The Deer Hunter (Die duch die Hölle gehen)
1978; Regisseur: Michael Cimino; Schauspieler_Innen: Robert De Niro, Christopher Walken, Meryl Streep; Genre: Antikriegsdrama
Michael, Nick und Steven sind Stahlarbeiter und Hobbyjäger. Sie wohnen in einer kleinen Stadt in Pennsylvania und sind mit ihren kleinen und unprätentiösen Leben sehr zufrieden. Steven heiratet und es steht ein großes Hochzeitsfest bevor. Es könnte also alles so schön sein, aber wir schreiben das Jahr 1968 und die drei Freunde haben sich verpflichtet in Vietnam zu kämpfen. Nach der Hochzeit reisen sie ab, werden Kriegsgefangene des Vietcong und danach ist nichts mehr so, wie es war.
Der Vietnamkrieg war offiziell erst drei Jahre beendet als "The Deer Hunter" in die Kinos kam. Michael Ciminos Film ist damit der erste, der sich kritisch mit dem Konflikt und vor allem den menschlichen Folgen ganz normaler amerikanischer Bürger auseinandersetzt. Es gehörte großen Mut dazu, denn der erste verlorene Krieg der USA und 60000 umsonst gestorbene Soldaten haben große Narben hinterlassen. Das Experiment glückte und man gewann fünf Oscars (Bester Film, Nebendarsteller, Regie, Schnitt und Ton) und erhielt vier weitere Nominierungen (Bester Hauptdarsteller, Nebendarstellerin, Drehbuch und Kamera). Cimino gewann ebenso den Golden Globe als bester Regisseur.
Beim normalen Publikum ist "Die durch die Hölle gehen" (deutscher Titel) aber immer schon eher geteilt aufgenommen worden. Das liegt vor allem an einer Sache: Es wird sich Zeit gelassen. Die drei Akte teilen sich in eine Phase vor Vietnam, eine in Vietnam und eine nach Vietnam. Das, wenn man es böse ausdrückt, Vorgepänkel geht knapp 70 Minuten. Dort sehen wir die zumeist glücklichen Hauptprotagonisten ihrem alltäglichen Leben nachgehen. Allein für das Hochzeitsfest gehen 30 Minuten drauf. Das ist natürlich volle Absicht, weil wir mit den Charakteren zusammenwachsen sollen. Für mich hat das immer funktioniert und ich finde das auch nicht langweilig. Jede Minute, die man hier sieht tut weh, weil man weiß, dass diese Idylle bald zerstört wird. Der Tritt in die Magengrube kommt dadurch sehr viel schmerzhafter rüber, als wenn man nur eine kleine und oberflächliche Einführung gehabt hätte.
Aber auch im zweiten Akt bekommt man wenig geboten, was einem als Mainstreamzuschauer gefallen würde. Wer sich hier großartig Kriegsaction erhofft, wird bitter enttäuscht. Es gibt nur eine ganz kleine Gefechtsszene und dann folgt schon die Gefangennahme. Was dann allerdings in dieser Gefangenschaft passiert, gehört zu den intensivsten Erfahrungen, die Filme für mich bisher erzeugt haben. Diese absolute Todesangst ist so greifbar, dass es mich jedes Mal an den Sitz fesselt. Ich habe "The Deer Hunter" schon gesehen, als ich ziemlich jung war. An einer Stelle bekommt Steven eine Panikattacke und beginnt zu schreien. Das hatte ich nach dem ersten Mal Wochen im Ohr.
Auch befreien sie sich relativ schnell wieder und es wird der letzte Akt eingeleitet. Spätestens da wird klar, dass das kein Streifen über den Krieg ist, sondern lediglich von dessen psychischen Auswirkungen erzählt. Schnell begreift man, dass nichts mehr so ist, wie es einmal war - egal wie versehrt oder unversehrt man der Hölle physisch entkommen ist. Das ist wirklich absolut bitter und niederschmetternd und es zeigt, dass der Mensch nicht für den Krieg ausgelegt ist. Kriege sind Seelenfresser. Egal wie gut man damit klarkommt oder klarzukommen meint, man ist nicht mehr dieselbe Person. Man ist innerlich ein bisschen gestorben, obwohl man äußerlich vielleicht keinen Kratzer hat. Und das ist der interessanteste und beste Abschnitt. So zeigt sich, dass "The Deer Hunter" trotz seines langsamen Vorankommens eine funktionierende Dramaturgie hat, die sich in ihrer Spannung immer steigert.
Das mag nicht der beste Kriegsfilm aller Zeiten sein und unterhalten tut er auch nicht, aber es ist definitiv einer der besten Versuche PTSD – posttraumatische Belastungsstörung – abzubilden und damit ein großartiges und wichtiges Antikriegsdrama.
Diese Konzentration auf die menschlichen Schicksale wurde auch durchaus kritisiert. Die politischen und geopolitischen Hintergründe werden natürlich vollkommen ausgeblendet. Damit auch eine für viele nötige Kritik der handelnden Politiker zu dieser Zeit. Und natürlich wird der Konflikt in ein reines Schwarz-Weiß gezeichnet, weil der Vietcong in Person seiner Gefängniswärter ein nihilistisches und menschenfeindliches Monster ist, der seine Gefangenen für perverse Spiele und menschenverachtende Wetten missbraucht. Die US-Amerikaner, die im Vietnamkrieg zahlreiche Kriegsverbrechen begangen haben, sind hier lediglich Opfer. Die deutsche Journalistenlegende Peter Scholl-Latour lässt sich damit zitieren, bei der Darstellung der Gefängniswärter fast aus Protest den Kinosaal verlassen zu haben.
Ich konnte das nie nachvollziehen. Ein Film, der sich rein auf die Menschen konzentrieren will, darf das auch machen. Fakt ist: Es wurden amerikanische Soldaten dort gefoltert. Für die Aussage, dass Krieg schlimm ist, ist deren Nationalität aber eigentlich völlig egal. Hier sind es halt Amis. Man hätte auch von drei Vietnamesen erzählen können, die von G.I.s. gefoltert werden, aber es ist nun einmal ein amerikanisches Werk und dann hätte das vermutlich viel weniger Menschen erreicht. Von irgendeinem Patriotismus, der einen spüren lassen würde, dass das Erlebte nur oder besonders schlimm ist, weil es US-Amerikanern passiert, ist auch keine Spur. Auch nicht davon, dass dieser Krieg wichtig oder gerechtfertigt war und man ihn führen musste. Nur, weil man die großen Zusammenhänge weglässt, muss das ja keine Zustimmung sein. Ganz im Gegenteil: In der letzten Szene wird "God Bless America" angestimmt, was man für ziemlich zynisch halten kann, nachdem man erlebt hat, was die Charaktere durchmachen.
Besser so als eine eierlegende Wollmilchsau zu haben, die alles nur unbefriedigend abbildet. Wenn der notorisch im Schneckentempo erzählende Cimino auch noch Weltpolitik und Ambivalenz hätte verpacken müssen, wären wahrscheinlich nochmal drei Stunden hinzugekommen. Man kann natürlich der Auffassung sein, dass man Krieg nur so umfassend darstellen darf. Der Ansicht bin ich nicht, weil auch solche zunächst isoliert wirkenden Geschichten allgemeine Aussagen zulassen.
Das ist natürlich das, was ich mit meiner Weltanschauung da herausziehe. Ich habe durchaus einige Analysen gelesen, in denen das alles ultrapatriotisch gesehen wurde. Es sei eine Heroisierung des amerikanischen Soldaten und Bürgers allgemein, der sich nicht aufgibt und Leid für sein Land erträgt und sich dafür aufopfert. Dass das alles sein muss, weil Männer eben tun müssen, was sie tun müssen. Das lässt natürlich die Schwarz-Weiß-Zeichnung des Feindes und das Weglassen größerer politischer Zusammenhänge etwas kritischer wirken. Auch das "God Bless America" ist vor diesem Hintergrund wahrscheinlich dann auch nicht zynisch, sondern tatsächlich ernst gemeint. Auch Roger Ebert hat damals ausdrücklich den Status als Antikriegsfilm verweigert.
Ich bleibe aber bei meiner Sichtweise, weil die Charaktere am Ende einfach zu kaputt sind und alles auf einer so bitteren Note endet. Wer daraus zieht, dass Krieg geil ist und es sich lohnt für sein Land sowas auf sich zu nehmen, der ist in dieser Hinsicht eben schon genug vorgeprägt.
Man kann auch ganz oberflächlich vor allem eine Geschichte über Freundschaft sehen. Denn das ist auch ein großer Part, der immer wieder besonders berührt.
Muss ich zu den Schauspielern wirklich irgendetwas sagen? Robert De Niro, Christopher Walken und Meryl Streep. Eigentlich reichen die Namen. Trotzdem: Das ist natürlich absolute Oberklasse. Besonders Christopher Walken bringt eine wahnsinnig starke Leistung. Cimino brauchte für sein Werk Schauspieler, die alle Emotionen abbilden können: Von Lebensfreude über Todesangst bis zu Mimiken, in denen jegliche Glückseligkeit hinausgesogen wurde, musste hier alles gezeigt werden. Das ist gelungen.
Also "The Deer Hunter" mag Ecken und Kanten haben, langsam erzählt sein und wenige Höhepunkte bieten. Er zieht einen aber ganz verlässlich mit in den Abgrund von dem Nietzsche in seinem berühmten Zitat gesprochen hat – in den man sich verwandelt, wenn man zu lange in ihn hineinschaut. Großes, sicherlich streitbares Kino, das man aber mal gesehen haben muss.
5 von 5 Sternen.
https://letterboxd.com/film/the-deer-hunter/
Trailer:
https://www.youtube.com/watch?v=g7q1SjVdsNk
Erhältlich:
https://www.werstreamt.es/film/details/ ... lle-gehen/
Momentan gibt es auf Arte noch eine Doku über den Regisseur Michael Cimino, der ja zwei Jahre nach "The Deer Hunter" mit "Heaven's Gate" einen der größten Flops der Kinogeschichte produzierte:
https://www.arte.tv/de/videos/092129-00 ... f-amerika/ (anguckbar bis zum 29.07)