Also Otis, ich versuche es nochmal mit Dir - natürlich nur, falls Du noch möchtest.
Otis hat geschrieben: ↑3. Sep 2021, 15:32
Wäre dann halt erstmal zu erheben, ob Werkschaffende nun in Scharen ihren Output selbstzensieren, obwohl sie eigentlich gerne lauter anstößige Inhalte drin hätten.
Diese Frage halte ich für vollkommen irrelevant, weil keiner in die Köpfe andere Menschen schauen kann. Es geht darum ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem jeder davon ausgehen kann, dass er erst einmal alles machen kann.
Das war nie der Fall und es wird auch nie der Fall sein und das wäre eine ideale Welt, eine Utopie - klar. Aber das Ausmaß läuft seit einiger Zeit aus dem Ruder, was alles sanktioniert wird mit "Shitstorms", Boykottaufrufen oder eben solchen Artikeln wie jetzt zu "New World".
Otis hat geschrieben: ↑3. Sep 2021, 15:32
Wie gesagt, eine Beeinflussung durch Publisher (Produzenten, Verlage, bla), um Spiele (Filme, Romane, bla) möglichst kantenfrei und massentauglich zu kneten, findet ohnehin statt, ob da ein Shitstorm kommt oder nicht. Ich sehe das auch nicht ausschließlich negativ.
Da ist aber ein feiner Unterschied: Ein popkulturelles Erzeugnis auf Massentauglichkeit auszurichten ist zunächst kein Zwang und Künstler setzen sich dem freiwillig aus. Es besteht keine Pflicht sich einem großen Unternehmen zu unterwerfen.
Die Problematik, über die wir hier sprechen, erfasst aber alles.
Das hatten wir auch im Film-Thread schon: Vorgaben die die Studios meist machen, wie etwa, dass es eine bestimmte Anzahl an Actionszenen geben soll, ist nicht vergleichbar damit etwas aus Angst vor Repressalien zu ändern.
Ganz davon abgesehen habe ich schon darauf hingewiesen, dass mittlerweile privilegierte Personen und laute Gruppen in Blogs, sozialen Medien, im Kulturteil von Magazinen oder auch mal mit Petitionen festzulegen scheinen, was "die Gesellschaft" akzeptiert.
Otis hat geschrieben: ↑3. Sep 2021, 15:32 Immerhin verdanken wir dem öffentlich Diskurs und nicht zuletzt auch deftiger Kritik, dass Homosexuelle nicht mehr hauptsächlich als Witzfiguren dargestellt werden, der Schwarze nicht mehr zwangsläufig zuerst stirbt und Frauen in Filmen Hosen tragen dürfen.
Alles wunderbare Errungenschaften und wir sind garantiert noch nicht am Ende. Ich stelle übrigens ebenfalls nicht infrage, dass es berechtigte Kulturkritik gab und gibt.
Aber ist jede Forderung oder Errungenschaft auch wirklich Fortschritt der rechtfertigt, dass man die Kunstfreiheit in der Hinsicht einschränkt. Steht es wirklich auf einer Stufe, dass Homosexuelle in Filmen bessere Rollen bekommen und jetzt mittlerweile sogar gefordert wird, dass nur noch Homosexuelle Homosexuelle spielen dürfen? Ist Letzteres wirklich etwas, das weiterhilft, birgt es nicht eher weitere Probleme? Siehe dazu unsere Diskussion im Film-Thread über die Amazon Studios, die mittlerweile dahingehend sogar Richtlinien formuliert haben.
Das ist auch etwas, dass mich im gesamten Themenkomplex "Identitätspolitik" (was für manche auch schon ein Kampfbegriff ist, was ich aber nicht einsehe) stört: Es gibt gar keine Abstufung, Kategorisierung mehr. Sowas wie "Manspreading" wird mittlerweile auf der gleichen Stufe und genauso laut und oft auch lauter debattiert als die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern oder die Prävention vor häuslicher Gewalt.
Ebenso beim Thema Rassismus: Anstatt über den N-Kuss, Karnevalskostüme oder ob in einem 50 Jahre alten Film jemand blackfaced zu streiten, wäre es doch viel toller mal die sozioökonomischen Ursachen von Rassismus zu thematisieren.
Das macht aber keiner, weil es kompliziert und anstrengend ist. Und deswegen zerfleischt man sich - ich nehme mich nicht aus - wegen Oberflächlichkeiten, die wenn überhaupt nur marginal Fortschritt bewirken.
Otis hat geschrieben: ↑3. Sep 2021, 15:32halte ich entgegen, dass Du der einzelnen Kritik damit viel zu Macht zugestehst.
Dem halte ich entgegen, dass sich die Schwelle der Wirkmacht doch vollkommen verschoben hat. Ein identitätspolitischer Vorwurf ist absolut, denn wenn man nicht reagiert, ist man dann gleich selbst Rassist, Sexist, Homophob etc. . Und deswegen wird mittlerweile zumindest bei den Großkonzernen sofort reagiert.
Deswegen ist das auch z.B. nicht vergleichbar damit, dass ja früher Medien und Politik gegen Gewalt in Spielen waren und sich das trotzdem durchgesetzt hat. Mit dem Vorwurf ein bisschen gewaltgeil zu sein konnte jeder leben, gerade weil jeder in der eigentlichen Zielgruppe wusste, was Sache ist.
Das ist bei dem Vorwurf Rassist, Sexist, Homophobiker zu sein oder dass ein Spiel, Film, Buch rassistische, sexistische oder homophobe Tendenzen habe ziemlich anders.
Otis hat geschrieben: ↑2. Sep 2021, 11:45
Findst? Ich nicht.
Das in einem Zeitalter zu sagen, in dem Menschen wegen der kleinsten politisch unkorrekten Verfehlung ihren Job und ihr öffentliches Ansehen verlieren ist optimistisch.
Otis hat geschrieben: ↑2. Sep 2021, 11:45
Sehe ich auch überhaupt nicht so. Wo ist denn ein Aspekt des Spiels maßgeblich für alles?
Ab dem Moment, wo es um Ideologie geht. In den USA gibt es mittlerweile den Spruch "ideology trumps everything". Darauf wird alles reduziert und genau deswegen enthalten solche Texte auch im Subtext immer einen Vorwurf an die Konsumenten bzw. eine Aufforderung an die Entwickler. "Das Kampfsystem gefällt mir" hat keinen Wert gegen "Ja, aber dies und jenes ist rassistisch".
Es gibt ja mittlerweile auch sowas wie "guilty by association" - noch ein schöner Anglizismus. Das bedeutet ich muss mich gar nicht mehr mit den Argumenten von jemanden auseinandersetzen, ich muss lediglich in dessen Umfeld jemanden finden, der mal etwas "Falsches" gesagt hat.
Otis hat geschrieben: ↑2. Sep 2021, 11:45ist das dann nicht eher ein gesellschaftliches Problem im Umgang mit sozialen Netzwerken und modenrer Kommunikation, anstatt ein Problem mit der Kritik an sich?
In der Tat
auch, aber das ändert ja nichts an der Wirkung.
PS: Du siehst, dass ich das Problem viel grundsätzlicher betrachte. Leider sind die Lager mittlerweile so gespalten, dass keine Meta-Debatte über die Diskussionskultur in der Hinsicht mehr möglich ist.