter völlig neuen Gesichtspunkten zu verstehen. Du siehst, wie sich vor dir ein Mosaik aus einer verzahnten, verschachelten Handlung in einer Welt mit einer Geschichte, die sich über Millionen von Jahren erstreckt und einem bis ins kleinste Detail durchkomponierten Magiesystem aufbaut. Erikson hat 10 Jahre die Welt von Malazan und die Handlung entwickelt, bevor er überhaupt den ersten Band veröffentlicht hat und jedes Buch ist sowas wie eine kleine Taschenlampe mit der du versuchst dieses gigantische Gebilde und deren Zusammenhänge zu verstehen. Und für viele Fragen, die dir im Laufe der Handlung beantwortet werden, tauchen auch gleich wieder ganz neue auf. Denn niemand hat die Informationshoheit, alles sind immer nur Perspektiven. Vieles was zunächst von einer Figur als Fakt dargelegt wird, ist vl nur ein Teil eines viel größeren Puzzles. I
Ich will das hier nochmal in 3 Punkte aufteilen um die Stäken von Malazan zu verdeutlichen:
1.: die eigentliche Haupthandlung: ich habe noch nie ein Buch gelesen, das mehrere Fäden so elegant und gekonnt kumulieren lässt wie Malazan. Wie sich verschiedene Handlungsstränge langsam aufbauen und letztlich in Konvergenzen von mächtigen Entitäten enden und Kräfte entfesselt und Tragödien geschmiedet werden ist mE beispiellos. Malazan verdient eindeutig das Prädikat "episch"! Es hilft sicher, wenn man so wie ich eine gewisse Schwäche für Gigantismus hat
(was immer ich damit kompensieren mag). Dabei hatte ich aber nie das Gefühl, dass die Welt und ihre Figuren nicht ausbalanciert sind. Macht zieht Macht an, es herrscht sowas wie ein kalter Krieg zwischen den Göttern und erst gewisse Ereignisse führen zu gewissen Aktionen die wiederum Gegenreaktionen die das Gleichgewicht des Schreckens durcheinander bringen.
2.: die Welt: die Welt von Malazan ist reich an Geschichte. In der Gegenwart des 1. Bandes sind bereits dutzende Imperien von verschiedenen Rassen auferstanden und vernichtet worden. Manche dieser Rassen wirst du im Laufe des Zyklus noch viel besser kennenlernen, andere hingegen bleiben nur ein Mythos. Du wirst Erzählungen von Ereignissen hören die Tausende Jahre zurückliegen nur um plötzlich ein paar Bücher später Zeuge dieser einschneidenden Entwicklungen zu werden. Denn die Geschichte existiert dort nicht in einem Vakuum sondern hat teils gravierende Auswirkungen auf die gegenwärtige Handlung. Und auch hier gilt: niemand der Protagonisten hat Informationshoheit. Oftmals liegt es an dir dem Leser das Puzzle aus Bruchstücken an Informationen zusammenzusetzen Diese Tiefe und das Gefühl, dass man in eine Welt geworfen wird, die man ergründen kann machen einen großen Reiz der Reihe aus.
3.: das Magiesystem: mindestens genauso komplex und schwer zu durchdringen ist das Magiesystem. Es gibt Gründe warum Magie so funktioniert wie sie funktioniert und dir als Leser obliegt es dies Schritt für Schritt besser zu verstehen. Die Geschichte des Magiesystem ist nämlich eng mit der Geschichte der Haupthandlung verknüpft. Du wirst lernen, dass Magie vor Hundertausend Jahren ganz anders funktioniert hat, du wirst lernen, dass auf entfernten vergessenen Kontinenten Magie ganz anders funktioniert und du wirst die GRÜNDE dafür lernen. Und was passiert eigentlich, wenn plötzlich Imperien aufeinander prallen, die zuvor nie voneinander gehört haben und deren Magiegrundlage eine völlig andere ist?
Ich habe mich beim Lesen teilweise wie ein Naturwissenschafter gefühlt der versucht dieses eigenartige, auf den ersten Blick wirre Zeugs zu verstehen. Erikson hat wirklich viel, viel Zeit damit verbracht dieses System auszuarbeiten und ich kenne keinen Zyklus und keine Sci Fi Literatur die ähnliches bei ihren Innovationen auch nur im Ansatz vollbracht hat.
So, ich hoffe ich konnte dir die Faszination von Erkison etwas näher bringen. Ich weiß, dass diese Art von Fantasy nicht für jeden etwas ist. Denn dort wo Eriskon schlecht ist mE teilweise sehr schlecht, aber dort wo er gut ist, ist er grandios! Je nachdem wo man selbst seine eigenen Prioritäten bei Geschichten sieht findet man die Reihe entweder großartig oder zäh.