Seitdem Microsoft Bethesda übernommen hat, befinde ich mich in einem Zustand, den ich beschreiben würde als "Halb-Bockig und halb-Neugierig".
Ich hab ja eh die ganze Zeit damit geliebäugelt, mir zusätzlich zur PS5 auch irgendwann eine XSX zuzulegen und die Bethesda-Akquise, hat mich darin eigentlich nur bestärkt - auf eine eher negative "Ja Mist, dann muss es jetzt wohl sein" Art und Weise.
Wie dem auch sei: Ich stehe dem ganze Thema Gamestreaming ja grundsätzlich eher neugierig/positiv gegenüber. Weil ich Microsoft den totalen Sieg über mein impulsgesteuertes Gamerleben aber nicht gönne (das ist der halb-bockige Teil) und eine Stimme in mir ruft, dass diese Übernahme eher ein Grund ist, gerade NICHT 500€ für neue Hardware auszugeben und so MS nicht auch noch in ihrem Verhalten noch zu bestärken - hier kann man gerne an das Meme vom heulenden Wolfswelpen denken - hab ich mich an ein Experiment gewagt: Ist es eine Option, Starfield, Elder Scrolls 6, das nächste Prey etc zu spielen OHNE eine Xbox und einen PC zu besitzen?
Also hab ich mir einen Razer Kishi bestellt:
Und dazu für einen Euro (Nimm das, Microsoft!) ein Abo für Gamepass Ultimate und hab angefangen, auf meinem Galaxy S20+ (nominell 6,7", allerdings im 18:9 Format, die Spiele werden also links und rechts mit schwarze Balken dargestellt) zu spielen.
Der Razer Kishi
Der Controller selbst funktioniert wie man erkennen kann im Prinzip wie die JoyCons bei der Switch: Das Handy wird links und rechts eingeklemmt und via USB-C verbunden. Auf dem Rücken verläuft ein breites Gummiband, das die beiden Controllerhälften zusammenhält und irgendwo noch ein Käbelchen versteckt haben muss, um die Eingaben vom linken Teil des Controllers an den USB-Anschluss zu übertragen. Das funktioniert alles sehr sauber: Das Gerät wird sofort erkannt, es liegt ausreichend ergonomisch in der Hand, die Tasten und Sticks fühlen sich auch vernünftig an. Hier kann ich wenig klagen. Einen Akku besitzt der Controller nicht, er wird direkt vom Handy versorgt, was ich als recht sinnvoll erachte: So muss ich mir über Ladestand und Akkulebensdauer keine Sorgen machen.
Das Kameramodul des Handys wird hinten nicht berührt und auf der Klemmmechanismus besteht aus einer gummierte Fläche, so dass Display und Rückseite des Handys beim einklemmen keinen Schaden davontragen. (Primärziel war hier vermutlich, durch eine flexible Fassung kompatibel zu möglichst vielen Geräten zu sein). Insgesamt ist die Vorrichtung, die man sich damit baut schon recht steif. Man kann durch dieses Gummi, wenn man es drauf anlegt, die Controller ein wenig nach vorne (Zum Gesicht) weg"kippen", so das Handy und Controller in einem Winkel zueinander stehen. Das passiert aber nicht ausversehen: In der Praxis hat man etwas in der Hand, was vom Spielgefühl her nicht von einem Handheld zu unterscheiden ist. Das sitzt alles fest, nichts klappert, nichts rutscht. (Zumindest mit meinem sehr großen Handy, andere Modelle mögen andere Ergebnisse produzieren)
Razer hatte zudem eine clevere Idee, die sie nur leider auf halbem Wege liegen gelassen haben: Sie führen den USB Anschluss vom Handy nach draußen, so dass man das Handy während des Spielens laden kann. Leider dient der Anschluss nur als Ladebuchse, einen USB-Kopfhörer kann man am Kishi nicht anschließen. Daher ist man auf Bluetooth angewiesen, mit den bekannten Nachteilen: Je nach Codec eine mehr oder weniger starke Latenz bei der Audioausgabe. Das stört in der Praxis aber häufig weniger als man denkt. Besonders auffällig empfand ich es vor allem bei Egoshootern, wo Schussanimation und Waffensound nicht exakt parallel laufen. Spielt man Third-Person, irgendwelche Kampf- und Rennspiele, wo Animationen und Sounds von Haus aus schlechter zuordenbar sind, merkt man davon eigentlich nichts mehr. Wann exakt der Stiefelabsatz von 2B einen Roboter im Gesicht trifft, merke ich beim spielen von NieR:Automata eh nicht.
Insgesamt bin ich mit dem Gerät zufrieden: Abgesehen vom fehlenden Kopfhörerausgang kann man damit sein Handy zum echten Handheld transformieren und es fühlt sich nicht mal wie ein Kompromiss an.
XBox Cloud Gaming
Die entscheidende Frage ist natürlich: Wie gut funktioniert die Xbox Cloud?
Um das Fazit vorwegzunehmen: Überraschend gut, wenn man sich über die Grenzen der Technik im klaren ist. Zu beachten sind hier imho zwei Aspekte: Bildqualität und Eingabe.
Wie gut Cloud Gaming funktioniert, hängt primär vom Spiel hab: Von "Quasi kein Unterschied zum lokalen Spiel" zu "Gut spielbar mit Kompromissen bei der Bildqualität" bis hin zu "Okay, da spiele ich lieber lokal" hab ich alles gesehen. Nachvollziehbarerweise begünstigt Cloud Gaming Spiele, die auf der Eingabeseite tendenziell eher langsam sind/wenig präzise Eingaben erfordern und Spiele, deren Grafikstil auf der Ausgabeseite durch großflächige Elemente geprägt ist (Battletoads, Hollow Knight).
Gut nachvollziehbar ist das etwa bei Fallout 4: Recht früh ist man in Vault 101 unterwegs, das von bläulichen Stahlwänden, einfarbigen Böden, rechten Winkeln und großen Maschinen geprägt ist. Das Bild ist hier echt gut. Ja, es hat durch die Kompression immer noch einen leichten YouTube-Vibe, aber insgesamt kommt das, gerade auf dem kleinen Bildschirm, der Konsolenfassung schon sehr nah. In dem Moment, wo man den Vault verlässt in die freie Natur tritt, ändert sich das Bild allerdings und zwar wortwörtlich: Plötzlich ist die Bild geprägt von Vegetation, von willkürlichen Kanten, Schattierungen und Farbverläufen. Das ist der Moment, an dem der Algorithmus zur Bildkompression an seine Grenzen stößt: All die kleinen Zwischenpixelchen, die nicht tatsächlich übertragen, sondern nur während der Dekompression anhand der sie umgebenden Pixel berechnet werden, spielen plötzlich verrückt: Durch die hohe Dichte an Farbübergängen, etwa bei wiegendem Gras, ist nicht mehr völlig klar, welche Farbe ein Pixel nun haben soll: Gehört es zur grün-grauen Textur des verdorrten Grases und wenn ja, welche exakte Schattierung soll es haben? Gehört es vielleicht zum grauen Felsen hinter dem Busch? Gehört es zur grau-braunen Bodentextur oder gehört es vielleicht zum grau-bewölkten Himmel? Der Algorithmus entscheidet mal so und mal so und dadurch wird das Bild matschig: Der Kontrast sinkt, weil keine scharfen Kanten mehr existieren, die einzelnen Grafikelemente beginnen ineinander zu fließen und es wird echt unansehlich - bis man stehenbleibt. Dann dauert es nur wenige Milisekunden, bis sich das Bild wieder klärt, denn Bildelemente, die sich nicht ändern, werden nicht neu übertragen/berechnet, es kehrt wieder Ruhe ein und die Kanten verschwimmen nicht mehr in der ständigen Lotterie, welche Farbe die Grenzpixel besitzen.
Trotzdem ist Fallout 4 aus reiner Gameplaysicht gut spielbar: Die Egosperspektive ist nach meiner Erfahrung der Extremfall beim Spielestreaming, weil hier extrem präzise Eingaben erforderlich sind. Bei keinem anderen Genre kommt es so sehr auf das einzelne Spiel an, ob es gut spielbar ist oder nicht. In Fallout 4 klappt das anlegen und zielen sehr gut (so man die Gegner denn erkennt), genau wie das Abdrücken. Ich hatte nicht den Eindruck, dass mir mein Spielerfolg durch unerträgliche Latenzen verwehrt werden würde, im Gegenteil: Sämtliche digitalen Eingabeelemente des Controllers sind stets responsiv. Wenn ich abdrücken will, drücke ich ab. Wenn ich springen will, springe ich los.
Kritisch wird es nur immer, wenn es darum geht, die Bildschirmmitte mittels der Analogsticks exakt auszurichten, sprich: In einem Egoshooter zu zielen. Das klappt, wie angekündigt, mal mehr und mal weniger gut. Ich vermute, hier spielt es dem Gamestreaming in die Hände, dass bedingt durch die Konsolen eh ein Autoaim vorhanden ist. Je stärker dieses Autoaim ausgeprägt ist bzw je sanftmütiger sich so ein Shooter spielt, desto besser ist er auch für Streaming geeignet. Neben Fallout 4 lässt sich auch Halo: Reach aus der Masterchief Collection ziemlich gut spielen, Doom Eternal hingegen läuft nicht zufriedenstellend. Das heißt nicht, dass bei Doom Eternal Latenzen auftreten, die verhindern würden, dass man ein offenes Scheuenntor trifft. Wir reden hier immer nur von wenige Bogensekunden, die man über- oder untersteuert, von minimalen Abweichungen. Trotzdem fühlte sich Doom Eternal am ehesten wie ein Kompromiss an, den man nicht eingehen will. Es ist spielbar, aber....
Spätestens, wenn man in die Third-Person wechselt und damit Aspekte wie Zielaufschaltungen eingeführt werden wie etwa bei NieR: Automata, wo die Spiele auch gerne mal mit invincible frames und ähnlichem mogeln, ist auf Steuerungsseite häufig gar kein Problem mehr feststellbar: Da laufen so viele clevere Automatismen und Assistenten im Hintergrund, dass die paar Millisekunden Latenz bei der Steuerung häufig einfach komplett hinweggefegt werden. Richtige Schwierigkeiten hatte ich lediglich bei Forza Horizon 4, allerdings bin ich in Rennspielen auch so gut wie gar nicht geübt: Mag sein, dass mir die Karren auch lokal ausgebrochen wären. Da hatte ich am ehesten das Gefühl, nicht so richtig Herr der Situation zu sein, aber weil das Finden der richtigen Balance aus Beschleunigung, Tempo und Lenken ja gerade der Kniff beim Autorennspiel ist, kann es gut möglich sein, dass ich hier einfach zu schlecht bin. Dafür sah FH4 in seinen besten Momenten wirklich spektakulär aus! Überhaupt hab ich gestern das ein oder andere Mal gestaunt über die Farbwiedergabe, weil das moderne Handydisplay in ziemlichen Kontrast steht zu dem über zehn Jahre alten Fernseher, auf dem ich üblicherweise spiele.
Auffällig war, dass durch die drahtlose Verbindung die Bildqualität nie richtig konstant war. Es gab immer wieder Momente, wo die Auflösung heruntergeregelt wurde, die Kompressionsartefakte zunahmen. Was mich persönlich überrascht hat, ist, dass WLAN hier besser abzuschneiden scheint als 4G. Wenn man sein Handy dazu zwingt, sich mit 5Ghz WLAN zu verbinden, war die Verbindung am stabilsten. 4G hingegen war sehr wechselhaft. Ich hab mich mal spaßeshalber beim Gassi im Wald auf eine Bank gesetzt und zehn Minuten The Messenger gespielt - das ging irgendwie, bedenkt man den Rahmen, ist aber von einem optimalen Spielerlebnis trotzdem noch ein Stück weit entfernt. Und auch auf meiner Couch war 4G nicht gerade herausragend. Was natürlich schade ist: Realistisch betrachtet ist Cloud Gaming im Gamepass für die meisten ein Zusatzfeature, das genutzt wird, wenn man eben gerade
nicht zu Hause ist und kein starkes WLAN zur Verfügung hat. Insofern wäre es ja wünschenswert, dass es gerade mit einer mobilen Datenverbindung gut klappt - aber hier kann Microsoft natürlich nur auf dem aufbauen, was existiert und wenn 4G inhärent instabil ist, ist das eben so. 5G hingegen konnte ich mangels Hardware noch nicht testen, vielleicht bringt das ja tatsächlich den entscheidenden Unterschied, schließlich sind Echtzeitanwendungen meines Wissens eines der Kernfeatures von 5G.
Fazit
Die Kombination aus Kishi, Handy und Gamepass ist überraschend cool. Ich hab vor ein paar Jahren, als das mit dem Gamestreaming anfing ein wenig mit PS Now herumexperimentiert konnte mich aber nie richtig drauf einlassen, weil ich ständig nur damit beschäftigt war zu kontrollieren, ob es nun flüssig läuft oder eine Latenz spürbar ist. Damals war die Technik scheinbar erst an der Grenze des spielbaren und die Reaktionsverzögerungen scheinbar zu störend. Mittlerweile, auch nach einigen Experimenten mit Stadia, habe ich diesen Drang ständig die Reaktionszeiten zu überprüfen allerdings abgelegt: Es funktioniert offensichtlich. Ja, es ist (noch) ein Kompromiss, dieser betrifft aber primär die Stabilität der Verbindung / die Bildqualität. Abgesehen von einigen Spielen, die scheinbar schlicht vom Design her nicht gut zum Streaming geeignet sind (Ein schneller Egoshooter mit vergleichsweise wenig Assistenzsystemen als Paradebeispiel) funktioniert das echt ordentlich. Probleme bei der Bildqualität sind zwar ärgerlich, aber haben einen großen Vorteil: Sie stehen der Idee nicht grundsätzlich im Wege. Bessere Codecs, höhere Übertragungsraten werden dieses Problem in ein paar Jahren beheben. Die Steuerung hingegen und damit der eigentlich kritische Teil der Idee ist - von den erwähnten Ausnahmen abgesehen - bereits jetzt tauglich.
Das zeigt zum einen, dass das grundlegende Konzept funktioniert. Zum anderen wird mit Blick auf herkömmliche Konsolenspiele, die jetzt schon mal mehr oder weniger gut zum Gamestreaming geeignet sind auch klar, was in Zukunft passieren wird: Die Spiele werden sich anpassen. So wie der Shooter sich gewandelt hat, als er vom PC auf die Konsole gewechselt ist, werden Spiele sich grundsätzlich wandeln, wenn sie mit Hinblick auf Streaming designed werden. Dann werden invincible frames halt ein bisschen länger. Dann wird das Zeitfenster zur Parade ein bisschen größer. Dann wird der Aim-Assist ein bisschen cleverer.
Elder Scrolls 6 würde ich mit Streaming noch nicht spielen wollen: Da geht mir bei der erwartbar sehr kleinteiligen, detaillierten Grafik mit der heutigen Technik zu viel optische Pracht verloren. Diese Einschränkung ist im Text ja schon mehrfach angeklungen. Das ändert allerdings nichts an meiner akuten Begeisterung für dieses Setup: Es funktioniert bei sehr vielen Spielen sehr gut. Daher sehe ich mich definitiv, auf diese Art und Weise auch weiterhin zu spielen, wenn der jeweilige Titel sich dafür eignet. In diesem Frühjahr wird die Cloud Gaming Funktionalität des Gamepass, die bislang nur für Android zur Verfügung steht, auch auf iOS und den PC ausgeweitet. Gerade am Computer mit fester Ethernetverbindung dürfte die Stabilität und damit die Bildqualität nochmal zunehmen. Zudem dürfte es zahlreiche traditionelle PC Genres wie 4X Strategie geben, die unter den genannten Bedingungen und Einschränkungen fürs Cloud Gaming ideal geeignet sind und dass das Preis-Leistungsverhältnis des Gamepass unter diesem Aspekt nochmal verbessern.
Ich freu mich jedenfalls schon darauf, Echo Generation am Handy zu spielen - mal gucken, ob Microsoft mir tatsächlich noch eine Konsole verkauft bekommen.