gdm41 hat geschrieben: ↑16. Mai 2022, 13:52auf der anderen Seite ist der Podcast (für mich) auch eher ein Laberpodcast wo man auch mal frei Schnauze spricht und eben nicht jedes Wort auf die Goldwaage legt.
Naja, der Gedanke ist doch gerade, dass es anstrebenswert wäre, wenn solche Falschverwendungen gar nicht erst zur freien Schnauze gehörten und das Bewusstsein für diese Erkrankung hoch genug wäre, dass man seine Worte nicht erst gülden abwiegen muss, um sich richtig auszudrücken. Das ist halt auch wieder wie beim N****r: das Ziel ist nicht, dass die Leute das Wort aus PC-Hörigkeit runterschlucken, sondern dass es gar nicht erst auf der Zunge liegt.
Und ich glaube auch, dass die Hörer da auch differenzieren können.
Und ich glaube aufgrund persönlicher Erfahrung und dem, was ich in der kurzen Zeit schon darüber gelernt habe, insbesondere auch bzgl. der Wahrnehmung der Erkrankung in der Bevölkerung, dass viele Hörer da nicht so gut differenzieren können, wie sie es vermutlich glauben. Wird man so einen flappsigen Kommentar als medizinischen Fachbeitrag aufnehmen? Nein. Aber es festigt bestehende Annahmen, von denen man selber vielleicht gar nicht weiß, dass sie falsch oder zumindest irreführend sind, oder gar nicht merkt, dass man sie hat.
es nicht darum geht ADHS Erkrankte zu diffamieren, sondern es halt er ein Synonym für eine bestimmte Art ist. Ähnlich ist es doch mit den Begriffen "Farbenblind" oder "taub" oder auch "dumme Kuh".
Der Begriff ist Synonym für eine bestimmte Art, ja, das Problem ist aber, dass er dann leider nicht mehr Synonym für die tatsächliche Erkrankung ist und so zum einen das Verständnis für die Betroffenen nicht entwickelt werden kann und zum anderen Menschen nicht behandelt werden, weil sie sich in dem, was das Synonym bedeutet, nicht wiedererkennen. (Und marctestarossas Eingangspost zeigt wohl recht eindrücklich, welchen Schaden das in jemandes Leben anrichten kann, denn die aufgezählten Punkte betreffen keine wenigen, krassen Einzelfälle, sondern sind fast schon Standardkrankheitsbild.) Von daher kann Menschen direkt geholfen werden, wenn wir daran arbeiten, ein zutreffenderes Bild von AD(H)S im kollektiven Bewusstsein zu schaffen.
Der Unterschied zu Ausdrücken wie farbenblind, taub oder meinetwegen auch dumme Kuh
ist, dass diese eindeutig als scherzhafte Übertreibung o.ä. erkannt und vom tatsächlichen Krankheitsbild getrennt wahrgenommen werden und da auch kein sonderlicher Schaden entsteht, wenn man nicht weiter informiert ist.
Wer farbenblind ist, merkt das irgendwann an einem konkreten Beispiel oder vielleicht sogar nie, aber, auch wenn's schade ist, wird sein Leben davon nicht so sehr beeinträchtigt. Vor allem wird keiner, der merkt, er kann z.B. grün und rot nicht auseinander halten, denken, aber ich bin bestimmt nicht farbenblind, weil die Leute das ja immer nur sagen, wenn einer an der Ampel nicht hält oder zu spät losfährt, aber rot und grün können die ja schon richtig erkennen. (Mal davon abgesehen, dass da auch nicht viel an Behandlungsmöglichkeiten verpasst würde, oder gibt es da viel, was man machen kann? Bei manchen hilft so eine Spezialbrille.)
Kein Tauber wird Gefahr laufen, nicht zu merken, dass er taub ist, weil die Leute umgangssprachlich fragen, bist Du taub, wenn einer nicht richtig zugehört hat. Kein Tauber wird deshalb nicht behandelt werden und Maßnahmen ergreifen, die ihm helfen, mit der Behinderung zu leben, etwa eine Operation anstreben oder Zeichensprache lernen, weil er dachte, ach taub sagen die Leute immer, wenn einer nicht aufpasst.
Niemand wird ernsthaft ein Tier auf der Weide nicht erkennen, weil er aufgrund der Redewendung glaubt, Kühe seien ihm unsympathische Frauen. Keine Kuh auf der Weide wird sich für eine unsympathische Frau halten und versäumen, ein glückliches Kuhleben zu führen, weil jemand eine unsympathische Frau als dumme Kuh bezeichnet hat.
Derweil werden immer wieder Erwachsene viel zu spät mit ADHS oder ADS diagnostiziert, weil sie,
obwohl sie selber betroffen sind, eben nicht wussten, was das eigentlich ist, weil bei derartigen, inneren Störungen kein erfahrbarer Vergleich mit Gesunden geschehen kann und sie immer nur das Bild von der nervigen Göre an der Supermarktkasse vor sich hatten, wenn das mal wo genannt wurde. Erwachsene, denen teilweise das ganze Leben dadurch versaut wurde. Und deshalb, nein, jemanden umgangssprachlich mit ADHS zu bezeichnen, ist eben nicht nur ein weiteres Synonym, von dem jeder weiß, dass das so nicht gemeint ist. Es
denkt sicherlich jeder, er wüsste das besser. Die Fakten zeigen aber, dass es nicht jeder weiß und dass das dann in den Fällen, wo es wichtig gewesen wäre, es zu wissen, enormen Schaden anrichten kann. Wenn das so
wäre, dass "die Hörer da differenzieren können", würden nicht so viele aufgrund falscher oder fehlender Vorstellungen nicht oder zu spät behandelt werden.
Von etwaigen Vorteilen und Belächelung durch Nichtbetroffene mal abgesehen, die sicherlich auch von sich denken, sie können das differenzieren, aber wenn der Neffe mit ADHS ankommt, heißt es hinter vorgehaltener Hand dann doch: "Ach, die Eltern können nur die schlechten Noten nicht akzeptieren, es muss ja heute jedes Kind studieren", oder "dem sollten sie mal lieber ab und zu eins hinter die Moppen wischen, anstatt Tabletten zu geben".