Dancer in the Dark
2000; Regisseur: Lars von Trier; DarstellerInnen: Björk, Catherine Deneuve, David Morse, Peter Stormare; Genre: Drama
USA, 60er Jahre: Selma ist aus der Tschechoslowakai eingewandert und lebt mit ihrem Sohn in einfachen Verhältnissen in einem Wohnwagen. Sie ist liebenswert, etwas tollpatschig, Fan von Musicals, spielt selber in einer Laiengruppe mit... und wird bald aufgrund einer Erbkrankheit erblinden. Sie befürchtet, dass ihr Sohn dasselbe Schicksal ereilen wird, was nur durch eine teure Operation zu verhindern ist. Zusammen mit ihrer Freundin Kathy arbeitet sie deshalb in einer Metallfabrik und macht nebenbei kleine Auftragsarbeiten, wie etwa Haarnadeln zu formen oder sie faltet Glückwunschkarten. Der Vermieter, der ihr das Grundstück für ihren Wohnwagen zur Verfügung stellt, gerät jedoch in Geldsorgen und bittet sie darum ihr Geld zu leihen. Natürlich kann sie das nicht, weil es für ihren Sohn ist, aber der Mann gibt sich nicht mit einem Nein zufrieden...
...und ab da geht es abwärts. Das ist kein Spoiler, denn der Film ist vom “Meister des Verstörenden und Pessimistischen” Lars von Trier und somit weiß man, dass man hier keine Aufsteigergeschichte und ein Happy End erwarten kann.
Der Film ist manipulativ, übelst manipulativ. Man soll Selma lieben, damit der Tritt in die Magengrube möglichst schmerzhaft ist; man weiß das, aber man kann sich dem trotzdem nicht erwehren. Sie ist einfach zu zuckersüß, so naiv, arm dran und trotzdem lebensfroh, herzensgut, treu und dann hat sie auch noch eine Behinderung und als Zuckerguss oben drauf schuftet sie für ihren Sohn. Und es liegt daran, dass die Sängerin Björk einfach unfassbar gut spielt und zurecht für einen Golden Globe nominiert wurde und die Goldene Palme für ihre Leistung bekommen hat. Völlig unverständlich wurde sie allerdings nicht einmal für den Oscar nominiert. Das Ganze ohne schauspielerische Ausbildung und mehr oder weniger spontan, denn sie sollte ursprünglich nur die Musik machen, als sie von Trier fragte, ob sie die Rolle verkörpern möchte.
Und dann wird ihrer Figur in diesem Film übel mitgespielt und zwar so übel, dass es einen emotional unangespitzt in den Boden rammt. Dabei positioniert "Dancer in the Dark" sich nicht nur als Dekonstruktion von Musicals, sondern als richtiges Anti-Musical. Es gibt Gesangs- und Tanzeinlagen, die ziemlich eigenartig und deplatziert wirken, aber das sollen sie. Selma sagt an einer Stelle im Film, dass sie Musicals mag, weil “nichts Schlimmes passiert, wenn gesungen wird”. Aber der Film holt einen stets auf den Boden der Tatsachen zurück, wenn die Musik verstummt und die Spirale in den Abgrund dreht sich weiter. So werden diese fröhlichen Gesangseinlagen zum zynischen Kommentar. Mit etwas Singen ist es in der Realität eben nicht getan, will uns von Trier zeigen.
Die letzten ca. 15 Minuten des Films sind sehr schwer anzuschauen und werden meine Netzhaut wahrscheinlich nie mehr verlassen, weil Lars von Trier hier knallhart in Aussage und Konsequenz auf Linie bleibt. Nur ein ganz kleiner Hoffnungsschimmer wird uns gegeben, aber auch da kann man sich nicht ganz sicher sein. Auch das allerletzte Bild des Films bleibt sich treu und blendet einen optimistischen Satz ein, wie er am Ende eines Musicals stehen könnte, während uns gerade genau das Gegenteil gezeigt wurde und ihn damit in den bitterbösen Zynismus verschiebt.
Aufgrund der nüchternen und dokumentarischen Kamera wirkt der Film sehr real und naturalistisch – besonders in den Dialogen - und somit auch authentisch, was einen noch mal zusätzlich näher an die Figuren bringt und einen noch mehr mitfühlen lässt. Die Charaktere sind immer nachvollziehbar und als was sich der ein oder andere Charakter heraus stellt, ist durchaus überraschend.
Auch wird der sogenannte "Red Scare" in den USA der 60er Jahre verhandelt, denn auch ohne zu spoilern kann man sagen, dass das Herkunftsland von Selma ihr nicht zum Vorteil gereichen wird.
"Dancer in the Dark" und Lars von Trier selber sind angreifbar... keine Farge. Viele reden von “Sad Porn”, "Misery Porn", Zynismus, Sadismus gegen den Zuschauer oder gegen die geschaffenen Charaktere oder man wirft von Trier vor ein Menschenfeind zu sein. Aber um jemanden so sehr emotional mitnehmen zu können, muss man Charaktere erschaffen können, die einem am Herzen liegen. Das hat er in diesem Film getan und das könnte keiner, der Menschen hasst. Und auch wenn der Film einen mit Depressionen zurücklassen kann, ist man in der guten Gewissheit, dass es ja wirklich Menschen wie Selma da draußen gibt, denen das nicht passiert, was sie im Film mitmacht. Das spendet einen gewissen Trost, dass man hier eben nur den Fall sieht, wo wirklich alle schief läuft.
Der Film wurde übrigens insgesamt bei den Oscars fast komplett außen vor gelassen; nur ein Filmsong von Björk wurde nominiert. Dabei hätte man nicht nur Björk für das Schauspiel, sondern auch Catherine Deneuve ruhig wenigstens nominieren können. Und das Drehbuch und die Regie hätten auch eine Nominierung verdient, sowie eine als bester Film. Aber das befeuert nur die Vermutung, dass pessimistische Filme eher nicht bei der Academy funktionieren (siehe den sträflich verschmähten “Nightcrawler”).
Dennoch möchte ich keine uneingeschränkte Empfehlung geben. Ich habe von nicht wenigen Menschen gelesen und gehört, die der der Film wirklich richtig platt gemacht hat. “Dancer in the Dark” ist vollkommen zurecht im Internet auf vielen Toplisten der Marke “Saddest Movies of all Time”, “Movies that make us cry”, “Most disturbing Movies”, “Darkest Movies of all Time” oder “Movies you can only watch once”.
Also: Wissen worauf man sich einlässt und nicht gucken, wenn man sowieso schon schlecht drauf ist. Lars von Trier ist ein Filmemacher, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, dass sich das Publikum möglichst unwohl fühlt. Ich kann nur noch einmal wiederholen: Der Film steht ständig auf der Kippe zum manipulativen Tränendrücker, aber er ist so gut gespielt, inszeniert, abgründig böse und konsequent, dass es trotzdem funktioniert. Und das ist äußerst bemerkenswert.
Und übrigens auch mal Grüße an die FSK, die diesen Film ab 12 freigegeben hat. Puh. Bin da eigentlich ziemlich liberal und rein von der Gewalt ist da nix, was man beanstanden kann. Aber psychologisch ist der Film für das Alter viel zu bedrückend.
4,5 von 5 Sternen
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