Ich muss aus aktuellem Anlass nochmal auf das Thema Zweiter Weltkrieg zu sprechen kommen, dass ja auch im Podcast kurz angeschnitten wurde. Das ist eigentlich ein bisschen ungeplant und passt auch nicht so hundertprozentig zum Thema, aber hier ist vermutlich tatsächlich der beste Platz in den aktuellen Forendiskussionen dafür. Meine Eindrücke sind noch ganz frisch, keine zehn Minuten alt, deshalb versuche ich mal, meine Gedanken zu ordnen.
Ich habe mir vorhin erstmals Battlefield V installiert. Das gab es diesen Monat als Teil von PS Plus und weil ich momentan ein bisschen am Corona-Blues leide und ich irgendeinen frischen Impuls haben wollte, hab ich mir das Mal geladen. Ich wusste auch gar nicht mehr, dass BFV im zweiten Weltkrieg spielte, ich hatte irgendwas modernes im Hinterkopf. Deshalb traf mich das ein bisschen unerwartet, zumal es keinen Startscreen gibt, sondern Battlefield V beim ersten Mal direkt im Spiel beginnt.
Dieser Spieleinstieg besteht aus einer Vignette verschiedener Schlachten in Europa und Nordafrika. Ganz kurze interaktive Abschnitte, die nahtlos ineinander überblenden und immer einzelne Perspektiven und Ausschnitte zeigen. Einer dieser Abschnitte versetzt einen in das Cockpit eines Flugzeuges - eines deutschen Flugzeuges, wie sich kurz darauf anhand der Sprachausgabe herausstellt. Und dann kommt, wie auch schon in den anderen Szenen, eine große Einblendung, wo man sich befindet: Über Hamburg.
Ich war zuletzt im Sommer 2019 in Hamburg und habe dort mit meiner Freundin eine Ausstellung zum Thema Hamburg im zweiten Weltkrieg besichtigt. Das haben wir uns über die Jahre angewöhnt: Wir machen relativ viele Wochenendtrips und wo immer sich die Gelegenheit bietet, sich über die Zeit zu informieren und Eindrücke zu sammeln, versuchen wir, das auch zu tun. Wir waren in den letzten Jahren etwa in Nürnberg, Berlin, Dresden, Heidelberg, Bonn und Den Haag und man kann sich bei diesen Zielen sicherlich vorstellen: Der Wahnsinn des dritten Reichs ist überall zu finden.
Diese Ausstellungen sind immer genauso eindrücklich wie deprimierend, deshalb bleiben sie einem auch im Kopf. In Hamburg findet man eine entsprechende Ausstellung unter
den zerstörten Ruinen der Nikoleikirche. Die Kirche wurde als Mahnmal nach dem zweiten Weltkrieg in dem Zustand belassen, in dem sie nach dem nach dem
Feuersturm war, einem unbeherrschbaren Großbrand nach Bombardierungen, bei dem etwa 34.000 Menschen ums Leben gekommen sind. (Zum Vergleich: 34.000 Menschen entspricht ziemlich exakt der gesamten Bevölkerung meiner Heimatstadt in NRW). Entsprechend beschäftigte sich die Ausstellung unter der Nikoleikirche natürlich mit dem Terrorregime der Nazis, aber auch mit der Bombardierung Hamburgs und den zivilen Opfern. "Höhepunkt" der Ausstellung, so hab ich das zumindest empfunden, ist eine filmische Dokumentation, die anhand von Originalaufnahmen die Zerstörung Hamburgs zeigt.
Emotional fand ich das sehr anstrengend, weil es natürlich zu einer heftigen kognitiven Dissonanz führt: Einerseits die Abscheu über die Nazis und die Deutschen, die diese unfassbaren Verbrechen begangen haben, andererseits beobachtet man in bewegten Bildern die totale Vernichtung einer ganzen Stadt, was echt keine leichte Kost ist.
Und nun setzt mich Battlefield V nonchalant an den Steuerknüppel eines deutschen Jagdflugzeuges, dass die britischen Bomber über Hamburg abfangen soll. Keine Kontextualisierung, keine Einordnung, stattdessen ein heroischer Score im Hintergrund und am Ende dieser Vignette (nach Hamburg folgt noch eine weitere Szene in den Niederlanden) romantisiertes Geschwafel von Heldentum und Entbehrungen im Krieg. Uff. Das war ehrlich gesagt ziemlich uncool und verharmlosend.
Spannend fand ich dabei allerdings auch folgende Selbstbeobachtung: Vor Hamburg gab es Szenen in Norwegen und Tunesien, zu denen mir allerdings der unmittelbare, persönliche Bezug fehlte. Diese Szenen habe ich wesentlich unkritischer wahrgenommen. Tausendfach gesehen, ist halt ein Videospiel. Hamburg jedoch war durch meinen persönlichen Bezug wie ein Schlag in die Magengrube - und vor allem war es lediglich die verspätete Einblendung des entsprechenden Schriftszuges, der aus einer schon oft gesehenen Flugsim-Szene plötzlich etwas Nahbares, Greifbares, aber auch Entsetzliches machte. Von der Bombardierung Hamburgs selbst hat man nichts gesehen, diese Szene spielte über den Wolken und bei Tage, bevor das Stadtgebiet erreicht wird. Es ist also einzig meinem individuellen Vorwissen zu verdanken, dass ich diese Szene so anders einordne als etwa eine Panzerschlacht in Tunesien. Inszenatorisch war die Szenen über den Wolken sogar vergleichsweise harmlos, da war etwa die Rolle eines Scharfschützen, die ich wenige Minuten vorher übernommen habe eigentlich erheblich geschmackloser.
Anhand dieser kleinen Episode wird mir zumindest deutlich, wie schnell sich die Perspektive verschieben kann, wenn persönliche Kontextualisierung möglich ist: Von "tausendfach gesehen" zu "Nicht euer Ernst...." in wenigen Sekunden. Aber ich glaube, dieser Erkenntnis ist wichtig, wenn es um die Beurteilung anderer, kontroverser Spieleszenen geht. Ja, vielleicht kann ich persönlich das ein oder andere nicht nachempfinden: Andere jedoch, mit anderen Erfahrungen, anderem Vorwissen, betrachten bestimmte Szenen womöglich vollkommen anders.
Jetzt wird sich die EA Marketingabteilung für Hochglanz-Kriegsspiele beim lesen dieses Threads natürlich in die Hände klatschen: Alles richtig gemacht, die emotionale Verbindung zum Spieler ist hergestellt - der Typ kauft bestimmt Mikrotransaktionen. Aber ehrlich gesagt: Nee. Im Gegenteil. Was ich da gesehen habe war entsetzlich zynisch und komplett im Ton vergriffen. Ich denke eher, ich sehe diese Art Spiel zukünftig anders und insbesondere kritischer.