Re: COVID-19 - Anatomie einer Pandemie
Verfasst: 24. Jan 2022, 23:31
Schöner Kommentar heute im ZDF: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ ... r-100.html
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Das Philosophieren ist dir natürlich unbelassen, aber weder das Finanzamt noch irgendein Richter wird sich von der Argumentation beeindrucken lassen.Rigolax hat geschrieben: ↑24. Jan 2022, 20:27Ja. Ich würde niemanden dafür kritisieren, von Steuerzwang statt Steuerpflicht zu sprechen und ich habe philosophisch nichts gegen die Phrase "taxation is theft" einzuwenden. Es entspricht nicht meiner politischen Position, da ich nicht derart libertär bin -- lediglich in kulturellen, nicht wirtschaftlichen Fragen habe ich libertäre Tendenzen. Philosophisch lehne ich solche "language games" allerdings grundsätzlich ab.Santiago Garcia hat geschrieben: ↑24. Jan 2022, 19:10 Ich glaube auch, dass Steuern Raub sind. Und wenn ich sie nicht zahle, komme ich ins Gefängnis, man sollte also statt Steuerpflicht eher von Steuerzwang sprechen.
Es gibt an dieser Sichtweise aber auch sehr harsche Kritik, z.B. auch direkt im Verfassungsblog durch Klaus Gärditz: Grundrechtsdogmatik auf dem Jahrmarkt der Wahrheiten?Rigolax hat geschrieben: ↑24. Jan 2022, 14:09 Es gab die Tage beim Verfassungsblog einen Kommentar von Ute Sacksofsky: https://verfassungsblog.de/allgemeine-i ... s-problem/ "Allgemeine Impfpflicht – ein kleiner Piks, ein großes verfassungsrechtliches Problem".
Aus einer rein persönlichen Sicht würde ich mich über eine allgemeine Impfpflicht sehr freuen, aus (grund-)rechtlicher Perspektive fände ich eine gestaffelte Impfpflicht (insb. Tätigkeits- und Altersspezifisch) ggf. für "ausreichend". Bin jedenfalls sehr gespannt auf die kommenden Diskussionen gerade im Bundestag zu dem Thema. Und dann natürlich anschließend in der juristischen Fachwelt und vor den Gerichten.Letztlich wird von Ute Sacksofsky ein grundrechtsdogmatischer Radikalrelativismus gepredigt, der dann allen Menschen zugesteht, ihre persönlichen Wahrheiten auf Kosten anderer zu pflegen – eine Ellenbogen-Esoterik der Selbst-Empfindsamen. [...] Das Modell demokratischer Egalität wird so verzerrt zum konstruktivistischen Wunderland der tausend individuellen Wahrheiten. Wechselseitige Anerkennung in Gleichheit und Freiheit bedeutet jedoch nicht, radikalrelativistisch jeden Unsinn in Abwägungen auch als gleichwertig zu behandeln, nur weil man ihn als Meinung vertreten darf. [...] Rationale Gründe, einen Grundrechtseingriff nicht dulden zu wollen, haben daher in der Abwägung ein höheres Gewicht als Humbug. Unfug ist nicht einfach nur eine Standpunktfrage.
Wechselseitige Anerkennung in Gleichheit und Freiheit bedeutet jedoch nicht, radikalrelativistisch jeden Unsinn in Abwägungen auch als gleichwertig zu behandeln, nur weil man ihn als Meinung vertreten darf. Geschichtswissenschaft begegnet nicht dem Holocaust-Leugner auf Augenhöhe; Esoterik, Astrologie oder Parapsychologie liefern keine gleichberechtigten Begründungen für Entscheidungen wie ernsthafte Wissenschaft, die ihre Erkenntnisse nicht auf gefühlte Wahrheit, sondern auf Evidenz und ggf. auf intersubjektive experimentelle Überprüfbarkeit stützen kann. Rationale Gründe, einen Grundrechtseingriff nicht dulden zu wollen, haben daher in der Abwägung ein höheres Gewicht als Humbug. Unfug ist nicht einfach nur eine Standpunktfrage.
Ich denke, dass es den perfekten Zeitpunkt, um eine allgemeine Impfpflicht einzuführen, nicht gibt. Man wird immer entweder zu früh oder zu spät sein. Die Frage ist, was ist einem lieber?
Auch wenn ich befürchte, dass eine Antwort auf diese doch recht abstruse Analogie die Diskussion auf ein Seitengleis führt: Egal ob Wehrdienst, Steuern oder Impfpflicht: Ich möchte und habe davon profitiert Teil einer Solidargesellschaft zu sein (z.B. .Sicherheit, Bildung, Infrastruktur, Absicherung gesudheitlicher Risiken) und daraus ergibt sich ein Recht dieser Solidargemeinschaft auch von mir eine Gegenleistung zu fordern, egal ob mir die einzelnen Regeln passen oder nicht. Diesen Pakt mit der Gesellschaft gibt es halt nur als Gesamtpaket.Rigolax hat geschrieben: ↑24. Jan 2022, 17:43 Weil schräge Analogien schön sind: Man stellt sich vor, es herrscht potentiell existenzbedrohender Krieg, das eigene Land ist nach gängiger nationaler Meinung nicht der Aggressor, es herrscht allgemeine Wehrpflicht und es gibt nicht hinreichend Freiwillige/Berufssoldaten. Nun entzieht man sich, obwohl man physisch als wehrdiensttauglich eingestuft wird, der Wehrpflicht mit vorgeschobenen Gewissensbegründungen, hat aber tatsächlich einfach nur (hier sogar berechtigt) Angst vor dem Kriegsdienst. Ist das dann eine moralisch verwerfliche Entscheidung, ein im Kant'schen Sinne Verstoß gegen den kategorischen Imperativ? Offenbar schon. Also kann Kriegsdienst zu leisten moralisch verpflichtend sein. Das wirkt auf uns moderne Gesellschaft aber absurd, denn wieso sollte man mich als autonomes Individuum verpflichten können potentiell zu sterben oder zumindest großes Leid zu erfahren, wenn ich davon nicht persönlich überzeugt bin? Das Argument wäre dann, weil es nicht anders geht, aber ist der Punkt schon erreicht, bei der Impfpflicht? Und ja, der Vergleich hinkt, aber das subjektive Empfinden ist wohl bei einem signifikante Teil (ca. 5%?) nicht unvergleichbar.
Wenn dem wirklich so ist, ist die Antwort vielleicht: Dann wird sie halt nie eingeführt.
Soll die Impfflicht nicht zeitlich befristet werden? Kann mir nicht vorstellen, dass man in der endemischen Phase eine Impfflicht legitimiert bekommt, dann spräche ja auch nichts gegen eine Grippe-Impfpflicht.
Das finde ich eher kompliziert umzusetzen, da die Krankenkassen dann von allen ihren Versicherten den entsprechenden Impfstatus erheben und speichern müssten. Gleichzeitig wäre die Frage, wie lange die Erhöhung gilt: Ab der Einführung so lange, wie es Sars-Cov-2 gibt? Begrenzt auf ein paar Jahre?
Das ist schon richtig. Allerdings haben wir es derzeit nunmal mit der Situation zu tun, dass wir eine real existierende Krise haben, gegen die sich eine bestimmte Menge Mensch aufgrund von irrationalen Sorgen nicht schützen will, obwohl sie könnte. Insofern könnte ein Lösungsansatz tatsächlich darin bestehen, diese Menge Mensch zumindest hinterher zur Verantwortung zu ziehen. Dann müsste der Impfstatus allerdings auch im Falle einer Triage eine Rolle spielen - und das ganze lässt natürlich außen vor, dass auch diese Lösung wieder auf dem Rücken der Pflegekräfte stattfinden würde. Weshalb ich persönlich mittlerweile die radikale Variante bevorzugen würde: Wer sich impfen lassen könnte, aber nicht will, bleibt, wenn Corona wider Erwarten doch existieren sollte, nicht nur eine Grippe sein sollte und das eigne Immunsystem wider Erwarten doch nicht damit klarkommen sollte, auch schön brav im eignen Bett - und guckt halt, wie es nach paar Wochen so aussieht. Aber klar, diese Variante wird nie passieren.Santiago Garcia hat geschrieben: ↑25. Jan 2022, 12:24 Mir ist ja viel eher daran gelegen, dass weniger Leute stark erkranken. Und nicht so viel daran, die Erkrankten nachträglich zu bestrafen.
Ach so, ging es wirklich darum, dass potentiell jemand sich der Steuerzahlpflicht entziehen könnte, weil er das Zahlen von Steuern für Zwang hält und Nicht-Zahlen mit Strafe bedroht ist? Na ja, da sehe ich noch erhebliche Unterschiede.Santiago Garcia hat geschrieben: ↑25. Jan 2022, 07:03 Das Philosophieren ist dir natürlich unbelassen, aber weder das Finanzamt noch irgendein Richter wird sich von der Argumentation beeindrucken lassen.
Und das ist auch gut so - wollten wir allen Ernstes subjektives Empfinden zum Maßstab machen, müssten wir auch Reichsbürger ernst nehmen.
Den Artikel sah ich nach meinen Postings, erschien iirc etwas danach, hätte ich for the sake of it ggf. noch selbst gepostet, dachte ich mir (wirklich) gestern; hätte ich vor allem gepostet, um mich über meines Erachtens einige Ergüsse dort auszulassen. Etwa:HerrReineke hat geschrieben: ↑25. Jan 2022, 08:39 Es gibt an dieser Sichtweise aber auch sehr harsche Kritik, z.B. auch direkt im Verfassungsblog durch Klaus Gärditz: Grundrechtsdogmatik auf dem Jahrmarkt der Wahrheiten?
Soll sich "Pakt" hier auf den sogenannten Gesellschaftsvertrag bzw. die sog. Vertragstheorie beziehen? https://de.wikipedia.org/wiki/Vertragstheorie Das Thema sprach ich schon mal, länger her, an, zweiter Absatz: viewtopic.php?f=5&t=5651&p=192068&hilit ... ag#p192068 "ein interessantes Konzept [...], weil man einen solchen 'Vertrag' bei seiner Geburt nicht unterschreibt und auch nicht zustimmen könnte, wenn man wollte, man sich auch nicht aussuchen kann, welchen Vertrag man aufgelegt bekommt, auswandern (und damit einen neuen Vertrag aussuchen) faktisch ein Privileg weniger ist (noch mehr während einer Pandemie)". -- Ich wäre dann ja weder der erste oder letzte, der Kritik an der sog. Vertragstheorie äußert. Die findet man auch schon bei David Hume etwa.GoodLord hat geschrieben: ↑25. Jan 2022, 10:31Auch wenn ich befürchte, dass eine Antwort auf diese doch recht abstruse Analogie die Diskussion auf ein Seitengleis führt: Egal ob Wehrdienst, Steuern oder Impfpflicht: Ich möchte und habe davon profitiert Teil einer Solidargesellschaft zu sein (z.B. .Sicherheit, Bildung, Infrastruktur, Absicherung gesudheitlicher Risiken) und daraus ergibt sich ein Recht dieser Solidargemeinschaft auch von mir eine Gegenleistung zu fordern, egal ob mir die einzelnen Regeln passen oder nicht. Diesen Pakt mit der Gesellschaft gibt es halt nur als Gesamtpaket.
(...)
Wird auch nicht passieren, ist nämlich (faktisch) sozialdarwinistisch, aus folgenden Gründen:Felidae hat geschrieben: ↑25. Jan 2022, 12:39 Weshalb ich persönlich mittlerweile die radikale Variante bevorzugen würde: Wer sich impfen lassen könnte, aber nicht will, bleibt, wenn Corona wider Erwarten doch existieren sollte, nicht nur eine Grippe sein sollte und das eigne Immunsystem wider Erwarten doch nicht damit klarkommen sollte, auch schön brav im eignen Bett - und guckt halt, wie es nach paar Wochen so aussieht. Aber klar, diese Variante wird nie passieren.
+1 !!!
Wir haben in diesem Land auch eine Gurtpflicht. Ein Verstoß dagegen kostet 30€. Da habe ich solch ein - in meinen Augen im Endergebnis völlig absurdes - Argument noch nie gehört.
Davon bin ich bisher zumindest ausgegangen. der Zuschlag wäre natürlich genauso befristet (wir zahlen ja bereits jetzt einen Zuschlag zur Pflegeversicherung - aber halt alle)Textsortenlinguistik hat geschrieben: ↑25. Jan 2022, 11:56Soll die Impfflicht nicht zeitlich befristet werden? Kann mir nicht vorstellen, dass man in der endemischen Phase eine Impfflicht legitimiert bekommt, dann spräche ja auch nichts gegen eine Grippe-Impfpflicht.