Voigt hat geschrieben: ↑20. Mär 2021, 17:41
Diebstahl von Kulturgütern, als auch Sklaverei und Menschen in Zoos austellen ist aber halt was ziemlich anderes als was unter "Culture Appropriation" verstanden wird.
Darum geht es bei dem Punkt nicht, sondern darum, dass manche vergessen, dass es einen Unterschied macht, ob Weiße z.B. ihre Haut künstlich dunkler machen und Dreadlocks tragen
oder ob beispielsweise jemand aus den Niederlanden oder aus Singapur Country Music macht. Mir ging es um den Kontext. Man darf eben nicht vergessen, dass Weiße in der Geschichte der Menschheit immer wieder ein hegemoniales Verhältnis zu Schwarzen Menschen bzw. People of Color herstellen und betonen wollten. Und wenn man sich Aspekte einer Kultur (teils auf sinnentfremdende Weise) aneignet und für die eigenen Zwecke nutzt oder sich sogar als Angehörige*r einer Bevölkerungsgruppe ausgibt, indem man seine Haut ab und zu ansprühen lässt, dann muss klar sein, dass man da eine Grenze überschreitet.
Terranigma hat geschrieben: ↑20. Mär 2021, 17:48
Felidae hat geschrieben: ↑20. Mär 2021, 16:11Und abschließend noch ein Absatz zu Aussagen wie "Die Aufregung ist Quatsch, denn wer entscheidet denn, was respektlos ist?" [...] Die Antwort: Ganz sicher
nicht die Person, die ein Verhalten an den Tag legt, welches einen oder viele Menschen verletzt. Man muss sich klar machen, dass etwas nicht erst dann gilt, wenn man es selbst 100 %ig nachfühlen kann.
Letzteres scheint mir der Kern der Frage zu sein, eben weil's ja nicht immerzu ausgemacht ist, ob ein Verhalten die Betroffenen tatsächlich verletzt. Der Hinweis gilt für mein Verständnis insofern in beide Richtungen: in die Richtung derjenigen, die nur als verletzend empfinden, was ihnen selbst als verletztend erscheint. Ebenso auch in die Richtung derjenigen, die wohlwollend im Namen einer (Sozial-)Gruppe sprechen gemäß der Annahme, dass ein Verhalten verletztend sei. Sie dies aber ehrlicherweise nicht wissen.
[...]
Die Annahme im US-Diskurs war offenbar, dass es unangemessen sei und man hat auf der Grundlage diskutiert, dass diese Annahme wahr sei. Man hat diese Annahme allerdings nicht überprüft, indem man sich ein Stimmungsbild einholte. Nun könne man mit "Better safe than sorry" argumentieren, dass es behutsamer ist prinzipiell davon auszugehen, dass man jemanden auf die Füße tritt. Ich würde mir aber auch etwas mehr Gelassenheit - lies: nicht Rücksichtslosigkeit - wünschen, sodass man ggf. erst einmal abklärt, ob ein Verhalten
wirklich als problematisch wahrgenommen wird, ehe man davon ausgeht, dass dem so sei. Dieser Diskurs scheint mir aus beiden Richtungen typischerweise im Namen von Betroffenen geführt zu werden, während Betroffene selbst nicht gefragt werden oder ihre Meinung selbst artikulieren können.
Ich halte den Einwand letztlich nicht für zielführend, weil eben immer wieder
sehr deutlich wird, dass Betroffene auf Missstände hinweisen und sich bei Debatten zu Wort melden. Der von mir verlinkte Artikel zum Thema der kulturellen Aneignung und des "Blackfishings" stammt z.B. von der afrodeutschen Autorin Fabienne Sand. Das genannte Werk
Afrokultur stammt von Natasha A. Kelly, ebenfalls eine afrodeutsche Autorin. Zu nennen wäre hier z.B. auch Tupoka Ogette, afrodeutsche Autorin und Trainerin im Bereich Anti-Rassismus. Zwei Schlüsselwerke der postkolonialen Theorie sind
The West and the Rest von Stuart Hall und
Orientalism von Edward W. Said - Hall ist jamaikanischer und Said palästinensischer Herkunft. Ich empfehle, sich mit den Ansätzen und Ansichten nicht-weißer AutorInnen zu befassen, um zu begreifen um was es geht. Dann versteht man, dass man nicht erst Umfragen starten muss, um abzuklären was okay ist und was nicht - wie im Thread ja dargelegt worden ist, kommt man bei denen ja offenbar auch zu unterschiedlichen Ergebnissen. Es wäre ein wichtiger Schritt einfach mal mit einem sensibilisierten Bewusstsein mit bestimmten Themen umzugehen. Es ist eben
kein Einzelfall, dass so etwas wie Blackfishing Menschen verletzt.
Terranigma hat geschrieben: ↑20. Mär 2021, 17:48Ich würde daher bei der Verwendung von Gruppenbegriffen aufpassen, um Menschen nicht darauf zu reduzieren, nur Mitglied einer (Sozial-)Gruppe zu sein und ihnen darüber eine homogene Meinungsbildung zu unterstellen. Bei derartig großen Begriffen wie "die Weißen", "die People of Colour", u.Ä. wäre ich sehr behutsam. Weil dies nur jeweils
ein Merkmal ist, wir als Individuen aber vielfältige Identitäten besitzen und zeitgleich Angehöriger verschiedener (Sozial-)Gruppen sind. Ein Individuum auf seine Gruppenzugehörigkeit zu reduzieren wäre ebenfalls nicht respektvoll. Bewusst überzeichnetes Beispiel: "Der ist ja ein <Minorität hier einfügen> und deshalb verzichte ich darauf <Verhalten> zu tun. Weil die empfinden das ja alle als verletzend." Das hat auch ein Geschmäckle, selbst wenn es gut gemeint ist.
Natürlich ist jeder Mensch Teil verschiedener Gruppen und ich habe nichts Gegenteiliges behauptet. Gruppen sind nicht hermetisch voneinander abgetrennt. Ich glaube, dass ich das auch schon alleine dadurch deutlich gemacht habe, als ich schrieb, dass ich weiblich und weiß bin. Der Begriff "Gruppe" hat sich durchgesetzt, wenn es darum geht eine unbestimmte Anzahl von Menschen, die ein oder mehrere Merkmal/e (Geschlecht, Herkunft, Alter etc.) teilen, benennen zu können - und das ist erforderlich, um eben überhaupt auf Diskriminierung aufmerksam machen zu können. Eigentlich logisch. Dadurch wird keinesfalls ein homogenes Meinungsbild unterstellt - als Beispiel aus einem anderen Bereich:
Auch wenn ich Sexismus gegenüber Frauen am eigenen Leib erfahren habe und ihn verurteile, weiß ich gleichzeitig auch, dass es Frauen gibt, die konservative Rollenbilder gut finden und keine "Emanze" sein wollen. Ändert nix daran, dass es scheiße ist, wenn jemand (in dem Fall ein Mann) davon ausgeht, dass es absolut normal sei, dass er arbeiten geht und ich automatisch zuhause bei den Kindern bleibe. Da spielt es keine Rolle, wie viele Frauen sagen "ich find's aber unproblematisch, wenn nur der Mann arbeiten geht".