Hallo zusammen, ich hole den Thread hier noch einmal hervor, da ich auf einen Diskussionspunkt eingehen möchte.
Ich habe die Folge heute angehört. Mein erster Eindruck war dabei ein sehr positiver, allerdings kamen dann hier im Thread einige Aspekte zur Sprache, die in Retrospektive IMO auch im Podcast hätten erwähnt werden müssen. Dazu zählt zum Beispiel die von @bluttrinker13 verlinkte Studie. Auch wenn ich den Autoren in ihrer Schlussfolgerung tatsächlich nicht zustimme, ist es das Wissen darüber, dass es Studien gibt, die Trigger Warnings eine nicht vorhandene Wirksamkeit bescheinigen, für die Diskussion um Triggerwarnungen für von psychischen Krankheiten betroffenen Menschen essentiell. Als Psychologie-Laie hatte ich nach dem Cast den Eindruck, dass in der Fachwelt Einigkeit über positive Auswirkungen der Warnungen herrschen würde, aber das ist ja offensicht nicht korrekt.
Auch die von @Ines erwähnte Betrachtungsweise, dass sich von psychischen Krankheiten Betroffene durch Trigger Warnings ausgegrenzt und schlicht anormal fühlen können, finde ich sehr wertvoll. Auf diesen Gedanken bin selbst nicht gekommen.
Meiner Meinung nach sollten Triggerwarnungen zwei Funktionen erfüllen:
1.) Sie sollten betroffene Personengruppen vor der Auslösung von schwerwiegenden psychischen Problemen schützen (ein Effekt, der mir als Laie naheliegend erschien, aber an dem es ja offenbar wissenschaftliche Zweifel gibt)
2.) Sie sollten zu einer Inklusion von diesen Personengruppen in die Gesellschaft führen. Damit ich als Betroffener auf die Frage "Hey, hast du schon Hype-Spiel XY gespielt?" nicht antworten muss: "Nein, ich kann mich nicht über die im Spiel enthaltenen möglichen Trigger informieren, deswegen kann ich es nicht spielen".
Und an dieser Stelle möchte ich auch ansetzen, denn aus dieser Perspektive finde ich das Argument, dann solle man sich als Betroffener einfach im Internet informieren, ziemlich problematisch (z.B. hier:)
bluttrinker13 hat geschrieben: ↑8. Jan 2021, 13:29
VikingBK1981 hat geschrieben: ↑8. Jan 2021, 12:21
Es ist doch eigentlich auch eher normal, dass man sich vorher mal etwas schlau machen sollte was man konsumiert, wenn man weiß das man auf bestimmte Inhalte wie auch immer reagiert.
Sehe ich auch so. Ist mE auch ein potentielles Gegenargument gegen die oft, auch im podcast, beschworene Autonomiesicherung durch trigger warnings, also quasi dieses "Empowerment", welches ebenso zu wenig in seinem Für und Wider analysiert wurde. Denn, so könnte man argumentieren, implizit wird ja davon ausgegangen, dass es dem Kunden/Zuschauer sonst nicht möglich ist, sich selbst über die Inhalte zu informieren, also Eigenverantwortung walten zu lassen. Medienkompetenz halt. Deshalb braucht es warnings, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden. Man nimmt den Kunden halt ein Stück weit als unverantwortlich oder uninformiert wahr.
Fand ich besonders bei dem Beispiel mit Sea of Solitude so evident, der Name des Spiels deutet doch schon auf Depression hin (Solitude -> Einsamkeit), insofern wirkt in dem Fall ein zusätzliches trigger warning schon sehr seltsam, kein Wunder das die lead überrascht bei der Frage war.
Wo ich es nach wie vor sinnvoll finde, ist eben bei Zuschauern deren Eigenverantwortung eingeschränkt ist, bspw. Kinder. Beispiel: Happy Tree Friends, süße Tiere, die sich blutlüstern abschlachten. Da ist eine Warnung schon angebracht, sollte das frei verfügbar sein.
(Das Beispiel hinkt aber ebenfalls bereits, denn Happy Tree Friends hat ja eben bereits eine Alterseinstufung und läuft nicht auf dem KiKa)
IMO sollten derartige Informationen eben nicht ausschließlich bei externen Quellen verfügbar sein, sondern ganz prominent, in der Mitte der Gesellschaft. Also wie im Cast diskutiert, entweder in den Spieloptionen oder auf der entsprechenden Seite im Steamstore inkludiert. Mit welchem Argument lässt es sich prinzipiell rechtfertigen, Betroffenen einen zusätzlichen Aufwand aufzubürden?
Und selbst wenn: Als Mindeststandard würde ich dann fordern, dass derartige Angebote wie Informationsplattformen im Netz institutionell und professionell bereitgestellt werden müssen. Also nicht durch Hobbyprojekte der Community, sondern z.B. durch Branchenverbände wie den GAME. Mit der Selbstverpflichtung, zu einem gewissen Anteil der veröffentlichten Spiele Triggerwarnungen anzubieten (z.B. für alle Spiele von Spielentwicklern mit mehr als X Mitarbeitenden oder der Summe Y an Budget). Diese können, dürfen und sollen die Community dann gerne einbinden, aber so wäre dann auch die dauerhafte, seriöse und professionelle Zugänglichkeit der Informationen gewährleistet.
Nur nochmal zur Klarstellung: Mir geht es hier um das spezifische Argument, die Betroffenen sollten sich die für sie relevanten Infos dann von externen Quellen hinzuziehen. Das steht unter der Prämisse, dass Triggerwarnungen einen positiven Effekt hätten.
An der Stelle mal eine
Analogie aus meiner eigenen Erfahrung, mit der ich auf keinen Fall mein "Leiden" mit dem von psychischen Erkrankungen betroffenen Menschen auch nur ansatzweise gleichstellen möchte. Es geht mir lediglich um die Illustration meines Punkts:
In meiner Jugend hatte ich eine Laktoseintoleranz, litt bei Konsum von Milchzucker also unter Magen-Darm-Beschwerden. Natürlich war es - nachdem die Diagnose gestellt und bestätigt wurde - dann eine ziemlich leichte Gegenmaßnahme, in meiner Ernährung auf Milch, Käse etc. zu verzichten. Das wäre dann die Analogie zu "Ich bin traumatisiert aus dem Vietnamkrieg zurückgekommen, natürlich spiele ich dann kein Call of Duty".
Jetzt war es allerdings ein Problem, dass Lactose auch bei Produkten enthalten ist/war, bei denen das überhaupt nicht zu erwarten ist. Etwa als Süßungsmittel. Und leider war es zu dem Zeitpunkt, als ich eine Laktoseintoleranz hatte, noch lange nicht so üblich wie heute, groß "LACTOSEFREI" auf die Verpackungen zu schreiben. Im Endeffekt bedeutete dies, dass ich bei jedem neuen Produkt, das ich kaufen wollte, erstmal einen ausführlichen Blick auf die Inhaltsstoffe werfen musste. Es hätte mein Leben deutlich vereinfacht, wenn laktosefreie Produkte schon damals eindeutig auf den ersten Blick als solche zu erkennen gewesen wären. Das ist dann die Analogie zu: Life is Strange warnt davor, dass in Epsiode 2 das Thema Suizid behandelt wird und ich muss nicht erst in der Zutatenliste recherchieren - oder gar vor dem Kauf eine externe Internetseite aufrufen. Erneut: Unter der Prämisse, dass Triggerwarnungen einen positiven Effekt haben. Es geht mir um Teilhabe und Inklusion, um Normalisierung. Es gibt auch dann immer noch einen Platz für solche Communityangebote, aber es sollte IMO eben auch eine offizielle Anlaufstelle geben.
Ich bin daher für die Menschen, die unter Lebensmittelunverträglichkeiten leiden, sehr froh, dass es heute üblich ist, so etwas dick auf die Verpackung zu drucken. Und daher bin ich übrigens auch einer der wenigen, der kein Problem damit hat, wenn das dann auch mal sinnlosere Auswüchse annimmt (diese Salzstangen sind lactosefrei!
).