Mir hat diese Folge hervorragend gefallen. Rock'n'Roll indeed.
In meiner Vorstellung ist dies ziemlich nahe am Idealtyp der Sonntagsfolge: Sie ist überaus unterhaltsam, ein bisschen "edgy"
, gefüllt mit einer Vielzahl von interessanten Themen, welche einerseits wunderbar plakativ besprochen werden, auf die allerdings ebenfalls aus mir bislang nicht so präsenten Perspektiven Blicke geworfen werden. Durch die Erfüllung aller dieser Aspekte regt diese Folge sehr zum Nachdenken an.
Die bisherige Diskussion in diesem Thread sagt mir allerdings weniger zu (ich halte die zwanghaft anmutenden Unterstellungen und Missinterpretationen von Aussagen aus dem Podcast für ebenso ungebührlich wie das Verschließen der eigenen Augen vor der Problematik in der Verwendung bestimmter Begriffe).
Daher möchte ich nun auch inhaltlich etwas beitragen. Verzeiht mir die Vermischung von Visual Novels und der japanischen Medienkultur im Allgemeinen, aber in meiner Wahrnehmung ist beides in der Tat sehr eng verschmolzen, auch wenn im Detail natürlich vielgestaltige Unterschiede bestehen. Aber das ist nunmal der Vorurteile-Thread.
Eurojank, Visual Novels und japanische Medien allgemein funktionieren bei mir generell auf ähnlichen Ebenen. Die Kreativität und Vielfältigkeit in Settings, Charakteren und Spielmechaniken finde ich stets erfrischend. Zumindest gilt das für meine Perspektive in der "westlich-nordamerikanisch" vorgeprägten Medienlandschaft - ich würde mal die Vermutung in den Raum stellen, dass z.B. "die Japaner selbst" vom x-ten generischen Junger-Animeboy-rettet-die-Welt-JRPG-Setting genauso genervt sein könnten wie ich vom drölfzigsten Militärshooter mit "Hurra, Amerika"-Thematik. Fakt ist meiner Wahrnehmung aber tatsächlich, dass japanische Medien mit einfacheren Mitteln abgedrehtere und damit potentiell spannendere Settings und Charaktere zeigen können - in einem Anime ist das nicht nur akzeptierter als bei Echtbild-Serien oder -Filmen, sondern schlicht auch einfacher möglich. Ob ich nun das reale Tokyo zeichne oder eines mit riesigen Tentakeln als Häusern - der Zusatzaufwand für letzteres hält sich in Grenzen. Auf Spiele bezogen: Visual Novels haben einen deutlich geringeren Darstellungs- und Animationsaufwand als klassische westliche "Walking Simulatoren".
Es ist natürlich zu erwähnen, dass die positive Bewertung dieser "Abgedrehtheit" eine rein subjektive ist, wer da eher auf Bodenständigkeit setzt, wird vermutlich mit der japanischen Kultur generell nicht so viel anfangen können. Vielleicht ist bei diesen Menschen Eurojank das Mittel der Wahl. Das bietet nämlich ebenso spannende Settings, aber IMO meist mit deutlich bodenständigeren Charakteren und Thematiken. Die S.T.A.L.K.E.R.-Reihe hat aus meiner Sicht zum Beispiel eines der coolsten Settings überhaupt.
(Vielleicht lässt sich letztlich prägnant zusammenfassen: Ich finde beinahe alles, was vom klassischen nordamerikanischen Hochglanz-Bombast abweicht, als erfrischend anders.
)
Ebenso häufig, wie mir die Settings und Charaktere zusagen, scheitere ich dann aber an der tatsächlichen Umsetzung. Ich empfinde meist keine große Freude daran, Visual Novels alleine für mich zu spielen. Da lese ich tatsächlich lieber ein Buch. Bei Eurojank ist die genredefinierende Ungeschliffenheit meist ein Grund für großen Frust. Bei Shadow of Chernobyl etwa habe ich an mehreren Stellen im Spiel schlicht gekotzt, als ich auf die Ecken und Kanten des Gamedesigns traf. Und bislang habe ich mich noch nicht dazu aufrufen können, Clear Sky oder Call of Pripyat anzufassen, weil ich an einer Sequenz im Reaktor zum Ende von Shadow of Chernobyl verzweifelt bin - ich will gar nicht wissen, wie viele Versuche ich gebraucht habe.
Für mich gilt in diesen Kategorien häufig: Meine eigene Fiktion ist besser als die tatsächliche Realität des Spiels.
Meine Lösung in diesem Fall: Tatsächlich Let's Plays. Speziell Visual Novels verlieren dadurch meiner Wahrnehmung nach wenig bis gar nichts, gewinnen aber in dem Maße, in dem mich die Spielenden zusätzlich unterhalten. Zum Beispiel habe ich Phoenix Wright: Ace Attorney in einem mit großem Aufwand produzierten Let's Play gesehen, in welchen die beiden Spieler alle Charaktere liebenswürdig vertont haben. Mir hat das Spiel zwar auch ohne diesen zusätzlichen Faktor dann sehr gut gefallen, weil ich es für ziemlich gut geschrieben halte, aber die zusätzliche Ebene mit der Vertonung und den Reaktionen der Spieler auf die Ereignisse das Spiels hat mir sehr viel gegeben. (Abgesehen davon hätte ich von der Qualität von Phoenix Wright nie etwas mitbekommen, wenn die Let's Player meines Vertrauens mir dieses Spiel nicht angeboten hätten.) Das ist für die Visual Novels sicher Fluch und Segen zugleich, da mir natürlich der Anreiz fehlt, das Spiel selbst zu kaufen, aber auf der anderen Seite ist dies mein einziger richtiger Zugang zum Genre. Für den klassischen Eurojank-Shooter gilt das weniger, da habe ich irgendwie immer noch den Anspruch, das selbst zu spielen. Aber da können Let's Plays oder Walkthroughs zumindest über die größten Difficulty Spikes hinweg helfen.
Das gilt für mich übrigens fast übergreifend für die japanische Kultur in den Unterhaltungsmedien generell. Manga, Anime, JRPGs - es
klingt alles so cool, was diese machen, aber wenn ich dann mal wieder versuche, einen klassischen Anime zu schauen, stoße ich mich doch immer wieder an den für mich ungewohnten Koventionen. Ich bewege mich da in einem seltsamen Limbo.
[In eine ganz ähnliche Richtung geht da übrigens mein Eindruck zum ersten NieR von 2010, wozu ich gestern ja im Ankündigungs-Thread bezüglich des Remakes etwas ausführlicher geworden bin (wen es interessiert:
KLICK). Interessant hierbei: In einem zweiten Anlauf, als ich also wusste, worauf ich mich konkret einlasse, mochte ich das Spiel deutlich mehr.]
Die bereits erwähnten "Walking Simulatoren", die ich gerne als Narrative Games bezeichne, finde ich im Zusammenhang mit Visual Novels auch sehr spannend. Für diese habe ich ein ziemlichen Faible. Zu meinen Favoriten gehören etwa Firewatch oder Gone Home, Life is Strange ist sogar eines meiner absoluten Lieblingsspiele geworden. Und soo unterschiedlich wie Visual Novels funktionieren die ja nun nicht, wenn man sie auf ihre wesentlichen Bestandteile herunterbricht. Spielerische Mechaniken sind häufig eher rudimentär (LiS ist natürlich noch zum guten Teil Adventure, aber Gone Home? Oder SOMA im Safemodus?)
Interessant ist aber, dass ich diese Walking Simulatoren im Unterschied zu Visual Novels alle gerne selber spielen möchte. Der unterscheidende Faktor sind da im wesentlichen die Schauwerte - also die aufwändigere Darstellung. Ein wichtiger Faktor dabei ist meinem Empfinden nach, wenn ich die Kamera selbst steuern kann, da man sich hiermit stets ein einzigartiges Spielerlebnis qausi selbst basteln kann. Hier haben die auch bereits erwähnten häufig niedrigeren Produktionswerte bei mir also durchaus einen großen Effekt.
Zum Schluss muss ich mich nochmal outen:
Speziell bei den Visual Novels unterliege ich übrigens den im Podcast angesprochenen Vorurteilen gegenüber den Spielern von solchen Titeln trotz allem auch selbst - obwohl ich natürlich ebenso wie die Podcaster weiß, dass sie in der Pauschalität niemals der Wahrheit entsprechen. Selbst im Rahmen von The Pod hat Nina Kiel ja schon an mehreren Stellen gezeigt, was man aus diesem Genre alles spannendes rausholen kann. Allerdings ist mein ehrlicher Eindruck, dass die japanischen Medien an diesem negativen Eindruck auch ein bisschen "selbst Schuld" sind, einfach weil der Anteil an Erotikspielen/-serien und Beinahe-Pornos überproportional hoch scheint. Gegen die Existenz und auch den Konsum dieser Art von Medien ist ja an sich überhaupt nichts einzuwenden, solange alles im moralischen Rahmen bleibt, aber sie sind einfach so omnipräsent. Wenn ich ab und an mal auf Crunchyroll nach einem Anime mit spannendem Setting suche, auf den ich hingewiesen wurde, stoße ich stets unweigerlich darauf, auch wenn ich das vielleicht gar nicht möchte. Und auch neben diesen explizit darauf ausgerichteten Titeln ist der Anteil an übersexualisierten Darstellungen in eigentlich "normalen Werken" in japanischen Medien für meinen Geschmack einfach zu hoch. Ob westliche Medien da tatsächlich "besser" sind, oder ob ich mich lediglich mehr daran gewöhnt habe und dies besser ausblenden kann, lasse ich mal dahingestellt.
PS: Ich hoffe sehr, es wird irgendwann eine zweite Folge zu dem Thema Vorurteile geben, denn es gibt sicherlich noch viele Aspekte, die hier nicht angesprochen wurden. Vor allem auf Jochens Perspektive wäre ich gespannt.