Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

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Jochen Gebauer
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von Jochen Gebauer »

Das "vermeintlich" macht in meinen Augen nur in Verbindung mit dem Gesamtsachverhalt Sinn. Denn ob die Frau zum mutmaßlichen (ha!) Tatzeitpunkt 15 Jahre alt war, kann man zweifelsfrei belegen. Dazu braucht man lediglich ihren Personalausweis. Sollte sich das "vermeintlich" tatsächlich auf das kolportierte Alter beziehen, hätte der Journalist seinen Job nicht gemacht.
Rigolax
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von Rigolax »

Ich glaube, das Problem ergibt sich für mich aus dem "sein will". Wenn stattdessen "ist" dort stünde, würde sich das "vermeintlich" für mich auf den ganzen Satzteil beziehen. Weil es aber mit "sein will" endet, klingt es für mich, als ob es sich auf das Alter bezieht, obwohl das ziemlich unsinnig ist. Aufgrund des "sein will" könnte man das "vermeintlich" (bzw. "mutmaßlich") ja eigentlich auch weglassen, ohne dass es als Tatsachenbehauptung dasteht.
Den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen über eine junge Frau, die vermeintlich als 15-Jährige eine sexuelle Beziehung mit Lindemann eingegangen sein will, konnte nach Angaben der Staatsanwaltschaft ebenfalls nicht erhärtet werden, da die Zeugin anonym blieb und nicht vernommen werden konnte.
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Aratirion
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von Aratirion »

Wenn sich plötzlich alle zu Verteidigern des Rechtsstaates aufschwingen und zu Aposteln der Unschuldsvermutung werden, die das davor eher weniger interessiert hat, dann ist zumindest gehörige Skepsis angebracht. So weit, so bekannt.

Ich finds trotzdem noch immer wieder erschreckend, wie infantil die Wahrnehmung, selbst vermeintlich gebildeter Menschen, ist, wenn es um diesen Fall geht. So auch wieder nach den jüngsten Entwicklungen (ein Business-Coach, weiblich, selbstständig, mit zig Followern, hat sich zB dazu gestern auf LinkedIn (!) dümmlich dazu geäußert).

https://www.faz.net/aktuell/gesellschaf ... 35772.html

Einstellung der Ermittlungen bedeutet

a) weder Freispruch, noch
b) dass sich generell keine Beweise finden lassen,
c) und auch nicht, dass all jene, die zuvor vermeintlich das juristische Prinzip Unschuldsvermutung vernachlässigt hätten (weil sie sich selbst im öffentlichen Diskurs ein Urteil gebildet haben, oder darüber berichtet hätten) nun Lügen gestraft wurden,
d) und schon gar nicht, dass alle Frauen gelogen hätten,

sondern ausschließlich, dass zu wenig handfeste Beweise in diesem konkreten Verfahren vorlagen (was in solchen Fällen nicht verwunderlich ist, da niemand mitfilmen konnte, so viele Wochen und Monate später keine körperlichen Nachweise mehr festzustellen waren, etc.) bzw. zu wenige oder keine Zeugenaussaugen aufzutreiben waren. Nun fragt sich jeder, warum sich jene, die sich über die Medien als Betroffene zu Wort gemeldet haben, nicht getraut haben, nach Berlin zu fahren/fliegen und sich in den Gerichtssaal zu begeben, um sich dort noch mal zu exponieren, während gleichzeitig die Anwälte alles und jeden niederklagen, der nicht bei 3 die Klappe hält, und eine radikalisierte Fanbase jeden bespuckt, der ihren heiligen Till der Vielweiberei beschuldigt.

Wir sind back to square one. Hier die Aussagen von jenen Frauen, die ihre tatsächlichen oder (erfundenen? warum auch immer sie das tun sollten) Erfahrungen schildern; dort das kategorische Abstreiten eines Sängers, der aber schon nicht mal mehr die vollständige Rückendeckung der eigenen Band in dieser Sache genießen konnte ("wir haben uns von ihm entfernt; er hat in dieser Sache sein eigenes Ding durchgezogen; etc."); schließlich der Kontext, bestehend aus Medienberichterstattung, Diskurs zwischen Hardcore-Verteidigern, Vernünftigen und Hexenjägern, und einer Fanbase, die selbst immer wieder zu großen Teilen auch vor diesem Fall schon behauptet hat, dass das hier verhandelte offenbar gängige Praxis wäre.

Wieder mal bleibt einem nix anders über, als sich selbst ein Bild zu machen. Aber schon etwas ironisch, dass all jene, die zuvor nach Unschuldsvermutung geschrien haben und sich überhaupt kein Bild machen wollten (außer höchstens ein geschöntes), dieses Nichturteil nun heranziehen um wiederum vollmundig zu behaupten, alles wäre ja erstunken und erlogen gewesen, und ein Bild der eitlen Wonne zeichnen.

Mich erinnert das jetzt ein bissl an den Fall Johnny Depp - wenngleich, dessen Anwaltsseite ja bewusst den Weg der Öffentlichkeit gefordert hat; ein nichtssagender Prozess, in dem gar kein richtiges Urteil getroffen werden konnte, wird nun als Totschlagargument und Generalreinwaschung verwendet. Und am Ende kann man sagen: der Rechtsstaat hat entschieden. Obwohl er eigentlich gar nichts entschieden hat.

Was mich an diesem Fall aber schon etwas erstaunt, ist dieses komplette Abstreiten. Bei Johnny Depp gab es zumindest ein öffentliches Hose-runter-lassen, in dem ganz viele unschöne Details zugelassen wurden, was zumindest indirekt auch den Schluss zugelassen hat, dass hier jemand selbst nicht ganz glücklich darüber ist, wie Dinge verlaufen sind; ich erinnere mich an Arnold Schwarzenegger, der sich auf seine Grapscher-Vorwürfe hin wenige Tage später hingestellt und sich entschuldigt und nichts abgestritten hat (und jetzt noch weitaus reflektierter auftritt als damals); Anthony Kiedis von den Red Hot Chili Peppers (dessen Bio ich grad lese) beschreibt dutzende Fälle von Sex mit Groupies (selbst mit einer Minderjährigen), wurde aber auch noch nie öffentlich irgendwelcher Untaten bezichtigt (höchstens der Angeberei), usw. Zumeist ist es ja auch eine gewisse Strategie, ein bissl was zuzugeben, um dem großen shitstorm, die Luft aus den Segeln zu nehmen. ZB hätte Lindemann ja sagen können, "ja klar schlaf ich mit meinen Groupies, die wollen ja auch, aber war immer nur mit Zustimmung, etc."; aber sich so gar nicht zu äußern ist schon irgendwie lächerlich für jemanden, der sich sonst so hypermaskulin und stark gibt und Texte schreibt, die nicht gerade harmoniebedürftigt anmuten.

Dieses Vorgehen Lindemanns hat gewissermaßen die Polarisierung befeuert. Hätte er sich ein bisschen reuig gezeigt, dann hätten wenigstens auch im öffentlichen Diskurs alle einen Schritt aufeinanderzugehen können, selbst bei unterschiedlicher Beurteilung der Lage. So bleibt einem aber gar nichts anderes übrig, als sich auf eine Seite zu schlagen (oder halt zu der Sache komplett zu schweigen).

Und traurigerweise wurde - in diesem #metoo-Pendelschalg - auch hier wieder die Chance vertan, den Diskurs letztlich auf das eigentlich spannende Thema zu lenken: welche Art von (sexuellem) Star <> Fan Kontakt soll auch heute noch zulässig sein, welche hat zumindest ein Geschmäckle, und welche ist tatsächlich gesellschaftlich (und/oder juristisch) abzulehnen? Ab wann beginnt ein Machtungleichgewicht problematisch zu werden? Welche Art der emotionalen oder psychischen Belästigung / welcher toxische oder sonstwie fragwürdige Kontext führt in Begegnungen und Beziehungen zweier Menschen dazu, dass jemand Verantwortung übernehmen muss, statt sich mit wechselseitig infantilem Benehmen oder gegenseitiger Traumatisierung in einer sich selbst hochschaukelnden Dynamik zu begnügen. etc. etc.
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Jochen Gebauer
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von Jochen Gebauer »

Aratirion hat geschrieben: 31. Aug 2023, 11:02Dieses Vorgehen Lindemanns hat gewissermaßen die Polarisierung befeuert. Hätte er sich ein bisschen reuig gezeigt, dann hätten wenigstens auch im öffentlichen Diskurs alle einen Schritt aufeinanderzugehen können, selbst bei unterschiedlicher Beurteilung der Lage
Ist wahrscheinlich nüchtern betrachtet auch gar nicht möglich. Jedes noch so kleine Schuldeingeständnis wird Zivilklagen, Schmerzensgeld, Schadenersatz usw. Tür und Tor öffnen. Das Ganze ist ja kein rein deutscher Vorgang; die Vorwürfe sind international, und gerade in Ländern wie den USA werden mitunter sehr harte Strafen verhängt. Abstreiten und Schweigen werden da juristisch einfach alternativlos sein, auch wenn's natürlich sehr betrüblich ist und der Sache nicht hilft.

Der Fall zeigt imho wieder einmal, wie schlecht der Rechtsstaat für solche Anschuldigungen gerüstet ist, weil seine Parameter aus tief analogen Zeiten stammen. Auch die von dir angesprochene Unschuldsvermutung spielt hier rein. Natürlich ist die zunächst eine rein juristische Setzung: Ein Beschuldigter hat vor der Staatsmacht als unschuldig zu gelten, bis seine Schuld bewiesen ist. De facto jedoch war die Unschuldsvermutung in analogen Tagen auch eine gesellschaftliche; schlicht, weil die Öffentlichkeit in der Regel viel zu wenig wusste, um hier eindeutige Stellungen, Boykottaufrufe usw. zu beziehen Man kann einerseits natürlich gut verargumentieren, dass ich als Individuum niemanden für unschuldig zu halten habe, bloß weil er freigesprochen wurde. Das ist selbstverständlich legitim. Dass das regelmäßig und in größerem Maße stattfindet, damit kann das System bloß schlecht umgehen. Und so kann man andererseits argumentieren, dass der Umstand, dass die juristische Aufarbeitung vielfach keine größere Rolle mehr spielt oder zur Randnotiz wird, ein schädlicher fürs gesellschaftliche Miteinander ist. Wenn Schuld oder Unschuld gewissermaßen zum Krämerladen wird, wo sich jeder seine eigenes Urteil selbst aussucht, dann führt das notwendig zu Spaltungen.

Wohlgemerkt: Ich will damit nicht sagen, dass sich Opfer nicht mehr äußern sollten oder dürfen oder dass jeder blind der Justiz folgen sollte oder muss. Keineswegs. Ich will lediglich aufzeigen, dass es dringend Reformen in der Justiz bedürfte, um modernen Entwicklungen Rechnung zu tragen, die derzeit das vorhandene System komplett überfordern. Und zumindest in Teilen auch nachfolgend der Bereitschaft, dieser Justiz zu vertrauen, dass sie ihren Job gut macht. Das tut sie derzeit nicht. Aber das kann sie auch gar nicht. Die Einstellung der Ermittlungen bei Lindemann ist quasi das perfekte Beispiel. Wenn sich keine Opfer bei der Polizei melden und die Journalisten völlig zu Recht auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht pochen - was soll eine Staatsanwaltschaft anderes tun? Das alleine - zahlreiche Opfer und Anschuldigungen auf der einen, keine Anhaltspunkte für die Ermittlungen auf der anderen Seite - sollte eigentlich jedem klar machen, dass hier systemisch etwas fundamental kaputt ist.
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Aratirion
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von Aratirion »

Jochen Gebauer hat geschrieben: 31. Aug 2023, 11:33
Aratirion hat geschrieben: 31. Aug 2023, 11:02Dieses Vorgehen Lindemanns hat gewissermaßen die Polarisierung befeuert. Hätte er sich ein bisschen reuig gezeigt, dann hätten wenigstens auch im öffentlichen Diskurs alle einen Schritt aufeinanderzugehen können, selbst bei unterschiedlicher Beurteilung der Lage
Ist wahrscheinlich nüchtern betrachtet auch gar nicht möglich. Jedes noch so kleine Schuldeingeständnis wird Zivilklagen, Schmerzensgeld, Schadenersatz usw. Tür und Tor öffnen. Das Ganze ist ja kein rein deutscher Vorgang; die Vorwürfe sind international, und gerade in Ländern wie den USA werden mitunter sehr harte Strafen verhängt. Abstreiten und Schweigen werden da juristisch einfach alternativlos sein, auch wenn's natürlich sehr betrüblich ist und der Sache nicht hilft.

Der Fall zeigt imho wieder einmal, wie schlecht der Rechtsstaat für solche Anschuldigungen gerüstet ist, weil seine Parameter aus tief analogen Zeiten stammen.

...
Ja, völlige Zustimmung zu allen Punkten!

Es stimmt natürlich, ein Zugeständnis dieser Art wäre in diesem konkreten Fall wohl problematischer gewesen als in den anderen von mir genannten (da entweder eh schon gerichtlich anhängig und verhandelt, verjährt oder mittels Diversion geregelt). Rein vom Standpunkt des möglichen Verlaufs des gesellschaftlichen Diskurses betrachtet, ist es aber natürlich schade, dass diese Option hier nicht vorgelegen hat.

Ich sehe hier natürlich auch zuallererst das Problem, dass der Rechtsstaat mit solchen Fällen schwer umgehen kann, konnte und wohl auch noch länger schwer damit umgehen können wird - und andererseits eine zunehmende Diskrepanz zwischen den Möglichkeiten und Regeln ebenjenen Rechtsstaats und eines öffentlichen Diskurses, der sich nicht mehr nur auf TV, Zeitung, Stammtisch reduziert, sondern eben die Dauerbehandlung eines Themas 24/7 über zig Kanäle und Plattformen auf der ganzen Welt vernetzt, vorsieht, in der Polarisierung und undifferenzierte Behandlung (zumindest in der wahrnehmbaren Masse; freilich gibt es genug Nischen, so wie diese hier, in denen ein überaus hochwertiger Diskurs möglich ist) geradezu unvermeidbar wird. Das erzeugt schließlich eine noch größere emfpundene oder tatsächliche Diskrepanz zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und Behandlung einer Sache (die ja weiterhin wichtig ist und möglich sein muss; die Grenze des gesellschaftlich akzeptablen ist eben nicht nur das Strafrecht und die Verurteilung; das zeigt sie ja gerade bei problematischen Urteilen; die (Zivil-)Gesellschaft, die Medien müssen ja weiterhin die Möglichkeit haben, sich auch über Urteile kritisch zu äußern, zu anderen Einschätzungen zu kommen, etc.) und der juristischen Abhandlung.

Die Aspekte der Sühne und Reintegration - im gesellschaftlichen Sinne; also, dass der Rechtsstaat mit seinem Urteil dem/der Täter*in auch ermöglichen muss, wieder als Mitglied in die Gesellschaft aufgenommen zu werden, ohne, dass ein vergangenes Verfehlen ein für alle mal determinierend wirkt - werden hier halt doppelt erschwert: einerseits, weil ein schwach ausgestatteter Rechtsstaat nichts abschließen kann, was gar nie richtig durchexerziert wurde; andererseits, weil der öffentliche Diskurs Urteile nicht mehr akzeptiert oder (aus den genannten Gründen) akzeptieren kann, wodurch ein Fall wie dieser (oder die Wahrnehmung einer Person) zu einem (einer) "schwelenden" wird und "Erlösung" nur durch die Konjunktur der Aufmerksamkeit möglich wird. Sprich, nicht die ordentliche, juristische Aufarbeitung ermöglicht Sühne und Reintegration, sondern die Tatsache, dass ein anderer Skandal die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit okkupiert. Je nachdem, wie sich der Zeitgeist entwickelt, ist dann jemand oder etwas auf ewig verbrannt oder plötzlich wieder reingewaschen.
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Jochen Gebauer
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von Jochen Gebauer »

Aratirion hat geschrieben: 31. Aug 2023, 11:54Die Aspekte der Sühne und Reintegration - im gesellschaftlichen Sinne; also, dass der Rechtsstaat mit seinem Urteil dem/der Täter*in auch ermöglichen muss, wieder als Mitglied in die Gesellschaft aufgenommen zu werden, ohne, dass ein vergangenes Verfehlen ein für alle mal determinierend wirkt - werden hier halt doppelt erschwert: einerseits, weil ein schwach ausgestatteter Rechtsstaat nichts abschließen kann, was gar nie richtig durchexerziert wurde; andererseits, weil der öffentliche Diskurs Urteile nicht mehr akzeptiert oder (aus den genannten Gründen) akzeptieren kann, wodurch ein Fall wie dieser (oder die Wahrnehmung einer Person) zu einem (einer) "schwelenden" wird und "Erlösung" nur durch die Konjunktur der Aufmerksamkeit möglich wird. Sprich, nicht die ordentliche, juristische Aufarbeitung ermöglicht Sühne und Reintegration, sondern die Tatsache, dass ein anderer Skandal die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit okkupiert. Je nachdem, wie sich der Zeitgeist entwickelt, ist dann jemand oder etwas auf ewig verbrannt oder plötzlich wieder reingewaschen.
Das ist ein sehr guter und wichtiger Aspekt. Denn die Rechtssprechung der Justiz berücksichtigt - aus gutem Grunde - ja die Reaktion des Beschuldigten. Erklärt er sich, trägt er zur Aufarbeitung bei, zeigt er Reue. Das Eigeninteresse des Beschuldigten liegt also oft im Einklang mit dem gesellschaftlichen Interesse. Findet der Prozess hingegen im öffentlichen Social-Media-Gerichtssaal statt, liegt es oft im Eigeninteresse des Beschuldigten, alles ganz weit von sich zu weisen und zu hoffen, dass der Sturm möglichst bald den nächsten Kahn erfasst. Und hinzu kommt die paradoxe Situation, dass sich der Beschuldigte durch das, was ihm vor einem Gericht positiv ausgelegt würde, überhaupt erst justiziabel angreifbar machte.

Ich habe auch kein Patentrezept, wie man das auf die Schnelle lösen könnte. Aber es kann imho nicht im Interesse einer Gesellschaft sein, das einfach so weiterlaufen zu lassen. Das hilft am Ende niemandem.
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von Rince81 »

Jochen Gebauer hat geschrieben: 31. Aug 2023, 12:04 Das ist ein sehr guter und wichtiger Aspekt. Denn die Rechtssprechung der Justiz berücksichtigt - aus gutem Grunde - ja die Reaktion des Beschuldigten. Erklärt er sich, trägt er zur Aufarbeitung bei, zeigt er Reue. Das Eigeninteresse des Beschuldigten liegt also oft im Einklang mit dem gesellschaftlichen Interesse.
Widerspruch, du gehst mit der Aussage nämlich grundsätzlich von der Schuld des Beschuldigten aus - und das kannst du ganz elementar nicht.

Das Schweigen eines Angeklagten vor Gericht oder fehlende Reue darf ihm nicht negativ ausgelegt werden, ebenso ein konsequentes bestreiten der Tat. Das ist sein Grundrecht und ist oft auch richtig, den schließlich ist es die Aufgabe der Staatsanwaltschaft das Gericht durch Vorlage von Beweisen von der Schuld des Angeklagten zu überzeugen und nicht seine Verantwortung, sich selbst ans Messer zu liefern. Daher auch der Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten"
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Jochen Gebauer
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von Jochen Gebauer »

Rince81 hat geschrieben: 31. Aug 2023, 12:11Widerspruch, du gehst mit der Aussage nämlich grundsätzlich von der Schuld des Beschuldigten aus - und das kannst du ganz elementar nicht
Nein, tue ich nicht. Es kann auch durchaus im Interesse eines unschuldigen Angeklagten sein, sich schuldig zu bekennen und Reue zu zeigen für etwas, das er/sie gar nicht getan hat. Dass einem Angeklagten ein Schweigen nicht strafverschärfend vorgeworfen werden kann, weiß ich wohl. Aber ein Schuldbekenntnis nebst Reue wird in der Regel immer strafmildernd wirken. Und wenn mit einiger Wahrscheinlichkeit trotz Unschuld eine Verurteilung zu befürchten ist, dann ist das eine durchaus vernünftige Alternative.
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Aratirion
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von Aratirion »

Ich bin hier leider mit meinem Latein auch etwas am Ende. Vielleicht wäre es - auch angesichts finanzieller Mittel in der Justiz - ratsam, das Instrument der Diversion und Mediation noch stärker zu nutzen. Das mag zwar im schlimmsten Fall zu Knebelverträgen und "Schweigezahlungen" führen, ermöglicht aber vielleicht auch halbwegs faire "Deals" abseits der Medienöffentlichkeit, in denen zumindest alle Beteiligten ein bisschen zu "ihrem Recht" kommen. Einziger Wermutstropfen: sowas hat immer mehr den Charakter von "Bargaining" im kapitalistischen, marktwirtschaftlichen Sinne und folgt eher weniger der juristischen Logik, die durchaus auch anderen Prinzipien verpflichtet ist (wenngleich natürlich gewisse Gesetzestexte vollkommen durchzogen sind von kapitalistischer bzw. marktwirtschaftlicher Denke, etwa die Definition von "Wert" in Allg. Bürgerlichen Gesetzbüchern).

Ansonsten natürlich das übliche. (Medien-)Bildung, Aufklärung, verantwortungsbewusstere Berichterstattung (von Medien) und Kommentare (von Laien). Etc. Das Problem nur: das gibts ja eh da und dort, nur geht es halt - gefühlt zumindest - unter in der Kakophonie des Streits und der Dauerbehandlung ohne Chance auf Streitbeilegung.

Having said that; was mich etwas positiver stimmt, ist der Umstand, dass ich heute wieder weitaus besser kann mit jenen, denen ich in der Corona-Hochzeit (aufgrund ihrer Ansichten, Postings, etc.) keinen Zentimeter mehr über den Weg getraut habe. Irgendwie werde ich hier "altersmilde"... vll. trifft das auch auf viele ("unnötig") verfeindete oder polarisierte gesellschaftliche Gruppen zu. Wenn ich den hardcore Rammstein Fan in anderem Kontext - zB Mittelaltermarkt - über den Weg laufe, und das Thema nicht aufkommt, öffnet sich wieder ein Möglichkeitsraum für Verständigung auf anderen Ebenen und sowas wie gesellschaftliche Solidarität über bestimmte Bruchlinien hinaus. Das ist aber letztlich natürlich nur eine Seite der Medaille: die gesellschaftliche; der Justiz hilft das nicht viel.
Zuletzt geändert von Aratirion am 31. Aug 2023, 12:24, insgesamt 2-mal geändert.
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Aratirion
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von Aratirion »

Rince81 hat geschrieben: 31. Aug 2023, 12:11
Jochen Gebauer hat geschrieben: 31. Aug 2023, 12:04 Das ist ein sehr guter und wichtiger Aspekt. Denn die Rechtssprechung der Justiz berücksichtigt - aus gutem Grunde - ja die Reaktion des Beschuldigten. Erklärt er sich, trägt er zur Aufarbeitung bei, zeigt er Reue. Das Eigeninteresse des Beschuldigten liegt also oft im Einklang mit dem gesellschaftlichen Interesse.
Widerspruch, du gehst mit der Aussage nämlich grundsätzlich von der Schuld des Beschuldigten aus - und das kannst du ganz elementar nicht.

Das Schweigen eines Angeklagten vor Gericht oder fehlende Reue darf ihm nicht negativ ausgelegt werden, ebenso ein konsequentes bestreiten der Tat. Das ist sein Grundrecht und ist oft auch richtig, den schließlich ist es die Aufgabe der Staatsanwaltschaft das Gericht durch Vorlage von Beweisen von der Schuld des Angeklagten zu überzeugen und nicht seine Verantwortung, sich selbst ans Messer zu liefern. Daher auch der Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten"
Was du sagst, ist grundsätzlich ja nicht falsch, aber ich habe das Gefühl, dass es hier gar nicht so recht darum gegangen ist, sondern eher, wie eben eine saubere, an den hehren Prinzipien des Rechtsstaats orientierte Verhandlung eines Sachverhalts erschwert wird durch bestimmte Entwicklungen in der (Medien-)Öffentlichkeit. Wenn der Rechtsstaat sowohl ein Urteil im Sinne der Rechtsordnung, als auch sowohl Genugtuung für das Rechtsempfinden der Gesellschaft wie Reue/Sühne des Täters und Reintegration in die und Vergebung durch die Gesellschaft ermöglichen soll, dann stellt sich das heute gerade in solchen Fällen als äußerst schwierig heraus.

Klar, wir streiten uns hier auch darum, ob überhaupt irgendwas verwerfliches passiert ist. Aber auch dieser Graben zwischen: "Ist überhaupt nix passiert" und "Sexualstraftäter in großem Maße" lässt sich halt schwer überbrücken, wenn die betroffene Person komplett mauern muss.
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Crenshaw
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von Crenshaw »

Jochen Gebauer hat geschrieben: 31. Aug 2023, 12:15
Rince81 hat geschrieben: 31. Aug 2023, 12:11Widerspruch, du gehst mit der Aussage nämlich grundsätzlich von der Schuld des Beschuldigten aus - und das kannst du ganz elementar nicht
Nein, tue ich nicht. Es kann auch durchaus im Interesse eines unschuldigen Angeklagten sein, sich schuldig zu bekennen und Reue zu zeigen für etwas, das er/sie gar nicht getan hat. Dass einem Angeklagten ein Schweigen nicht strafverschärfend vorgeworfen werden kann, weiß ich wohl. Aber ein Schuldbekenntnis nebst Reue wird in der Regel immer strafmildernd wirken. Und wenn mit einiger Wahrscheinlichkeit trotz Unschuld eine Verurteilung zu befürchten ist, dann ist das eine durchaus vernünftige Alternative.
warum sollte sich jemand, der unschuldig ist, schuldig bekennen und dann ggfs. sein restliches Leben im Gefängnis verbringen? da können wir auch gleich die Lynchjustiz einführen
wenn man unschuldig verurteilt wird, ist das meines Erachtens ein deutlich größeres Versagen des Rechtsstaates, als wenn ein Schuldiger freigesprochen wird und erinnert nicht ohne Grund an diverse Diktaturen
Rince81 hat geschrieben: 31. Aug 2023, 12:11 die Aufgabe der Staatsanwaltschaft das Gericht durch Vorlage von Beweisen von der Schuld des Angeklagten zu überzeugen und nicht seine Verantwortung, sich selbst ans Messer zu liefern.
ich dachte die Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist, alle Beweise/Indizien/Hinweise für und gegen den Angeklagten zu sammeln, damit der Richter ein gerechtes Urteil fällen kann, dass viele Staatsanwaltschaften gefühlt eher anders sehen, ist mir klar
Jochen Gebauer hat geschrieben: 31. Aug 2023, 12:04 Das Eigeninteresse des Beschuldigten liegt also oft im Einklang mit dem gesellschaftlichen Interesse
da wiederspreche ich aber deutlich, der Beklagte will in der Regel einen Freispruch oder mildes Urteil, das gesellschaftliche Interesse ist/sollte aber sein den Sachverhalt aufzuklären und dann ggfs. ein gerechtes Urteil zu sprechen bzw. wenn du mehr Richtung Bevölkerung gehst, dann wollen die meisten, meist nur jemanden hängen sehen (Bildlich gesprochen)

deine Einstellung scheint mir eher der amerikanische Weg zu sein, im Zweifel alles negativ auslegen und dann (extrem) hart bestrafen und davon nen bissel erlassen, als Anerkennung der Reue (was aber in der Regel auch eher ein Feigenblatt ist)


eines der größten Probleme meiner Meinung nach, ist die Öffentlichkeit, es werden öffentlich Anschuldigungen gemacht (egal ob gerechtfertigt oder nicht) und dann beginnt die Hexenjagd, wobei auch die Staatsanwaltschaft mit Pressekonferenzen und durchstechen von Ermittlungsergebnissen gerne mitmacht, wenn das alles mehr der weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden würde und erst im Zuge von Verhandlungen öffentlich würde, wäre vieles deutlich "entspannter" und auch Opfer/Zeugen/Beklagte müssten nicht befürchten, von hier auf jetzt nen Spiesrutenlauf durchstehen zu müssen und die Staatsanwaltschaft könnte ermitteln, ohne dass es irgendjemand immer besser weis
Rigolax
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von Rigolax »

Crenshaw hat geschrieben: 31. Aug 2023, 18:26 warum sollte sich jemand, der unschuldig ist, schuldig bekennen und dann ggfs. sein restliches Leben im Gefängnis verbringen? da können wir auch gleich die Lynchjustiz einführen
Hat Jochen doch erklärt? Es kann rational sein, sich schuldig und reuig zu bekennen für etwas, das man gar nicht getan hat. Ich kenne das vor allem im US-Kontext, wenn manche "deals" annehmen, obwohl sie eigentlich gar nicht schuldig sind, weil deren Anwälte auch dazu raten, da eine Verurteilung sehr wahrscheinlich scheint.

Oder geht's darum, dass man dann aus Prinzipiengründen auf die eigene Unschuld beharren sollte? Das wäre ja quasi das Äquivalent dazu, Folter auszuhalten, statt (irgendwann) einfach eine Tat zu "gestehen", damit die Folter aufhört, auch wenn die Folter womöglich viel schlimmer ist, als was einem bei einem Pseudo-Geständnis droht. Warum sollte man das aber denn machen?
Crenshaw hat geschrieben: 31. Aug 2023, 18:26 wenn man unschuldig verurteilt wird, ist das meines Erachtens ein deutlich größeres Versagen des Rechtsstaates, als wenn ein Schuldiger freigesprochen wird
Das stimmt, wobei es auch da eine Balance geben muss. Also sagen wir, man ist sich nur 99,8% sicher, dass jemand Täter ist, dann kann man m.E. durchaus verurteilen in der Regel; würde man dafür eine Todesstrafe verhängen, wird es aber sehr fragwürdig. Geht es lediglich um eine Verwarnung/Bewährung, wäre vielleicht eine 98% Wahrscheinlichkeit schon okay. Im Endeffekt ist man sich ja oft nicht 100% sicher, ob jemand wirklich schuldig ist.
Crenshaw hat geschrieben: 31. Aug 2023, 18:26 ich dachte die Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist, alle Beweise/Indizien/Hinweise für und gegen den Angeklagten zu sammeln
Das stimmt, § 160 Abs. 2 StPO: "Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln [...]."
Crenshaw hat geschrieben: 31. Aug 2023, 18:26 da wiederspreche ich aber deutlich, der Beklagte will in der Regel einen Freispruch oder mildes Urteil, das gesellschaftliche Interesse ist/sollte aber sein den Sachverhalt aufzuklären und dann ggfs. ein gerechtes Urteil zu sprechen bzw. wenn du mehr Richtung Bevölkerung gehst, dann wollen die meisten, meist nur jemanden hängen sehen (Bildlich gesprochen)[...]
Ich glaube, du hast den Punkt nicht ganz verstanden, soweit ich es verstehe. Es geht ja darum, dass es oft im Interesse auch der Beschuldigten ist, Klarheit in einen Fall zu bringen, weil das für ihn Freispruch oder ein mildes Urteil bedingt. Wenn ich unschuldig bin, möchte ich den Fall ja eben aufgeklärt sehen und aktiv mitarbeiten (wobei auch juristisch dicht halten eine gute Taktik teils sein kann). Im Social-Media-Gericht ist es aber wohl echt i.d.R. am besten, einfach auszusitzen oder alles zu verneinen; vermutlich empfehlen das 9 von 10 PR-Experten.
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Crenshaw
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von Crenshaw »

Rigolax hat geschrieben: 31. Aug 2023, 19:29
Crenshaw hat geschrieben: 31. Aug 2023, 18:26 warum sollte sich jemand, der unschuldig ist, schuldig bekennen und dann ggfs. sein restliches Leben im Gefängnis verbringen? da können wir auch gleich die Lynchjustiz einführen
Hat Jochen doch erklärt? Es kann rational sein, sich schuldig und reuig zu bekennen für etwas, das man gar nicht getan hat. Ich kenne das vor allem im US-Kontext, wenn manche "deals" annehmen, obwohl sie eigentlich gar nicht schuldig sind, weil deren Anwälte auch dazu raten, da eine Verurteilung sehr wahrscheinlich scheint.
ja gut im amerikanischen Rechtssystem gehe ich da mit, da ist es im Zweifel egal ob unschuldig oder nicht
aber im deutschen Rechtssystem (und darauf habe ich mich primär bezogen) halte ich das für eher unklug
Rigolax hat geschrieben: 31. Aug 2023, 19:29 Oder geht's darum, dass man dann aus Prinzipiengründen auf die eigene Unschuld beharren sollte? Das wäre ja quasi das Äquivalent dazu, Folter auszuhalten, statt (irgendwann) einfach eine Tat zu "gestehen", damit die Folter aufhört, auch wenn die Folter womöglich viel schlimmer ist, als was einem bei einem Pseudo-Geständnis droht. Warum sollte man das aber denn machen?
ja klar, kommt natürlich aufs Vergehen an, aber sobald Vorstrafe oder ähnliches droht, wirds "kritisch", ne Vorstrafe kann Probleme machen
Crenshaw hat geschrieben: 31. Aug 2023, 18:26 wenn man unschuldig verurteilt wird, ist das meines Erachtens ein deutlich größeres Versagen des Rechtsstaates, als wenn ein Schuldiger freigesprochen wird
Das stimmt, wobei es auch da eine Balance geben muss. Also sagen wir, man ist sich nur 99,8% sicher, dass jemand Täter ist, dann kann man m.E. durchaus verurteilen in der Regel; würde man dafür eine Todesstrafe verhängen, wird es aber sehr fragwürdig. Geht es lediglich um eine Verwarnung/Bewährung, wäre vielleicht eine 98% Wahrscheinlichkeit schon okay. Im Endeffekt ist man sich ja oft nicht 100% sicher, ob jemand wirklich schuldig ist.[/quote]

das es ne 100%ig Sicherheit nicht gibt ist klar und ob man die Grenze bei 70/80/90% zieht, hängt halt vom Einzelfall ab, aber man hat ja genügend Fälle, die entweder sofort in der nächsten Instanz scheitern oder wo alle sagen, das ist nen Fehlurteil oder wo mit hängen und würgen ein Urteil erzwungen wird
Rigolax hat geschrieben: 31. Aug 2023, 19:29
Crenshaw hat geschrieben: 31. Aug 2023, 18:26 da wiederspreche ich aber deutlich, der Beklagte will in der Regel einen Freispruch oder mildes Urteil, das gesellschaftliche Interesse ist/sollte aber sein den Sachverhalt aufzuklären und dann ggfs. ein gerechtes Urteil zu sprechen bzw. wenn du mehr Richtung Bevölkerung gehst, dann wollen die meisten, meist nur jemanden hängen sehen (Bildlich gesprochen)[...]
Ich glaube, du hast den Punkt nicht ganz verstanden, soweit ich es verstehe. Es geht ja darum, dass es oft im Interesse auch der Beschuldigten ist, Klarheit in einen Fall zu bringen, weil das für ihn Freispruch oder ein mildes Urteil bedingt. Wenn ich unschuldig bin, möchte ich den Fall ja eben aufgeklärt sehen und aktiv mitarbeiten (wobei auch juristisch dicht halten eine gute Taktik teils sein kann). Im Social-Media-Gericht ist es aber wohl echt i.d.R. am besten, einfach auszusitzen oder alles zu verneinen; vermutlich empfehlen das 9 von 10 PR-Experten.
ich hatte es so verstanden, Schuld zugeben, obwohl unschuldig und dann auf mildes Urteil hoffen (klingt halt so US-lastig) und Mitarbeit ist halt schwierig, wenn man nichts anderes sagen kann als "Ich wars nicht", die offensichtlichen Möglichkeiten werden ja in der Regel eh abgeklappert (Handy usw.) und wenns dann keine Zeugen oder ähnliches gibt und mehr oder weniger Aussage gegen Aussage steht wirds schwierig
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von Rigolax »

Crenshaw hat geschrieben: 31. Aug 2023, 19:55 ja gut im amerikanischen Rechtssystem gehe ich da mit, da ist es im Zweifel egal ob unschuldig oder nicht
aber im deutschen Rechtssystem (und darauf habe ich mich primär bezogen) halte ich das für eher unklug
Vermutlich eher praxistauglich bzgl. der amerikanischen Rechtsrealität, ja. Wobei ich diesen m.E. latenten Antiamerikanismus ("im Zweifel egal ob unschuldig oder nicht") im Justizkontext nicht mitgehen möchte. M.E. treibt das teils gesellschaftlich in Deutschland regelrecht Blüten, etwa bzgl. des Falls Jens Söring. Vgl. etwa: https://uebermedien.de/68683/die-erstau ... s-soering/
Crenshaw hat geschrieben: 31. Aug 2023, 19:55das es ne 100%ig Sicherheit nicht gibt ist klar
Es kann realistisch gesprochen eine 100%ige Sicherheit geben, insbesondere wenn jemand ganz eindeutig quasi in flagranti erwischt wird. Man stelle sich einen Amokschützen vor, dessen Tat von Dutzenden Zeugen und Kameras beobachtet/dokumentiert wird, plus weitere Beweise/Indizien. Eine nicht 100%ige Schuldigkeit wäre dort nur denkbar, wenn paranormale oder extraterrestrische Phänomene, großangelegte Verschwörungen, Massenpsychosen oder vielleicht abstruse Doppelgänger-Fakes in Betracht kämen.
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XfrogX
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von XfrogX »

Ich glaube nicht das man diese Probleme mit Justiz Reformen oder gar Gesetzes Änderungen in den Griff bekommt.

Aussage gegen Aussage wird man immer haben, aber hier hat man ja nun das Problem, es gibt keine aussagen. Die meisten Behauptungen kommen vom hören sagen. Also man hat gehört das da was komisch gelaufen ist.

Daher hat man halt nicht mal genug damit man überhaupt weiter arbeiten kann. Zumal wohl selbst diese Leute das so „öffentlich“ gesagte nicht bei der Polizei wiederholen wollen. Also zumindest die, die es ohne namens Nennung über die Presse getan haben.

Nun gibts halt viele Gründe bei Freunden etwas anders darzustellen als es wirklich war. Meistens weil man besser dastehen will. Es kann also gut sein das Menschen natürlich Sex mit ihm wollten, und es okay war. Sie aber hinterher dafür von bekannten herablassend angesehen werden und dann halt sagen ich wusste nicht worum es geht und fühlte mich dann unter Druck gesetzt. Das erzeugt dann wohl eher Verständnis als zu sagen „ich wollte halt mit nem Promi ficken“

Also sollte man wohl eher ansetzen das presse zumindest Kontakt zum wirklichen Opfer hat, den wahrscheinlich würde es in so einem Falle dann dort auch eher keine Story wollen. Weil die braucht es bei bekannten ja nicht, vorallem ohne Namen. Bleibt natürlich immer noch das jeder im Netz öffentlich sagen kann was er will.

Aber wie schnell man mit Änderungen eher in die scheisse greift zeigt sich doch gerade am sexualstrafrecht. Wo es heute nun so Empfehlungen gibt wie: wenn in einem Gruppen Chat etwas verdächtiges gepostet worde, geh nicht damit zur Polizei. Den du besitzt es damit und bis dann bei Mindeststrafe von einem Jahr. Und die Polizei muss das anzeigen.

Weswegen nun Lehrer und Eltern die Material melden wollten damit die Polizei hilft nun 1 Jahr Strafe bekommen. Da man alles andere gestrichen hat.
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von Rince81 »

https://www.lto.de/recht/hintergruende/ ... ehauptung/

Weiter geht's in Spiegel vs. Lindemanns Anwälte...
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von HerrReineke »

Damit wir nicht immer nur den SPIEGEL haben: In erster Instanz ist Lindemann am LG Frankfurt im Verfahren gegen den SZ-Bericht vom 02.06. "Am Ende der Show" gescheitert.
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/lindemann-niederlage-sz-erstbericht/

Wesentliche Abweichung zu den genannten Entscheidungen aus Hamburg: Das Frankfurter Gericht sieht wohl die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung als erfüllt an, insb. würde sich aus den Zeuginnen-Aussagen ein Mindestesbestand an Beweistatsachen für die berichteten Verdachtsmomente ergeben. Details sind nicht bekannt, weil die Entscheidung bei der Verkündung nicht mündlich begründet wurde und die schriftliche Begründung noch nicht vorliegt. Es soll aber definitiv in die nächste Instanz gehen.
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von Andre Peschke »

HerrReineke hat geschrieben: 7. Sep 2023, 16:51 Damit wir nicht immer nur den SPIEGEL haben: In erster Instanz ist Lindemann am LG Frankfurt im Verfahren gegen den SZ-Bericht vom 02.06. "Am Ende der Show" gescheitert.
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/lindemann-niederlage-sz-erstbericht/
Wieso isn das in Frankfurt gelandet? Spiegel sitzt in Hamburg und Hamburg finden eh alle toll, die wegen sowas klagen. Aber why Frankfurt? SZ sollte ja in München sitzen? Und IIRC wurden in der Vergangenheit in Hamburg auch schon Einstweilige Verfügungen gegen die SZ erwirkt.

Ich meine mich düster zu erinnern, dass der Kläger quasi überall klagen darf, wo der mutmaßliche Täter gehandelt hat. Bei der SZ also bundesweit. Haben die also hier irgendwie freiwillig Frankfurt als Standort angesteuert? Stimmt das überhaupt? Wasdalos?!

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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von Rince81 »

Andre Peschke hat geschrieben: 7. Sep 2023, 17:13 Wieso isn das in Frankfurt gelandet? Spiegel sitzt in Hamburg und Hamburg finden eh alle toll, die wegen sowas klagen. Aber why Frankfurt? SZ sollte ja in München sitzen? Und IIRC wurden in der Vergangenheit in Hamburg auch schon Einstweilige Verfügungen gegen die SZ erwirkt.

Ich meine mich düster zu erinnern, dass der Kläger quasi überall klagen darf, wo der mutmaßliche Täter gehandelt hat. Bei der SZ also bundesweit. Haben die also hier irgendwie freiwillig Frankfurt als Standort angesteuert? Stimmt das überhaupt? Wasdalos?!

Andre
War auch mein erster Gedanke, warum Frankfurt??? Aber die Entscheidung ist gegen einen Artikel vom 02.06., also fast noch zu Beginn der ganzen Affäre. Wenn das jetzt erst nach einer mündlichen Verhandlung - und damit entsprechend verzögert - entschieden wurde, denke ich, dass man bei Bergmann zu Beginn die Anträge noch etwas "gestreut". Später ging es dann gleich nach hamburg, da man dort ihrer Argumentation bereits gefolgt ist.
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HerrReineke
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Re: Rammstein (Lindemann) Vorwürfe

Beitrag von HerrReineke »

Andre Peschke hat geschrieben: 7. Sep 2023, 17:13 Wieso isn das in Frankfurt gelandet? Spiegel sitzt in Hamburg und Hamburg finden eh alle toll, die wegen sowas klagen. Aber why Frankfurt? SZ sollte ja in München sitzen? Und IIRC wurden in der Vergangenheit in Hamburg auch schon Einstweilige Verfügungen gegen die SZ erwirkt.

Ich meine mich düster zu erinnern, dass der Kläger quasi überall klagen darf, wo der mutmaßliche Täter gehandelt hat. Bei der SZ also bundesweit. Haben die also hier irgendwie freiwillig Frankfurt als Standort angesteuert? Stimmt das überhaupt? Wasdalos?!

Andre
Ja, das habe ich mich auch gefragt, aber kann da auch nicht mehr als bloße Mutmaßungen anstellen. Aber die teile ich natürlich gerne :mrgreen:
Im Grundsatz hast du erstmal recht: Bei bundesweiten Zeitungen (bzw. Online-Medien) ist der "besondere Gerichtsstand der unerlaubten Handlung" (§ 32 ZPO) überall da, wo die Handlung begangen wurde. Bei solchen Zeitungs- / Online-Äußerungen also quasi überall wo es diese Zeitung / das Internet gibt :ugly: Zwar wird das inzwischen ein wenig enger gesehen (gerade bei reinen online-Sachverhalten), aber es erlaubt immer noch sehr viel. Hier wäre Hamburg ziemlich sicher auch kein Problem gewesen im Grundsatz. Und München geht bei der SZ definitiv immer, als Sitz der SZ.

Mir fallen spontan nur wenige Gründe ein, warum man an dieser Stelle Frankfurt nimmt (und nicht z.B. Hamburg, Berlin, Köln oder München - das wären die anderen klassischen Kandidaten für Pressestreitigkeiten):
1) Man möchte einfach verschiedene (bzw. die "klassischen") Landgerichte / Oberlandesgerichte für Pressesachen mal damit beschäftigt haben, z.B. weil es ggf. Gegner gibt, die nicht überall verklagt werden können und so hat man in den verschiedenen Gebieten schonmal "Musterurteile" an den entsprechenden Gerichten. Vielleicht auch, weil man zu dem Zeitpunkt als der Antrag gestellt wurde noch nicht absehen konnte, wie es z.B. in Hamburg laufen wird.
2) Es gab evtl. schon ein ähnliches Verfahren dort, von dem wir nichts wissen, und man hatte sich es deshalb "leichter" vorgestellt (unwahrscheinlich).
3) Es gelten im einstweiligen Rechtsschutz relativ strenge Fristen. Die sind nicht gesetzlich festgeschrieben, sondern eine Art Richterrecht: Wer zu lange wartet zeigt, dass es ihm nicht wirklich ernsthaft eilig ist ("Selbstwiderlegung der Dringlichkeit"). Das ist nahezu bundesweit ein Monat ab Kenntnis der Umstände. Aber Frankfurt ist hier besonders: Die nehmen gerne bis zu sechs Wochen (oder haben es zumindest früher - hatte da länger nichts und müsste nachschauen, ob das immer noch der Fall ist). Falls man also für Hamburg "zu spät dran" war, wäre das möglicherweise die einzige verbleibende Ausweichmöglichkeit. Kann ich mir hier aber auch nicht so ganz vorstellen, dass die da so langsam gewesen sein sollten... :think:
Quis leget haec?
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