Re: Welche Filme habt ihr zuletzt geschaut?
Verfasst: 9. Jul 2021, 14:05
Jacob's Ladder
1990; Regisseur: Adrian Lyne; Darsteller_Innen: Tim Robbins, Elizabeth Peña, Danny Aiello; Genre: Mysterythriller
Jacob ist Vietnam-Veteran und wurde bei seinem Einsatz schwer verwundet. Heute arbeitet er bei der Post und liefert mit einem Kleintransporter Briefe und Pakete aus. Von seiner Frau Sarah hat er sich getrennt und diese zieht die beiden gemeinsamen Kinder bei sich auf. Seinen Sohn Gabe hat er durch einen Unfall verloren. Jetzt lebt er mit seiner schönen Freundin Jezebel zusammen und führt ein eigentlich unaufgeregtes Leben. Wären da nicht die immer wiederkehrenden Albträume und Flashbacks, die ihn an seinen Kriegseinsatz zurückerinnern. Als er dann anfängt eigenartige Gestalten und seinen eigentlich toten Sohn zu sehen und es zu immer entrückteren Situation kommt, hinterfragt er seine Existenz und was eigentlich noch real ist.
"Jacob's Ladder" gilt so ein bisschen als Geheimtipp unter den anspruchsvollen und eher gediegenen Horrorfilmen. Und da fängt es eigentlich schon an, denn das Genre trifft für mich nicht ganz zu. Die sparsam eingesetzten Schock- und Gruselszenen sind zwar effektiv und funktionieren, aber sie sind eher nur untergeordnetes Beiwerk eines Psycho- bzw. Mysterythrillers. Das muss nichts schlechtes sein, nur bin ich mit der Erwartungshaltung eines waschechten Horrorfilms hier herangegangen. Die Erwartungshaltung war sowie ziemlich hoch, denn wie bereits angedeutet, genießt der Streifen in Kennerkreisen ein hohes Ansehen.
Fangen wir trotzdem mit dem übernatürlichen Teil an, denn der ist wirklich lobenswert. Es wird ganz klar auf Atmosphäre gesetzt und nicht auf Splatter oder billige Jumpscares. Für besonders unangenehme Momente sorgen die in der Storyzusammenfassung bereits erwähnten "Gestalten"; denn das sind keine abgefahrenen Monster mit irgendwelchen aufwendigen Designs, sondern lediglich Menschen mit verwaschenen und verformten Gesichtern, die sich unnatürlich ruckartig bewegen. Die sitzen dann mal in einem Auto, einer U-Bahn oder stehen einfach plötzlich irgendwo und schauen Jacob einfach nur an. Das ist wirklich verdammt creepy, obwohl hier nur ganz wenig Mittel eingesetzt werden.
Und natürlich ist das alles auch wirksam, weil im Verlauf der Story alles immer surrealer (Tentakelspaß auf der Tanzfläche - super Szene!) wird und man sich mit dem Hauptprotagonisten fragt, was denn jetzt real ist und was nicht und vor allem, was denn hinter alledem steckt.
Das Thema des Streifens ist eigentlich sofort klar: Es geht um die "Post Traumatic Stress Disorder", also PTSD. Das wird schon bei den Albträumen und Flashbacks klar. 1990 war es noch ziemlich frisch reale psychische Traumata in einem übernatürlichem Setting zu verarbeiten, in dem man die geschädigte Psyche und was sie eigentlich im Kopf an Gedanken hervorbringt, in der Realität des Films manifestiert. Oder zumindest dort wo die handelnde Person glaubt, die Realität zu erkennen. Und da ist wieder das Problem der späten Geburt, das einen Innovation nicht mehr so richtig wertschätzen lässt: Heute funktionieren die allermeisten Horrorfilme, die etwas auf sich halten, genau nach diesem Prinzip der Psychologisierung. Hier seien nur einmal als Beispiel die Werke "Hereditary" und "Midsommar" von Ari Aster genannt, in denen es um Trauer und Verlust geht und der Horror eigentlich nur eine Manifestation dieser Gefühle ist. "Jacob's Ladder" mag seiner Zeit voraus gewesen sein und nicht zuletzt deswegen auch das Publikum begeistert haben - ich für meinen Teil konnte das nicht mehr ganz nachvollziehen. Das ist natürlich unfair, weil das Werk ja nichts dafür kann, das ich es erst jetzt zu Gesicht bekomme. Aber ich kann ja nicht die gesamte Entwicklung des Genres einfach ausblenden. Selbst wenn ich es versuchen würde, wäre es ganz einfach unterbewusst nicht möglich. Kurz gesagt: Der Film sticht heute einfach nicht mehr so heraus, wie er es damals tat.
Uneingeschränkt positiv möchte ich die Leistung der Schauspieler und allen voran Tim Robbins bewerten, der seine Verwirrtheit sowie den geistigen und körperlichen Zerfall im Verlauf super mimt. Er wirkt immer kaputter und kaputter. Aber auch die Nebendarsteller, seien es noch so kleine Rollen und Auftritte, bringen dieses Mysteryelement wunderbar subtil rüber. Es wirkt immer so als wüssten sie stets ein kleines bisschen mehr als Jacob, wollen oder können es aber nicht sagen. Da wird schon ganz gut auf der Klaviatur des Genres gespielt.
Die Auflösung, was denn nun dahinter steckt, fand ich letztlich enttäuschend. Enttäuschend, weil ich sie erstens vorhergesehen habe und zweitens, weil das auch damals schon kein besonders neues Thema war. Das werde ich natürlich nicht verraten, aber der Auslöser hinter alledem ist ziemlich banal und antiklimaktisch. Die unbestreitbare Kompetenz ein Mysterium aufzubauen fällt "Jacob's Ladder" hier unglücklich vor die Füße, denn das kann nicht eingelöst werden.
Auch das Pacing fand ich nicht durchweg gut. Es fängt mit einem Knalleffekt und für mich der besten Szene (U-Bahnstation) an. Der Aufbau danach, wie Jacob immer weiter in den Kaninchenbau klettert, ist auch durchweg spannend. Wenn es dann im letzten Viertel an das Lüften des Geheimnisses geht, wird es aus den genannten Gründen deutlich schwächer. Besonders die Art, wie man es erfährt, finde ich regelrecht schlecht. Denn dann taucht einfach irgendjemand auf, der wenig Grund hatte sich so lange zurückzuhalten und erzählt uns und Jacob einfach in einem langen Monolog, was Sache ist. Die allerletzte Szene holt dann da noch einmal viel raus, weil sie aufgrund philosophischer Implikationen das Gehirn nochmal ordentlich anwirft. Denn dann steht auch zur Frage, ob eigentlich gar nichts real war oder es sogar eine Parallelwelt gibt – aber auch hier keine Spoiler. Es entstehen auf jeden Fall einige interessante Fragezeichen über die man selbst wiederum lange Aufsätze schreiben könnte.
"Jacob's Ladder" ist weit weg davon ein schlechter Film zu sein, kann aber heutzutage nicht mehr so herausstechen. Aufgrund seiner Horrorelemente, sehr guter Schauspielerei und einem vielfach interpretierbaren Ende ist er aber trotzdem immer noch sehenswert.
3,5 von 5 Steren
https://letterboxd.com/film/jacobs-ladder/
Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=rJztRnDxdM8
1990; Regisseur: Adrian Lyne; Darsteller_Innen: Tim Robbins, Elizabeth Peña, Danny Aiello; Genre: Mysterythriller
Jacob ist Vietnam-Veteran und wurde bei seinem Einsatz schwer verwundet. Heute arbeitet er bei der Post und liefert mit einem Kleintransporter Briefe und Pakete aus. Von seiner Frau Sarah hat er sich getrennt und diese zieht die beiden gemeinsamen Kinder bei sich auf. Seinen Sohn Gabe hat er durch einen Unfall verloren. Jetzt lebt er mit seiner schönen Freundin Jezebel zusammen und führt ein eigentlich unaufgeregtes Leben. Wären da nicht die immer wiederkehrenden Albträume und Flashbacks, die ihn an seinen Kriegseinsatz zurückerinnern. Als er dann anfängt eigenartige Gestalten und seinen eigentlich toten Sohn zu sehen und es zu immer entrückteren Situation kommt, hinterfragt er seine Existenz und was eigentlich noch real ist.
"Jacob's Ladder" gilt so ein bisschen als Geheimtipp unter den anspruchsvollen und eher gediegenen Horrorfilmen. Und da fängt es eigentlich schon an, denn das Genre trifft für mich nicht ganz zu. Die sparsam eingesetzten Schock- und Gruselszenen sind zwar effektiv und funktionieren, aber sie sind eher nur untergeordnetes Beiwerk eines Psycho- bzw. Mysterythrillers. Das muss nichts schlechtes sein, nur bin ich mit der Erwartungshaltung eines waschechten Horrorfilms hier herangegangen. Die Erwartungshaltung war sowie ziemlich hoch, denn wie bereits angedeutet, genießt der Streifen in Kennerkreisen ein hohes Ansehen.
Fangen wir trotzdem mit dem übernatürlichen Teil an, denn der ist wirklich lobenswert. Es wird ganz klar auf Atmosphäre gesetzt und nicht auf Splatter oder billige Jumpscares. Für besonders unangenehme Momente sorgen die in der Storyzusammenfassung bereits erwähnten "Gestalten"; denn das sind keine abgefahrenen Monster mit irgendwelchen aufwendigen Designs, sondern lediglich Menschen mit verwaschenen und verformten Gesichtern, die sich unnatürlich ruckartig bewegen. Die sitzen dann mal in einem Auto, einer U-Bahn oder stehen einfach plötzlich irgendwo und schauen Jacob einfach nur an. Das ist wirklich verdammt creepy, obwohl hier nur ganz wenig Mittel eingesetzt werden.
Und natürlich ist das alles auch wirksam, weil im Verlauf der Story alles immer surrealer (Tentakelspaß auf der Tanzfläche - super Szene!) wird und man sich mit dem Hauptprotagonisten fragt, was denn jetzt real ist und was nicht und vor allem, was denn hinter alledem steckt.
Das Thema des Streifens ist eigentlich sofort klar: Es geht um die "Post Traumatic Stress Disorder", also PTSD. Das wird schon bei den Albträumen und Flashbacks klar. 1990 war es noch ziemlich frisch reale psychische Traumata in einem übernatürlichem Setting zu verarbeiten, in dem man die geschädigte Psyche und was sie eigentlich im Kopf an Gedanken hervorbringt, in der Realität des Films manifestiert. Oder zumindest dort wo die handelnde Person glaubt, die Realität zu erkennen. Und da ist wieder das Problem der späten Geburt, das einen Innovation nicht mehr so richtig wertschätzen lässt: Heute funktionieren die allermeisten Horrorfilme, die etwas auf sich halten, genau nach diesem Prinzip der Psychologisierung. Hier seien nur einmal als Beispiel die Werke "Hereditary" und "Midsommar" von Ari Aster genannt, in denen es um Trauer und Verlust geht und der Horror eigentlich nur eine Manifestation dieser Gefühle ist. "Jacob's Ladder" mag seiner Zeit voraus gewesen sein und nicht zuletzt deswegen auch das Publikum begeistert haben - ich für meinen Teil konnte das nicht mehr ganz nachvollziehen. Das ist natürlich unfair, weil das Werk ja nichts dafür kann, das ich es erst jetzt zu Gesicht bekomme. Aber ich kann ja nicht die gesamte Entwicklung des Genres einfach ausblenden. Selbst wenn ich es versuchen würde, wäre es ganz einfach unterbewusst nicht möglich. Kurz gesagt: Der Film sticht heute einfach nicht mehr so heraus, wie er es damals tat.
Uneingeschränkt positiv möchte ich die Leistung der Schauspieler und allen voran Tim Robbins bewerten, der seine Verwirrtheit sowie den geistigen und körperlichen Zerfall im Verlauf super mimt. Er wirkt immer kaputter und kaputter. Aber auch die Nebendarsteller, seien es noch so kleine Rollen und Auftritte, bringen dieses Mysteryelement wunderbar subtil rüber. Es wirkt immer so als wüssten sie stets ein kleines bisschen mehr als Jacob, wollen oder können es aber nicht sagen. Da wird schon ganz gut auf der Klaviatur des Genres gespielt.
Die Auflösung, was denn nun dahinter steckt, fand ich letztlich enttäuschend. Enttäuschend, weil ich sie erstens vorhergesehen habe und zweitens, weil das auch damals schon kein besonders neues Thema war. Das werde ich natürlich nicht verraten, aber der Auslöser hinter alledem ist ziemlich banal und antiklimaktisch. Die unbestreitbare Kompetenz ein Mysterium aufzubauen fällt "Jacob's Ladder" hier unglücklich vor die Füße, denn das kann nicht eingelöst werden.
Auch das Pacing fand ich nicht durchweg gut. Es fängt mit einem Knalleffekt und für mich der besten Szene (U-Bahnstation) an. Der Aufbau danach, wie Jacob immer weiter in den Kaninchenbau klettert, ist auch durchweg spannend. Wenn es dann im letzten Viertel an das Lüften des Geheimnisses geht, wird es aus den genannten Gründen deutlich schwächer. Besonders die Art, wie man es erfährt, finde ich regelrecht schlecht. Denn dann taucht einfach irgendjemand auf, der wenig Grund hatte sich so lange zurückzuhalten und erzählt uns und Jacob einfach in einem langen Monolog, was Sache ist. Die allerletzte Szene holt dann da noch einmal viel raus, weil sie aufgrund philosophischer Implikationen das Gehirn nochmal ordentlich anwirft. Denn dann steht auch zur Frage, ob eigentlich gar nichts real war oder es sogar eine Parallelwelt gibt – aber auch hier keine Spoiler. Es entstehen auf jeden Fall einige interessante Fragezeichen über die man selbst wiederum lange Aufsätze schreiben könnte.
"Jacob's Ladder" ist weit weg davon ein schlechter Film zu sein, kann aber heutzutage nicht mehr so herausstechen. Aufgrund seiner Horrorelemente, sehr guter Schauspielerei und einem vielfach interpretierbaren Ende ist er aber trotzdem immer noch sehenswert.
3,5 von 5 Steren
https://letterboxd.com/film/jacobs-ladder/
Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=rJztRnDxdM8