Habe am Wochenende
Cyberpunk 2077: Phantom Liberty beendet. War schon insgesamt sehr gut und ein tolles Erlebnis, auch wenn mich das Spiel nach wie vor weniger packt, als es eigentlich sollte. Kann auch nicht den Finger genau darauf legen, woran es nun liegt.
(Kurz-)Fazit: Gameplay finde ich so lala, das Gunplay ist schwammig und Klingenwaffen werden schnell zu wildem Gefuchtel, auch wenn es mit entsprechend gelevelten Skills und starken Waffen gegen Ende hin für ein kurzweiliges Geschnetzel sorgt. Und vor allem auf Leicht nervt es nicht.
Das Skillsystem und die Buildmöglichkeiten finde ich hingegen sehr gut. Das spiel bietet so viele Möglichkeiten der Charakterentwicklung und scheint auf den ersten Blick nichts zu bevorzugen oder benachteilen. Mein erster Durchgang kurz nach Release war als Pistolero und man konnte es so hochleveln, dass selbst im Endkampf die Pistole eine valide Option war. Und auch in meinem Katana-Hacking-Chrome Durchgang jetzt hat alles funktioniert. Die Möglichkeiten und Offenheit für eigene Builds ist schon fantastisch.
Die Story war schon ganz okay, wäre aber vermutlich mit wenigen Kniffen mehr drin gewesen. Vor allem die Entscheidungsmöglichkeiten kollidieren für mich immer wieder der starken Inszenierung. Es gibt da immer wieder mal Kontinutiätsprobleme bei den Emotionen und der Stimmung der Story.
Keanu Reeves als Johnny Silverhand mit seiner deutschen Synchonstimme hat mir wieder sehr gefallen. Ich mag die Besetzung und für mich passt es. Hatte sogar paar mal den Eindruck, ohne Keanu Reeves und sein bekanntes Gesicht, würde die Figur für mich wesentlich schlechter funktionieren.
Kenne nun drei der Enden. Das Aldecados Ende wäre in dem Durchgang eigentlich perfekt passend gewesen, aber weil ich es schon so bei meinem ersten Durchgang nach Release gespielt habe, wollte ich dieses mal etwas anderes sehen. Habe dann den Endkampf mit Rogue genommen und mir beide Enden, mit V und Johnny, angeschaut.
Das V-Ende Path to glory hat irgendwie gar nicht gepasst und hat für mich jedwede Entwicklung des Charakters negiert. Es fühlte sich unbefriedigend an. War für mich auch nicht klar, warum ich nicht zu dem Zeitpunkt noch mit den Aldecados wegfahren kann, wenn es doch Panam im letzten Gespräch sogar anbietet. Und dann der verbissene Gesichtsausdruck von V in der letzten Einstellung. Meh.
Das Johnny-Ende empfand ich als besser und stimmungsvoller. Vor allem der Besuch auf dem "Friedhof" war stark mit der leisen Musik im Hintergrund. Und die Hommage mit dem Grab/Erinnerungspunkt für Roy Batty war auch nett. Auch wenn die Geschichte mit Steve eigentlich nicht notwendig wäre, aber vermutlich wollten sie noch zeigen, dass Johnny sich wirklich entwickelt hat und kein selbstbezogener Arsch mehr ist. Dazu das melancholisch-heitere Lächeln bei der Abfahrt. Das hatte schon was nach dieser Reise.
Phantom Liberty ist schön durchinszeniert. Nimmt aber erst gegen Ende hin so richtig fahrt.
Mein Ende war dann auch passend cyberpunkig so richtig schön abgefucked, aber nicht unpassend. Und stellenweise hat es mal sogar emotional funktioniert für mich. Habe mich zuerst für Reed entschieden und nicht für Songbird, sie dann aber zum Schluss auf ihren Wunsch hin sterben lassen. Gerade die letzten Szene mit Songbird in der Cyberspace-Repräsentanz ihrer Wohnung mit der Umarmung und dann die Szene in diesem Rechenkern, wo sie hilflos an den Seilen hängt, wirkte richtig stark. Das war für mich der stärkste und emotional wirkmächtigste Moment im ganzen Spiel.
Und nach diesem emotionalen Moment, kommt nochmal so ein richtig kaltes cyberpunkiges erwachen. Myers und Reed sind angepisst, das Songbird gestorben ist. Reed wird dadurch zum Schreibtischtäter degradiert und gibt V die Schuld an allem was schief gegangen ist und auch daran das Alex tot ist. Die kalten Gespräche mit Myers und Reed am Ende waren nochmal so ein richtig toller Kontrast zum melancholischem Abschluss mit Songbird und am Ende steht V mit leeren Händen da. Das hat in der Kombination noch nachgewirkt, fand ich gut.
Was bei Phantom Liberty nicht funktioniert hat, war die Inszenierung von Reed als eiskalten Agenten.
Jochen und Andre haben da lobend für die Show don't tell Charakterisierung die Szene hervorgehoben, in der die beiden Zwillinge erschossen wurden. Das wäre in einem zeitgenössischem Szenario sicherlich sehr wirkungsvoll. Aber gerade in der Welt von Cyberpunk 2077, wo V selbst und auch alle anderen Fraktionen in der Stadt fast die ganze Zeit so vorgehen, verpufft es. Reed ist da nicht rücksichtsloser als alle anderen in Night City. Aber Idris Elba spielt ihn ansonsten Top, er holt da schon viel raus aus der Rolle was mit der Technik möglich ist, vor allem die innere und nicht eingestandene Zerrissenheit von Reed ist überzeugend dargestellt. Das kommt auch durch solche Kleinigkeiten wie die unentspannte Körperhaltung von Reed im Auto.
Die Technik, die Inszenierung und die verschachtelte, riesige Stadt waren zT atemberaubend. In diesen Punkten gibt es derzeit wenig vergleichbares. Die Stadt als Spielplatz gibt mir zwar nicht viel und ich bevorzuge nachwievor eher offene Landschaften in Open Worlds. Aber als Kulisse waren das Design und die Ausgestaltung des Molochs großartig. Vor allem, wenn man irgendwo aus der Höhe und Ferne über die Stadt schaut und diese Weite sieht und weiß, da überall kann ich hin, das ganze Labyrinth ist erreich- und erkundbar.
Bei der Technik gibt es nur wenig, was mir aufgefallen ist. Selbst bei der höchsten Qualität mit FSR 2.1 wirkte das Bild stellenweise unruhig, wobei das wohl eher an AMD als an CD Project Red liegt. Und einige der Laufanimationen waren schwach. Da gab es paar Momente, wo für mich die Immersion gebrochen wurde, als ich verschiedenen Charakteren einfach nur folgen musste. Das sah hier und da, selbst bei Hauptfiguren wie Reed, etwas clunky aus, wenn es nichts anderes gab, auf das man sich hätte konzentrieren können.
Alles in allem ein ganz gutes Erlebnis, besser als damals zu Release auf der PS4 (
), aber nach wie vor eins, dem bei mir aus welchen Gründen auch immer das letzte Quäntchen für die volle Begeisterung gefehlt hat.
Ich denke inzwischen, das hat mit der Interpretation vom Cyberpunkgenre durch CD Project zu tun. Im Gegensatz zu William Gibsons Neuromancer und Blade Runner fehlt mir die Konsequenz auf der zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Ebene. CP2077 zeigt viele interessante Ansätze und Punkte in seinem Weltenbau, die paar Gedanken Wert sind. Aber es fehlte mir zB die existentielle Verlorenheit und Einsamkeit der Figuren in einem solchen konzernbeherrschten Großstadtmoloch, wie sie Blade Runner zeigt, oder das Abgründige im Zwischenmenschlichen bei William Gibson.
In CP2077 sind alle zentralen Personen die wir im Verlauf des Spiels kennenlernen zwar am Anfang abweisen, kalt und berechnend. Sie sind dann aber alle doch ganz nett, wir müssen sie nur kennenlernen. Als ob CD Project Red Angst hatte, hier jenseits von klaren Antagonisten wie Smasher, der aber kaum in Erscheinung tritt, und Kurt Hansen mal richtige Arschlöcher zu inszenieren. Panam, Judy, Kerry, Rouge, selbst Johny haben alle den mehr oder weniger ähnlichen Verlauf zu sympathischen und verlässlichen Freunden. Dazu noch Leute wie Misty, Viktor usw. Dadurch ist V am Ende in einem eigentlich durch und durch guten sozialen Gefüge aufgehoben. Und das bricht für mich mit Kernideen, die das Cyberpunkgenre für mich so interessant machen als soziale und existenzielle Dystopie.