Warum wird dieses Kriterium — es muss in der Geschichte irgendwo relevant sein — überhaupt bei manchen Eigenschaften verlangt und bei anderen nicht? Hetero- und Homosexualität sind egal, aber bei dem einen stört es, wenn es einfach so vorkommt, und bei dem anderen nicht.
Die Kritik, sexuelle Orientierung u.ä. würde nur genannt, um sie genannt zu haben, obwohl sie für die Geschichte irrelevant ist, kann ich einerseits nachvollziehen, da es unter Umständen gewollt wirken oder auch sein mag. Andererseits ist es aber auch interessant zu hinterfragen, warum das nicht "gewollt" sein darf und weshalb man das so empfindet.
Es hat jahrzehntelang niemand auch nur mit der Wimper gezuckt, wenn in einer Geschichte sexuelle oder die sexuelle Orientierung betreffende Anmerkungen oder Hinweise vorkamen, die mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun haben — solange sie heterosexuell waren. Wenn zum Beispiel der Ehemann einer Frau erwähnt wird oder ein Mann über seine Ex schimpft. Wenn heute in einer Geschichte ein Mann seinen Mann erwähnt, beschwert man sich, dass es für die Handlung nicht wichtig sei zu erfahren, dass er homosexuell ist — oder gleich darüber, dass es für die Handlung nicht nötig sei, dass der Charakter überhaupt homosexuell ist — beschwert sich aber bei all den wie selbstverständlich erwähnten heterosexuellen Ehen oder Partnerschaften nicht darüber, man hätte nicht hören müssen, dass der Charakter heterosexuell ist.
Man kann nicht wirklich sagen, die sexuelle Orientierung sei einem egal, wenn man sich gleichzeitig verbittet, auf Homosexualität o.ä.hingewiesen zu werden. Sexualität wirkt sich auf viele Aspekte des Lebens einer Person aus und diese sind Teil dieses Charakters, was heißt, dass man bei Charakteren, die nicht nur Staffage sind, zwangsläufig damit konfrontiert wird, auch wenn es in der Geschichte gar nicht um deren Sexualität geht.
Solchem Denken liegt letztlich die Vorstellung eines "Standardmenschen" zugrunde, der für Fiktion verwendet werden soll und alles andere dann nur, wo es "nötig" ist. Zu erwarten, dass homo- oder wie auch immer sexuelle Menschen nur in Geschichten vorkommen sollen, wo das auch relevant ist, ist in etwa so sinnvoll wie zu erwarten, dass beispielsweise asiatische Menschen nur in Geschichten vorkommen sollen, in denen ihre asiatische Abstammung thematisiert oder relevant ist, so als wären das keine ganz normalen Leute, denen irgendetwas genauso wie jedem anderen passieren kann. (Der kleine asiatisch aussehende Junge erlebt gefälligst keine abenteuerliche Schatzsuche im Wald, sondern soll bitte für einen Karate-Jugendwettbewerb trainieren.
) Wenn man für irgendeine Eigenschaft eine "narrative Rechtfertigung" verlangt, bringt man zum Ausdruck, dass man Menschen mit dieser Eigenschaft nicht als normalen und alltgäglichen Bestandteil unserer Gesellschaft betrachtet.
Und ich finde es auch argumentativ fragwürdig zu sagen, das direkte oder indirekte Erwähnen der Sexualität eines Charakters reduziere diesen darauf. Wenn eine Frau beiläufig ihren Mann erwähnt (oder auch nur ein Foto von ihrer Familie auf dem Schreibtisch hat), reduziert sie das auf ihre Heterosexualität? Hier spielt wohl eher Privilegierung der Mehrheit eine Rolle, die nicht verstehen will, dass sie mit zweierlei Maß misst.
Ich vermute, was manche stört, ist die gefühlte Haufigkeit, in der solche Dinge heutzutage vorkommen. Aber wenn (ausgedacht) 1/10 der Bevölkerung zum LGBT+-Spektrum zählt, bedeutet eine breite, repräsentative Darstellung in den Medien nun mal nicht, dass man nur in einem von zehn z.B. Filmen eine LGBT+Person sieht, sondern dass in jedem Film eine von zehn Personen LGBT+ ist. (Oder halt Bücher, Spiele, whatever.) Und wer jetzt sagt, die können ja auch ruhig statistisch korrekt LGBT+ sein, aber ich will das nicht mitkriegen müssen... naja. Warum beschwert man sich dann nicht, wenn man "mitbkriegt", dass eine(r) heterosexuell ist?