El Topo
1970; Regie: Alejandro Jodorowski; DarstellerInnen: Alejandro Jodorowski, Mara Lorenzio, Jacqueline Luis; Western
Der Cowboy "El Topo" (der Maulwurf) und sein kleiner Sohn streifen zu Zeiten des Wilden Westens durch die Steppe von Mexiko. Sie treffen auf ein Dorf, in dem man offenbar alle Bewohner blutig umgebracht hat. El Topo findet die Täter, richtet sie und rettet dabei eine Frau. Dann lässt er seinen Sohn bei Franziskanermönchen zurück und reitet mit ihr davon. Fest entschlossen die vier sogenannten "großen Meister" zu besiegen.
Alejandro Jodorowski ist mit Sicherheit einer der interessantesten Regisseure aller Zeiten. Alleine der Fakt, dass ihn wahrscheinlich die meisten Menschen für etwas kennen, das er nie drehen konnte, ist bemerkenswert. Er war dafür vorgesehen "Dune" zu verfilmen, was leider nie finalisiert wurde, wie man in der vielfach gelobten Doku "Jodorowski's Dune" sehen kann. Seine Konzepte und die Künstler, die er engagieren wollte, geben vielen den Anlass dazu seinen "Dune" als besten Film zu bezeichnen, der nie gedreht wurde.
In El Topo ist Jodorowski nicht nur Regisseur und Drehbuchautor, sondern auch der Hauptdarsteller, wie es in den meisten seiner Werke war. Er hat die vollkommene künstlerische Kontrolle und musste somit keine Kompromisse machen. Das zieht sich durch seine gesamte Karriere und so wurde er einer, der ständig provozierte und Empörung und Skandale hervorrief. Er schreckt nicht vor expliziter Gewalt, Nackheit und Sex zurück. Auch hat er seine ganz eigenen Interpretationen von Religion und übt scharfe Religions- bzw. Gesellschaftskritik.
"El Topo" stand in Deutschland bis 2012 auf dem Index und verkörpert diese Art des Filmemachens. Es spritzt ordentlich und handwerklich bemerkenswert gemacht literweise Blut, es gibt Sex, es gibt nackte Frauen und Homoerotik. Verglichen dazu waren die Western und die ja schon etwas härteren Italowestern zu jener Zeit in dieser Hinsicht reine Kindergeburtstage.
Die größte Stärke ist, dass erzählerische Haken geschlagen werden und alles vollkommen unberechenbar verläuft. Ich werde hier natürlich nichts spoilern, aber am Ende habe ich mich wirklich gefragt, ob ich noch denselben Film schaue. Es ist wirklich bemerkenswert, wie man ständig denkt, dass eine Handlungssequenz jetzt den restlichen Verlauf und Plot einleitet, nur um einen dann wenig später wieder in eine vollkommen andere Richtung mitzunehmen. Am Ende ist da ein komplett anderer Mensch als zu Beginn; die Entwicklung der Story und des Charakters sind auf höchstem Niveau und passieren in einem Pacing, dass keine Langeweile aufkommen lässt. Am Spannungsbogen gibt es auf allen Ebenen wenig zu mäkeln.
Ebenso bemerkenswert ist, dass in vielen Metaphern, Symbolen und surrealen Momenten erzählt wird. Das muss man mögen, denn es handelt sich hier meistens um religiöse Bezüge. Ich bin nicht bibelfest, aber Motive wie Versuchung, Sünde, Verrat, Kreuzigung, Auferstehung und Verweise auf Moses und die Rettung seines Volkes (es wird auch durch die Wüste gereist) sind auch mir nicht entgangen. Hinter vielen sehr eigenartigen Szenen vermute ich auch irgendeinen Bezug zur Bibel oder anderen religiösen Schriften, den ich nicht herstellen konnte. Die Aussagen sind aber universell genug sind, sodass man das auch als Heide versteht. Der Surrealismus wird sowieso ein Knackpunkt sein, ob man den Film mag oder nicht. Wenn plötzlich eine Horde Kaninchen tot umfällt, um dann in Flammen aufzugehen, mit einem Stock in der Wüste auf einen Stein geschlagen wird und daraus eine Quelle entspringt oder eine Frau ständig mit einer Männerstimme redet, muss man dafür offen sein. Andernfalls wird man sich eher abwenden und ständig fragen, was das denn jetzt eigentlich soll.
Jodorowski zeigt eine nihilistische Welt, die aber ganz heuchlerisch am Glauben festhält. Das sieht man besonders in der letzten Station von El Topos Reise deutlich, in dem das römische Reich – Brot, Spiele und Orgien – in den Wilden Westen verlegt wird. Die Sklaven dort tragen Armbinden mit dem auch als christlichen Symbol verwendeten "Auge der Vorsehung", was man auch als Verweis auf die Judenverfolgung sehen kann. Die, die sich äußerst menschenverachtend und Dekadent geben sind auch die, die in der Kirche am lautesten predigen.
Dieses letzte Segment fand ich auch am stärksten, denn hier erfährt auch El Topo, der zunächst auch nur auf sich besinnt Teil dieser nihilistischen Welt ist, seine Läuterung. Was am Ende sehr hart ist und mir überraschenderweise auch nahe ging. Überraschend deswegen, weil man bis dahin nur verwirrt wie verwundert beobachtet, es einen aber nicht sonderlich berührt - dazu rätselt man viel zu oft mit, was denn da nun ausgesagt werden soll. Aber da schafft Jodorowski es aus der Hauptfigur einen greifbaren Charakter zu machen. Das ist nicht falsch zu verstehen, denn auch davor ist es absolut packend, weil der Streifen eben anders ist, dabei aber nie prätentiös wirkt. Denn man ist sich seiner Eigenartigkeit durchaus sehr bewusst und nimmt sich nicht zu ernst.
Zum Schluss will ich noch anmerken, dass der Film nicht nur bei dem zerfetzen von Körpern die mit Blei durchsiebt werden äußerst kompetent ist, sondern auch bei der Kameraarbeit. Man findet immer wieder hervorragende Bilder für die inhaltlichen Motive, die hier thematisiert werden – trotz 4:3. Die Musik möchte ich auch nochmal hervorheben. Natürlich ist das kein Morricone, aber das Main Theme finde ich persönlich ziemlich geil:
https://www.youtube.com/watch?v=M2HckA-pdnY
Insgesamt muss ich leider den Disclaimer bringen: Das mag dem ein oder anderen zu Artsy Fartsy sein und manche wollen und können sich auf sowas nicht einlassen. Ich bin mir sicher, dass es auch Menschen gibt, die den Film abgrundtief hassen und ihn für totale Grütze halten.
Ich für meinen Teil habe eine großartige Erfahrung gemacht.
4,5 von 5 Sternen
https://letterboxd.com/film/el-topo/
Trailer:
https://www.youtube.com/watch?v=M2HckA-pdnY