Handwerk #1 - Backer, Hersteller, Kant

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Blaight
Lord Moderator of the Isles, First of his name
Beiträge: 1554
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Handwerk #1 - Backer, Hersteller, Kant

Beitrag von Blaight »

Sehr interessant Jochen! Dass Crowdfunding kreative Prozesse möglicherweise behindert hab ich mir nie so wirklich bewusst gemacht. Super! Gibt es hier denn Lösungsansätze im Forum?

Keine großartig neue Erkenntnis aber immer wieder gut darzustellen: context matters. Gerade das ist eine Aufgabe der Medien und der Berichterstattung. Das sieht man jetzt auch gerade bei den Nachrichten zu Donald Trump oder auch bei den Vault7 Wikileaks. Informationen ohne angemessene Kontextualisierung können wirklich eine Gefahr darstellen.

Zum Elfenbeinturm:
Eine Computerspielwelt muss immer noch schaffen, dass ich wirklich das Gefühl habe jmd getötet zu haben, damit mich diese ethischen Fragen berühren. Ich habe es noch nie geschafft ein RPF richtig "in character" zu spielen, sondern möchte bloß die Mechanik des Spiels so optimieren, dass ich meinen Spielverlauf möglichst gut im Griff habe.
Weil als böser Jedi mit Kotor die Blitzattacke so unfassbar OP ist, habe ich das Spiel häufig böse gespielt. Damit ich Legion und Tali bei Mass Effect retten kann, musste ich ganz genau meine Entscheidungen abwägen.
Wenn ich für den jungen in Skyrim die fiese Heimmutter töte, dann weil das meine Eintrittskarte zur Bruderschaft ist. Ich habe dort kein Individuum getötet, sondern ein plot device. Ich wende keine Ethik auf diese an, weil die Immersion es bei mir nicht hergibt.
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Ricer
Beiträge: 731
Registriert: 18. Okt 2016, 08:55

Handwerk #1 - Backer, Hersteller, Kant

Beitrag von Ricer »

Jochen hat geschrieben:Ist es moralisch verwerflich, in einem Spiel einen Menschen zu töten, der unmittelbar nichts Böses getan hat?
Die Fragestellung impliziert, dass es moralisch nie verwerflich ist, in einem Spiel einen Menschen zu töten, der Böses getan hat. Was Mr. USK wohl zu dieser indirekt geduldeten Selbstjustiz sagen würde ;)

Du stellst die Frage, warum Kant in Spielen selten referenziert wird. Vielleicht liegt es daran, dass Kant ein Menschenbild hatte, das die Menschen ganz klar aufgeteilt hat. Dem Großteil der Menschen wurde das Menschsein abgesprochen. In den Spielen würde Kants Moral an erster Stelle keine Rolle spielen, sondern nur, wo der Mensch herkommt und welche Hautfarbe er hat. In Kants Werken ist der weiße Europäer der Mensch, der zu Kultur und höchsten Leistungen fähig ist. Warum das für andere Menschen nicht gilt, wird mit, selbst für diese Zeit, abenteuerlichen Thesen begründet. Wenn ich Hochschulschriften aus dem Ausland anschaue, dann wird der Name Kant dort schon wesentlich länger und differenzierter betrachtet. Aber ich bin mir sicher, dass es auch in deutschen Philisophie-Seminaren als Herausforderung angesehen wird, den kategorischen Imperativ in Zusammenhang mit den anthropologischen Texten Kants zu analysieren.

Wie immer - tolle Kolumne!

@Blaight - kann man den Thread-Titel noch in "Handwerk #1 - Backer, Hersteller, Kant" ändern?
Zuletzt geändert von Ricer am 15. Mär 2017, 17:49, insgesamt 1-mal geändert.
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Cupp
Beiträge: 21
Registriert: 15. Jan 2017, 16:45

Re: Neue Kolummne

Beitrag von Cupp »

Blaight hat geschrieben: Zum Elfenbeinturm:
Eine Computerspielwelt muss immer noch schaffen, dass ich wirklich das Gefühl habe jmd getötet zu haben, damit mich diese ethischen Fragen berühren. Ich habe es noch nie geschafft ein RPF richtig "in character" zu spielen, sondern möchte bloß die Mechanik des Spiels so optimieren, dass ich meinen Spielverlauf möglichst gut im Griff habe.
Weil als böser Jedi mit Kotor die Blitzattacke so unfassbar OP ist, habe ich das Spiel häufig böse gespielt. Damit ich Legion und Tali bei Mass Effect retten kann, musste ich ganz genau meine Entscheidungen abwägen.
Wenn ich für den jungen in Skyrim die fiese Heimmutter töte, dann weil das meine Eintrittskarte zur Bruderschaft ist. Ich habe dort kein Individuum getötet, sondern ein plot device. Ich wende keine Ethik auf diese an, weil die Immersion es bei mir nicht hergibt.
Die Probleme kenne ich. Man trifft dann eine oder zwei "böse" Entscheidungen, damit die "bösen" Gefährten einigermaßen zufrieden gestellt sind und man sie nicht verliert, dann handelt man wie vorher. Für mich hat aber Tyranny einen Schritt in die richtige Richtung gemacht, selten habe ich bei Entscheidungen in Computerspielen so viel vorher überlegt und mögliche Konsequenzen bedacht. Denn richtig gut und richtig böse findet man dort eher selten. Darauf ließe sich meiner Meinung nach aufbauen.
Zu Undertale: was Undertale mit Spielständen oder auch Neustarts macht, ist großartig.
Ich hatte das Spiel, wie ein normales Rollenspiel begonnen, bis ich im Laufe des Spiels immer unzufriedener mit meinem Vorgehen wurde und dann mal ausprobieren wollte, wie ich es schaffe, niemanden zu töten.
SpoilerShow
Und plötzlich konfrontiert einen das Spiel mit der Entscheidung des Neustarts. Das war wirklich außergewöhnlich
Wieder eine gelungene Kolumne.
Stefan H.
Beiträge: 50
Registriert: 15. Mär 2017, 20:24

Re: Handwerk #1 - Backer, Hersteller, Kant

Beitrag von Stefan H. »

Ich bin schon länger Premium-Zuhörer, habe jetzt mal die Kolumne als Anlaß genommen mich hier zum Thema Crowdfunding zu äußern.

Und auch wenn ich als Softwareentwickler von dröger, kundenspezifischer Softwaresystemen für Industrieprozesse von kreativen Prozessen nichts verstehe, so bin ich doch der Meinung das ein halbwegs erfahrenes Spieleentwicklerteam die Eckpunkte eines Spiels in der Präzision wie sie für Kickstarter-Stretchgoals benötigt wird, durchaus schon für ihren Kickstarter-Pitch festlegen und auch festzurren kann. Kreative-Prozesse halte ich da für eine Ausrede für schlechte Plannung. Ich weiß nicht wie das Juristen sehen, für mich kommt dabei auch ein expliziter Vertrag (kein stillschweigender wie Jochen meint) zwischen Backer und Entwickler zustande - mit einer klar definierten Liste zu erfüllender Anforderungen. Das Problem ist aber, dass die Backer bei Crowdfunding Kampagnen ins volle Risiko gehen (100% Verlust der Einsatzes) und ihre Rechte als Investor einfach an die Entwickler verschenken. Und so sind sie auch vollkommen hilflos mehr oder weniger absichtlichen Fehleinschätzungen des Aufwandes bei der Projektplanung, überambitionierten Stretchgoals und schlimmstenfalls sogar Betrug ausgesetzt. Dabei ist für mich die Gewinnbeteiligung nicht einmal das Entscheidende, wichtiger wäre vielmehr ein durchsetzungsfähiges Controlling. Anstatt den Entwicklern einfach die ganze Summe zu überweisen und dann für ein fertiges Produkt zu beten, könnte man zum Beispiel die Auszahlung einzelner Tranchen an die Fertigstellung vorher bestimmter Milestones knüpfen. Diese könnten durchaus verpflichtend Teil des Kickstarter-Pitches (z.B. Stretchgoals) sein und die Backer entscheiden dann in einem Community-Vote ob ein bestimmter Milestone erfüllt wurde oder nicht. Streicht ein Entwickler dann ein Stretch-Goal ohne der Community eine passende Alternative oder zumindest eine gute Ausrede anzubieten, wird halt ein Teil des Geldes zurückbehalten und letztendlich an die Backer-Community ausgezahlt.
Letztendlich würde so eine Vorgehensweise natürlich erfordern, dass Backer mit der kühlen Rationalität eines Inverstors an Crowdfunding-Projekte gehen. Aber wie wir zuletzt gehört haben, sind Spiele Wunsch-Maschinen und so ist die Phase des Betens für den Erfolg und des Erträumens des Ergebnisses wahrscheinlich doch der schönste Teil des ganzen Spiels - vor allem schöner als da konkrete Produkt je werden könnte :) .

Zum Thema Kontext bei Nachrichten:
Das ist einfach ein so wichtiges Thema. In der gesamten Pressenlandschaft. Wenn ich zum Beispiel immer wieder höre: Greenpeace hat Uran in Flüssen gefunden! Skandal! Katastrophe! AKWs sind böse!!! Wir sind so gut wie tot!!!
Leider fehlt in den Mengen häufig der Kontext, nämlich wie groß die Konzentration wirklich war, wie groß die natürliche Konzentration in der Gegend ist und vor allem wo die Grenzwerte liegen. Einfach um zu sehen ob den wirklich ein echtes Problem vorliegt oder ein paar Ultraspurenanalytiker nur bewiesen haben wie leistungsfähig ihre Geräte schon sind. Leider bedeutet Kontext schaffen vor allem eins: Recherche. Die ist langwirig und damit teuer und das Ergebnis könnte eine gut-klickende Headline deutlich weniger kontrovers gestalten.
Rince81
Beiträge: 8763
Registriert: 21. Dez 2015, 04:30

Re: Handwerk #1 - Backer, Hersteller, Kant

Beitrag von Rince81 »

Axel hat geschrieben: Was ich sagen will: InXile ist nun keine Firma, die in ihrer Vita bereits ein richtig geiles Rollenspiel verzeichnet und auch keine richtig große Produktionen verantwortet haben. Wie kann es einem dann verwundern, dass das Studio sich bei Planescape übernimmt? Da haben viele nur den Namen Planescape gelesen und nicht was das Studio bisher so gemacht hat.
Es funktioniert auch nicht, es hat schon bei Wasteland 2 nicht funktioniert - das verkauft sich nämlich schlicht nicht sonderlich. Ich bin neugierig und ein Statistikmensch und Steam hat eine Topsellerstatistik. Die wertet nicht verkaufte Einheiten aus, sondern den Umsatz, der erzielt wurde. Da war Torment (natürlich) zu Release kurz auf Platz 1 - da hat jeder Zugeschlagen, der aus welchen Gründen auch immer, nicht gebackt hat aber das Spiel haben wollte.

Jetzt - kurz nach Release steht das Spiel da auf Platz 182! Jeder Titel davor nimmt aktuell mehr ein. Der Entwickler von Binding of Isaac verdient mit seinem 2015 veröffentlichten Titel gerade auf Steam mehr Geld als Inxile mit ihrem wenige Wochen alten Spiel - und dabei muss er mehr als viermal soviele Exemplare verkaufen. Divinity: Original Sin verkauft sich gerade besser, selbst Stellaris als Nischentitel verkauft sich besser - und der ist vor fast einem Jahr erschienen. Das sah damals bei Wasteland 2 nicht anders aus, Inxile ist auf Kickstarter angewiesen, dort verdienen sie ihr Geld - außerhalb der Backerschaft interessiert sich nämlich kaum einer dafür. Daher ist es umso dümmer, es sich mit den Backern zu verscherzen. Das sah bei Pillars von Obsidian übrigens auch nur ein bißchen besser aus. Der einzige der großen Kickstarterrollenspiele, der sich bei Steam lange beständig weit oben in der Liste halten konnte war Divinity: Original Sin - Larian hat mit dem Titel auch nach Release richtig Geld verdient, da sind sie aber ziemlich allein mit dem Erfolg...
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lolaldanee
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Re: Handwerk #1 - Backer, Hersteller, Kant

Beitrag von lolaldanee »

Naja, dass richtige Hardcore Rollenspiele eine kleinere Zielgruppe haben, als actionreichere Spiele, oder das gerade im Vergleich zu PoE doch schon um einiges zugänglichere und auch viel simplere Divinity ist jetzt aber auch keine so große Überraschung
Des weiteren backen unter anderem ja auch gerade Leute solche Spiele die von Steam und seinem DRM Scheiß die Nase voll haben, ich würde stark vermuten dass bei GOG die Zahlen von PoE etc eher überdurchschnittlich stark sind

Zur Kolumne: Toll, einfach wieder toll geworden. Applaus.
Ich bin zwar nach wie vor starker Verfechter des Crowdfunding, weil bis jetzt jedes Spiel das ich gebackt habe ungefähr das geworden ist was ich mir vorgestellt habe, aber die von Jochen geschielderte Problematik hat natürlich was für sich - InXile ist tatsächlich auch der erste Entwickler eines von mir unterstützten Spiels der richtig Scheiße gebaut hat, mit dem Verschweigen der Kürzungen - Nur stören mich persönlich diese Kürzungen nicht so extrem - nur die Nicht Kommunikation ist gar nicht lustig
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bluttrinker13
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Re: Handwerk #1 - Backer, Hersteller, Kant

Beitrag von bluttrinker13 »

Rince81 hat geschrieben: Das sah bei Pillars von Obsidian übrigens auch nur ein bißchen besser aus. Der einzige der großen Kickstarterrollenspiele, der sich bei Steam lange beständig weit oben in der Liste halten konnte war Divinity: Original Sin - Larian hat mit dem Titel auch nach Release richtig Geld verdient, da sind sie aber ziemlich allein mit dem Erfolg...
Hm naja, dass widerspricht ja aber dann etwas der Aussage von Feargus, das sie mit Pillars richtig Geld verdient haben, gerade weil das meiste vom Geld in ihre Taschen wandert. Außerdem haben es, konservativ geschätzt, 900000 Leute auf Steam gekauft. Rechne noch Gog dazu, und du kommst locker über ne Million verkaufter Einheiten, bei einem Spiel das wahrscheinlich zur Hälfte KS gefundet war. Also erfolgreich ist das schon.

Aber natürlich hast du recht damit, dass Divinity ebenfalls sehr erfolgreich war. Es klingt bei dir nur so als ob es das als einziges gewesen wäre, und das glaube ich nicht, selbst Torment wird sein Plus machen, da bin ich mir sicher. :)
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