Schönes Thema, in sympathischer Umsetzung!
Persönlich und berufsbedingt geht mir's Thema des Öfteren durch den Kopf. Mal so'n sponante Gedanken, die mir während des Zuhörens in den Sinn kamen.
(1)
Repräsentation / Identifikation
Die Konzepte gehören zusammen, ich würde sie allerdings versuchen auch sprachlich klar zu trennen. Bei "Repräsentation" stelle ich meines Verständnisses vor, dass ein reales Sein - insb. im soziologischen Sinne z.B. Sozialgruppen - innerhalb eines Mediums dargestellt werden, eben repräsentiert. Beispielsweise die Frage, (i) ob und (ii) wie reale Frauen durch fiktive Frauen in Videospielen repräsentiert werden. Davon unterscheiden würde ich "Identifikation", also inwiefern ich als Spieler mich selbst in einer Figuren bzw. (Teil-)Aspekten einer Figur, o.Ä. wiedererkenne. Je höher die Überschneidung zwischen auch äußerlichen Merkmalen - z.B. Geschlecht, Hautfarbe, Körpermaße - aber auch psychosozialen - z.B. Sexualität, Millieu - der Figur(en) und mir ist, desto leichter fällt die Identifikation. In der Sache würde ich die Diskurse aber versuchen zu trennen, denn wenn man z.B. über Repräsentation spricht, so tut man dies i.d.R. in anderen Kontexten und mit anderen Zielsetzungen - und auch Problemstellungen im Hinterkopf - als wenn man über Identifikation spricht. Im Podcast wurde meines Eindrucks nach beides parallel verhandelt, aber z.T. unter demselben Begriff.
(2)
Warum "Repräsentation" wichtig ist.
Ich nehme mal die Fragen @Guthwulf als Aufhänger: sie sind sehr offen und in der Sache auch wirklich klug gestellt.
Ich würde das einmal aus persönlicher und beruflicher Perspektive beantworten, aber die Antwort ist auf Videospiele im Allgemeinen genauso anwendbar. Menschen besitzen diverse Identitäten, und diese Entwickeln sich oftmals in Abgrenzung zwischen Innen- und Außenwelt, d.h. der Frage danach, wer man selbst sei.
Guthwulf hat geschrieben: ↑31. Jul 2022, 11:36Wer ist dieses "Ich", dass sich da "repräsentiert" fühlen soll? Meine Hautfarbe? Mein Geschlecht? Meine sexuelle Orientierung? Mein moralisches Wertesystem? Meine kulturellen Traditionen? Meine Lebensrealität (als Großstädter im Deutschland des 21. Jahrhunderts)?
Persönliches Beispiel zu Frage 1: ich selbst bin weiß, Mitte 30, männlich, Deutscher, homosexuell. Das ist eine Auswahl (!) an Merkmalen, die aber nicht allesamt meine Identität prägen. Meine Hautfarbe spielt in meiner Selbstwahrnehmung keine Rolle, weil diese durch meine Außenwelt (fast) nie addressiert wird, d.h. weil ich fast ausschließlich von Menschen umgeben bin, die ähnlich aussehen wie ich, ergab sich hierbei nie die Notwendigkeit dieses Merkmal als Teil meiner Selbst wahrzunehmen, da es funktional nicht der Abgrenzung meiner Selbst nach Außen dient. "Weiß" gefühlt - und mich so identifiziert - habe ich erstmalig, als ich in Japan lebte und realisierte, dass mein Aussehen - Körpergröße, Phänotyp, Hautfarbe, etc. - nicht der Norm entsprach und ich entsprechend meines Aussehens auch anders behandelt wurde. "Weiß" sein - oder auch: Mitteleuropäer-Sein - wurde in diesem Moment zum Teil meiner Identität. Ich mag mir nun vorstellen, dass würde ich dauerhaft in Japan leben aber dieser Teil meiner Identität - kurz: Menschen, die so aussehen, wie ich es tue - in der Öffentlichkeit nicht repräsentiert werden, sich dies negativ auf meine Psyche auswirken würde, ganz banal gesagt, weil ich den Eindruck erhielte, dass Menschen wie ich in der Öffentlichkeit nicht existieren.
Was es am Ende also ist, dass repräsentiert wird, ist vielfältig. Eben weil der einzelne Mensch vielfältig ist, d.h. es sind immerzu nur (Teil-)Aspekte.
Guthwulf hat geschrieben: ↑31. Jul 2022, 11:36Und warum bzw. für was ist es relevant, dass das in einem Spiel "repräsentiert" wird?
Persönliches Beispiel zu Frage 2: Ich gehe in der Schule offen mit meiner Homosexualität um, aus dem Bewusstsein heraus, dass mir gegenüber Heranwachsende sitzen, die sich im Prozess der Identitätsbildung befinden, d.h. deren Identität noch dabei ist sich zu entwickeln. Und die im Allgemeinen sehr unsicher sind in Bezug auf sich selbst, auch wenn insb. die Jungen dies nach Außen versuchen zu überspielen. Typische Fragen an sich selbst sind dabei u.a. "Bin ich normal?", "Was denken andere über mich, wenn ...?", etc. Als Lehrkraft sehe ich's als meine Verantwortung insofern als Repräsentanz zu fungieren, dass ich eine Sichtbarkeit für nicht-heterosexuelle Sexualitäten im Klassenraum sichtbar mache. Banal gesagt: dass ich
ally bin insb. für jene Schüler*innen, die sich im bunten Spektrum der Sexualität verorten. Dies ist deshalb relevant, weil ich ggf. die bisher einzige Person in ihrem Leben bin, die ihnen das Gefühl vermitteln kann, dass sie nicht alleine sind - z.B. weil ich der erste schwule Mann bin, den sie kennen. Das Gefühl, nicht alleine zu sein, und zu sehen, dass auch dieser Aspekt der eigenen Lebenswelt, außerhalb der eigenen Gedanken in der Realität auftaucht - z.B. eben in Person von Lehrkräften - hilft Heranwachsenden enorm. Umgekehrt gesagt: Heranwachsende, die das Gefühl haben, mit sich und ihren Sorgen alleine zu sein, weil es niemanden gibt, der es nachvollziehen kann - z.B. weil niemand, den sie kennen, je in so einer Situation war - ist sehr belastend. Schüler*innen haben mir wiederholt gesagt, dass es ihnen enorm half, dass ich (und andere Lehrkräfte) eine Sichtbarkeit für sie schufen, indem wir uns selbst öffneten; eben in Form der Repräsentation.
Auf Videospiele übertragen sehe ich's daher aus einer pädagogischen Sicht als wünschenswert, wenn ein Medium das insb. bei Heranwachsenden derart populär ist, deren vielfältige Lebenswelt addressiert. Meine Kindheit und Jugend erlebte ich u.a. noch mit dem "Homosexuelle tragen Lederklamotten oder haben alle ein gebrochenes Handgelenk"-Trope, das insb. in US-Komödien der 90er-Jahre lief. Diesen wichtigen Aspekt meiner Lebenswelt in Videospielen addressiert zu sehen, hätte mir wohl viel bedeutet, u.a. auch weil es einen Beitrag zur Sichtbarkeit und damit Normalisierung beigetragen hätte.
Guthwulf hat geschrieben: ↑31. Jul 2022, 11:36Wie soll das gehen? Ich habe trotzdem noch nie einen Drachen erschlagen oder bin zu fremden Planeten gereist.
Jedwede Fiktion baut im Kern auf der Bezugnahme auf der
Conditio Humana auf. Du hast noch nie einen Drachen erschlagen, aber das ist's auch nicht, was am Ende relevant ist. Ich schaue aktuell mit meinem Mann mal wieder Star Trek - DS9. Vorgestern folgende Folge gesehen: ein Hauptcharakter, Odo, ist ein Formwandler, d.h. ein Alien, das an sich als flüssige Masse existiert und seine Form wandeln kann. Nach Außen hin gilt er als kühl und abgeklärt, ist aber insgeheim verliebt in Kira Nerys, ein Frau von einem anderen Planeten. Sie aber sieht in ihm nur einen sehr guten Freund. Sie wiederum erhält Besuch von Shakaar, ein Mann von einem anderen Planeten und einem ehemaligen Freund, welcher nun Gefühle für sie entwickelt. In einer Szene sieht man nun, wie Odo einige Fuß Abstand hält, während Kira und Shakaar lachend, sich gegenseitig umarmend den Gang entlang laufen. Die Kamera hält auf Odo und man erkennt seine Trauer, dass Shakaar, und nicht er, gemeinsam mit Kira lacht.
Nun ist's so: Ich bin kein Formwandler, ich war nie im Weltall. Ich stehe nicht auf Frauen, auch nicht auf jene von anderen Planeten. Würde man diese Szene nun verbatim lesen, wäre es unvorstellbar, wie Zuschauer überhaupt eine emotionale Beziehung aufbauen können. Aber das können sie. Ich konnte mich in diesem Moment mit Odo identifizieren, weil ich das Gefühl kenne, am Außenrand zu stehen,
nur ein Freund zu sein und zu sehen, wie der Mensch, den man liebt, einen anderen Weg einschlägt. Aliens, Raumstationen, etc. pp. ist Kosmetik und Gedönse: die Geschichten, die erzählt werden in
jeder Form der Fiktion, sind immerzu menschlich. Für Videospiele gilt dasselbe: Setting, Kosmetik und Gedönse ist eben nur die Oberfläche, aber darunter agieren Figuren in Erzählungen von Liebe, Sehnsucht, Angst, Hoffnung, etc. die für uns qua eigener Erfahrung oder qua Empathie nachvollziehbar sind, und in denen wir uns manchmal sogar wiedererkennen (identifizieren).
Mauswanderer hat geschrieben: ↑1. Aug 2022, 12:18Vielleicht ist das Thema auch einfach zu groß für eine Folge? Könnte mir da gut eine Ministaffel zu vorstellen, mit einzelnen Folgen al a "Repräsentation durch [Charaktermodelle/Charaktererzählung/Gameplay/Perspektive]". Sicher nicht alles gleichwertig, aber so unterschiedlich, dass eine gemeinsame intensive Besprechung eben schwierig ist.
Sympathische Idee. Es gibt im Journalismus ja auch biographische Ansätze, d.h. dass man nicht versucht im Allgemeinen über ein Thema zu reden, sondern im Einzelgespräch mit einem "Betroffenen." Persönlich fände ich so'n paar Gespräche mit verschiedenen Personen sympathischer, als Gespräche über Charaktermodelle, Erzählungen, etc. Weil man dann ja wieder über Menschen redet, obwohl es sich hier ja anbietet, mal die Innenperspektive von Spieler*innen zu hören. Da stünde am Ende nicht der Anspruch der Verallgemeinerbarkeit, aber es kämen wohl interessante Gespräche dabei rum, einfach mal die Spieler*innen selbst zu Wort kommen zu lassen: Frauen, Homosexuelle, People of Colour, Menschen mit Behinderungen, etc. pp.