Filme als Rettung für Computerspiele?

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Haku
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Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von Haku »

Das ist ein Thema, das mich auch sehr interessiert. Ich möchte in diesem Zusammenhang kurz Uncharted in den Raum werfen, das macht es meiner Meinung nach richtig: Es setzt zwar auf eine filmische Inszenierung, ist aber doch deutlich ein Spiel.

Ich würde den Vorschlag gerne noch um einen anderen Gedanken erweitern: Neben diesem Trend zur "Verfilmigung" von Spielen erleben wir gleichzeitig eine andere, auf den ersten Blick sehr gegensätzliche Entwicklung: Der Trend zur Open World. Immer mehr Umfang, mehr Nebenaufgaben, größere Welten. Der filmische Anspruch, der ja meist mit einer narrativen Ambition begründet wird, bleibt da fast zwangsläufig liegen. Dieser Trend geht also eher in die Richtung Vollblutspiel, das andere Extrem sind die interaktiven Filmchen. Warum erleben wir so zwei unterschiedliche Entwicklungen und warum scheint sich der Mittelweg, den eben beispielsweise ein Uncharted beschreitet, zunehmend aufzulösen? Zumindest 2015 und auch 2014 waren die größten bzw. wichtigsten Titel immer in diesen beiden Seiten zu finden, nie in der Mitte.

Vielleicht zum Schluss noch die allgemeine Frage: Wenn bei der Inszenierung Filme das große Ziel sind, warum scheint man überhaupt nicht daran interessiert, erzählerisch auf dieses Niveau zu kommen?
Jochen

Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von Jochen »

Spannend. Ein paar dieser Punkte haben wir ja schon detaillierter angesprochen oder wenigstens am Rande tangiert ... aber da geht bestimmt noch mehr, keine Frage. Ein ganz konkretes Argument möchte ich aber auch an dieser Stelle nicht völlig unkommentiert lassen:
Ich finde an Computer- und Videospielen die Interaktivität wichtig und kann nicht verstehen, warum solche selbstablaufenden "Spiele" in den letzten Jahren so boomen. Nehmen wir mal die Telltale-Formel: Interaktiv ist da nichts. Man läuft zwischen zwei Filmsequenzen von A nach B. Das war es. Die Entscheidungen sind keine Entscheidungen - sondern täuschen nur vor welche zu sein. Wenn man das nächste Mal bewusst andere Optionen nimmt, verändert sich die Geschichte oder die Beziehung der Figuren untereinander nicht im geringsten.
So wird oft - und teilweise durchaus legitim - argumentiert. Ich gebe allerdings zu bedenken, dass (fast) kein Spiel interaktiv im Kontext des Geschichtenerzählens ist. Auch allenthalben gelobte Erzählspiele vom Witcher bis Bioware laufen hinsichtlich des Storytellings ohne nennenswerten Spielerinput ab; sie spulen lediglich längere, komplexere und anspruchsvollere "Quicktime-Events" zwischen den einzelnen Storyhäppchen ab. Und auch hier sind die Entscheidungen im Hinblick auf den Plot keine, sondern täuschen bloß vor, welche zu sein. Wenn man dieses Faß aufmacht - und das sollte man, wenn man über interaktives Storytelling sprechen möchte - dann muss man meines Erachtens zunächst zwei Dinge tun. Erstens: Konstatieren, dass es in diesem Medium (fast) niemanden gibt, der interaktives Storytelling ernsthaft betreibt. Zweitens: Grundsätzlich die Frage diskutieren, ob interaktives Storytelling überhaupt wünschenswert ist.
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Joss
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Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von Joss »

Film als Rettung für Computerspiele... wurden Computerspiele nicht immer schon über ihre Grafik vermarktet und war diese Vermarktung nicht immer schon an die Entwicklung der Karten gekoppelt. Man sollte sich nicht erhoffen, dass es der Spieleindustrie darum geht, gute Spiele, und den Herstellern von Grafikkarten darum geht, leistungsstarke Grafikkarten zu verkaufen. Es geht ums Verkaufen. Und ein Hersteller eruiert heute genau, warum sich ein Produkt verkauft, welche Bedürfnisse es befriedigen muss, welche nachrangig oder weniger bedeutend sind. Der Begriff Aufmerksamkeitsspanne dürfte da heute sehr zentral sein. Auch hier im Forum habe ich schon was gelesen, wo sich Konsumenten vom Spielehersteller z.B. beim Erforschen von Städten in MMOs nicht mehr ausreichend getriggert empfinden. Da gibt es also auch entsprechende Erwartungen, dass dem Abflauen der eigenen Aufmerksamkeit entgegengewirkt wird. Ohne Rücksicht darauf, wie das ein Spiel innerlich ändert, wenn es solche Trigger implementiert bekommt. Viel interessanter fände ich den Bezug auf den Spieler, ob diese Passatwinde der Langeweile, denen er sich ohne große Rücksicht auf den gesetzten Kurs ausgesetzt wähnt, nicht vielleicht auch etwas mit dem durchlaufenen Eingang einer selbstverschuldeten Unmündigkeit zu tun haben könnten? Ich führe heute selten noch Gespräche im RL, wo mein Gegenüber nicht zwischendurch auf sein Handy schaut. Für dieses Gegenüber werden die Produkte optimiert, nicht für mich.

Spieleproduktion kann man ohne deren industriellen Hintergrund und die Vermarktungsstrategien meiner Meinung nach nicht mehr angemessen beurteilen. Längere Filmsequenzen mit beschränkter Interaktion haben da schon ihre Vorteile in der weniger aufwendigen Portierbarkeit und das auch auf die Pads. Hinzu kommt, dass heute niemand mehr Handbücher lesen möchte und Tutorials nun einmal in ihren Versuchen, Handbücher zu ersetzen, beschränkt sind. Komplexes Erzählen variiert über komplexe Interaktionen, Nötigung zum Nachdenken und Lernen, das sind No-Gos geworden. In der Spieleentwicklung sehe ich heute zwei große "Trends" (vielleicht besser Entwicklungslinien): Einmal die Überwältigung (durch Grafik/Sound, eventuell VR) und zweitens den Wettbewerb (Konkurrenzen mit schnellen Stimuli, wobei die negativen in den Hintergrund treten).

Wieso das nicht hinterfragt wird, weil die Spieler das auch so wollen. Das ist doch die gleiche Perspektive wie in anderen Amüsierwelten. Wieso macht Star Wars Kasse, Angela Schanelec aber nicht? Oder bezogen auf die Bildung: Wieso studiert man Geisteswissenschaften, schließt dann aber mit einem Bachelor ab? Was die Spielepresse betrifft, würde ich da meine Hoffnung auch beschränkt halten. Spielepresse schreibt vorzüglich das, was ihre Leser lesen wollen und was keine Probleme mit dem Marketing der Anzeigen verursacht. Versuche, es anders zu machen, sind eingegangen oder haben sich neu ausgerichtet, indem das Personal gewechselt wurde. Man braucht hier gar nicht erst große Verschwörungsphantasien entfesseln, wie sich das Spieler öfters mal ausmalen, funktional kommunizierende Röhren reichen als Erklärungsmodell aus.

Es ist übrigens sehr interessant zu sehen, wie Spieler auf Anpassungen in länger laufenden Spielen reagieren. Da liest man dann so Sprüche wie "Anpassung XY geht mal gar nicht, da bräuchte man soundso viel Zeit mehr Einkommen Z zu erwirtschaften". Das Spieleunternehmen wird also schon recht froh sein, wenn es seine Anpassungen und Updates auch nur halbwegs ohne Shitstorm veröffentlicht bekommt. Auch heute ein Motiv, weshalb man lieber an Grafiken arbeitet als an Interaktionsstrukturen. Präventive Shitstormbekämpfung.
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Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von Jochen »

Joss hat geschrieben:Auch hier im Forum habe ich schon was gelesen, wo sich Konsumenten vom Spielehersteller z.B. beim Erforschen von Städten in MMOs nicht mehr ausreichend getriggert empfinden. Da gibt es also auch entsprechende Erwartungen, dass dem Abflauen der eigenen Aufmerksamkeit entgegengewirkt wird. Ohne Rücksicht darauf, wie das ein Spiel innerlich ändert, wenn es solche Trigger implementiert bekommt
Um hier mal einzuhaken: Da ging es, glaube ich, konkret um Singleplayer-Spiele und darum, wie schlecht die ihre Städte in Spannungs- und Handlungsbögen integrieren. Und dem würde ich zustimmen. Das hat in diesem speziellen Fall wenig mit Triggern und Aufmerksamkeitsspannen zu tun, sondern damit, dass viele virtuelle Städte als Content-Dump dienen und den gerade aufgebauten Spannungsbogen komplett aushebeln.

MMOs kriegen das interessanterweise oft erheblich besser hin. Bree in LOTRO etwa ist ein gutes Beispiel, wie man eine Stadt vernünftig einführt.
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Joss
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Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von Joss »

Jochen hat geschrieben:Um hier mal einzuhaken: Da ging es, glaube ich, konkret um Singleplayer-Spiele und darum, wie schlecht die ihre Städte in Spannungs- und Handlungsbögen integrieren. Und dem würde ich zustimmen. Das hat in diesem speziellen Fall wenig mit Triggern und Aufmerksamkeitsspannen zu tun, sondern damit, dass viele virtuelle Städte als Content-Dump dienen und den gerade aufgebauten Spannungsbogen komplett aushebeln.
Content-Dump ist ein weites Feld. Da versteht wohl auch jeder sein eigenes drunter bis darauf, dass es einen Inhalt abwertet. Mein Gedächtnislink war dies hier. Vor allem die Referenz auf Pillars. Mich reizen z.B. Spannungsbögen viel mehr, wenn sie unterbrochen und variiert werden. Ich habe schon den Eindruck, dass die meisten Spieler heute vom Spiel und seiner Geschichte ausdrücklich und kontinuirlich unterhalten werden wollen (das Spiel soll leisten, weniger der Spieler), das eigene Interagieren dagegen zurücktritt. Ein Buch, was weitgehend unverbunden mit eventuellen Hauptstories herumliegt und nur einen Seitenblick auf die Erzählung wirft. Ist das Müll? Mir war das immer ein Reiz, Orte zu untersuchen. Generell das Entdecken von Verstecktem als ein Hauptantrieb von Spielen. Heute ist es doch meistens so, dass Rollenspiele meinen auf ein spezifisch gedeutetes Unterhaltungsbedürfnis der Spieler eingehen zu müssen und Inhalte dann entsprechend zu drappieren. Was im Ergebnis zu vorhersehbaren Verläufen führt, wenn man versteht, wohin das Spiel mit einem möchte, und bei den Spielern wiederum Ansprüche motiviert, wie in Filmen unterhalten und beschäftigt zu werden. Ich sehe es dagegen als kein Problem, wenn man mit der Story und ihrem Verlauf auch richtig Ärger hat, weil man sie suchen und kombinieren, bestenfalls durch Zutaten alternieren muss. Überhaupt würde ich die Verrätselung als das größte Nachholpotential in Spielen betrachten. Und damit meine ich nicht das Setzen und Lösen von Rätseln, sondern das Spiel selbst als solches anzulegen. In TSW wurde das mal wieder versucht. Man kann sich lange keinen Reim darauf machen, was da vor sich geht, ob man gerade einem Haupt- oder einem Nebenstrang folgt (was sich mit den Ausgaben dann leider änderte), das Spiel und seine Geschichten gerieten selbst zur Rätselstruktur. Vermutlich mit ein Grund, warum viele Spieler solche Motivationsprobleme hatten und alles aus dem Netz fischten, um schneller voranzukommen und einen Erklärbären zu treffen, der einem das Wirre zusammennäht.

Wenn es grundsätzlich nur darum geht, dass eine Spielewelt mit Grafik und Kulisse aufgeblasen wird, dann kann ich natürlich sofort zustimmen, wenn das als Vermüllung bewertet wird. Ich bin an dieser Stelle aber hellhörig und halte es für fraglich, ob man da wirklich immer über dasselbe spricht. Das verlinkt sich hier für mich auch schön in Axels Thema, auch wenn er wohl eher Spiele wie "Life is strange" vor Augen hat. Mich interessieren die Online-Rollenspiele immer sehr, weil hier zumindest in der Theorie für die Spieler selbst Möglichkeiten bestehen könnten, das Spiel auch gegen seinen Hersteller zu verwenden, überhaupt kreativ zu sein (auch wenn die Aufführungen vor dem Tänzelnden Pony eher das Gegenteil beweisen) und Inhalte auszugestalten.
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Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von Jochen »

Joss hat geschrieben:Ein Buch, was weitgehend unverbunden mit eventuellen Hauptstories herumliegt und nur einen Seitenblick auf die Erzählung wirft. Ist das Müll?
Möglicherweise ist es Müll, ja. Und möglicherweise ist es großartig. Das hängt maßgeblich vom Talent des Autors und der Qualität der Geschichte(n) ab. Kings "Wizard and Glass" beispielsweise ist der mit weitem Abstand beste Band der Dark Tower-Reihe und erzählt dabei "bloß" Vorgeschichte.

Ich glaube, wir sind gar nicht weit voneinander entfernt. Ich habe ja überhaupt nichts gegen das Entdecken, gegen Inhalte abseits der Handlung, gegen Worldbuilding. Aber die klassische große Stadt in einem Rollenspiel gleicht gewöhnlich einem untalentierten Erzähler, der nichts Subtantielles zu sagen hat. So gerne ich beispielsweise Dragon Age: Origins mag, so sehr langweilt mich Denerim bei jedem Durchgang. Die Stadt ist belanglos, die Quests größtenteils müde Fließbandware, der spielerische Gehalt ein Abklappern von NPCs, denen ein Name über dem Kopf schwebt. An dieser Stelle in Spiel und Handlung will die Darkspawn-Invasion aufhalten und einen Verräter stellen - und erledige stattdessen sturzlangweilige Fetch-Quests aus der Mottenkiste. Und an genau diesem Problem leiden viele Spiele: Man kommt in die große Stadt und realisiert: Das wird jetzt ein paar Stunden lang anstrengend. Und zwar nicht, weil einen das Spiel plötzlich nicht mehr bespaßt. Sondern weil es einen schlecht bespaßt.
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Dostoyesque
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Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von Dostoyesque »

Im wesentlichen stimme ich euch zu: Es gibt herzlich wenige Videospiele, die bei der Frage "warum erzählst du die Geschichte in einem Videospiel" tatsächlich eine legitime Antwort geben können. Sogar Meilensteine wie das fantastische Silent Hill 2 ist eher wegen seiner visuell symbolischen Stärke so großartig, die es zum Großteil vom Film hernimmt. Nichtsdestotrotz gibts in SH2 einige kleine Kniffe, die tatsächlich gameplay mit story verbinden:

Anfang SH2 spoiler

Die Tatsache, wie oft man sich heilt und wie oft man den Brief und das Foto der Frau im Inventar ansieht hat einen Einfluss auf den Verlauf und das Ende der Geschichte, was einfach wunderschön zu dieser Charakterstudie passt.

Ende SH2 spoiler

Solche wunderbaren Kniffe gibts leider viel zu selten in Spielen.


Ein weiteres Beispiel, das mir gerade noch einfällt wäre Gone Home. Hier profitiert die story nämlich tatsächlich von der Interaktivität, da man nur Details zu dieser Familie erhält, wenn man sich selbst interaktiv darum bemüht. Klar - der Plot an sich wird einem einfach vorgelesen, aber die vielen kleinen Details zu den Charateren muss man sich interaktiv erarbeiten, sonst verpasst mans. Eine mMn sehr schöne Erfahrung, die so nur in einem Videospiel möglich ist.

Das aktuellste Beispiel, das mir diesbezüglich als letztes noch einfällt ist Undertale. Andre hat in einem der Pods bereits geschildert, wie das Spiel es schafft, das Innenleben der NPCs in einer kleinen interaktiven combatbox darzustellen. Hab ehrlich gesagt noch nie eine so abstrakte aber dennoch gut funktionierende Repräsentation des Innenlebens eines NPCs in einem Videospiel gesehen. Allein aus diesem Grund ist Undertale für mich das Spiel des Jahres.
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Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von Jochen »

Gone Home ist nicht zuletzt deshalb ein schönes Beispiel, weil es mit den Konventionen des Mediums spielt. Als Spieler erwartet man aufgrund der Prämisse (einsames Haus, Nacht, Gewitter, Bewohner auf mysteriöse Weise verschwunden) eine Sache und bekommt eine völlig andere. Außerdem ist die Interaktivität hier durchaus Teil des Storytellings: Während ich in anderen Spielen ohne viel Federlesens durch fremder Leute Schubladen wühle, fühlt sich das bei Gone Home aufrichtig wie ein Eindringen in die Intimsphäre an. Und genau das ist ja eines der zentralen Motive der Geschichte.
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Joss
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Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von Joss »

Jochen hat geschrieben:
Joss hat geschrieben:Ein Buch, was weitgehend unverbunden mit eventuellen Hauptstories herumliegt und nur einen Seitenblick auf die Erzählung wirft. Ist das Müll?
Möglicherweise ist es Müll, ja. Und möglicherweise ist es großartig. Das hängt maßgeblich vom Talent des Autors und der Qualität der Geschichte(n) ab. Kings "Wizard and Glass" beispielsweise ist der mit weitem Abstand beste Band der Dark Tower-Reihe und erzählt dabei "bloß" Vorgeschichte.
Und für mich wäre es das dann, wenn man mit diesem Buch nichts machen könnte. Könnte ich die Love Story zwischen Clickstar und Minholde nicht nur lesen, sondern z.B. in meinem Lagerfeuer verbrennen und den Wirkungsradius des Feuers oder seinen Erholungswert um soundsoviel Prozent erhöhen, 20% höher als der von King verfassten gut lesbaren Erfolgsnovelle, dann wäre dieses Buch kein Müll, sondern selbst eine Story, die ich wahrscheinlich noch nach Jahren erzählen würde. Will sagen, mein Blickwinkel auf sowohl die Stories wie das Erforschen liegt in solchem unaufdringlichen und unerklärtem Zusammenfügen dessen, was sich findet und bestenfalls sogar noch mit den Erzähllinien sanft bindet. Nehmen wir an, dass ein NSC mir später das Buch wärmstens als erfrischende Lektüre empfiehlt. Ohne jede weitere Erklärung. Also auch mit dem Mut zur Sinnlosigkeit für den, an dem "die Story" vorbeiging. Die Zutat des Spielers wäre relevant und müsste im Rahmen der Produktion auch vorgesehen sein. Ohne Rücksicht auf Verluste bei der Achievement/Erklärbär-Gemeinde.

Und ich sehe da ebenfalls viel Vereinbarkeit zwischen dem, was du über Rollenspiele und Adventures schon gesagt hast. In dem gelinktem Thread erkenne ich doch aber eine Ausrichtung auf Erwartungshaltung und unterhaltsames Routing. Wo ich sagen würde, das ganze System doch am besten einstampfen und noch einmal bei Ultima 7 & Konsorten wieder anfangen. Was bedeuten würde, auch die eigenen Erwartungshaltungen gegenüber dem Unterhaltungswert von Spielen auf den Prüfstand zu stellen.
Dostoyesque hat geschrieben:Das aktuellste Beispiel, das mir diesbezüglich als letztes noch einfällt ist Undertale. Andre hat in einem der Pods bereits geschildert, wie das Spiel es schafft, das Innenleben der NPCs in einer kleinen interaktiven combatbox darzustellen. Hab ehrlich gesagt noch nie eine so abstrakte aber dennoch gut funktionierende Repräsentation des Innenlebens eines NPCs in einem Videospiel gesehen. Allein aus diesem Grund ist Undertale für mich das Spiel des Jahres.
Undertale sehe ich als einen Büchsenöffner für das, was in Spielen möglich wird, wenn man sie schüttelt und von den Füßen mal auf den Kopf stellt. Ich war doch sehr beeindruckt, wie dieses Spiel in seinem so rudimentären Rahmen es schafft, Emotionen zu evozieren.
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Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von Jochen »

Joss hat geschrieben:Und ich sehe da ebenfalls viel Vereinbarkeit zwischen dem, was du über Rollenspiele und Adventures schon gesagt hast. In dem gelinktem Thread erkenne ich doch aber eine Ausrichtung auf Erwartungshaltung und unterhaltsames Routing
An einem unterhaltsamen Routing sehe ich offen gestanden kein Problem. So funktioniert ja schon das von dir genannte Ultima 7: Wenn ich bloß wissen will, wer jetzt zum Henker den Schmied umgebracht hat (und warum), dann kann ich einfach den Brotkrumen von Abraham und Elizabeth folgen und brauche mir um die ganze schöne Welt mit ihren ganzen schönen Geschichten nie auch nur einen einzigen Gedanken zu machen. Die Probleme beginnen doch eigentlich erst dann, wenn das Routing audringlich wird, ein quengelndes ADHS-Kind, das einen dauernd am Ärmel zupft und "ich will jetzt aber Karussellfahren!" plärrt. Die Abneigung gegen diese moderne Pest teile ich uneingeschränkt, aber ich hege die leise Vermutung, dass man bisweilen über das Ziel hinausschießt und jede Form der Spielerführung als verdammenswerte vercasualisierung zurückweist - was mir ebenso fragwürdig erscheint, alleine historisch.
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Joss
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Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von Joss »

Jochen hat geschrieben:
Joss hat geschrieben:aber ich hege die leise Vermutung, dass man bisweilen über das Ziel hinausschießt und jede Form der Spielerführung als verdammenswerte vercasualisierung zurückweist - was mir ebenso fragwürdig erscheint, alleine historisch.
Also "Life is feudal" wäre mir auch zu offen, weil ich den halben Tag nicht damit verbringen wollen würde, ein Holzkästchen zu zimmern. Ich verwendete ja auch Marker wie unaufdringlich, unerklärt, sanft, die durchaus nicht gegen Stränge per se sprechen müssen, aber Routing dagegen von mir als Spielersteuerung auf Rails verstanden wird. Und da würde ich durchaus sagen, dass ich das nicht benötige. Routing wird ja genutzt, um Abläufe zu strukturieren und komponierte Inhalte zu realisieren. Erst Blumen pflücken, dann Prinzessin Ohneende bumsen und als Achievement dem kleinen Prinzen einen Namen geben dürfen. Und ein Spiel, das es mir nicht ermöglicht, die Prinzessin um die Ecke zu bringen, um ihren Keuschheitsgürtel an den Grafen Otto zu verchecken, auf den ich eh viel schärfer bin als auf Prinzessin Ohneende, das schränkt mich um ein vielfaches mehr ein, als mich irgendwelche umständlichen Suchaktionen, um an die Blumen oder den Gürtel zu gelangen, strapazieren könnten. Und mag mir die Wahl zwischen den beiden noch so "unterhaltsam" erzählt werden, ich würde dennoch das Selbsterschaffen von Inhalten präferieren. Dabei anheimgestellt, ob es nun auch noch laufende Plots und Erzählstrukturen drumherum bzw. mittendurch gibt.
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Dostoyesque
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Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von Dostoyesque »

Warren Spector hat eiligst auf diesen thread reagiert und sich für uns interviewen lassen. bevor der thread überhaupt existiert hat. ähem.

http://www.gamespot.com/articles/games- ... 0-6431923/

die "original" artikel:

spector:
http://powerupgaming.co.uk/2015/10/30/d ... me-medium/
naughty dog:
http://powerupgaming.co.uk/2015/11/01/n ... x-creator/
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Joss
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Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von Joss »

As for gamers, he added, they should “vote with their dollars” to ensure designers put their players’ experience ahead of showing off “how clever they are”.
Ich hab mir nur wegen Funcom ein Abo-Los von Aktion Sorgenkind zugelegt. Wenn ich gewinne - über die 5 Euro dieses Jahr hinaus, dafür hab ich mir schon Süßigkeiten gekauft - gehört der Laden mir.
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Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von Dostoyesque »

Ich kann schon verstehen, was Spector meint, aber irgendwie beschränkt er sich primär auf ad hominems gerichtet an Designer, die er vermutlich nicht mal kennt. Hätte die Kritik auf die Materie beschränken und sich die persönlichen Vorwürfe sparen sollen.
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Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von Dostoyesque »

... da fällt mir ein: Gab letztes Jahr in der GDC 2014 einen interessanten Vortrag von Levine zu storytelling in Videospielen:

https://www.youtube.com/watch?v=58FWUkA8y2Q

Die Kunst ist es aber nun Mal, diese "replayability" auch organisch zu machen. Das Ziel sollte eigentlich die Simulation einer Spielwelt sein, womit sich der Wiederspielwert automatisch ergibt *hust* TUN: Choice and Consequence *hust*
Desweiteren klingt das Konzept natürlich etwas "sketchy". Warum Frank the Ork unbedingt erfährt, dass man Quests für Elfen gelöst hat, erschließt sich mir z.B. nicht. Aber Probleme wie diese werden durchaus im anschließenden Q&A angesprochen. Nichtsdestotrotz kann man mit einem ähnlichen System bestimmt etwas machen.
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Leonard Zelig
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Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von Leonard Zelig »

Es ist einfacher ein gutes Episoden-Adventure zu machen als ein gutes Spiel. Siehe Dotnod. Für Remember Me reichlich Schelte kassiert, für Life is Strange werden sie gefeiert. Und die Sam&Max-Adventures von Telltale Games waren auch "nur" gut, während sie mit "The Walking Dead" sogar namhafte GOTY-Auszeichnungen abgesahnt haben.

Mir persönlich gefällt die Mischung bei Dremfall Chapters ziemlich gut, ebenfalls ein stark Story-getriebenes Spiel, das aber verhältnismäßig große Level bietet und das ein oder andere Rätsel einstreut. Wenn mich meine Erinnerung nicht trübt ist es auch das erste Spiel, das den Holocaust thematisiert. Vor so heiklen Themen schrecken Publisher meist zurück, aber bei einem Kickstarter-Projekt gibt es offenbar mehr kreative Freiheiten. Genozide und Rassismus werden auch in anderen Spielen thematisiert, aber nicht die systematische Tötung von Zivilisten in riesigen Lagern, die nur mit einem Ereignis in der Geschichte in Verbindung gebracht werden kann.

Gespannt bin ich auch auf das Adventure 1979 Revolution - The Game. Ein Story-Adventure eines iranischen Entwicklers, der vormals bei Rockstar Games beschäftigt war.
"The whole problem with the world is that fools and fanatics are always so certain of themselves, but wiser people so full of doubts."

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Nachtfischer
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Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von Nachtfischer »

Ich kann mich dem Tenor des eröffnenden und einigen weiteren Posts nur anschließen. Spiele stehen zwar in unserem täglichen Medienkonsum in einer Reihe mit Musik, Filmen, Büchern, YouTube-Videos und all den weiteren "schönen Dingen", die um unsere Aufmerksamkeit ringen - nennen wir sie der Einfachheit halber und völlig wertungsfrei Kunstformen. Sie alle haben jedoch ihre völlig eigenen Vorzüge und können jeweils auf unterschiedliche Weisen unsere Leben bereichern. Der Weg nach vorn für das Medium Spiel liegt nun darin, die einzigartige Natur seiner Produkte als interaktive mechanische Systeme zu akzeptieren und als Stärke zu begreifen.

Spiele funktionieren nicht "so ähnlich" wie andere Medien und müssen dies auch nicht, um "bedeutsam" zu sein. Gameplay an sich trifft keine tiefgründigen Aussagen über Liebe oder Freundschaft. Es muss auch keine dystopische Zukunft zeichnen, um neben anderen Kunstformen zu bestehen. Die Bedeutsamkeit und Schönheit eines Spiels liegt darin, dem Spieler zu ermöglichen, einen Blick auf das Innenleben seines Verstandes zu werfen. Spiele ermöglichen uns die Sichtbarmachung und das Miterleben von Kreativitäts- und Lernprozessen im komplexesten Bauteil unseres Organismus. Bedeutungslos? Eher nicht.
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tobias
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Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von tobias »

Axel hat geschrieben:Ich finde an Computer- und Videospielen die Interaktivität wichtig und kann nicht verstehen, warum solche selbstablaufenden "Spiele" in den letzten Jahren so boomen.
Dazu muss man natürlich sagen das die Interaktivität in sehr vielen Spielen eigentlich ziemlich gering ist, auch außerhalb der von dir aufgezählten Titels und Genres.

Tatsächliche Interaktivität ist nicht so einfach, da diese komplexe Mechanismen oder Algorithmen voraussetzt oder einen guten Netzcode um andere menschliche Spieler in die Spielerfahrung einzubinden. Die Sache ist also kompliziert und mitunter auch teuer.

Dabei ist der Erfolg dann aber keineswegs gewiss. Dagegen haben einfach zugängliche Spiele mit hübscher Optik und guter Vermarktung eine ziemlich gute Chance sich gut abzusetzen.

In Spiele mit wirklich großer Interaktivität sind inhärent komplex und es benötigt viel Zeit zum Einarbeiten. Davon wird heute aber Entwicklern und Publishern stark abgeraten, da dies die potentiellen Kunden ja als langweilig oder frustrierend empfinden könnten.

Hinzu kommt, dass große Interaktivität und viel Wahlmöglichkeit den Menschen oft sogar psychologisch überfordert. Tatsächlich gibt es diverse Studien die deutlich darauf hinweisen, dass Menschen sich deutlich freier fühlen, wenn die Flut an Informationen und Entscheidungen die auf sie zukommen begrenzt sind. Es würde mich nicht überraschen wenn viele Spieler die von dir genannten Spiele gerade als besonders interaktiv im Kopf behalten, da sie eben so klar und deutlich zwischen recht wenigen Optionen wählen konnten.
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tobias
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Re: Filme als Rettung für Computerspiele?

Beitrag von tobias »

Jochen hat geschrieben:Die Probleme beginnen doch eigentlich erst dann, wenn das Routing audringlich wird, ein quengelndes ADHS-Kind, das einen dauernd am Ärmel zupft und "ich will jetzt aber Karussellfahren!" plärrt.
Nur entspricht diese Verhaltensweise einem gewichtigen Teil der heutigen Kinder und wird von allen Ecken durch ein wahres Bombardement an Eindrücken und Fetzen von Inhalt verstärkt. Genau diese Personen sind aber der DAU für diverse Medien, zumal es sich an den Rest auch ganz gut verkauft, wenn es dort abgesetzt werden kann.

Und ehe jetzt jemand meint ich möge keine Kinder: doch und ich arbeite sogar regelmäßig mit ihnen. Aber der Tatbestand lässt sich nun einmal nicht leugnen. Er ist halt das Ergebnis von vermeintlich liberaler Erziehung in Kombination mit potentieller Vernachlässigung und einer Konditionierung die zunehmend Beschleunigung predigt.

Hinzu kommt freilich, dass "früher" digitale Medien oft für Nerds von Nerds produziert wurden. Also einer relativ homogenen, oft in gewisser Art und Weise introvertierten und zugleich überdurchschnittlich gebildeten Gruppe.
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